Bürgerversammlung
Als Bürgerversammlung werden, überwiegend in Deutschland, politische Versammlungen auf kommunaler Ebene bezeichnet. Der Ausdruck ist dort jedoch nahezu durchgängig ein alltagssprachlicher (Ausnahme: Bayern), dem keine weiterführende rechtliche Bedeutung zukommt. So ist die aktive Teilnahme an solchen Versammlungen in aller Regel nicht auf Bürger beschränkt, sondern steht allen Einwohnern offen. Eine ähnliche, jedoch gesetzlich gefasste Form der politischen Versammlung ist in vielen deutschen Ländern die Einwohnerversammlung.
In Österreich ist der Ausdruck Bürgerversammlung insgesamt weniger verbreitet, jedoch in den Ländern Kärnten und Wien als politische Versammlungsform sogar gesetzlich verankert. In der Schweiz ist der Ausdruck Bürgerversammlung eher unüblich.
Eine Bürgerversammlung zeichnet sich im allgemeinen Verständnis dadurch aus, dass sie die öffentliche Erörterung einer bestimmten Angelegenheit zum Ziel hat. Dabei werden wichtige Informationen und unterschiedlicher Sichtweisen, insbesondere auch zwischen Einwohnerschaft, Verwaltung und Mitgliedern der politischen Vertretung, ausgetauscht. Dieser deliberative Charakter unterscheidet sie von anderen Formen der politischen Versammlung, wie beispielsweise der Demonstration. Sie ist damit als ein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu verstehen und wird im Geflecht der demokratischen Instrumente zumeist der Bürgerbeteiligung zugeordnet.
Deutschland
In den Gemeindeordnungen der Bundesländer ist der Ausdruck Bürgerversammlung unbekannt, üblicherweise wird hier von Einwohnerversammlung gesprochen. Die einzige Ausnahme hiervon ist Bayern, wobei dort im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern die aktive Teilnahme tatsächlich auf Kommunalwahlberechtigte (also Bürger) beschränkt ist. Daneben wird der Ausdruck Bürgerversammlung vor allem in vielen Kommunen verwendet, um politische Versammlungen zu einer bestimmten kommunalen Angelegenheiten zu bezeichnen. Manche Kommunen, beispielsweise solche mit einer eigenen Leitlinie für Beteiligung, verwenden darin den Ausdruck Bürgerversammlung, sodass ihm dort eine gewisse rechtliche Bedeutung zukommt. In Niedersachsen ist für Bürgerversammlungen in Teilgemeinden teilweise der traditionelle Ausdruck Bauernrechnung gebräuchlich.[1]
Beispiel Bonn
Die Bundesstadt Bonn hat sich 2014 Leitlinien für Beteiligung gegeben.[2] Darin wird die Kommune unter anderem darauf verpflichtet, die Einwohnerschaft in Bürgerversammlungen über wichtigere Vorhaben, Maßnahmen und Lösungen zu informieren. Das unmittelbare Ziel ist die Kommunikation zu verbessern und die Förderung von Transparenz bei öffentlichen Belangen. Die diskursive Versammlung soll so mittelfristig zur Konfliktprävention beitragen.[3]
Beispiel Bayern
In Bayern muss der erste Bürgermeister einmal jährlich, auf Verlangen des Gemeinderates auch öfter, eine Bürgerversammlung einberufen (Art. 18 GO[3]). Der erste Bürgermeister hat einmal jährlich innerhalb von drei Monaten eine zusätzliche Bürgerversammlung einzuberufen, wenn diese mindestens 2,5 v. H. der Gemeindebürger (Gemeinde >10000 Einwohner) – 5 % der Gemeindebürger mit Angabe einer Tagesordnung schriftlich bei der Gemeinde beantragen. In diesem Fall kann dies jedoch nur einmal jährlich beantragt werden. Die Frist von drei Monaten ruht während der gem. Art. 32. Abs. 4 Satz 1 GO bestimmten Ferienzeit.
Zeitpunkt und Ort der Bürgerversammlung nach Art. 18 Abs. 1 GO sind unter Angabe der Tagesordnung spätestens am dritten Tag vor der Bürgerversammlung, bei der Bürgerversammlung nach Art. 18 Abs. 2 GO mindestens zwei Wochen vor dem Versammlungstermin, ortsüblich bekannt zu machen. Ausnahmen bedürfen der Genehmigung durch den Gemeinderat.
Den Vorsitz in der Versammlung führt der erste Bürgermeister oder ein von ihm bestellter Vertreter.
