Waldemar Dyhrenfurth
Waldemar Dyhrenfurth (* 11. September 1849 in Hermsdorf an der Katzbach, Kreis Goldberg-Haynau, Provinz Schlesien; † 10. Mai 1899 in Breslau) war ein deutscher Jurist. Berühmt wurde er als Schöpfer des Bonifazius Kiesewetter.
Leben
Dyhrenfurth war Sohn eines Rittergutsbesitzers. Ab dem Wintersemester 1868/69 studierte er Rechtswissenschaft an der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Er wurde Mitglied des Corps Borussia Breslau, wo er mit Ernst Remak und Georg von Caro aktiv war und den Biernamen „Blondel“ erhielt. Er machte mit einigen Landsmannschaftern im Sommersemester 1869 das suspendierte Corps Lusatia Breslau als Senior wieder auf. Anschließend wurde er noch beim Corps Lusatia Leipzig aktiv.[1] Auch dort fiel er als exzellenter Senior auf. Er focht insgesamt 18 Mensuren. 1870/71 nahm er am Deutsch-Französischen Krieg teil.
Nach dem Ersten Examen, der Promotion zum Dr. iur. und dem Zweiten Examen in Berlin kamen mühsame Jahre als Gerichtsassessor. Eine Weile lebte er in Stettin. 1883 zum Staatsanwalt (mit dem Rang der Räte 4. Klasse) ernannt, versah er seinen Dienst in Beuthen, Gleiwitz, Liegnitz und Breslau. Mit seinem Alter Ego Kiesewetter identifizierte Dyhrenfurth sich zeitlebens. So ist verbrieft, dass er als Staatsanwalt die eigenen Verse beschlagnahmen ließ, um sie im amtlichen Asservat der Nachwelt zu erhalten. Der größte Teil seiner dichterischen Leistungen war im Musenalmanach der Dritten Schlesischen Dichterschule niedergelegt; es gab nur zwei Schlesische Dichterschulen.
„Der deutschen Dichtkunst muß das ihr abhanden gekommene Gewand der Harmlosigkeit wieder an- und die Hose der Prüderie wieder ausgezogen werden.“
Waldemar Dyhrenfurth wurde als Übersetzer von Essays von Michel de Montaigne bekannt, 1896 und 1898.[2]
Wegen eines Rückenmarksleidens und der Zuckerkrankheit 1897 vorzeitig pensioniert, gab er sich auf Visitenkarten als „Staatsanwalt a. D. und Diabetiker“ aus. Dass für ihn „jedes Bier ein Sargnagel“ sei, freute ihn; denn dann sähe sein Sarg wie ein Stachelschwein aus. Seinen Tod gab er durch Traueranzeigen bekannt, die er lange vorher hatte drucken lassen:
„Bei meinem Scheiden aus dem sogenannten Leben rufe ich allen Freunden und Bekannten ein herzliches Prost zu! Mit der Bitte, mir ein gutes Andenken zu bewahren, hochachtungsvoll und ergebenst Waldemar Kiesewetter, genannt Bonifazius. Zeitgenosse, Mitbürger und Inhaber vieler schöner Erinnerungen“
Noch keine 50 Jahre alt und geplagt von Blindheit, wie er im Vorwort seiner Übertragung der Essays von Michel de Montaigne 1898 schreibt, starb Waldemar Dyhrenfurth 1899 unverehelicht.
Dreiundvierzig Jahre nach seinem Tod schaltete ein akademischer Stammtisch in Danzig eine große Anzeige:
„Ihre soeben vollzogene Vermählung geben bekannt: Bonifazius Kiesewetter, cand. iur., und Baronin Ziegler, Gut Scheibenhof bei Danzig.“
Mit diesem Scherz sollte das jahrelange „sündig-illegale Verhältnis“ der beiden wenigstens nachträglich in konventionelle Bahnen gelenkt werden.
Dyhrenfurths Vetter und Corpsbruder Oskar Dyhrenfurth war der Vater des Bergsteigers Günter Oskar Dyhrenfurth.
Bonifazius Kiesewetter
Dyhrenfurths berühmte Verse über Bonifazius Kiesewetter („das alte Rübenschwein“) entstanden, nachdem er als Referendar nach Guben gekommen war. Mit seinem „kongenialen“ Corpsbruder Max Müller („Stußmüller“) in Brandenburg arbeitete er an einem „Weißbuch“ komischer Einfälle vulgo Sauereien. Alle vier Wochen schickten sie es sich gegenseitig zu, bei der Post mit „Wert 10.000 Mark“ versichert. In der Zwischenzeit versorgte Dyhrenfurth den (gleichaltrigen) „Pflegevater“ mit Postkarten, die er in das Buch einklebte. Zunächst nur der Briefträger, dann alle Bediensteten des Postamtes in Brandenburg konnten die nächste Karte kaum erwarten; bei längerem Schweigen fragten sie postalisch nach. Die Deutsche Reichspost stellte Müller schließlich auch solche Karten zu, die von Dyhrenfurth nicht unterschrieben und lediglich „An ihn“ adressiert waren.[3] Der etwa ein Drittelmeter dicke, aber kleinformatige 1. Jahrgang der Verse musste an einem breiten Band im Genick getragen werden.
