Wilfried Loth
Wilfried Loth (* 29. August 1948 in Wadern) ist ein deutscher Historiker und Politikwissenschaftler. Er lehrte von 1986 bis 2014 als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität/Gesamthochschule Essen (seit 2003 Universität Duisburg-Essen).
Leben
Wilfried Loth studierte in den Jahren 1966 bis 1972 die Fächer Germanistik, Geschichte, Philosophie und Erziehungswissenschaften an der Universität des Saarlandes. Im Sommersemester 1974 erfolgte dort seine Promotion mit einer von Walter Lipgens angeregten Untersuchung über Theorie und Praxis der Außenpolitik der französischen Sozialisten zwischen 1940 und 1950. Von 1974 bis 1984 war er dort als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Hochschulassistent tätig. Loth habilitierte 1983 in Neuerer Geschichte über Katholiken im Kaiserreich. Der politische Katholizismus in der Krise des wilhelminischen Deutschlands. 1984/85 war er Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Eine Professur für Politikwissenschaft an der Universität Münster folgte 1985/86. Von 1986 bis zu seiner Emeritierung 2014 war er Professor für Neuere Geschichte an der Universität Essen.
Loth war von 2000 bis 2014 Präsident der Verbindungsgruppe der Historiker bei der Europäischen Kommission. Loth war in der Zeit von 1993 bis 1997 Präsident des Kulturwissenschaftlichen Instituts im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen und von 2012 bis 2014 Präsident des deutsch-französischen Historikerkomitees. In Anerkennung seines Einsatzes für die deutsch-französische Verständigung in der geschichtswissenschaftlichen Forschung hat ihm die französische Regierung im Jahr 2015 den Ordre des Palmes Académiques verliehen. Ferner verlieh die Babeș-Bolyai-Universität im rumänischen Cluj-Napoca Loth 2013 die Ehrendoktorwürde. Im Jahr 2019 erhielt er den Literaturpreis Hommage à la France der Stiftung Brigitte Schubert-Oustry Dresden.
Forschungsschwerpunkte
Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die Geschichte des Katholizismus und des Sozialismus, die Geschichte des Deutschen Kaiserreichs, die Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert sowie die Geschichte des Ost-West-Konflikts und der europäischen Einigung. In seiner Habilitation behandelte er in sieben Kapiteln die Geschichte der Zentrumspartei in der ganzen Regierungszeit Wilhelms II. mit einem Schwerpunkt auf der bisher weniger erforschten Zeit zwischen der Jahrhundertwende und der Friedensresolution des Sommers 1917.[1] Loth leitete auf dem Bochumer Historikertag 1990 eine Sektion aus der der Band Deutscher Katholizismus im Umbruch zur Moderne hervorging.
Loth hat sich eingehend mit der Geschichte der europäischen Integration befasst. Er hat die vierbändige Quellenedition Documents on the History of European Integration seines 1984 verstorbenen Lehrers Walter Lipgens für die letzten beiden Bände vollendet. Loth gehörte zu der Forschergruppe der europäischen Historiker bei der Brüsseler Kommission, die in mehreren großen internationalen Tagungen die integrative Entwicklung von ca. 1948 bis 1957 behandelte und deren Ergebnisse veröffentlichte. Er veröffentlichte 2014 eine Darstellung zur Geschichte der europäischen Integration.[2]
Loth gilt durch zahlreiche Publikationen zur Geschichte der französischen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu den besten Kennern der Materie. Im Jahre 1987 veröffentlichte eine Darstellung über die Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert. Im Jahre 2015 erschien von ihm eine Biographie über Charles de Gaulle. Sein Ziel mit der Biographie ist es, „die großen Linien im Leben von Charles de Gaulle nachzuzeichnen, aber auch die Brüche und Wendungen zu markieren, die es in diesem Leben gegeben hat“.[3] Loth kommt zu dem Ergebnis, dass de Gaulle als Staatsmann seine „größten politischen Erfolge erzielte […], wenn er sich auf Kompromisse einließ, die über seine ursprünglichen Vorstellungen hinausgingen“.[4]
Loth zählt zu den besten Kennern des Kalten Krieges. Umstritten ist seine Position zur Stalin-Note 1952, der er mehr Ernsthaftigkeit zumisst als die Mehrheit der Historiker. Seine Gesamtdarstellung von 1998 zur Entspannungspolitik[5] hat Loth unter dem geänderten Titel Die Rettung der Welt. Entspannungspolitik im Kalten Krieg 1950–1991 und in überarbeiteter Form neu vorgelegt. In der 2016 veröffentlichten Arbeit behandelt Loth in zehn chronologisch aufeinander aufbauenden Kapiteln die vier Jahrzehnte vom Ausbruch des Koreakrieges 1950 bis zum Zerfall der Sowjetunion 1991.