Zweck der Bürgerversammlung ist die Erörterung gemeindlicher Angelegenheiten, die Einflussnahme der in der Stadt wohnenden Bürger auf und ihre Mitsprache bei Entscheidungen der Stadt, sowie die gegenseitige Unterrichtung von Bürgerschaft und Verwaltung.
Aufgabe der Bürgerversammlung ist es, Anträge, Anfragen, Anliegen oder Anregungen in gemeindlichen Angelegenheiten zu erörtern, die sich auf den eigenen Wirkungskreis (Art. 7 GO) erstrecken, sowie auf den übertragenen Wirkungskreis (Art. 8 GO) erstrecken.
Dabei ist die Bürgerversammlung in erster Linie ein Podium für die Bürger, um ihnen Gelegenheit zum Meinungsaustausch zu Anträgen, Anfragen, Anliegen und Anregungen oder zur Diskussion örtlicher Probleme zu geben.
Anträge sind per Mehrheitsbeschluss der Bürgerversammlung zu entscheiden und wenn beschlossen als Empfehlungen an den Stadtrat zu richten.
Teilnahmeberechtigt sind Gemeindebürger gemäß Art. 15 Abs. 2 GO, die Deutsche oder Staatsangehörige der übrigen Mitgliedsländer der Europäischen Union (Unionsbürger) sind und in der Gemeinde das Recht besitzen, an Wahlen teilzunehmen, weiter alle Gemeindeangehörigen (Gemeindeeinwohner) also auch Minderjährige und nicht wahlberechtigte Ausländer, weiter Gewerbetreibende und Freiberufler, die Gemeindebürger anderer Gemeinden sind und ihren Gewerbebetrieb bzw. ihre berufliche Niederlassung in der Gemeinde haben. Weiter teilnahmeberechtigt sind Ortsfremde (keine Gemeindeeinwohner) mit Grund- oder Immobilienbesitz in der Gemeinde, Vertreter sonstiger Einrichtungen oder Organisationen (z. B. Vereine, Elternbeiräte, Bürgerinitiativen) in der Gemeinde oder Vertreter juristischer Personen aus der Gemeinde, die im eigenen Namen, nicht im Auftrag der oder für die Einrichtung oder Organisation bzw. juristischen Person teilnehmen. Teilnahmeberechtigt sind Beamten und Angestellte der Gemeinde, Gemeinderäte und ehemalige Gemeinderäte der Gemeinde, ehemalige Bürgermeister und Ehrenbürger der Gemeinde, Vertreter der Rechtsaufsichtsbehörde kraft deren Informationsrechts (Art. 111 GO), Vertreter von Presse und Medien.
Rede- und mitberatungsberechtigt sind teilnahmeberechtigte Gemeindebürger, die das Recht haben, an Gemeinderatswahlen teilzunehmen, sowie Gemeindeangehörige (Gemeindeeinwohner). Sie dürfen öffentlich beraten (Erörterung). Gemeindeangehörigen (Gemeindeinwohnern), die nicht Deutsche oder Unionsbürger sind, sowie Nichtgemeindebürgern und Nichtgemeindeangehörigen (z. B. Einwohner benachbarter Gemeinden, örtlich zuständige Mandatsträger) können auf Antrag eines Gemeindebürgers und Mehrheitsbeschluss der Bürgerversammlung das Rede- und Mitberatungsrecht erhalten. Das Bürgerrecht auf Mitberatung in der Bürgerversammlung kann nur persönlich ausgeübt werden, da es sich um ein organschaftliches, höchst persönliches Recht handelt. Eine rechtliche Stellvertretung (z. B. durch einen Nachbarn oder einen Rechtsanwalt) ist ausgeschlossen.
Antragsberechtigt sind teilnahmeberechtigte Gemeindebürger, die das Recht haben, an Gemeinderatswahlen teilzunehmen, sowie Gemeindeangehörige (Gemeindeeinwohner). Juristische Personen, sowie deren Organe, Bevollmächtigte bzw. Sprecher sind vom Antragsrecht ausgeschlossen
Abstimmungsberechtigt sind teilnahmeberechtigte Gemeindebürger, die das Recht haben, an Gemeindewahlen teilzunehmen. Gemeindeeinwohner, die Gemeindebürger anderer Gemeinden sind, sind nur in der Gemeinde abstimmungsberechtigt, in der sie ihren Hauptwohnsitz und somit ihr Wahlrecht haben. Juristische Personen, sowie deren Organe, Bevollmächtigte bzw. Sprecher sind vom Abstimmungsrecht ausgeschlossen.
