Blütezeit des Islam

Als Blütezeit d​es Islam (auch Goldenes Zeitalter d​es Islam genannt) w​ird in d​er populärwissenschaftlichen Literatur d​ie unter d​en Abbasiden (750 n. Chr. – 1258 n. Chr.) entwickelte Zivilisation i​n den islamisch beherrschten Gebieten bezeichnet.[1] Ein Zentrum für Kunst, Kultur, Wissenschaft u​nd Forschung entstand i​n wenigen Jahrzehnten i​n der i​m Jahr 762 gegründeten Stadt Bagdad. Es beerbte d​ie wenige Kilometer entfernte i​m Jahr 637 v​on den Arabern eroberte persische Metropole Seleukia-Ktesiphon.

Der abbasidische Kalif al-Ma'mūn (links) und der byzantinische Kaiser Theophilos (rechts) in der byzantinischen Botschaft vom Patriarch Johannes VII. Grammatikos in 829; Detail aus der Madrider Bilderhandschrift des Skylitzes

Ebenfalls z​u einem Zentrum d​es Wissens u​nd der Literatur entwickelte s​ich die Region Chorasan i​n Zentralasien. Sie bildete später d​en Kern d​er iranischen Renaissance.[2]

Auch d​as von d​en Mauren beherrschte Al-Andalus, insbesondere d​as Emirat v​on Córdoba/Kalifat v​on Córdoba u​nd das spätere Emirat v​on Granada i​m Süden d​er Iberischen Halbinsel erreichten i​m Mittelalter e​ine Blüte a​n Kultur u​nd Wissenschaft.[3]

Die führende Stellung i​n den Wissenschaften i​st noch h​eute an d​er arabischen Vorsilbe al- b​ei grundlegenden Fachbegriffen w​ie Algebra, Alchemie, Alkohol u​nd Alkalien erkennbar. Die bekanntesten Wissenschaftler w​aren in folgenden Gebieten tätig:

Medizin

Darstellung des menschlichen Auges nach Hunayn ibn Ishaq, aus einem Manuskript um 1200.
  • Hunayn ibn Ishaq, latinisiert Johannitius (809–874), christlich-arabischer Mediziner, Geschichtsschreiber, mit Übersetzungen des Aristoteles, Hippokrates und Galenos sowie durch bedeutende Bücher über die Einführung in die Medizin und Augenheilkunde bekannt geworden.
  • Abu Bakr Mohammad Ibn Zakariya al-Razi, latinisiert Rhazes (865–925), persischer Universalgelehrter, erkannte als einer der ersten den Unterschied zwischen Pocken und Masern und probte bereits mit Gipsverbänden zur Heilung von Knochenbrüchen. Sein medizinisches Werk blieb bis zum 17. Jahrhundert unangefochten bestehen.
  • Ibn Sina, latinisiert Avicenna (980–1037), der bekannteste Mediziner des Islam und Perser. Er übersetzte die Schriften des Aristoteles, Hippokrates und Galenos. Außerdem verfasste er den Kanon der Medizin, welcher bis zum 17. Jahrhundert das wichtigste Buch über die Heilkunde darstellte.
  • Ibn an-Nafis (gestorben um 1288) entdeckte durch theoretische Überlegungen den kleinen Blutkreislauf.

Mathematik

Mit Girih-Kacheln bestehend aus fünf verschiedenen Fliesenformen, die gemeinsam aperiodisch wiederholte Muster formen, waren islamische Architekten der westlichen Welt um mehr als fünfhundert Jahre voraus: Die Ornamente einiger orientalischer Bauten weisen eine so genannte quasikristalline Geometrie auf.

Astronomie

  • Der bedeutendste Astronom war Muhammad Ibn Dschubair al-Battani, latinisiert Albategnius oder Albatanius (858–929). Er überlieferte die Astronomie von Ptolemäus und bestimmte unter anderem die Schiefe der Ekliptik und die Tagundnachtgleiche.
  • Abd ar-Rahman as-Sufi (903–986) schrieb ein Buch über die bekannten Sternbilder mit Sternnamen und Helligkeiten.
  • Ibn Yunus (950–1009), der Hofastronom am Kalifenhof, stellte die „Hakimitischen Planetentafeln“ auf.
  • Abu Ali al-Hasan ibn al-Haitham, latinisiert Alhazen (965–1040), Astronom und Physiker, steuerte Werke über Optik und Planetenbewegungen bei, die bis Kepler maßgeblich waren. Er erkannte die Grundlagen des Sehvorganges, die Bedeutung der Linsenkrümmung und beschrieb das Prinzip der „Camera Obscura“.
  • Ali ibn Abi r-Ridschal, latinisiert Abenragel[4] (um 1040), verfasste das umfangreichste Lehrbuch des Mittelalters über Astrologie. Alfons X. ließ es ins Kastilische übersetzen.
  • Der Experimentalphysiker des Mittelalters war Abu l-Fath Abd ar-Rahman (al-Chazini) im 12. Jahrhundert. Er konstruierte unter anderem Wasseruhren, Quadranten, Zirkel und erstellte die „Sandjarische Tafeln“ zur Planetenbestimmung.
  • Muhammad Taragay (Ulugh Beg) (1394–1449), schuf als Herrscher in Samarkand, das größte Observatorium der damaligen Zeit. Sein Handbuch über die Astronomie wurde in der Genauigkeit erst von Brahe übertroffen.

