Dominante
Dominante (französisch (note) dominante (Adj.) oder einfach: dominante (Subst.) von lateinisch dominans (Part. Prä,. von dominare) ‚herrschend, beherrschend, vorherrschend‘; italienisch u. spanisch dominante; englisch dominant), auch Oberdominante, bezeichnet in der Harmonielehre die fünfte Stufe einer Tonleiter und die Funktion aller darauf basierenden Akkorde. Die Dominante liegt eine Quinte über der Tonika und bildet zusammen mit dieser und der Subdominante (auch Unterdominante genannt) eine der drei Hauptstufen bzw. Hauptfunktionen der tonalen Harmonik. Somit ist die Dominante der fünfte Ton einer Tonart.
Dominantspannung
Dur
Die Quint-Fortschreitung von der tonikalen zur dominantischen Funktion erzeugt eine Erwartung (psychologische 'Spannung') an einen Rückfall in die tonikale Ruhe-Lage (die Harmonik schreitet von der Tonika fort, also heraus aus der tonikalen Ruhelage).
Der Rückfall in die tonikale Ruhelage wird als Eintreten der erwarteten Kadenz (Lösung der Spannung) empfunden. Das Auflösungsbestreben der Dominante in die Tonika wird durch die Strebetendenz des im Dominantakkord enthaltenen Leittons unterstützt.
Moll
Im „natürlichen Moll“ ist die große Septime als Leitton zur Tonika nicht leitereigen. Auf der 5. Stufe der Moll-Tonart steht ein Moll-Akkord (e-g-h, hier bezogen auf a-Moll), dessen Terz g einen Ganztonschritt unter dem Tonikagrundton a steht. Um auch hier die von Dur vertraute Strebewirkung zu erhalten, wird stattdessen auch in Moll als Dominante ein Dur-Akkord verwendet. Dazu wird die zugrunde liegende Tonleiter durch Erhöhung des g zum gis zum harmonischen Moll umgebildet. Wird dieser Leitton nicht verwendet, spricht man verdeutlichend von einer Moll-Dominante.
Dominantseptakkord
Die Dominant-Spannung kann durch das Hinzufügen eines weiteren Leittons zum Dominant-Dreiklang deutlich verschärft werden. Durch Hinzunahme einer weiteren (kleinen) Terz entsteht der Dominantseptakkord. Dieser enthält nun mit dem vierten Ton der zugrunde liegenden Tonleiter (in C-dur das f), welches als abwärtsführender Leitton (Gleitton) bestrebt ist, sich mit einem Halbtonschritt in das darunter liegende e aufzulösen. Da der Akkord (wieder bezogen auf C-Dur) jetzt die Töne h und f enthält, die – gleichzeitig – nur in C-Dur (und der Tonikaparallele, die hier aber keine Rolle spielt) vorkommen können, legt er dadurch die Tonart C-Dur eindeutig fest. Durch den Tritonus zwischen Terz und Septime ist der Dominantseptakkord so spannungsreich (und durch Hörerfahrung so geläufig), dass er automatisch in der Funktion einer Dominante wahrgenommen wird.
Weitere dominantische Akkorde
Der Dominantseptakkord kann durch sogenannte „Überterzung“ (Hinzufügen einer weiteren Terz) zum Dominantseptnonakkord erweitert werden. Beide Akkorde wirken auch in „verkürzter“ Form, also bei fehlendem Grundton, dominantisch. Weitere Überterzungen ergeben den Dominantundezim- und den Dominanttredezimakkord.
Dominant-Funktion im erweiterten Sinn haben auch alle Akkorde, die einen hohen Spannungsgehalt in sich tragen und in einen nachfolgenden, spannungsärmeren Klang auflösen. Akkorderweiterungen, welche im durmolltonalen System generell dissonant sind, eignen sich besonders gut als Dominante.[1] Auch alterierte Akkorde der fünften Stufe wirken vornehmlich dominantisch.
Stufen- und Funktionstheorie
Der Begriff Dominante wird sowohl in der Stufen- als auch der Funktionstheorie verwendet, jedoch in leicht unterschiedlicher Bedeutung. In der Stufentheorie werden als Dominantakkorde nur solche bezeichnet, deren Grundton die V. Stufe einer Tonleiter ist und die diesen Grundton auch wirklich enthalten. In der Funktionstheorie dagegen werden alle Akkorde, die eine Auflösungstendenz zur Tonika aufweisen, als Dominanten bezeichnet, selbst wenn der Dominantgrundton (V. Stufe) gar nicht in ihnen vorkommt. So wird z. B. in C-Dur der Septakkord der VII. Stufe (H-d-f-a) von der Funktionstheorie in dominantischer Funktion gesehen und als „verkürzter“ oder „stellvertretender“ Dominantseptnonakkord (G-H-d-f-a) mit fehlendem Grundton interpretiert.