Beschlüsse der Bürgerversammlung zu Anträgen sind keine unmittelbar geltenden Entscheidungen, sondern Empfehlungen der Bürgerversammlung an den Gemeinderat. Diese sind innerhalb von einer Frist von drei Monaten vom Gemeinderat oder dem zuständigen, beschließenden Ausschuss zu behandeln. Die Frist von drei Monaten ruht während der gem. Art. 32 Abs. 4 Satz 1 GO bestimmten Ferienzeit.
Anträge dürfen nur gemeindliche Angelegenheiten zum Gegenstand haben, die sich auf den eigenen Wirkungskreis (Art. 7 GO) erstrecken, sowie auf den übertragenen Wirkungskreis (Art. 8 GO) erstrecken.
Bislang einmalig in Deutschland ist die Satzung über die Abhaltung von Bürgerversammlungen und Ortsteilbürgerversammlungen der Stadt Starnberg,[4] inklusive des zugehörigen Wortmeldebogens.[5] Zielsetzung der vom Stadtrat der Stadt Starnberg 2019 mehrheitlich beschlossenen und schließlich auch in Kraft gesetzten Bürgerversammlungssatzung war es, dass Bürgerversammlungen der Stadt nicht zu Selbstdarstellungsveranstaltungen eines ersten Bürgermeisters verkommen.[6] Allerdings konnten aufgrund der starken Stellung des ersten Bürgermeisters in Bayern Tagesordnung und Ablauf der Bürgerversammlung in dieser als Muster-Bürgerversammlungsatzung für Städte und Gemeinden in ganz Bayern anwendbaren Bürgerversammlungssatzung nur als Empfehlung ausgesprochen werden.
Österreich
Die Bezeichnung Bürgerversammlung wird in Österreich unterschiedlich verwendet, meint jedoch in aller Regel eine politische Versammlung in einer Gemeinde (bzw. in Wien in einem Bezirk). Die Länder Kärnten und Wien kennen die Bürgerversammlung als förmliches Instrument in ihrer Gemeindeordnung bzw. in der Stadtverfassung. Manche Gemeinden in anderen Bundesländern bezeichnen die in den dortigen Gemeindeordnungen vorgesehene Gemeindeversammlung abweichend vom Gesetzestext als Bürgerversammlung.[7] Die Ausgestaltung von Bürgerversammlungen (Kärnten und Wien) und Gemeindeversammlungen (Tirol, Land Salzburg, Burgenland und Oberösterreich) ist in Österreich sehr ähnlich. In der medialen Berichterstattung werden bisweilen politische Kundgebungen als Bürgerversammlung bezeichnet.[8]
In Kärnten hat eine Bürgerversammlung den Zweck über Angelegenheiten aus dem Wirkungsbereich der Gemeinde zu berichten. Den Gemeindebürgern ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Eine Bürgerversammlung kann auch durch Unterschriften von 5 v. H. der zum Gemeinderat wahlberechtigten Gemeindebürger einberufen werden. Diese ist spätestens sechs Wochen nach Einlangen des gültigen Antrags durchzuführen. Weiterhin wird die rechtzeitige Bekanntmachung und der Vorsitz der Versammlung geregelt. Weitergehende Verpflichtungen erwachsen aus der Versammlung nicht. Die Bürgerversammlung ist in den §§ 60 und 61 der Kärnter Allgemeinen Gemeindeordnung geregelt.[9]
In Wien hat eine Bürgerversammlung den Zweck, Information und Diskussion über Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse eines Bezirkes liegen, zu ermöglichen. Eine Bürgerversammlung kann durch einfachen Beschluss der Bezirksvertretung, durch Antrag von mindestens einem Fünftel der Mitglieder einer Bezirksvertretung oder durch Unterschrift von 5 v. H. der bei der letzten ordentlichen oder außerordentlichen Volkszählung festgestellten Anzahl von Einwohnern des Bezirkes, erwirkt werden. Allfällige Unterlagen sind mindestens zwei Wochen vor Abhaltung der Bürgerversammlung zur öffentlichen Einsicht aufzulegen. Weitergehende Verpflichtungen erwachsen aus der Versammlung nicht. Die Bürgerversammlung ist im § 104c der Wiener Stadtverfassung geregelt.[10]
Schweiz
Der Ausdruck Bürgerversammlung ist in der Schweiz weitgehend unüblich, allerdings kennt die Schweizer Demokratie die Bürgergemeindeversammlung. Sie ist eine besondere Form der Gemeindeversammlung, an der alle Personen mit Heimatrecht, also Stimmbürger in deren Bürgerort die Versammlung stattfindet, stimm- und redeberechtigt sind. In der Gemeindeversammlung tritt die Stimmbürgerschaft unmittelbar zusammen und ist dementsprechend in allen Gemeindeangelegenheiten verbindlich beschlussfähig. Nicht alle Schweizer Gemeinden kennen die Gemeindeversammlung. In manchen Gemeinden werden Entscheidungen vom Stimmvolk an der Urne statt in einer Versammlung getroffen. Insbesondere in größeren Gemeinden sind gewählte Gemeindeparlamente üblich.
