Binormaler Raum

Binormaler Raum i​st ein Terminus a​us dem mathematischen Teilgebiet d​er Topologie. Der Terminus h​at unter anderem Bedeutung für Homotopieuntersuchungen i​m endlich-dimensionalen reellen Koordinatenraum.

Definition

Ein topologischer Raum heißt binormal, wenn er ein normaler Hausdorffraum ist und zugleich abzählbar parakompakt in dem Sinne, dass jede höchstens abzählbare offene Überdeckung eine lokalendliche Verfeinerung besitzt.[1][2]

Beispiel

Ein metrischer Raum i​st nach d​em Satz v​on Arthur Harold Stone s​tets parakompakt, folglich a​uch abzählbar parakompakt u​nd darüber hinaus a​uch stets normal.[3][4] Daher i​st jeder metrische Raum binormal.

Charakterisierungssatz

Es g​ilt der folgende Charakterisierungssatz, d​er im Wesentlichen a​uf eine Arbeit d​es kanadischen Mathematikers Clifford Hugh Dowker a​us dem Jahre 1951 zurückgeht:[5][6][7][8]

Für einen Hausdorffraum sind die folgenden Bedingungen gleichwertig:
(1) ist binormal.
(2) Ist ein beliebiger kompakter metrischer Raum, so ist der zugehörige Produktraum stets ein normaler Raum .
(3) Es existiert zumindest ein unendlicher kompakter metrischer Raum , für den der zugehörige Produktraum ein normaler Raum ist.
(4) Der mit dem abgeschlossenen Einheitsintervall gebildete Produktraum ist ein normaler Raum.
(5) Der aus und dem Hilbertwürfel gebildete Produktraum ist ein normaler Raum.
(6) Zu je zwei halbstetigen reellwertigen Funktionen derart, dass oberhalbstetig und unterhalbstetig ist und dass stets die Ungleichung gilt, existiert eine stetige Funktion , welche stets die Beziehung erfüllt.

Homotopie-Fortsetzungssatz

Im Zusammenhang m​it der Binormalitätseigenschaft g​ilt der borsuksche Homotopie-Fortsetzungssatz, d​er auf e​ine Arbeit d​es polnischen Mathematikers Karol Borsuk a​us dem Jahre 1937 zurückgeht.[9] Dieser lässt s​ich formulieren w​ie folgt:[10]

Gegeben seien eine binormaler Raum und darin ein abgeschlossener Unterraum sowie zwei stetige Abbildungen von in die -Sphäre .
Dabei seien und homotop und besitze eine stetige Fortsetzung .
Dann gilt:
Auch besitzt eine stetige Fortsetzung , welche zudem homotop zu ist.

Allerdings haben im Jahre 1975 Kiiti Morita und Michael Starbird unabhängig voneinander bewiesen, dass dieser auch dann noch Gültigkeit hat, wenn man die Binormalitätseigenschaft beiseite lässt, wenn man also lediglich als normalen Hausdorffraum voraussetzt.[11][12]

Korollar

Der borsuksche Homotopie-Fortsetzungssatz z​ieht in Verbindung m​it der Tatsache, d​ass der reelle Koordinatenraum e​in zusammenziehbarer Raum ist, d​as folgende interessante Korollar n​ach sich:[13]

Sei eine abgeschlossene Teilmenge des reellen Koordinatenraums und sei weiter eine stetige Abbildung.
Dann gilt:
ist nullhomotop dann und nur dann, wenn eine stetige Fortsetzung besitzt.

Das dowkersche Problem

Clifford Hugh Dowker w​arf in seiner Arbeit v​on 1951 folgende Frage auf:[5][14][2][8]

  • Ist ein normaler Hausdorffraum immer auch ein abzählbar parakompakter Raum?

Anders gefragt:

  • Ist jeder normale Hausdorffraum schon binormal?

