Bettina Wegner
Bettina Helene Wegner (* 4. November 1947 in Berlin) ist eine deutsche Liedermacherin und Lyrikerin.[1] Ihr bekanntestes Lied ist Kinder (Sind so kleine Hände) aus dem Jahre 1976,[2] das – gesungen von Joan Baez – auch internationale Verbreitung fand.
Leben
Bettina Wegner wurde 1947 im West-Berliner Ortsteil Lichterfelde geboren.[1] Nach der Gründung der DDR übersiedelten Wegners Eltern – überzeugte Kommunisten – mit ihr nach Ost-Berlin. Ihr Vater arbeitete bereits in Ost-Berlin und konnte sich die Miete im Westteil nicht leisten.[3] Wegner erlernte den Beruf einer Bibliotheksfacharbeiterin und begann 1966 ein Studium an der Schauspielschule Berlin. 1966 war sie Mitgründerin des Hootenanny-Klubs. Da das ursprüngliche Prinzip, jeder könne unzensiert auf der Bühne seine Texte und Lieder bringen, aufgegeben wurde, verließ sie die Gruppe jedoch, als der Hootenanny-Klub in Oktoberklub umbenannt und der FDJ unterstellt wurde.
Nachdem sie 1968 in Zusammenhang mit dem Prager Frühling Flugblätter gegen die Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei mit Schlagworten wie „Es lebe das rote Prag!“ oder „Hoch Dubcek!“ geschrieben und verteilt hatte, wurde sie exmatrikuliert, verhaftet und wegen „staatsfeindlicher Hetze“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten auf Bewährung verurteilt.[4] Die Erfahrungen mit der Zensur und in der Untersuchungshaft, die sie antreten musste, als gerade ihr erstes Kind geboren worden war, das sie gemeinsam mit Thomas Brasch hatte,[5] sollten fortan ihre Haltung und vor allem ihre Lieder prägen. Nach Bewährung in der Produktion besuchte sie die Abendschule, holte das Abitur nach und absolvierte 1971/72 eine Ausbildung als Sängerin am Zentralen Studio für Unterhaltungskunst. Seitdem lebt sie freischaffend.
Eigene Veranstaltungsreihen (Eintopp, Kramladen) gemeinsam mit Klaus Schlesinger, mit dem Bettina Wegner von 1970 bis 1982 verheiratet war, wurden von staatlichen Stellen verboten. Nach öffentlichem Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 wurden ihre Auftrittsmöglichkeiten immer weiter beschnitten; sie wurde bespitzelt und unter Druck gesetzt. Ihre damalige Managerin Katharina Harich, die gleichzeitig Managerin der humoristischen Songgruppe MTS war, ermöglichte ihr in dieser Zeit noch Auftritte als Geheimtipp, denn auf den Plakaten stand nun: „MTS und Sängerin“. Ebenso half Werner Sellhorn, mit dem sie ein „unverfänglich“ klingendes Programm hatte: „Kurt Tucholsky und Songs von heute“. Die Konzerte waren trotzdem überfüllt, denn Mundpropaganda war in der DDR sehr wirkungsvoll, wenn es um verbotene Literatur oder Musik ging. Auch in einigen Kirchen konnte sie noch Konzerte geben, zum Beispiel in der für oppositionelle Veranstaltungen bekannten Samariterkirche in Ost-Berlin.
Als sie durch eine Kennzeichen D-Sendung von Dirk Sager 1978 auch im Westen schlagartig bekannt wurde, ergab sich für sie die Möglichkeit, bei CBS ihre erste Langspielplatte im Westen zu veröffentlichen. Es handelte sich um den Mitschnitt eines Konzertes im Künstlerhaus Bethanien. Auf ihrer ersten Studio-LP bei CBS wurde sie von Musikern der Rockband Nervous Germans begleitet. So ergaben sich Möglichkeiten, an die in der DDR nicht zu denken waren. Sie konnte ihr Berufsverbot in der DDR nun mit Auftritten in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Belgien und der Schweiz kompensieren, da sie als „Devisenbringerin“ in den Westen reisen durfte. Das war jedoch eine übliche Methode der DDR-Regierung, bekannte, aber unliebsame Künstler loszuwerden: nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens „wegen Verdachts auf Zoll- und Devisenvergehen“ sah sich Bettina Wegner 1983 als DDR-Bürgerin vor die Wahl gestellt, ins Gefängnis zu gehen oder ausgebürgert zu werden. Daraufhin verließ sie die DDR in Richtung West-Berlin. Dieser Verlust der Heimat und der kommunistischen Ideale wurden zu den wichtigsten Themen ihrer Lieder in den 1980er Jahren.
