Dietrich Brüggemann
Dietrich Brüggemann (* 23. Februar 1976 in München) ist ein deutscher Filmregisseur, Drehbuchautor und Musiker.
Leben
Brüggemann ist der Sohn des Germanisten Diethelm Brüggemann.[1] Er wuchs in den 1980er-Jahren „vage atheistisch“ auf. Mit seinen Eltern zog er als Achtjähriger für vier Jahre nach Südafrika, wo sein Vater eine Professur für Germanistik innehatte.[2] Ab 1988 lebte er zunächst in Stuttgart, in Regensburg machte er 1996 am Albertus-Magnus-Gymnasium sein Abitur. Nach dem Zivildienst in der Schwerbehinderten-Betreuung studierte er ein Semester Theaterwissenschaften in München[1] und übte diverse Tätigkeiten beim Film aus. 1998 lernte er als Komparse bei Dreharbeiten zu Hans-Christian Schmids Film 23 – Nichts ist so wie es scheint Mitarbeiter der Filmzeitschrift Schnitt kennen, bei der er daraufhin bis zu ihrer Einstellung im Jahr 2012 als Redakteur und Filmkritiker wirkte und sich zunehmend mit dem internationalen Film befasste.[3]
Im Jahr 2000 begann Brüggemann das Studium der Filmregie an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam. Mit seinem Studentenkurzfilm Warum läuft Herr V. Amok? konnte er 2003 erstmals eine Arbeit in einer Nebenreihe der Berlinale platzieren.[4] Sein Diplomfilm Neun Szenen, mit dem er 2006 das Studium abschloss, wurde in der Sektion Perspektive deutsches Kino der Berlinale 2006 aufgeführt.[5] Sein zweiter Spielfilm Renn, wenn du kannst eröffnete die gleiche Sektion der Berlinale 2010. Im Jahr 2012 erschien seine Filmkomödie 3 Zimmer/Küche/Bad.
Er arbeitet eng mit seiner Schwester Anna Brüggemann zusammen. Gemeinsam schrieben sie die Drehbücher der Kinofilme, in mehreren Filmen spielte Anna Brüggemann in Hauptrollen mit. Für den Spielfilm Kreuzweg erhielten die Geschwister bei der Berlinale 2014 den Silbernen Bären für das beste Drehbuch. 2015 folgte die von Dietrich Brüggemann alleine verfasste Neonazi-Satire Heil. Nachdem der Zuschauererfolg der Kinofilme gering blieb,[6] führte Brüggemann ab 2016 Regie bei mehreren Tatort-Fernsehfilmen. 2018/2019 entstand Brüggemanns Kinofilm Nö,[7] der im Sommer 2021 Festivalpremiere hatte.
Brüggemann äußerte wiederholt seine Verehrung für die Arbeiten des schwedischen Filmemachers Roy Andersson.[3][8][9]
2017 inszenierte Brüggemann sein selbst verfasstes erstes Theaterstück, die Tragikomödie Vater, in der Box des Deutschen Theaters Berlin.[10]
Er dreht Musikvideos, u. a. für Judith Holofernes, Thees Uhlmann und das Plattenlabel Grand Hotel van Cleef.
Als Musiker begleitet Brüggemann Stummfilme auf dem Klavier.[11] Mit Desiree Klaeukens bildet er zudem das Indie-Pop-Duo Theodor Shitstorm und brachte 2018 das Debüt-Album Sie werden dich lieben heraus. Er spielt Tasteninstrumente, sie Gitarre, beide singen, texten und komponieren.[12]
Dietrich Brüggemann lebt in Berlin-Kreuzberg.
