Weiße Stadt (Tel Aviv)
Als Weiße Stadt (hebräisch העיר הלבנה ha-ʿir ha-lewana) wird ein Inventar von über 4.000 Gebäuden in Tel Aviv bezeichnet, die überwiegend im Bauhaus- und Internationalen Stil errichtet wurden. Die Architekten dieser Gebäude waren zum größten Teil deutschstämmige Juden, die nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Jahr 1933 aus Deutschland ausgewandert waren. Seit 2003 gehört die Weiße Stadt von Tel Aviv zum UNESCO-Welterbe.[1]
Weiße Stadt von Tel Aviv | |
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UNESCO-Welterbe | |
Zina Dizengoff Square | |
Vertragsstaat(en): | Israel |
Typ: | Kultur |
Kriterien: | ii, iv |
Fläche: | 140 ha |
Referenz-Nr.: | 1096 |
UNESCO-Region: | Europa und Nordamerika |
Geschichte der Einschreibung | |
Einschreibung: | 2003 (Sitzung 27) |
Geschichte
Als die heute so bezeichnete Weiße Stadt entstand, war das 1909 gegründete Tel Aviv eine kaum mehr als 20 Jahre alte Siedlung jüdischer Einwanderer vor den Toren von Jaffa. Meir Dizengoff, Bürgermeister von Tel Aviv in den Jahren von 1921 bis 1936, beauftragte 1925 den schottischen Stadtplaner Patrick Geddes mit dem Entwurf eines Masterplans für die schnell wachsende Stadt. Geddes entwarf das Straßennetz und die Anlage von Häuserblöcken und Raumnutzung; ein bestimmter Baustil wurde von ihm nicht festgelegt. In den 1930er Jahren begannen jedoch vor allem jüdische Architekten, die ihre Ausbildung am Bauhaus Dessau erhalten hatten, dem neuen Stadtviertel ihren Stempel aufzudrücken. Nach 1933, insbesondere aber nach dem Inkrafttreten des Reichsbürgergesetzes 1935, wurde Juden in Deutschland die Betätigung in zahlreichen Berufen immer schwerer gemacht. Jüdische Architekten waren daher gezwungen, Deutschland zu verlassen. Viele von ihnen ließen sich daraufhin im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina nieder.
Die Bauhaus-Gebäude in Tel Aviv sind an das heiße Klima Israels angepasst. Viele stehen auf Pfeilerkonstruktionen (Pilotis), um die Belüftung zu verbessern. Statt Fensterfronten wurden Lichtleisten gesetzt. Le Corbusiers Langfenster ersetzten die israelischen Architekten mit bandartigen Balkonen, deren Schürzen für Schatten sorgen. Die Flachdächer werden in heißen Sommernächten als Aufenthaltsort genutzt.[2]
Im Laufe der Zeit sind viele Gebäude der Weißen Stadt deutlich vernachlässigt worden, einige wurden abgerissen oder verändert.[3] Besonders der Putz der einst weißen Gebäude ist über die Jahre und durch den Einfluss der salzhaltigen Meeresluft grau und spröde geworden.
Zum Schutz des architektonischen Erbes sind im Jahr 2009 etwa tausend Gebäude unter Denkmalschutz gestellt worden.[4] Um die Renovierung der geschützten Gebäude zu finanzieren, dürfen die bestehenden Gebäude um bis zu drei Stockwerke erhöht werden. Mit der Renovierung werden die Eigentümer verpflichtet, die Erdbebensicherheit zu erhöhen und Schutzbunker gegen Raketenangriffe einzurichten. Die Erweiterung der Gebäude um neue Stockwerke ist umstritten wegen des Eingriffs in die historische Substanz.[5]
Die Mieten für Wohnungen in Bauhaus-Gebäuden sind hoch, eine Drei-Zimmer-Wohnung soll 4000 Dollar monatlich kosten.[6]
Tel Aviver Bauhaus-Architekten
- Leo Adler
- Genia Awerbuch
- Shmuel Barkai
- Shlomo Bernstein
- Lotte Cohn
- Chanan Frenkel
- Wilhelm Haller
- Edgar Hed (Hecht)
- Philip Hütt[7]
- Dov Karmi
- Richard Kauffmann
- Yehuda Magidovitch
- Erich Mendelsohn
- Shmuel Mestechkin
- Zeev Rechter
- Arieh Sharon
- Munio Gitai Weinraub
Bauhaus Center
Das im Jahr 2000 eröffnete Bauhaus Center in Tel Aviv beschäftigt sich mit der Erfassung und Dokumentierung der Weißen Stadt, sowie deren Popularisierung.[8]
Bauhausmuseum
Ein kleines Bauhausmuseum wurde 2008 in der Bialik-Straße, nahe dem Alten Rathaus eröffnet. Entworfen wurde es vom israelischen Designer und Architekten Ron Arad.[9][10]
White City Center