Im Jazz kann die Dominante unterschiedlich alteriert werden. Zum Beispiel in C-dur als Septakkord (G-H-D-F=G7), als Septnonenakkord mit kleiner oder übermäßiger None (G-H-D-F-As=G7/b9 oder G-H-D-F-Ais=G7/#9), als Septakkord mit hochalterierter Quinte (G-H-Dis-F=G7/#5), als Undezimakkord (G-H-D-F-A-C=G7/9/11) oder als Tredezimakkord mit kleiner oder übermäßiger Tredezime (G-H-D-F-A-Es=G7/9/b13 bzw. G-H-D-F-A-Eis=G7/9/#13)
Geschichte
Das Wort Dominante ist älter als die dur-moll-tonale Musik. Bereits 1615 verwendete Salomon de Caus diese Bezeichnung bei authentischen Kirchentönen für die 5., bei plagalen für die 4. Stufe. Allgemein wurde die Bezeichnung Dominante oft synonym für die anderen Benennungen des Rezitationstons von Kirchentönen (Repercussa, Tenor, Tuba) gebraucht. Am Anfang des 18. Jh. gehörte die Dominante als 5. Ton der Leiter neben Finalis und Mediante (nach Brossard) zu den Sons essentielles (wesentlichen Tönen) eines Modus.
Die heutige Bedeutung des Begriffs als eine der drei Grundfunktionen tonaler Harmonik geht auf Jean-Philippe Rameau zurück. Dieser verstand unter Dominante im Allgemeinen jeden Ton, der Basis eines Septakkords ist, wobei letzterer sich in einen Akkord mit einem um eine Quinte tieferen Grundton auflöst. Die dominante tonique (von Marpurg als tonische Dominante übersetzt) ist der Spezialfall des auf der Quinte über dem Grundton errichteten Septakkords, der sich in den Tonikadreiklang auflöst (was dem heutigen Dominantverständnis recht nahekommt). Von Rameaus unmittelbaren Nachfolgern übernahmen nur wenige (z. B. Johann Friedrich Daube) die neue Lehre von den Grundfunktionen.
Jean-Jacques Rousseau schwächte die hervorhebende Bedeutung der Termini Tonika, Dominante und Sub-Dominante wieder etwas ab, indem er die Benennung der einzelnen Tonleiterstufen weiter ausbaute (z. B. Sus-dominante für die 6. Stufe). Bei Heinrich Christoph Koch und Gottfried Weber wird jedoch ausdrücklich zwischen wesentlichen bzw. Hauptharmonien (Tonika-, Dominant- und Subdominantdreiklang) und zufälligen bzw. Nebenharmonien einer Tonart unterschieden. Weber weist auch als einer der ersten darauf hin, dass der Dreiklang auf der Oberdominante immer (auch in Moll) ein Durdreiklang ist. Die endgültige Festigung des Dominant-Begriffs geschah durch Moritz Hauptmann, der diesen von der Quinte, dem zweiten der drei direkt verständlichen Intervalle (Oktave, Quinte, Großterz), ableitete. Die heute übliche Funktionsbezeichnung D für die Dominante wurde von Hugo Riemann eingeführt.
Die Dominante wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum auch Oberdominante genannt.[2]
Literatur
(chronologisch)
- Willibald Gurlitt, Hans Heinrich Eggebrecht (Hrsg.): Riemann Musik Lexikon. Sachteil. 12., völlig neubearbeitete Auflage. B. Schott's Söhne, Mainz 1967, S. 237
- Serge Gut: Dominante – Tonika – Subdominante. In: Hans Heinrich Eggebrecht, Albrecht Riethmüller (Hrsg.): Handwörterbuch der musikalischen Terminologie. Steiner, Stuttgart u. a. 1972–2005, ISBN 3-515-03161-8.
- Jürgen Ulrich: Harmonielehre für die Praxis. Schott, Mainz u. a. 2008, ISBN 978-3-7957-8738-7, S. 32–34.
Fußnoten
- Reinhard Amon: Lexikon der Harmonielehre. Nachschlagewerk zur durmolltonalen Harmonik mit Analysechiffren für Funktionen, Stufen und Jazz-Akkorde. Doblinger u. a., Wien u. a. 2005, ISBN 3-900695-70-9, S. 114.
- Arnold Schönberg zog die Bezeichnung „Oberdominante“ vor, da seiner Meinung nach der Name Dominante der eigentlich „herrschenden“ Stufe, der Tonika weit mehr gebührt. Nur um keine neue Terminologie einzuführen, behält er die Bezeichnung Dominante für die V. Stufe bei, schwächt aber ihre Bedeutung etwas ab, indem er sie durch die Umbenennung in Oberdominante wenigstens mit der Unterdominante auf eine Rangstufe bringt. (Arnold Schönberg: Harmonielehre. 3., vermehrte und verbesserte Auflage. Universal Edition, Wien 1922, S. 36 f.)