Bürgerversammlung als Übersetzungsbegriff
Da der Ausdruck Bürgerversammlung in der deutschen Sprachen, eine recht allgemeine und unbestimmte Bedeutung hat, wurde und wird er bisweilen als etwas ungenaue Übersetzung für verschiedene Formen von Bürgerbeteiligung, vor allem aus dem englischsprachigen Raum, herangezogen.
So wurde beispielsweise die irische Citizens' Assembly (2016–18) verschiedentlich als Bürgerversammlung ins Deutsche übersetzt.[11] Für an dieses Vorbild angelehnte Formate, hat sich jedoch zumindest in Deutschland seit 2020 die Bezeichnung Bürgerrat weitgehend etabliert.[12]
Ähnlich verhält es sich mit dem im US-Bundesstaat Oregon bestehenden Citizen Initiative Review (wörtlich etwa: ‚Bürgerinitiativenüberprüfung‘). Das aus zufallsgelosten Bürgern zusammengesetzte Gremium prüft die im Bundesstaat aus dem Wahlvolk hervorgegangenen gültigen Initiativen. Es verfasst gemeinschaftlich die Texte für das begleitende Abstimmungsheft, in dem das Für und Wider einer Initiative als Entscheidungshilfe für das Stimmvolk möglichst objektiv und unparteiisch wiedergegeben werden soll.[13]
Auch andere im englischsprachigen Raum verbreitete Verfahren, wie die Citizen Jury (‚Bürgerjury‘) oder das Citizen Panel (‚Bürgergremium‘ oder ‚Bürgerkommission‘) werden bisweilen als Bürgerversammlung übersetzt. Für beide Formate ist jedoch zumindest in deutschsprachigen Fachkreisen die Verwendung der Originalbezeichnung oder einer Teilübersetzung wie ‚Bürgerjury‘ und ‚Bürgerpanel‘ durchaus üblich.[14]
Einzelnachweise
- Informationsbroschüre der Gemeinde Suderburg mit Verweis auf die jährliche Bauernrechung.
- Bonn macht mit!
- Unterrichtungsrechte der Stadt Bonn
- Satzung über die Abhaltung von Bürgerversammlungen und Ortsteilbürgerversammlungen der Stadt Starnberg, Website der Stadt Starnberg (PDF; 127 kB)
- Wortmeldebogen zu Bürgerversammlungen und Ortsteilbürgerversammlungen der Stadt Starnberg, Website der Stadt Starnberg (PDF; 371 kB)
- Deutschlandweit außergewöhnlich: Das sind die Regeln der Bürgerversammlung in Starnberg, Artikel im Starnberger Merkur vom 23. November 2019
- So beispielsweise die Gemeinde Leogang im Land Salzburg.
- Bürger protestierten gegen Motorradlärm, Bericht der Redaktion Tirol des ORF, 23. Juni 2019.
- Kärntner Allgemeine Gemeindeordnung §§ 60 und 61.
- Wiener Stadtverfassung § 104c.
- Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Kleines Land, große Innovation: Bürgerversammlung in Irland (= shortcut. Ausgabe 3, Dezember 2020). 2020 (Online [PDF; 1,8 MB; abgerufen am 9. Mai 2021]).
- The Citizens' Assembly. The heart of our experiment; englischsprachige Erläuterung der Seite Bürgerrat.de
- Beschreibung des CIR auf healtydemocracy.org (in englischer Sprache)
- Patrizia Nanz, Miriam Fritsche: Handbuch Bürgerbeteiligung. Verfahren und Akteure, Chancen und Grenzen (= Bundeszentrale für politische Bildung [Hrsg.]: Schriftenreihe. Band 1200). Bonn 2012, ISBN 978-3-8389-0200-5, S. 44/45 & 49/50 (244 S., Online [PDF; 1,4 MB; abgerufen am 9. Mai 2021]).