Sternnamen w​ie Aldebaran, Algol, Altair, Rigel u​nd andere s​owie die Bezeichnung Zenit u​nd Nadir kommen a​us dem Arabischen.

Chemie

  • Dschābir ibn Hayyān, latinisiert Geber, der vermutlich in der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts wirkende arabische Gelehrte, führte physikalisch-chemische Experimente durch und trug in seinen naturphilosophischen Schriften (Geber-Schriften) eine große Sammlung alchemistischen Wissens zusammen.

Geographie

  • Zu den bedeutendsten islamischen Geographen des Mittelalters zählten der in Diensten des normannischen Königs Roger II. von Sizilien stehende Muhammad asch-Scharif al-Idrisi, latinisiert Dreses (1099–1166), der Karten der zu seiner Zeit bekannten Erdteile anfertigte, und der in Córdoba lebende Abū ʿUbaid al-Bakrī (1014–1094).
  • Ibn Battūta (1304–1377) schildert ausgedehnte Reisen in Asien, Afrika und an der Schwarzmeerküste.

Literatur

  • Im literarischen Bereich denkt man zuerst an die bekannten „Märchen aus Tausend und einer Nacht“ (alf laila wa-laila), die in verschiedenen Regionen des Orients bereits ab dem 8. Jahrhundert entstanden und durch die Übersetzung von Gustav Weil im deutschsprachigen Raum populär geworden sind.
  • Maßgebend für die persische Literatur ist das Werk von Abū l-Qāsem-e Ferdousī, latinisiert Firdausi, (940–1020), Schāhnāme oder „Königsbuch“, um 1010 entstanden. Geschichten bei denen urreligiöse Motive und Heldensagen in 50.000 Versen aufgezeichnet wurden.
  • Auch Hafis, (um 1320–ca. 1390) mit seinem Werk „Diwan“ sowie seinen Liebesgedichten bereichert noch bis heute die Kultur unserer Zeit.
  • Der Dichter al-Ma'arri (973–1057) hat in seinem Werk „Sendschreiben über die Vergebung“ (risalat al-ghufran) das Paradies und die Hölle verarbeitet.
  • Der Dichter Dschalal ad-Din ar-Rumi (1207–1273) mit sein 25.700 Verszeilen umfassendem Gedicht Mathnawi.
  • Der Dichter und Mystiker Dschami (1414–1492) mit seinem Meisterwerk Lailā und Madschnūn.

Philosophie

Ein arabisches Manuskript aus dem 13. Jahrhundert: Sokrates (Soqrāt) in Diskussion mit seinen Schülern
  • Ibn Ruschd, latinisiert Averroes, zählt neben al-Biruni zu einem der größten Universalgelehrten des Islam. Er verfasste eine medizinische Enzyklopädie und fast zu jedem Werk des Aristoteles einen Kommentar. In der christlichen Scholastik des Mittelalters, auf die er großen Einfluss ausübte, wurde er deshalb schlicht als „der Kommentator“ bezeichnet, so wie Aristoteles nur „der Philosoph“ genannt wurde.
  • al-Kindī, latinisiert Alkindus, ließ zahlreiche Werke von Aristoteles und anderen griechischen Philosophen durch Mitarbeiter, die zum Teil griechisch-christlicher Herkunft waren, übersetzen. Er gilt als erster großer Philosoph des Islam und war einer der Begründer einer mathematischen Denkweise in der Philosophie → Logik.

Musik

Literatur

  • Thomas Bauer: Warum es kein islamisches Mittelalter gab. Das Erbe der Antike und der Orient. C.H. Beck, München 2018, ISBN 978-3-406-72730-6.
  • Gudrun Krämer: Geschichte des Islam. C.H. Beck, München 2005, ISBN 978-3-406-53516-1, S. 69–102
  • Maurice Lombard: Blütezeit des Islam. Eine Wirtschafts- und Kulturgeschichte 8.-11. Jahrhundert. Fischer, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-596-10773-3
  • Tamara Sonn: Islam: A Brief History. Wiley, Chichester 2010, ISBN 978-1-4051-8094-8, S. 39–79 (Auszug (Google))

Einzelnachweise

  1. Lombard, Maurice.: Blütezeit des Islam : eine Wirtschafts- und kulturgeschichte 8.-11. Jahrhundert. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-596-10773-3.
  2. Monika Gronke: Geschichte Irans: Von der Islamisierung bis zur Gegenwart. C. H. Beck 2003, ISBN 3-406-48021-7, S. 30–31
  3. Friedrich Klütsch: Von der Blütezeit des Islam. Autor und Regisseur Friedrich Klütsch über andalusische Funde, ZDF online, 17. Mai 2009, abgerufen am 5. November 2013
  4. Werke von Hali filius Abenragel (Albohazen) im Gesamtkatalog der Wiegendrucke
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. The authors of the article are listed here. Additional terms may apply for the media files, click on images to show image meta data.