Liedermacher
Als Liedermacher wird ein Sänger im deutschsprachigen Raum bezeichnet, der Musik und Texte seines Programms überwiegend selbst geschrieben oder originär bearbeitet hat. Er begleitet sich musikalisch selbst, tritt aber manchmal auch mit einer Begleitband auf.
Zum Begriff
Der Begriff Liedermacher tauchte vereinzelt bereits lange vor dem 20. Jahrhundert auf,[1][2], so bezeichnete sich zum Beispiel die Dichterin Anna Louisa Karsch (1722–1791) in einem Brief selbst als „liedermacherin“.[3] Die heutige Verwendung und Popularisierung des Begriffes entstand jedoch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und geht auf Wolf Biermann zurück.[2][4] Er betont die sozialromantische Identifikation der Sänger mit dem arbeitenden Volk und setzte sich im Zuge der 68er-Bewegung durch. Bis dahin sprach man in der Bundesrepublik, etwa im Zusammenhang mit den Burg-Waldeck-Festivals, eher von „Sänger-Poeten“.[5]
Verhältnis zu Songwriting und Chansons
Der Singer-Songwriter (englisch) im Verständnis Bob Dylans ist vom Begriff des Liedermachers vor allem regional (nordamerikanischer Raum) und stilistisch abzugrenzen. Es gibt darüber hinaus neben dem deutschen Liedermacher den Chansonnier (französisch), den Cantautore (italienisch) bzw. Cantautor (spanisch) sowie den Bard (russisch). Die Inhalte haben in der Regel Bezug zur Erfahrungswelt des Liedermachers und sind persönlich oder auch politisch geprägt.
Stilrichtungen
Das Genre des Liedermachers enthält wegen der individuellen Ausdrucksform eine Vielzahl unterschiedlicher musikalischer und textlicher Stil-Ausprägungen:
- den Geschichtenerzähler: zum Beispiel Gerhard Schöne, Reinhard Mey, Manfred Maurenbrecher, Klaus Hoffmann, Reinhard Lakomy, Achim Reichel, Ludwig Hirsch, Dieter Wiesmann, Mani Matter, Peter Reber, Ulrik Remy, Heinz Rudolf Kunze, Sarah Lesch
- lyrische Vertonungen: Erich Schmeckenbecher, Thomas Friz, Hans-Eckardt Wenzel, Barbara Thalheim, Helmut Debus, Herman van Veen, Roland Zoss, Christof Stählin
- Mundarten-Sänger: Knut Kiesewetter, Fiede Kay, Fredl Fesl, Thomas Felder, Zither-Manä, Mani Matter, Gölä, Roland Zoss, Willy Michl, Hubert von Goisern, Hans Söllner, Rainhard Fendrich, Berner Troubadours, Georg Ringsgwandl, Joana
- gesellschaftskritische und politische Sänger und Komponisten: Wolf Biermann, Franz Josef Degenhardt, Dietrich Kittner, Hannes Wader, Konstantin Wecker, Klaus der Geiger, Bettina Wegner, Dieter Süverkrüp, Hans Söllner, Walter Mossmann, Hanns Dieter Hüsch, Willi Resetarits, Georg Danzer, Götz Widmann, Rüdiger Bierhorst, Arik Brauer, Stephan Krawczyk, Rio Reiser
- Liederschreiber humoristischer bis ironischer Themen: Rainald Grebe, Georg Kreisler, Bodo Wartke, Ulrich Roski, Schobert und Black, Funny van Dannen, Wiglaf Droste, Horst Koch, Insterburg & Co., Hans Scheibner
- christliche Liedermacher: Fritz Baltruweit, Martin Gotthard Schneider, Peter Janssens, Manfred Siebald, Clemens Bittlinger, Hella Heizmann, Samuel Harfst, Siegfried Fietz (siehe auch Neues Geistliches Lied)
- Popkünstler mit fließendem Übergang zum Deutschrock: Wolf Maahn, Stefan Stoppok, Gerhard Gundermann, Wolfgang Michels, Wolfgang Ambros, Dota Kehr, Heinz Rudolf Kunze, Achim Reichel, Rio Reiser, Klaus Lage
- Blödeleien, Ulk und Klamauk: Otto Waalkes, Mike Krüger, Gottlieb Wendehals, Jürgen von der Lippe, Frank Zander, Suchtpotenzial
- Liedermacher-Gruppen: Monsters of Liedermaching, Joint Venture, Pension Volkmann, Simon & Jan
Typisch für Liedermacher ist die gleichzeitige Zugehörigkeit zu mehreren dieser Kategorien. So komponieren und singen z. B. Reinhard Mey und Manfred Maurenbrecher sowohl gesellschaftskritische als auch humorvolle Lieder.
