Donauversinkung
Die Donauversinkung (auch Donauversickerung) ist eine unterirdische unvollständige Flussanzapfung der Oberen Donau. Auf den Versickerungsstrecken zwischen Immendingen und Möhringen und bei Fridingen (Landkreis Tuttlingen) verschwindet Wasser der Donau an verschiedenen Stellen im Flussbett, wobei die Hauptversinkungsstelle am Gewann Brühl zwischen Immendingen und Möhringen liegt, etwa bei Flusskilometer 2755.[1] Der Bereich ist Teil des Naturparks Obere Donau.
Der Ausdruck Versinkung wird bevorzugt, weil das Wasser sich nicht flächig im Erdreich verteilt, sondern in unterirdischen Hohlräumen als gerichteter Strom abfließt. Es handelt sich um eine unterirdische Bifurkation, da das verschwundene Wasser als Schwarze Donau die Europäische Hauptwasserscheide durchquert, im Aachtopf als Quelle der Radolfzeller Aach wieder zu Tage tritt und über den Bodensee und den Rhein in die Nordsee fließt.
Hydrographie
Das von der Versinkung abgezapfte Donauwasser verschwindet in einem Karstwassersystem der Wohlgeschichteten Kalk-Formation des Weißen Jura (ox2) und tritt in verschwammten, liegenden Bankkalken des Weißen Jura (ki 4) im rund zwölf Kilometer entfernten Aachtopf wieder aus.[2] Es fließt sodann als Radolfzeller Aach bei Radolfzell in den Bodensee. Somit fließt ein Teil des Donauwassers auch in den Rhein. Diese geografische Situation ist eine markante Besonderheit der großen Europäischen Wasserscheide, die die Einzugsgebiete der Nordsee und des Schwarzen Meeres trennt.
Da das Wasser durch eine Vielzahl von kleinen bis sehr kleinen Rissen und Klüften abfließt, befindet sich die Verkarstung an diesen Stellen noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Das anschließende Höhlensystem bis zum Aachtopf, also der unterirdische Donau-Abzweig, ist dagegen vermutlich schon weit entwickelt. Das ergibt sich aus der engen zeitlichen Korrelation der Wassertemperaturen von Donau und Aachquelle, die eher auf einen unterirdischen Fluss als auf ein verästeltes Kluftsystem schließen lässt.
In den 1960er Jahren hat Jochen Hasenmayer vom Aachtopf aus die ersten 400 Meter einer großen klammförmigen Quellhöhle, der Aachhöhle, entdeckt und erforscht. Seine Forschungen endeten an einer verschütteten Stelle, an der kein Weiterkommen mehr möglich war. Eine weitere Erforschung des Höhlensystems läuft seit den 1980er Jahren im Rahmen einer Privatinitiative. Zu diesem Zweck wurde zwischenzeitlich eine Doline im Bergland zwischen Donau und Aachtopf erschlossen, die einen Zugang zu den wasserführenden Schichten ermöglicht.
Geschichte
Die erste historisch belegte vollständige Versinkung fand 1874 statt.[3] Seitdem ist die Anzahl der Versinkungstage pro Jahr im Schnitt stark angestiegen, wenn auch mit kleinen Ausreißern. Während Messungen von 1884 bis 1904 jährlich durchschnittlich 80 Vollversinkungstage ergaben und das Jahr 1921 mit 309 Vollversinkungstagen einen bis heute ungebrochenen Rekord hält, wurden 1922 lediglich 29 Tage gemessen, 1923 allerdings wieder 148 Tage. Von 1933 bis 1937 steigerte sich die Zahl auf 209 und von 1938 bis 1945 auf 270 Tage.
Der Zusammenhang zwischen Donauversinkung und Aachtopf wurde am 9. Oktober 1877 nachgewiesen, indem der Geologe Adolph Knop von der Technischen Hochschule Karlsruhe das Wasser in der Donauversinkung mit 10 Kilogramm Natriumfluorescein, 20 Tonnen Salz und 1200 Kilogramm Schieferöl versetzte. 60 Stunden darauf traten alle drei Substanzen als „prachtvoll grünleuchtendes“ Salzwasser mit deutlich kreosotartigem Geschmack im Aachtopf auf.[4] Später wurde die Verbindung einzelner Versinkungsstellen erforscht.[5] So wurde etwa 1908 in Fridingen ein Schacht angelegt, um durch Versuche herauszufinden, wohin das Wasser dieser Versinkung abfließt.[6]
1927 wurde vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich ein zwischen den Ländern Württemberg und Preußen als Landesherr der Hohenzollernschen Lande einerseits und dem Land Baden andererseits schwelender Streit um die quantitative Beeinträchtigung des Donauwassers ausgetragen, der als Donauversinkungsfall bekannt wurde.