Kontroversen
Fahr zur Hölle, Berliner Schule
Während der Berlinale 2013 veröffentlichte Brüggemann als Reaktion auf Thomas Arslans Wettbewerbsfilm Gold den provokanten Blogbeitrag Fahr zur Hölle, Berliner Schule, in dem er das „Berliner-Schule-Berlinale-Wettbewerbs-Kino“ verurteilte: „Gekünstelte Dialoge. Reglose Gesichter. Ausführliche Rückenansichten von Leuten. Zäh zerdehnte Zeit. Willkommen in der Welt des künstlerisch hochwertigen Kinos, willkommen in einer Welt aus quälender Langeweile und bohrender Pein.“[8][13]
Ekkehard Knörer befand, es gehöre „einige Chuzpe“ dazu, sich mit Brüggemanns „belanglosem“ Unterhaltungsfilm 3 Zimmer/Küche/Bad gegen die Berliner Schule zu positionieren.[14] Brüggemann gab 2014 an, den Text mit Blick auf seinen nächsten Film Kreuzweg geschrieben zu haben, der im Wettbewerb der Berlinale 2014 den Drehbuchpreis gewann. Die Spiegel-Kritikerin Hannah Pilarczyk meinte, auch dieser Film verspreche „– ähnlich wie seine Tirade auf die Berliner Schule – mehr, als er einlösen kann“.[15]
#allesdichtmachen
Im April 2021 war er Mitinitiator der Aktion #allesdichtmachen, einer Initiative, in der neben Brüggemann rund 50 Schauspieler und ein weiterer Regisseur die Auswirkungen der zur Eindämmung gegen die Covid-19-Pandemie eingeführten staatlichen Maßnahmen auf das gesellschaftliche Leben satirisch übersteigert zum Ausdruck brachten. Dafür wurde er heftig kritisiert,[16] da eine Nähe zu den sogenannten Querdenkern und zur AfD gesehen wurde. Eine Tageszeitung spekulierte sogar über ein "antidemokratisches Netzwerk" als "Ausgangspunkt" der Aktion, räumte dann aber ein, dass dies nicht zutraf und gab Brüggemann die Gelegenheit zu einer Stellungnahme, die Informationen zur Entstehung und Rezeption der Videos mit grundsätzlichen ästhetisch-politischen Überlegungen verbindet.[17] Friedrich Küppersbusch nannte die Aktion im Deutschlandfunk „selbstgerecht und selbstmitleidig“.[18] Der ehemalige FAZ-Herausgeber Hugo Müller-Vogg sprach von einem „schäbigen, beschämenden Theater“.[19] Während einige der mitwirkenden Schauspieler ihre Beiträge zurückzogen, kritisierte Brüggemann die mediale Reaktion in einem Interview mit dem Deutschlandfunk als einen „faschistoiden Shitstorm“ und sprach von einer „Medienblase“.[20] Brüggemann behauptet: „Wenn der Diskurs so verengt ist, dass auf einmal nur noch die AfD in der Lage ist, ein paar grundlegende Wahrheiten auszusprechen […], was ist denn das für ein Diskurs? […].“[20]
In der RTL-Sendung Stern TV „Zündet Deutschland jetzt den Impfturbo?“ äußerte Brüggemann sich kritisch zu bessergestellten Schichten, die in der Pandemie eine deutlich privilegiertere Position besäßen. Teile der gehobenen Mittelschicht würden Personen kritisieren, die durch ihre schlechtere wirtschaftliche und soziale Stellung gezwungen seien, gewisse Regeln zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie zu missachten.[21]
Filmografie (Auswahl)
- 2004: Mehr Licht (Kurzfilm)
- 2004: Warum läuft Herr V. Amok? (Kurzfilm)
- 2006: Neun Szenen
- 2007: Kookaburra – Der Comedy Club (Fernsehserie)
- 2010: Renn, wenn du kannst
- 2011: One Shot (Kurzfilm)[22]
- 2012: 3 Zimmer/Küche/Bad
- 2014: Kreuzweg
- 2015: Heil
- 2017: Tatort: Stau
- 2018: Tatort: Murot und das Murmeltier
- 2021: Tatort: Das ist unser Haus
- 2021: Nö
Musikvideos
- 2010: Tim Neuhaus: As Life Found You
- 2011: Tim Neuhaus: Headdown[23]
- 2011: Thees Uhlmann: Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf
- 2012: Thees Uhlmann: Das Mädchen von Kasse 2
- 2013: Alin Coen Band: A No Is A No[24]
- 2013: Judith Holofernes: Liebe Teil 2 – Jetzt erst recht
- 2013: Tim Neuhaus ft. Kat Frankie: Easy or not
- 2015: Adam Angst: Splitter von Granaten
- 2017: Albrecht Schrader: Nichtsdestotrotzdem
- 2017: Maurice & die Familie Summen: Nicht antworten ist das neue Nein
Als Darsteller
- 2017: Blind & Hässlich
Theaterautor und -regie
- 2017: Vater – Uraufführung Deutsches Theater Berlin 11. November 2017[25]
Auszeichnungen
- 2004: Nominierung für den Max-Ophüls-Preis in der Kategorie Bester Kurzfilm für Mehr Licht
- 2006: Nominierung für den First Steps Award in der Kategorie Abendfüllende Spielfilme für Neun Szenen
- 2006: Publikumspreis beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen für Neun Szenen
- 2007: Studio Hamburg Nachwuchspreis in der Kategorie Bestes Drehbuch für Neun Szenen
- 2010: Publikumspreis beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen für Renn, wenn Du kannst[26]
- 2010: Publikumspreis beim Berlin & Beyond Film Festival in San Francisco USA für Renn, wenn Du kannst
- 2010: Nachwuchsförderpreis der DEFA-Stiftung und des Verleiherpreises CineStar beim Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern 2010 für Renn, wenn Du kannst
- 2012: Aufenthaltsstipendium in der Villa Aurora
- 2013: Findlingspreis
- 2014: Silberner Bär für das beste Drehbuch und Preis der Ökumenischen Jury auf der Berlinale für Kreuzweg
- 2014: MuVi-Publikumspreis bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen für Easy Or Not[27]
- 2015: Preis der deutschen Filmkritik, bestes Drehbuch für Heil
- 2018: Hauptpreis Deutscher FernsehKrimi-Preis für Tatort: Stau
- 2018: Festival des deutschen Films – Filmkunstpreis für Tatort: Murot und das Murmeltier[28]
- 2019: Preis der Deutschen Akademie für Fernsehen in der Kategorie Drehbuch für Tatort: Murot und das Murmeltier
- 2021: Internationales Filmfestival Karlovy Vary – Preis für die beste Regie für Nö[29]
Weblinks
- Dietrich Brüggemann in der Internet Movie Database (englisch)
- Dietrich Brüggemann bei filmportal.de
- Offizielle Webpräsenz
- Kritik muss wehtun. Interview zu #allesdichtmachen. Deutschlandfunk, 23. April 2021.
