Dekompressionskammer
Unter Dekompressionskammer versteht man einen luftdichten und druckfesten Behälter zur kontrollierten Steigerung und Absenkung des Umgebungsdrucks (Kompression und Dekompression). Er besteht in der Regel aus Stahl oder Verbundstoffen, selten auch für begrenzte Druckanwendungen aus reißfesten Textilien. Zur medizinischen Behandlung diverser Erkrankungen, auch zur Behandlung von Dekompressionskrankheiten bei Tauchern und Caisson-Arbeitern, werden therapeutische (Über)Druckkammern (HBO, hyperbare Oxygenierung bzw. Sauerstofftherapie) verwendet. Die Dekompressionskammer dient auch Berufstauchern nach dem Einsatz zur vorschriftsmäßigen Anpassung an den atmosphärischen Luftdruck, um Dekompressionserkrankungen vorzubeugen. Der Aufenthalt in der Dekompressionskammer kann nach langen und tiefen Taucheinsätzen mehrere Stunden, Tage oder Wochen dauern.
Aufbau
Eine moderne Druckkammer besteht meist aus einer Hauptkammer, in der die Behandlung stattfindet, und einer Nebenkammer, die als Personen-Schleuse dient. Vielfach existiert zusätzlich noch eine sehr kleine Kammer mit nur wenigen Litern Inhalt, die dazu dient, medizinische Instrumente oder Medikamente ein- und auszuschleusen.[1]
Die modernen Druckkammern zur Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO) unterscheiden sich stark von den engen Einpersonenkammern[2] aus den Anfangszeiten der Überdruckmedizin. Sie bieten meist Platz für zwölf oder mehr sitzende Personen, teilweise sogar für in Krankenhausbetten liegende Patienten. Einrichtung, Medizintechnik und Kleidung müssen bei erhöhtem Luftdruck und bis zu etwa neunfach erhöhtem Sauerstoff-Partialdruck brandsicher funktionieren. Zu ihrer Sicherheit werden Patienten mit Videokameras, Gegensprechanlagen und Sensoren überwacht und medizinisches Personal kann über die Schleuse während einer laufenden Behandlung die Hauptkammer verlassen oder betreten.[3]
Heute sind Druckkammern, im Gegensatz zu den ersten ihrer Art, meist keine gemauerten Räume, sondern ein dicht schließendes, druckfestes Stahl-Gefäß. Mobile Druckkammern werden etwa zu einem Taucheinsatz oder dem Ort eines Bergwerksunfalls gefahren. Teilweise werden die Druckkammern auf Spezialschiffen montiert, die eigens für lange Offshore-Taucheinsätze ausgelegt und gebaut werden.
Behandlung
Verunglückte Taucher und Überdruck-Arbeiter müssen so schnell wie möglich in eine Dekompressionskammer gelangen, um bleibende Schäden zu verhindern. Während der Druck in der Dekompressionskammer eher rasch erhöht, eine Zeitlang gehalten und langsam wieder gesenkt wird, kann der erhöhte Stickstoffgehalt im Gewebe (samt Blut) blasenfrei ausgeschieden werden. Gelingt dies nicht, entwickeln sich mit hoher Wahrscheinlichkeit Gas-Blasen im Gewebe, da der Stickstoff infolge des niedrigeren Umgebungsdruckes an der Oberfläche aus der Lösung im Körper in die Gasphase übergeht und ausperlt. Die dabei entstehenden Bläschen können Gewebe zerreißen, wichtige Blutgefäße verstopfen und das dahinterliegende Gewebe zum Absterben bringen.[4]
Das Standard-Therapieschema ist das sogenannte „Problemwunden-Schema“. Es umfasst eine Druckerhöhung mit „normaler“ Luft auf 1,4 barÜ (bar Überdruck), was einer Wassertiefe von 14 Metern entspricht. Hier erhält der Patient für insgesamt 90 Minuten 100 % medizinischen Sauerstoff. Dieser wird in Blöcken von 20 Minuten eingeatmet, mit jeweils 5 bis 6 Minuten Pause. Die Pause ist notwendig, um einem Sauerstoffkrampf vorzubeugen, da durch den Überdruck sehr viel Sauerstoff ins Blut aufgenommen wird und dies die Krampfschwelle senken kann. Je nach Kompressionsgeschwindigkeit dauert so eine Therapie im Schnitt zwischen 140 und 160 Minuten.
Bei Tauchunfällen wird in Dekompressionskammern meist gemäß einer sogenannten US-Navy-Dekompressionstabelle der Druck erhöht und wieder gesenkt:
- US-Navy-Tabelle 6
- Die Kompression geht, mit normaler Luft, innerhalb von 20 Minuten bis zu einem relativen Druck von 1,8 Bar (entspricht etwa 18 Meter Tauchtiefe). Danach erfolgt der Wechsel des Atemgases von Luft zu Sauerstoff. Nach 75 Minuten wird auf 0,91 Bar (9,1 Meter) dekomprimiert und nach weiteren 150 Minuten schließlich langsam auf Normaldruck zurückgefahren. Eine Dekompressionskammer-Fahrt nach US-Navy-Tabelle 6 dauert in der Regel vier Stunden und 45 Minuten und kann nötigenfalls verlängert werden. Dieses Verfahren wird zur Behandlung von Dekompressionskrankheit Typ II eingesetzt.
