Arletty
Arletty, eigentlich Léonie Bathiat (* 15. Mai 1898 in Courbevoie, Département Seine, heute Département Hauts-de-Seine; † 24. Juli 1992 in Paris), war eine französische Schauspielerin.
Leben und Karriere
Arletty war Fabrikarbeiterin, Stenotypistin, Mannequin und Revuetänzerin. Sie debütierte 1930 im Film und wurde bald zu einem Star. Vorzugsweise spielte sie Vamps, Prostituierte oder die Femme fatale. Sie spielte in Klassikern des französischsprachigen Kinos wie Marcel Carnés Hôtel du Nord und Die Nacht mit dem Teufel. Ihre berühmteste Rolle war die der Garance in Kinder des Olymp. Dazu schrieb ihr deutscher Biograph, Klaus Harpprecht, in einem Zeitungsartikel: „Les Enfants du Paradis, 1947 in den Kinos unserer Ruinenstädte zu sehen, empfanden auch die Deutschen als ein überwältigendes Ereignis, das der niemals ganz verschütteten Liebe zur Kultur des Nachbarn – zusammen mit den Werken von Camus und Sartre, den Bühnenstücken von Anouilh – eine enthusiastische Renaissance bescherte.“[1]
Auf dem Höhepunkt ihrer Popularität stand Arletty berühmten Malern ihrer Zeit wie Georges Braque, Moise Kisling und Henri Matisse Modell und galt als Muse und Inspirationsquelle von Dichtern wie Jacques Prévert und Céline sowie von Modeschöpfern wie Azzedine Alaïa. Von 1937 bis 1939 hatte Arletty eine Liebesbeziehung mit „Prinz“ David Mdivani, den sie 1937 in Venedig kennen gelernt hatte. Sie soll 1939 von ihm schwanger gewesen sein, sich jedoch entschieden haben, das Kind nicht auszutragen.[2]
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann ihr Stern zu sinken. Da sie eine Liebesbeziehung und langjährige Freundschaft mit dem deutschen Luftwaffenoffizier und späteren Schriftsteller und Diplomaten Hans-Jürgen Soehring unterhielt, verbrachte sie zwei Monate als vermeintliche Kollaborateurin im Gefängnis und erhielt bis 1949 keine Rollenangebote. Ihre Haltung rechtfertigte sie auf ihre unverwechselbar volkstümliche Art, die bis heute sprichwörtlich geblieben ist: „Mon cœur est français, mais mon cul est international. – Mein Herz ist französisch, aber mein Hintern ist international.“[3] Die Reaktion ihrer Umgebung kommentierte sie mit: „Ich war die meisteingeladene Frau, nun bin ich die Meistausgeladene. – J’étais la femme la plus invitée, je suis la plus évitée.“[1] Später spielte sie wieder in Filmen mit, konnte aber an ihren früheren Erfolg nicht anknüpfen. Dennoch zählt sie insbesondere aufgrund der oben genannten Filme zu den großen, unvergessenen Darstellerinnen des französischen Kinos. Einmal triumphierte sie noch auf der Theaterbühne in der Rolle der Blanche in Tennessee Williams’ Stück Endstation Sehnsucht.
Nach einem Unfall erblindete sie im Alter von 68 Jahren vollständig. Zwanzig Jahre lebte sie, zuletzt am Rande der Armut, in einer kleinen Sozialwohnung der Stadt Paris. Nach dem Zeugnis von Freunden bewahrte sie jedoch ihre heitere ironische Gelassenheit.
1971 veröffentlichte Arletty ihre Memoiren unter dem doppeldeutigen Titel La Défense, der einerseits als Hinweis auf ihre volkstümliche Herkunft aus Courbevoie, einem tristen Vorort von Paris, der später im Hochhausviertel La Défense aufging, gedeutet werden kann, andererseits als Titel einer Verteidigungsschrift in Anspielung auf ihre umstrittene Lebensführung während der Besatzungszeit.