Zum 100. Geburtstag des Bauhauses eröffnete in Tel Aviv das White City Center, Zentrum für Denkmalschutz und Architektur. Deutschland unterstützte das Projekt in dem Zeitraum von 2014 bis 2025 mit insgesamt drei Millionen Euro, um das deutsch-jüdische Erbe am Mittelmeer zu erhalten. Das Museum befindet sich im Liebling-Haus im Zentrum der Stadt und wurde am 19. September 2019 eröffnet.[11]
Spezielle Gebäude
Das Kiryati Haus von Shmuel Mestechkin
Mestechkin, ein russischer Jude, 1908 geboren, wanderte 1921 nach Palästina aus. Er begann 1931 ein Architekturstudium am Bauhaus in Dessau, 1934 kehrte er nach Palästina zurück. Er baute hauptsächlich öffentliche Gebäude, für seinen Bruder Mordechai entwarf er mehrere Appartement-Häuser, darunter das sogenannte Kiryati Haus am Rothschild Boulevard, Ecke Kikar Ha-bima. Es handelt sich um zwei unterschiedlich hohe, drei- und vierstöckige Gebäude, die durch das Treppenhaus verbunden sind. Bemerkenswert ist, dass in einem lange leerstehenden Appartement 2019 noch Teile der Original-Einrichtung gefunden wurden, darunter auch eine Frankfurter Küche.[12]
Die Blutbank von Chanan Frenkel
Ab 1953 entwarf Chanan Frenkel das Gebäude der Blutbank für Magen David Adom, eine Schwesterorganisation des Roten Kreuzes. Der Plan sah ein zweistöckiges Gebäude mit horizontalen Fensterbändern mit auffälligen Sonnenschutz-Umrandungen an der Vorderseite vor. Das Gebäude wurde 1956 fertiggestellt. Später wurde das Gebäude um zwei weitere Flügel erweitert. Heute wird es als Schule genutzt und ist in schlechtem Zustand.[13]
Galerie
- Druckerei der Tageszeitung Haaretz
- Zina-Dizengoff-Platz in den 1940er Jahren
- Thermometer-Haus
- Kikkar Bialik
- Beit Recanati
- Rechov Netzach Israel 2 Ecke Rechov ha-Melech George
Literatur
- Stefan Boness: Tel Aviv – The White City, Jovis-Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-939633-75-4.
- Weiße Stadt Tel Aviv: Zur Erhaltung von Gebäuden der Moderne in Israel und Deutschland. (PDF; 9,0 MB) Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Bonn 2015, ISBN 978-3-87994-158-2.
- Regina Stephan (Hrsg.): More Than Bauhaus, The Architecture Of The White City Tel Aviv. Spurbuchverlag, Baunach, 2019, ISBN 978-3-88778-560-4.
Weblinks
- Eintrag auf der Website des Welterbezentrums der UNESCO (englisch und französisch).
- Offizielle Webseite der Weißen Stadt (englisch)
- Videos und Fotos über die Architektur in Tel Aviv im SWR-Archiv „Schätze der Welt“
- Ressortforschungsvorhaben Weiße Stadt Tel Aviv BBSR
- Sprechender Zeitzeuge - White City Center in Tel Aviv Artikel vom 2. Dezember 2019 über der Eröffnung des White City Centers, des Informationszentrums über die Weiße Stadt
- Preußische Inseln im Meer des Orients Internationale Moderne: Israel (Teil 1) bei bauhauskooperation.de
Einzelnachweise
- UNESCO-Weltkulturerbe whc.unesco.org; abgerufen am 13. Oktober 2013
- Bauhaus-Bummel in Tel Aviv: Die erträumte Stadt. In: Spiegel online. Abgerufen am 20. September 2019.
- Der Kampf um die weiße Stadt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Mai 2013, S. 7.
- Sharon Udasin: Bauhaus Is Our House. (Memento vom 16. Januar 2016 im Internet Archive) The Jewish Week, 22. Mai 2009
- Regina Stephan (Hg): More Than Bauhaus, S. 70f
- Wohnen in Tel Aviv: Nur die Sonne scheint für alle. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Abgerufen am 20. September 2019.
- Bauhaus Center Tel Aviv. Abgerufen am 20. September 2019.
- bauhaus-center.com
- Esther Hecht: Bauhaus Museum Opens in Tel Aviv’s White City. In: Architectural Record. Abgerufen am 5. September 2012.
- David Bachar: Surroundings / Daniella Luxembourg’s Bauhaus kiosk. In: Haaretz, 1. Mai 2008.
- Deutsch-israelisches Projekt in Tel Aviv würdigt internationalen Stil. In: Israelnetz.de. 18. September 2019, abgerufen am 1. Oktober 2019.
- Regina Stephan (Hg): More Than Bauhaus, S. 79ff
- Regina Stephen (Hg): More Than Bauhaus S. 90ff