- US-Navy-Tabelle 5
- Das Verfahren ist Tabelle 6 sehr ähnlich, dauert aber weniger lange. Bei einem relativen Druck von 1,8 Bar wird nur für 45 Minuten verweilt und bei 0,91 Bar nur für 30 Minuten. Eine Dekompressionskammer-Fahrt nach US-Navy-Tabelle 5 dauert in der Regel zwei Stunden und 40 Minuten. Dieses Verfahren wird zur Behandlung von leichten Dekompressionskrankheiten vom Typ I eingesetzt.
- US-Navy-Tabelle 9
- Es wird auf einen relativen Druck von 1,4 Bar (14 Meter) komprimiert und bei diesem Druck 100 Minuten lang reiner Sauerstoff geatmet. Danach wird eine langsame Dekompression bis auf Normaldruck eingeleitet. Die gesamte Dekompressionskammer-Fahrt dauert wenig mehr als zwei Stunden. Dieses Verfahren wird meist, in mehreren Wiederholungen, zur Behandlung von Dekompressionskrankheit des Typs III eingesetzt.
Bei den folgenden Krankheitsbildern kann eine Behandlung in einer Druckkammer erfolgen:
- Dekompressionskrankheit
- Kohlenmonoxidvergiftung in Folge von Rauchgasbildung bei unvollständigen Verbrennungsprozessen (Brände; defekte Heizungsanlagen; Indoorgrillen; Shishas)
- Gasbrand-Infektion
- arterielle Gasembolie
- Diabetisches Fußsyndrom – chronisch therapieresistent trotz umfassender Therapie
- Knochennekrosen
- Knochenmarksödemsyndrome
- Morbus Ahlbäck
- Chronische therapieresistente Osteomyelitis, Otitis externa nekrotikans (maligna)
- Hörsturz mit oder ohne Tinnitus,
- akutes akustisches Trauma, Knalltrauma
- Bestrahlungsfolgen an Knochen, Darm und Blase etc.
- Quetschverletzungen
- nicht beherrschbare Infektionen.
Standorte
Deutschlandweit gibt es ca. 30 Druckkammern, davon 10 mit 24-Stunden-Bereitschaft.[6] Darunter befinden sich aber nur 8 Druckkammern[7] mit 24-Stunden-Bereitschaft, die Intensivpatienten versorgen können: Murnau, München, Berlin, Wiesbaden, Düsseldorf, Gelsenkirchen-Buer, Aachen und Halle. In der Schweiz existieren Druckkammern in Genf und Basel.[8] In Österreich gibt es in Graz eine Druckkammer.[9]
Eine Sonderstellung nimmt dabei die Druckkammeranlage des Schifffahrtmedizinischen Instituts der Marine in Kiel (Umzug nach Hamburg geplant) ein. Das SchiffMedInstM bietet zwar grundsätzlich ebenfalls eine 24-Stunden-Bereitschaft sowie Beatmungskapazitäten an, ist aber bisher örtlich nicht an ein Krankenhaus mit Intensivstation angebunden. Behandelt werden vor allem militärische Tauchunfälle, aber auch zivile Patienten.[10]
Die Bundeslehr- und Forschungsstätte der DLRG betreibt in Berlin eine Dekompressionskammer mit darunter liegendem Tauchturm, in der Taucher in sicherer Umgebung, „nass“ Tiefenrauscherfahrungen sammeln können.[1]
Paul Munzinger berichtet im Bildband 100 Tauchplätze von 2010 über einen in Malta stationierten Rettungshubschrauber mit mobiler Druckkammer.[11]
Siehe auch
Weblinks
- Verzeichnis der Behandlungs-Druckkammern für Deutschland, Österreich und die Schweiz auf der Website der Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM)
Einzelnachweise
- Tessen von Glasow: Druckkammerentwicklung, in Divemaster Magazin, Ausgabe Nr. 77, MTi-Press, Stuttgart
- Elmer M. Cranton: Hyperbaric Medicine Therapy in a Sechrist Monoplace Chamber. (Nicht mehr online verfügbar.) 10. September 2012, archiviert vom Original am 26. Oktober 2014; abgerufen am 27. Juni 2014 (englisch). Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- HAUX-Druckkammer, in Divemaster Magazin, Ausgabe Nr. 63, MTi-Press, Stuttgart.
- Thomas Kromp, Hans J. Roggenbach, Peter Bredebusch: Praxis des Tauchens 3. Auflage. Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2008, ISBN 978-3-7688-1816-2, Seite 191.
- Regensburg hat wieder eine Druckkammer. Mittelbayerische Zeitung, abgerufen am 4. Oktober 2015.
- Notfallzentren für Tauchunfälle und andere (Notfall-) Indikationen für die HBOT. Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin, abgerufen am 27. Juni 2014.
- Schweiz. Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin, abgerufen am 27. Juni 2014.
- Österreich. Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin, abgerufen am 27. Juni 2014.
- http://www.y-punkt.de/portal/poc/ypunkt?uri=ci:bw.bwde_ypunkt.archiv.2007&de.conet.contentintegrator.portlet.current.id=01DB131000000001%7C74REWQ220INFO@1@2Vorlage:Toter+Link/www.y-punkt.de (Seite+nicht+mehr+abrufbar,+Suche+in+Webarchiven) Datei:Pictogram+voting+info.svg Info:+Der+Link+wurde+automatisch+als+defekt+markiert.+Bitte+prüfe+den+Link+gemäß+Anleitung+und+entferne+dann+diesen+Hinweis.+
- Paul Munzinger: 100 Tauchplätze. 2010, S. 23.