Arletty starb am 24. Juli 1992 in Paris im Alter von 94 Jahren. Sie wurde eingeäschert und auf dem Nouveau Cimetière in Courbevoie beigesetzt.[4]
Autoren und Biographen würdigten sie als „la Madone du canal Saint-Martin“, die Madonna vom Kanal Saint-Martin, an dem das Hôtel du Nord stand, der Schauplatz des berühmten Films, und als „Muse des faubourgs“ (Muse aus der Vorstadt), die, gebürtig im dritten Hinterhaus einer Mietskaserne, ihre proletarische Herkunft nie verleugnet hat und, so einer ihrer Biographen, dem Akzent und den Manieren der Pariser Vorstädte Adel verlieh („… rendait aristocratiques l’accent et les manières des faubourgs“).[5]
Filmografie (Auswahl)
- 1931: Un chien qui rapporte
- 1932: Enlevez-moi
- 1935: Spiel in Monte Carlo (Pension Mimosas)
- 1937: Les perles de la couronne
- 1938: Hôtel du Nord (Hôtel du Nord)
- 1939: Fric-Frac
- 1939: Circonstances atténuantes
- 1939: Der Tag bricht an (Le jour se lève)
- 1942: Die Nacht mit dem Teufel (Le visiteur du soir)
- 1942: Meine größte Liebe (La femme que j’ai le plus aimé)
- 1945: Kinder des Olymp (Les enfants du paradis)
- 1949: Portrait d’un assassin
- 1951: Die Hexe von Montmartre (Gibier de potence)
- 1951: L’amour, Madame
- 1953: Die letzte Etappe (Le grand jeu)
- 1954: Die Luft von Paris (L’air de Paris)
- 1955: Geschlossene Gesellschaft (Huis clos)
- 1957: Nächte auf Tahiti (Passager clandestin)
- 1958: Die Affären von Madame M. (Maxime)
- 1958: Leben und lieben lassen (Un drôle de dimanche)
- 1961: Die tolle Masche (La gamberge)
- 1962: Wir bitten zu Bett (Les petits matins)
- 1962: Der längste Tag (The Longest Day)
- 1962: Tempo di Roma
Literatur
- James Lord: Mademoiselle Atmosphère. Arletty in: Außergewöhnliche Frauen. Sechs Porträts. S. 53–100. Matthes, München 1995, ISBN 3-88221-803-7 (auch: Fischer TB)
- Klaus Harpprecht: Eine Liebe in Zeiten des Krieges. Die Geschichte des französischen Filmstars A., …, und ihres deutschen Offiziers Hans Jürgen Soehring…, Die Zeit Nr. 32 vom 30. Juli 2009, S. 78, online
- Klaus Harpprecht: Arletty und ihr deutscher Offizier: Eine Liebe in Zeiten des Krieges, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. ISBN 978-3-10-030062-1[6][7]
Weblinks
- Arletty in der Internet Movie Database (englisch)
- Arletty. In: FemBio. Frauen-Biographieforschung (mit Literaturangaben und Zitaten).
- Arletty in der Deutschen Synchronkartei
Einzelnachweise
- Zitiert nach Harpprecht: Eine Liebe in Zeiten des Krieges. In: Die Zeit vom 30. Juli 2009, online
- Denis Demonpion: Arletty. Paris 1996, ISBN 2-08-066940-0, S. 241.
- Die Worte stammen nicht von Arletty selbst, sondern sie zitiert damit Henri Jeanson, den Autor der Dialoge des Films Hôtel du Nord.
- Arletty-Leonie Bathiat in der Datenbank von Find a Grave (englisch)
- François Bott, Femmes de plaisir, Paris 2012
- Madame meinte zurecht, dass die Männer in ihrem Bett nur sie selbst etwas angingen in: FAZ vom 14. Juni 2011, S. 32
- Helmut Böttiger: Eine Liebesgeschichte zwischen den Fronten, Rezension zu: Klaus Harpprecht: „Arletty und ihr deutscher Offizier. Eine Liebe in Zeiten des Krieges“, S. Fischer Verlag, in: Büchermarkt, Deutschlandfunk, 8. Mai 2011