Ab 1974 bis zu ihrer Ausbürgerung wurde sie vom Ministerium für Staatssicherheit als „feindlich-negative Person“ im operativen Vorgang „Schreiberling“ wegen staatsfeindlicher Hetze nach § 106 des Strafgesetzbuchs der DDR bearbeitet.[6]
1988 führte Bettina Wegner eine neun Monate lange Beziehung mit Oskar Lafontaine, der damals Ministerpräsident des Saarlandes war.[7] Als Liedermacherin trat sie unter anderem gemeinsam mit Joan Baez, Konstantin Wecker und Angelo Branduardi auf. Neue musikalische Impulse durch Wecker entwickelte der Münchner Konzertgitarrist Peter Meier von 1985 bis 1992 mit Bettina Wegner als solistischer Begleiter und Arrangeur weiter. Auch komponierte er die Musik zu einigen ihrer Texte wie Das Lied vom Messer, Waffenlos, Der Prinz ist gegangen und Sie hat’s gewußt. Ab 1992 gab sie weiter regelmäßig erfolgreiche Konzerte mit ihrem neuen Begleit-Trio von L’art de passage und vor allem zusammen mit Karsten Troyke. 1996 bekam Bettina Wegner in Meiningen für ihr Programm „Sie hat’s gewusst“ als erste Preisträgerin den Thüringer Kleinkunstpreis verliehen. Sie veröffentlichte mehrere CDs, verschwand aber langsam aus den Medien wie Fernsehen und Hörfunk.
Nach über 30 Jahren Tourneen und Plattenveröffentlichungen verabschiedete sich Bettina Wegner 2007 mit einer Abschiedstournee vorläufig von ihrem Publikum. Anlass dafür waren gesundheitliche Gründe, aber nicht nur diese: „Es wird gefeilscht wie um eine alternde Hure. Natürlich habe ich meinen Preis […] Es muss ein Ende haben, Sängerin ist dann nicht mehr mein Beruf, auch wenn ich weiter singe – Benefiz oder besondere Anlässe zum Beispiel […]“[8]
Bettina Wegner hat drei Kinder.
Auszeichnungen
- Ehrenantenne (Liedermacherpreis des Belgischen Rundfunks)
- 1996: Thüringer Kleinkunstpreis bei den Meininger Kleinkunsttagen
- 2020: Deutscher Musikautorenpreis der GEMA[9]
Werke
Singles
- 1980: Kinder (Sind so kleine Hände) / Klein Zaches / Der Feuerwehrmann
- 1981: No Woman, No Cry - Weine nicht, aber schrei / Jesus
- 1987: Ich will nicht / Für meine verlassenen Freunde
LPs
- 1976: Mitwirkung an der Amiga-Langspielplatte Lied aus dem neuen Tag (mit den Titeln Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen und Ach, wenn ich doch als Mann auf diese Welt gekommen wär’)
- 1979: Sind so kleine Hände (CBS, Verkäufe: + 250.000, DE: Gold)[10]
- 1980: Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen
- 1982: Traurig bin ich sowieso
- 1983: Weine nicht, aber schrei (mit Konstantin Wecker)
- 1985: Heimweh nach Heimat (mit Konstantin Wecker)
- 1987: Von Deutschland nach Deutschland ein Katzensprung
CDs
- 1992: Sie hat’s gewußt
- 1997: Die Lieder Vol.1, Vol.2, Vol.3 (3 CDs)
- 1998: Wege (mit Karsten Troyke)
- 2000: Die Leute aus meiner Straße (mit Inge Heym)
- 2001: Alles was ich wünsche (mit Karsten Troyke)
- 2003: Mein Bruder … Jüdische Lieder (mit Karsten Troyke)
- 2004: Liebeslieder (Doppel-CD)
- 2007: Die Abschiedstournee (mit Karsten Troyke, Doppel-CD)
- 2017: Was ich zu sagen hatte – 120 Lieder aus 50 Jahren (5 CDs)
MP3-Streaming
- 2018: Tanz mich bis zur Liebe Schluss
Bücher
- Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen. Mit einem Vorwort von Sarah Kirsch, Rowohlt Taschenbuch 4399, Reinbek bei Hamburg 1979, ISBN 3-499-14399-2.
