Binomische Formeln
Die binomischen Formeln sind in der elementaren Algebra verbreitete Formeln zum Umformen von Produkten aus Binomen. Sie werden als Merkformeln verwendet, die zum einen das Ausmultiplizieren von Klammerausdrücken erleichtern, zum anderen erlauben sie die Faktorisierung von Termen, also die Umformung von bestimmten Summen und Differenzen in Produkte, was bei der Vereinfachung von Bruchtermen, beim Radizieren von Wurzeltermen sowie Logarithmenausdrücken sehr oft die einzige Lösungsstrategie darstellt. Im Grunde sind sie Spezialfälle des Distributivgesetzes für algebraische Summen (jedes Glied der einen wird mit jedem der anderen Summe multipliziert)
mit , und den entsprechenden Vorzeichenvarianten.
Das Adjektiv binomisch leitet sich vom Substantiv Binom, also von bi (zwei) und Nomen (Namen) ab. Die binomischen Formeln gelten in allen kommutativen Ringen.
Formeln
Als binomische Formeln werden üblicherweise die folgenden drei Umformungen bezeichnet:
erste binomische Formel (Plus-Formel) | ||
zweite binomische Formel (Minus-Formel) | ||
dritte binomische Formel (Plus-Minus-Formel) |
Die Gültigkeit der Formeln ist durch Ausmultiplizieren einzusehen:
Geometrische Veranschaulichung
Das nebenstehende mehrfarbige Quadrat hat die Seitenlänge . Wie sofort ersichtlich ist, passen die zwei Quadrate und hinein, und es bleiben zwei Rechtecke mit jeweils dem Flächeninhalt übrig.
Dadurch ergibt sich . | |
Im zweiten Bild ist das blau umrahmte Quadrat (großes Quadrat, also, trotz gleicher Bezeichnung wie in der ersten binomischen Formel, ein anderes Quadrat!). Soll daraus ein Quadrat der Seitenlänge erzeugt werden, wird zuerst die rot umrahmte Fläche (das Rechteck) abgezogen (auch wieder, trotz gleicher Bezeichnung wie in der ersten binomischen Formel, ein anderes Rechteck). Danach wird die ebenso große, liegende Fläche abgezogen. Nun hat man aber das kleine Quadrat doppelt abgezogen, man muss es (zur Korrektur) noch einmal addieren.
Die hier gezeigte Formel lautet also . | |
Im dritten Bild ist das hell- und dunkelblaue Quadrat. Wird das kleine Quadrat (gelber Rahmen) davon abgezogen und das verbleibende hellblaue Rechteck gedreht unten angehängt (türkis dargestellt), so entsteht (aus der dunkelblauen und türkisfarbenen Fläche) ein Rechteck der Breite und der Höhe .
Also ergibt sich die Formel . |
Eine weitere Veranschaulichung der dritten binomischen Formel erhält man durch folgende Zerlegung:
Bedeutung und Anwendungen
Tricks zum Kopfrechnen
Diese Formeln, die häufig in der Mathematik benutzt werden, bieten auch eine Hilfe beim Kopfrechnen. Das Quadrat einer beliebigen Zahl zwischen 10 und 100 lässt sich oft einfach mit der binomischen Formel bestimmen, indem man die Berechnung auf Quadrate von einfacheren Zahlen (Vielfache von 10 oder einstellige Zahlen) zurückführt. Beispielsweise ist
oder
- .
Bei Kenntnis der Quadratzahlen bis 20 lassen sich auch viele Multiplikationen auf die dritte binomische Formel zurückführen. Beispielsweise ist
- .
Mit Hilfe der binomischen Formeln lassen sich Multiplikation und Division auf die einfacheren Rechenarten Quadrieren, Addieren, Subtrahieren, Halbieren und Verdoppeln zurückführen:
Die erste und zweite binomische Formel liefern für das Produkt zweier Zahlen und :
Wer an Stelle des Einmaleins die ersten hundert Quadratzahlen kennt, kann so das allgemeine Produkt zweier Zahlen leicht berechnen. In Ermangelung eines Ziffernsystems mit Null haben nachweislich die Babylonier so gerechnet und in der ganzen Antike und im Mittelalter wird man so gerechnet haben. Die angebliche Umständlichkeit der antiken Zahlsysteme wird damit relativiert, da man mit diesen Zahlsystemen sehr gut addieren und subtrahieren konnte.
Addition und Subtraktion von Wurzeln
Die erste und zweite binomische Formel liefern auch ein Rechenverfahren zur Addition bzw. Subtraktion von Wurzeln. Da bzw. nicht direkt berechenbar sind, quadriert man die Summe bzw. Differenz und zieht anschließend aus dem Quadrat die Wurzel. Das Verfahren führt aber zu Schachtelwurzeln, die nicht unbedingt einfacher sind als die ursprünglichen Ausdrücke.
Da Wurzeln als nichtnegativ definiert und Quadrate von sich aus nie negativ sind, ist bei Differenzen von Wurzeln eine Fallunterscheidung nötig:
- für
- für
Potenzen von komplexen Zahlen (in arithmetischer Darstellung)
Die binomischen Formeln dienen auch zur Berechnung von Potenzen von komplexen Zahlen, wobei für den Realteil, für den Imaginärteil steht:[1]
Aus der dritten binomischen Formel lässt sich auch eine Faktorisierung von herleiten, indem man die Summe von Quadraten als Differenz schreibt:
- .