Einzelnachweise
- Dietrich Brüggemann im Munzinger-Archiv, abgerufen am 14. November 2017 (Artikelanfang frei abrufbar)
- Fragen nach Gott. Video-Interview mit Josef Lederle. In: katholisch.de. Abgerufen am 14. November 2017.
- Dietrich Brüggemann: Mäkeln vs. Machen. Zwischen Filmkritik und Filmregie. In: Schnitt 59. 2010, abgerufen am 8. Mai 2021.
- Warum Läuft Herr V. Amok? Berlinale-Jahresarchiv 2003. Abgerufen am 9. Mai 2021.
- Neun Szenen. Berlinale-Jahresarchiv 2006. Abgerufen am 9. Mai 2021.
- Kinofilme von Dietrich Brüggemann in LUMIERE, Datenbank für europaweite Kinobesucherzahlen, abgerufen am 8. Mai 2021.
- Neuer Leuchtstoff: Dreharbeiten für rbb-Kinokoproduktion Nö mit Anna Brüggemann und Alexander Khuon. Rundfunk Berlin-Brandenburg, 29. November 2018, abgerufen am 8. Mai 2021.
- Dietrich Brüggemann: Fahr zur Hölle, Berliner Schule. 11. Februar 2013, abgerufen am 8. Mai 2021.
- Dietrich Brüggemann: Einzigartig eigenartig. In: Spiegel Online. 30. Dezember 2014, abgerufen am 8. Mai 2021.
- Ulrich Seidler: DT-Box – Dietrich Brüggemann brilliert mit Theaterdebüt „Vater“. In: Berliner Zeitung. 12. November 2017, abgerufen am 6. Dezember 2018.
- Dietrich Brüggemann live am Flügel im deutschen Filmmuseum. In: Filmportal.de. 9. Januar 2018, abgerufen am 6. Dezember 2018.
- Jan Freitag: Sprachrohr der verwirrten Thirtysomethings. In: Zeit.de. 27. September 2018, abgerufen am 6. Dezember 2018.
- Jan Schulz-Ojala: Ende gut, nicht alles gut. Berlinale in der Krise. In: Tagesspiegel. 16. Februar 2013, abgerufen am 8. Mai 2021.
- Ekkehard Knörer: Drei coole Dialoge und ein paar Tränen. In: taz. die tageszeitung. 16. Mai 2013, abgerufen am 8. Mai 2021.
- Hannah Pilarczyk: Glaube um Glaube. In: Spiegel Online. 20. März 2014, abgerufen am 8. Mai 2021.
- z. B. Tagesspiegel online vom 23. April 2021, ruhr24.de vom 24. April 2021
- Was machen wir hier eigentlich? Dietrich Brüggemann über die Aktion #allesdichtmachen. In: Tagesspiegel, 10.06.2021
- Interview Kultur heute vom 23.4.2021. Abgerufen am 29. April 2021.
- Hugo Müller-Vogg: Kommentar zu #allesdichtmachenSchauspieler aus dem Elfenbeinturm: Was für ein schäbiges, menschenverachtendes Theater. In: focus.de. 23. April 2021, abgerufen am 25. April 2021.
- Regisseur Brüggemann zu #allesdichtmachen: "Kritik muss wehtun". In: deutschlandradio.de. 23. April 2021, abgerufen am 25. April 2021.
- Unsere Themen in dieser Woche. 27. April 2021, abgerufen am 28. April 2021.
- One Shot auf Youtube
- Grand Hotel van Cleef: Tim Neuhaus & The Cabinet – Headdown. 8. November 2011, abgerufen am 8. Mai 2017.
- Rezension bei Popshot, abgerufen am 5. Juli 2013
- Vater von Dietrich Brüggemann, Autor und Regisseur, Deutsches Theater Berlin, abgerufen 12. Februar 2019
- Publikumspreis beim Festival des deutschen Films 2010 (Memento vom 9. März 2011 im Internet Archive)
- Preisträger der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen 2014, abgerufen am 14. November 2017.
- Der Filmkunstpreis 2018 des 14. Festivals des Deutschen Films Ludwigshafen am Rhein geht an „Murot und das Murmeltier“ von Dietrich Brüggemann. Artikel vom 8. September 2018, abgerufen am 9. September 2018.
- https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/karlsbader-filmfestival-mit-preis-fuer-ethan-hawke-17506894.html