- Traurig bin ich sowieso. Lieder und Gedichte, Rowohlt Taschenbuch 5004, Reinbek bei Hamburg 1982, ISBN 3-499-15004-2.
- Weine nicht, aber schrei. Lieder und Gedichte (zusammen mit Claudia Hennes), Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-7632-2736-9.
- Als ich grade zwanzig war. Lieder und Gedichte aus Ost und West in Nachdichtungen, Rowohlt Taschenbuch 5699, Reinbek bei Hamburg 1986, ISBN 3-499-15699-7.
- Von Deutschland nach Deutschland ein Katzensprung. Lieder und Gedichte, Rowohlt Taschenbuch 5906, Reinbek bei Hamburg 1986, ISBN 3-499-15906-6.
- Es ist so wenig. Lieder, Texte, Noten (mit Peter Meier und Rainer Lindner), Selbstverlag Lindner, Gemünden 1991, ISBN 3-9800398-3-8.
- In Niemandshaus hab ich ein Zimmer. Lieder und Gedichte, Aufbau Taschenbuch 1247, Berlin 1997, ISBN 3-7466-1247-0.
Literatur
- Silvia Müller: Wegner, Bettina. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 2. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
- Peter Wensierski: DDR-Widerstandsikone Bettina Wegner: „Menschen ohne Rückgrat gibt es schon genug!“ einestages auf Spiegel Online 1. Oktober 2015.
Filme
- Lutz Pehnert drehte den Dokumentarfilm Bettina über Bettina Wegner, der auf der Berlinale 2022 seine Weltpremiere feierte.
Weblinks
- Literatur von und über Bettina Wegner im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Bettina Wegner bei Discogs
- Bettina Wegner bei MusicBrainz (englisch)
- Bettina Wegner. Projekt Jugendopposition in der DDR der Bundeszentrale für politische Bildung, abgerufen am 21. Oktober 2016.
- Bettina-Wegner-Archiv im Archiv der Akademie der Künste, Berlin
- Website von Bettina Wegner
Einzelnachweise
- Peter Wensierski: DDR-Widerstandsikone Bettina Wegner: „Menschen ohne Rückgrat gibt es schon genug!“ In: Der Spiegel. 1. Oktober 2015, abgerufen am 24. Juni 2020.
- Bettina Wegner: Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen. Rowohlt 1979
- Wir Wunderkinder. ZDF, 12. Oktober 2021
- Bettina Wegner. Projekt Jugendopposition in der DDR der Bundeszentrale für politische Bildung, abgerufen am 21. Oktober 2016.
- Stephan Suschke: Von den Frauen geliebt, von der Stasi überwacht und vom eigenen Vater angezeigt. Der Dichter Thomas Brasch und das Jahr 1968. In: Berliner Zeitung, 26. Januar 2008, abgerufen am 21. Oktober 2016.
Susanne Schädlich: „Seit ich auf deutsche Erde trat …“ Konrad-Adenauer-Stiftung, 3. Oktober 2013, abgerufen am 21. Oktober 2016 (PDF; 44 kB). - Joachim Walther: Sicherungsbereich Literatur: Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik (= Analysen und Dokumente des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Bd. 6). Links-Verlag, Berlin, 2. Auflage, 1998, ISBN 978-3-86284-042-7, S. 371, abgerufen am 21. Oktober 2016.
- Barbara Bollwahn: „Ein Jahr lang betete ich für Erich Mielke“. Interview mit Bettina Wegner. In: Die Tageszeitung, 3. März 2012.
- Aus der Berliner Zeitung vom 27. Januar 2007
- Bettina Wegner für ihr Lebenswerk geehrt. In: Süddeutsche Zeitung. 11. März 2020, abgerufen am 29. Juni 2020.
- Günter Ehnert: Hit Bilanz – Deutsche Chart LP’s 1962–1986. Hrsg.: Taurus Press. 1. Auflage. Verlag populärer Musik-Literatur, Hamburg 1994, ISBN 978-3-922542-29-2, S. 300.