Die dritte binomische Formel ist nicht nur ein Kopfrechenkniff, sondern liefert auch ein Verfahren, die Division auf die Multiplikation und eine einfachere Division zurückzuführen. Beispielsweise wird durch die Erweiterung eines Bruches mit Nenner mit dem so genannten konjugierten der Nenner rational gemacht. Analog kann die Division durch komplexe (und hyperkomplexe) Zahlen in eine Division durch reelle Zahlen umgeformt werden (siehe Rationalisierung (Bruchrechnung)).
Erweiterte Formeln 2. Grades
Aus den binomischen Formeln leiten sich einige spezielle Formeln ab, die auch für die Zahlentheorie eine gewisse Bedeutung haben:
- Babylonische Multiplikationsformel: (s. o.)
- Formel für Pythagoräische Tripel: Beispiel: liefert .
- Identität von Diophantos: Beispiel: liefert .
- Brahmagupta-Identität:
Höhere Potenzen und Faktorisierungen von Potenzsummen
Binomische Formeln lassen sich auch für höhere Potenzen angeben, diese Verallgemeinerung ist der binomische Lehrsatz:
Dabei bezeichnen die Binomialkoeffizienten, die beispielsweise mittels des Pascalschen Dreiecks leicht zu bestimmen sind. Die erste und die zweite binomische Formel sind Spezialfälle des binomischen Lehrsatzes für :
Für ergibt sich z. B.
- .
Eine Verallgemeinerung auf nicht notwendig natürliche Exponenten führt auf eine Potenzreihenentwicklung, die durch die binomische Reihe gegeben ist.
Auch zur dritten binomischen Formel gibt es eine Verallgemeinerung, die die Faktorisierung von ermöglicht:
oder allgemein für höhere natürliche Potenzen
Aus einem Ausdruck lässt sich immer abspalten; als Restpolynom erhält man eine Summe. Ist eine Primzahl, ist dieses Restpolynom irreduzibel; weitere Zerlegungen sind nur noch über die komplexen Zahlen möglich. Andernfalls lässt sich die Summe weiter zerlegen und ist ein Produkt von 3 oder mehr verschiedenen ungeraden Primzahlen, entstehen auch Polynome mit Koeffizienten ungleich 0, −1, +1. So entsteht bei der Zerlegung von ein Polynom, beginnend mit
Mit erhält man als Restpolynome die sog. Kreisteilungspolynome.
Bei geradem lässt sich sogar stets und damit auch abspalten; bei der Division entsteht als Restpolynom eine alternierende Summe:
- für [2]
Eine Faktorisierung von ist ebenfalls möglich, wenn ungerade ist. Auch hierbei entsteht eine alternierende Summe, diesmal mit einem geraden Exponenten als höchstem und einem positiven Glied am Schluss, z. B.:
Für gerade ist eine Faktorisierung von über die komplexen Zahlen möglich, aber nur für unumgänglich:
- (s. o.)
Bereits lässt sich mithilfe der Sophie-Germain-Identität in zwei quadratische Faktoren mit reellen Koeffizienten aufspalten:
- . Ebenso
Damit ist bei allen höheren geraden eine Faktorisierung in Faktoren höherer Ordnung möglich, z. B.:
Nur bei einer weiteren Zerlegung beider irreduzibler Faktoren, etwa in Linearfaktoren, entstehen komplexe Koeffizienten.
Bemerkenswert ist auch die Faktorisierung von
bzw.
Die gar nicht triviale Zerlegung des Restpolynoms 4. Grades in zwei quadratische Polynome findet ihre Anwendung bei der Lösung von Gleichungen 4. Grades. Die anderen Restpolynome (s. o.) bzw. sind dagegen irreduzibel.
Eine Division von durch ist grundsätzlich nicht ohne Rest möglich.
Erweiterungen auf mehrgliedrige Ausdrücke
Eine Verallgemeinerung der binomischen Formeln auf Potenzen von Polynomen, also von Summen mit mehr als zwei Gliedern, führt auf das Multinomialtheorem. Beispielsweise gilt für das Quadrat eines Trinoms
- .
Die Koeffizienten sind in der Pascalschen Pyramide enthalten. So ist
Beispielanwendung
Trivia
Im Gegensatz zu Adjektiven wie abelsch leitet sich binomisch nicht vom Namen eines Mathematikers ab. Im Sinne des wissenschaftlichen Witzes wird die Bezeichnung binomisch scherzhaft auf einen fiktiven Mathematiker namens Alessandro (oder Francesco) Binomi zurückgeführt, der wahlweise auch in einigen Schul- und Lehrbüchern als deren Urheber auftaucht.[3]
Literatur
- Harald Ludwig, Christian Fischer, Reinhard Fischer (Hrsg.): Verstehendes Lernen in der Montessori-Pädagogik. Erziehung und Bildung angesichts der Herausforderungen der Pisa-Studie (= Impulse der Reformpädagogik, Band 8). Lit-Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-7063-4, S. 100–101 (Auszug (Google)).
- Albrecht Beutelspacher: Albrecht Beutelspachers Kleines Mathematikum. Die 101 wichtigsten Fragen und Antworten zur Mathematik. C. H. Beck, 2011, ISBN 978-3-406-61658-7, Kapitel 50: Wozu sind die binomischen Formeln gut?
Weblinks
Einzelnachweise
- Hans-Jochen Bartsch: Taschenbuch Mathematischer Formeln. 19. Auflage. Fachbuchverlag Leipzig im Carl Hanser Verlag, München/Wien 2001, S. 64.
- Hans-Jochen Bartsch: Taschenbuch Mathematischer Formeln. 19. Auflage. Fachbuchverlag Leipzig im Carl Hanser Verlag, München/Wien 2001, S. 60.
- Heinrich Zankl: Irrwitziges aus der Wissenschaft. Wiley 2012, ISBN 978-3-527-64142-0, Kapitel Klangvolle Namen (Auszug (Google))