Schriften
Monographien
- Die Teilung der Welt. Geschichte des Kalten Krieges 1941–1955. dtv, München 1980 (erw. Neuausgabe 2000, ISBN 3-423-30756-0).
- Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert. 2. Auflage. Fischer, Frankfurt 1992, ISBN 3-596-10860-8.
- Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte. Rowohlt, Berlin 1994, ISBN 3-87134-085-5.
- Das Kaiserreich. Obrigkeitsstaat und politische Mobilisierung. dtv, München 1996, ISBN 3-423-04505-1.
- Die Sowjetunion und die deutsche Frage. Studien zur sowjetischen Deutschlandpolitik von Stalin bis Chruschtschow. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-36298-3.
- Europas Einigung. Eine unvollendete Geschichte. Campus, Frankfurt am Main u. a. 2014, ISBN 978-3-593-50077-5.
- Charles de Gaulle (= Kohlhammer-Urban-Taschenbücher. Band 660). Kohlhammer, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-17-021362-3.
- Die Rettung der Welt. Entspannungspolitik im Kalten Krieg 1950–1991. Campus, Frankfurt am Main 2016, ISBN 978-3-593-50616-6.
- „Freiheit und Würde des Volkes“. Katholizismus und Demokratie in Deutschland. Campus, Frankfurt am Main 2018, ISBN 978-3-593-50838-2.
- Fast eine Revolution. Der Mai 68 in Frankreich. Campus, Frankfurt am Main 2018, ISBN 978-3-593-50832-0.
Herausgeberschaften
- Deutscher Katholizismus im Umbruch zur Moderne (= Konfession und Gesellschaft. Beiträge zur Zeitgeschichte. Band 3). Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1991, ISBN 3-17-011729-7.
- mit Rolf Badstübner: Wilhelm Pieck. Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik 1945–1953. Akademie-Verlag, Berlin 1994, ISBN 3-05-002198-5.
- Walter Hallstein – der vergessene Europäer? Europa-Union-Verlag, Bonn 1995, ISBN 3-7713-0499-7.
- mit Bernd-A. Rusinek: Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Campus, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-593-35994-4.
- Das europäische Projekt zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Leske + Budrich, Opladen 2001, ISBN 3-8100-2908-4.
- Entwürfe einer europäischen Verfassung. Eine historische Bilanz. Europa-Union-Verlag, Bonn 2002, ISBN 3-7713-0604-3.
- Europäische Gesellschaft. Grundlagen und Perspektiven. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14758-7.
- mit Jost Dülffer: Dimensionen internationaler Geschichte. Oldenbourg, München 2012, ISBN 978-3-486-71260-5.
- mit Étienne François: Gewerkschaften, Arbeitswelt und Arbeiterkultur in Frankreich und Deutschland von 1890 bis 1990 (= Schriftenreihe des Deutsch-Französischen Historikerkomitees. Band 13). Steiner, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-515-11584-1.
Literatur
- Michaela Bachem-Rehm, Claudia Hiepel, Henning Türk (Hrsg.): Europäische und Internationale Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Wilfried Loth. Oldenbourg, München 2014, ISBN 978-3-486-71574-3.
- Wer ist wer? Das deutsche Who’s Who. 51. Ausgabe. Schmidt-Römhild, Lübeck 2013, S. 702.
Weblinks
Anmerkungen
- Vgl. dazu die Besprechung von Rudolf Lill in: Historische Zeitschrift 244, 1987, S. 205–206.
- Vgl. dazu die Besprechung von Bastian Matteo Scianna in: H-Soz-Kult, 4. Dezember 2020 (online).
- Wilfried Loth: Charles de Gaulle. Stuttgart 2015, S. 9.
- Wilfried Loth: Charles de Gaulle. Stuttgart 2015, S. 307.
- Wilfried Loth: Helsinki, 1. August 1975. Entspannung und Abrüstung. München 1998.