- Guter Rat
- Bonifazius Kiesewetter ward aktiv in einem Corps,
- Wo er schon nach vierzehn Tagen seine Contenance verlor.
- Zwei befreundete Vertreter, die ein fernes Corps geschickt,
- Hatt´ er meuchlings auf der Toilette ganz freundlich in den A. gef.
- Das Kartell ging in die Brüche,
- Dreimal focht man PP.
- Der Af. ist nur in seltnen Fällen
- Gut für den Abschluß von Kartellen.
Die Leichenverbrennungshymne
Melodie: „Freude, schöner Götterfunke …“
- 1. Strophe (Gattin)
- Weh, verlassen Kinder, wehe!
- Seufzer, stürmt das Himmelstor!
- Seht! dort unten brennt der Teure,
- Den ich, ach! zu früh verlor.
- Lasset rinnen Eure Zähren –
- Richard, nimm doch's Taschentuch! –
- Weh, schon steigt empor zur Nase
- Eures Vaters Brandgeruch.
- Chor der Feuerdiener
- Kresche, kresche Bauch!
- Sehnen, purzelt auch!
- Trockne, trockne, Gas die Glieder.
- Flamme, Flamme laß Dich nieder,
- Steig zum Himmel sel’ger Rauch!
- 1. Antistrophe (Jüngling stud. iur.)
- Brenne sanft, geliebter Alter,
- Sanft, Erinn’rungstränen, lauft!
- Dorten wartet schon die Urne,
- Die wir stilvoll heut gekauft.
- Er, der stets so gräßlich schwitzte,
- Ist’s ein Wunder, daß er jetzt
- Schon in 50 Bierminuten
- In Atome sich zersetzt?
- Chor der Feuerdiener
- Schüret, schüret! Ach,
- Nur nicht so gemach!
- Daß er nicht erwecke wieder,
- Wär er scheintot nur, ihr Brüder,
- Schmeißt ´ne Tonne Kohle nach!
- 2. Strophe (Jungfrau)
- Aufgelöst in Schmerz, in Jammer
- Hingesunken lieg ich hier.
- Ach, für lang’in diesem Ofen
- Schwand des Daseins Wonne mir.
- Wenn Papa nicht dorten schmorte,
- Wär das Leben göttlich schön!
- In der schwarzen Toilette
- Kann ich nicht zum Kränzchen gehn.
- Chor der Feuerdiener
- Schaut nur, wie in Eil´
- Löst sich jeder Teil!
- Glaubt, selbst Wassersücht’ge können
- Bei der Glut getrost verbrennen.
- Heil Dir, Siemens, Heil!
- 2. Antistrophe (die Gattin)
- Kinder, kommt nun nur nach Hause!
- Asche ist jetzt sein Gebein.
- Noch ein bißchen Leber höchstens
- Wird am Ende übrig sein.
- Ach, nach der verwaisten Heimat
- Lenken klagend wir den Schritt.
- Herz, o brich nicht! Welches Elend!
- Julius, nimm die Asche mit!
- Chor der Feuerdiener
- Seht, da geht sie ab!
- Haltung ist recht schlapp.
- Möge nicht bald wieder werden
- Solcher Kummer ihr auf Erden;
- Denn mit Trinkgeld ist sie knapp.
- Blondel
Dyhrenfurths Vereine
Gründungen
- Internationale Vereinigung fideler Seehunde
- Verein zur Aufspürung der Nilquellen in Europa
- Poetische Union zur Verbesserung des Volksmundes
Mitgliedschaften
- Leichenverbrennungsverein in Guben
- Antileichenverbrennungsverein in Krossen
- Lopenverein[4]
Literatur
- Rudolf Neugebauer: Bonifazius Kiesewetter. Provokation und Gesellschaftskritik im poetischen Werk des Waldemar Dyhrenfurth. In: Einst und Jetzt Band 45 (2000), S. 139 ff., mit Anmerkung von Wolfram Dürbeck in: Einst und Jetzt Band 47 (2002), S. 355 ff.
- Rudolf Neugebauer: Bonifazius Kiesewetter. In: Corpsstudentisches zwischen Gestern und Heute. Edition Piccolo, Hannover 2005, S. 78–85
- Bonifazius Kiesewetter. Ein heroisches Leben Schnurren, Schwänke, Anekdoten. Berichtet von Wolfgang Kraus. 1. Ausgabe im Magazinformat, Berlin 1951
- Bonifazius Kiesewetter. Ein heroisches Leben. Berichtet von Wolfgang Kraus. Die Bank der Spötter. Band 2, 2. und 3. gering erweiterte Ausgabe im Taschenbuchformat, Berlin 1954 und 1955.
- Klaus Rössler: Waldemar Dyhrenfurth. Deutsche Corps-Zeitung 1/1960, S. 12
Weblinks
Einzelnachweise
- Kösener Korps-Listen 1910, 29/453; 30/204; 149/508.
- Dyhrenfurth, Waldemar: Essays von Michel de Montaigne, Breslau, Eduard Trewendt, 1896 und NEUE FOLGE 1898, in der Staatsbibliothek Berlin einsehbar
- R. Neugebauer (2000), S. 141.
- Als Gegenteil der schnellen und wendigen Antilopen fand Dyhrenfurth „Lopen“ sympathischer.