Liedermaching
Seit den 1990er Jahren entwickelte sich im deutschsprachigen Raum das so genannte „Liedermaching“, deren Vertreter sich textlich und musikalisch vom Liedermacher absetzen möchten. Als Mitbegründer gilt das Bonner Duo Joint Venture (1993–2000).[6] Ein weiterer Vertreter sind die Monsters of Liedermaching (seit 2003).
Rechtsextremistische Liedermacher
Waren ab den 1960er Jahren politische Liedermacher zunächst fast ausschließlich dem linken Spektrum zuzuordnen, so gibt es ungefähr seit den späten 1980er Jahren auch rechte bis rechtsextremistische Liedermacher. Nach Angaben von Blick nach Rechts listete das Bundesamt für Verfassungsschutz 2003 in einer internen Studie unter anderem die folgenden „rechtsextremistischen Liedermacher“ auf: Jörg Hähnel, Veit, Annett und Michael Müller und Frank Rennicke. Einige davon sind wegen Volksverhetzung vorbestraft und inhaftiert, manche ihrer Aufnahmen sind indiziert. Einige haben der Szene mittlerweile aber auch den Rücken gekehrt.[7][8]
Literatur
- Robert von Zahn (Hrsg.): Folk & Liedermacher an Rhein und Ruhr. Agenda, Münster 2002, ISBN 978-3-89688-125-0.
- Lutz Kirchenwitz: Folk, Chanson und Liedermacher in der DDR. Dietz, Berlin 1993, ISBN 3-320-01807-8.
- Stephan Hammer: Mani Matter und die Liedermacher. Zum Begriff des ‚Liedermachers‘ und zu Matters Kunst des Autoren-Liedes. Peter Lang, Bern u. a. 2010, ISBN 978-3-0343-0307-1.
- Marc Sygalski: Das „politische Lied“ in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1964 und 1989 am Beispiel von Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader und Reinhard Mey. (= eScripta. Göttinger Schriftenreihe für studentische Germanistik. Band 1, ISSN 2192-0559), eScripta, Göttingen 2011, DNB 1013004485. Magisterarbeit an der Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Deutsche Philologie, 2011, escripta.de (PDF; 1 MB; 177 Seiten).
- Simone Burel: Politische Lieder der 68er, eine linguistische Analyse kommunikativer Texte, herausgegeben vom Institut für Deutsche Sprache (= Arbeiten und Materialien zur deutschen Sprache, Band 46), IDS, Mannheim 2013, ISBN 978-3-937241-42-5 (Zugleich Dissertation an der Universität Heidelberg 2013).
- Thomas Rothschild: Liedermacher: 23 Porträts. Fischer Taschenbuch, 1980, ISBN 9783596229598
- Dietmar Elflein: In Germany After The War: Broadening the Discourse on the Liedermacher. In: Isabelle Marc (Hrsg.), Stuart Green (Hrsg.): The Singer-Songwriter in Europe: Paradigms, Politics and Place. Routledge, 2016, ISBN 9781317016069, S. 109–122
- David Robb (Hrsg.): Protest Song in East and West Germany since the 1960s. Camden House, 2007, ISBN 9781571132819
- Stephan Hammer: Mani Matter und die Liedermacher: zum Begriff des "Liedermachers" und zu Matters Kunst des Autoren-Liedes. Peter Lang, 2010, ISBN 9783034303071
Weblinks
Einzelnachweise
- Liedermacher im deutschen Textarchiv
- Andreas Rosenfelder: Deutschlands Liedermacher – Wortmörder ahoi! In: FAZ, 17. Januar 2006
- Sie war’s. In: Die Zeit, Nr. 21/1981
- Matthias Konzett (Hrsg.): Encyclopedia of German Literature. Routledge, 2015, ISBN 9781135941222, S. 653
- Ulrich Morgenstern: Ritual — Epos — Tanz: Die deutsche Anti-AKW-Bewegung aus ethnomusikologischer Sicht. In: Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture, 54 (2009), S. 273–310, hier S. 279, Anm. 15.
- Stephan Hammer: Mani Matter und die Liedermacher: zum Begriff des "Liedermachers" und zu Matters Kunst des Autoren-Liedes. Peter Lang, 2010, ISBN 9783034303071, S. 53
- Blick nach Rechts 2003 (Memento vom 11. März 2007 im Internet Archive)
- Verfassungsschutzbericht 2005 des Bundesministeriums des Innern, (PDF) S. 64