Aktuelle Entwicklung
Ungefähre Vollversinkungstage nach Jahr
Angegeben ist die Anzahl der Tage des jeweiligen Jahres, an denen die Pegelstation Möhringen den Abflusswert Null als Tageshöchstwert registrierte.[7]
Ausblick
Wie sich die Verkarstung an den Versinkungsstrecken zukünftig entwickeln wird, ist nicht genau vorhersehbar. Die unterirdische Donau führt jährlich ca. 7000 Tonnen (2700 Kubikmeter) Kalk aus dem Karstsystem des Aachtopfs ab. Denkbar sind in naher Zukunft Erweiterungen oder Einstürze im Untergrundsystem, oberirdisch erkennbar an Dolinen oder neuen Ponoren (Schlucklöchern).
Auf lange Sicht wird die heutige obere Donau wohl vollständig zur Radolfzeller Aach und damit zum Flusssystem des Rheins hin umgeleitet. Dann würden die heute unbedeutenden Nebenflüsse Krähenbach (in Möhringen) und Elta (in Tuttlingen) zu den neuen Quellflüssen der oberen Donau, die allerdings schon heute weniger Wasser führt als die in Ulm mündende Iller. Eine vielleicht ähnliche Flussanzapfung hat die Urdonau (in diesem Abschnitt Feldbergdonau genannt) in der Würmeiszeit auch schon weiter flussaufwärts, am heutigen Wutachknie bei Blumberg, erlebt.
Eingriffe
Die Sickerstellen werden über mehrere Stollen umgangen. In Fridingen treiben Donau und Bära das Wasserkraftwerk Fridingen an.[8][9] Am Stauwehr wird das Wasser durch einen 1,4 Kilometer langen Stollen am östlichen Ende des Tunnels der Bahnstrecke Tuttlingen–Inzigkofen (48° 2′ 9,47″ N, 8° 57′ 24,39″ O ) ausgeleitet und dabei die elf Kilometer lange Fridinger Donauschleife mitsamt der dortigen Versinkungsstelle umgangen.
Dokumentation
- Die schwarze Donau: Ein Fluss verschwindet. Dokumentation unter Regie von Axel Nixdorf im Auftrag des ZDF unter Zusammenarbeit mit Arte, Bewegte Zeiten Filmproduktion GmbH, 50 Minuten, Deutschland 2009. Deutsche Erstausstrahlung am 29. April 2010 auf ARTE.
- Wasser: Die Umwege des geringsten Widerstands. Wissenschaftsmagazin von Radio SRF. Erstausstrahlung am 8. August 2020. Redaktion: Katharina Bochsler; Autorin: Katrin Zöfel.
Weblinks
Einzelnachweise
- Ungefähr bei 47° 55′ 52,3″ N, 8° 45′ 46,6″ O .
- Hans Binder, Herbert Jantschke: Höhlenführer Schwäbische Alb. 7. Auflage, 2003, ISBN 3-87181-485-7, S. 260.
- Hans Binder, Herbert Jantschke: Höhlenführer Schwäbische Alb. 7. Auflage, 2003, ISBN 3-87181-485-7, S. 261.
- A. Knop (1878): Über die hydrographischen Beziehungen zwischen der Donau und der Aachquelle im badischen Oberlande. In: Neues Jahrb. Mineral. Geol. Palaeontol. S. 350–363.
H. Hötzl (1996): Origin of the Danube-Aach system. In: Environmental Geology. Bd. 27, Nr. 2, S. 87–96. doi:10.1007/BF01061676. - Bestand Ho 235 T 11-12 Nr. 677 auf Landesarchiv-BW.de.
- StGH RGZ 116, Anhang S. 24.
- Daten- und Kartendienst der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg: Hydrologische Landespegel
- www.windkraft-journal.de.
- Karl Falko Hahn: Donauschleife liefert Strom. In: Südkurier vom 2. Dezember 2005.