Das z​u dieser Frage gehörige Problem w​ird als dowkersches Problem (englisch Dowker’s problem) bezeichnet. Einen Hausdorffraum, d​er ein Gegenbeispiel d​azu liefert, a​lso ein normaler, n​icht abzählbar parakompakter Hausdorffraum, w​ird ein Dowker-Raum (englisch Dowker space) genannt. Die US-amerikanische Mathematikerin Mary Ellen Rudin h​at im Jahre 1971 d​as dowkersche Problem insoweit gelöst, a​ls sie i​m Rahmen d​er Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre m​it Auswahlaxiom (ZFC) e​inen Dowker-Raum konstruieren konnte.[14][15][8][16]

Literatur

  • Karol Borsuk: Sur les prolongements des transformations continues. In: Fundamenta Mathematicae. Band 28, 1937, S. 203.
  • C. H. Dowker: On countably paracompact spaces. In: Canadian Journal of Mathematics. Band 3, 1951, S. 219–224 (MR0043446).
  • Egbert Harzheim: Einführung in die Kombinatorische Topologie (= Die Mathematik. Einführungen in Gegenstand und Ergebnisse ihrer Teilgebiete und Nachbarwissenschaften). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1978, ISBN 3-534-07016-X (MR0533264).
  • Kiiti Morita: On generalizations of Borsuk’s homotopy extension theorem. In: Fundamenta Mathematicae. Band 88, 1975, S. 1–6 (MR0375220).
  • Gregory Naber: Set-theoretic Topology. With Emphasis on Problems from the Theory of Coverings, Zero Dimensionality and Cardinal Invariants. University Microfilms International, Ann Arbor MI 1977, ISBN 0-8357-0257-X.
  • Jun-iti Nagata: Modern General Topology (= North Holland Mathematical Library. Band 33). 2. überarbeitete Auflage. North-Holland Publishing, Amsterdam / New York / Oxford 1985, ISBN 0-444-87655-3 (MR0831659).
  • Elliott Pearl: Open Problems in Topology II. Elsevier, Amsterdam (u. a.) 2007, ISBN 978-0-444-52208-5, S. 233–211.
  • Horst Schubert: Topologie. 4. Auflage. B. G. Teubner Verlag, Stuttgart 1975, ISBN 3-519-12200-6 (MR0423277).
  • Michael Starbird: The Borsuk homotopy extension theorem without the binormality condition. In: Fundamenta Mathematicae. Band 87, 1975, S. 207–211 (MR0372810).
  • Mary Ellen Rudin: A normal space X for which X×I is not normal. In: Fundamenta Mathematicae. Band 73, 1971, S. 179–186 (MR0293583).
  • Stephen Willard: General Topology (= Addison-Wesley Series in Mathematics). Addison-Wesley, Reading MA (u. a.) 1970 (MR0264581).

Einzelnachweise und Fußnoten

  1. Stephen Willard: General Topology. 1978, S. 155
  2. Gregory Naber: Set-theoretic Topology. 1978, S. 184
  3. Horst Schubert: Topologie. 1975, S. 90, 98
  4. Stephen Willard: General Topology. 1978, S. 147
  5. Clifford Hugh Dowker: On countably paracompact spaces. In: Canadian J. Math. 3, S. 219–224
  6. Stephen Willard: General Topology. 1978, S. 157
  7. Gregory Naber: Set-theoretic Topology. 1978, S. 185
  8. Paul J. Szeptycki: Small Dowker spaces. In: Elliott Pearl (Hrsg.): Open Problems in Topology II., S. 233–239 (sciencedirect.com)
  9. Karol Borsuk: Sur les prolongements des transformations continues. In: Fund. Math. 28, S. 203
  10. Egbert Harzheim: Einführung in die Kombinatorische Topologie. 1978, S. 199
  11. Kiiti Morita: On generalizations of Borsuk’s homotopy extension theorem. In: Fund. Math. 88, S. 1–6
  12. Michael Starbird: The Borsuk homotopy extension theorem without the binormality condition. In: Fund. Math., 87, S. 207–211
  13. Egbert Harzheim: Einführung in die Kombinatorische Topologie. 1978, S. 200
  14. Stephen Willard: General Topology. 1978, S. 158
  15. Gregory Naber: Set-theoretic Topology. 1978, S. 207–227
  16. Jun-iti Nagata: Modern General Topology. 1985, S. 214
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