Wahlkapitulation
Als Wahlkapitulation (capitulatio caesarea) wird seit dem Mittelalter ein schriftlicher Vertrag bezeichnet, in dem ein Kandidat Zusagen für den Fall seiner Wahl machte, in dem aber auch seine Kompetenzen genau geregelt und Machtbefugnisse eingeschränkt werden konnten.
Königswahl
Heiliges Römisches Reich
Bei der Wahl zum König im Heiligen Römischen Reich waren seit dem 13. Jahrhundert die Kurfürsten das Wahlgremium. So wurde seit der Wahl Karls V. im Jahre 1519 den künftigen römisch-deutschen Kaisern von den Kurfürsten eine Wahlkapitulation (capitulatio caesarea) vorgelegt.
Die zunächst fast unbeschränkten Vollmachten des Kaisers wurden durch die Wahlkapitulation eingeschränkt und präzisiert. So umfasst die letzte mit Franz II. ausgehandelte Wahlkapitulation im modernen Druck 314 Seiten und stellte ein wichtiges Grundgesetz der jeweiligen kaiserlichen Herrschaft dar.
Während der Verhandlungen mit Frankreich im Rahmen des Westfälischen Friedens wurde die Wahlkapitulation Ferdinands III., Reichsrechte und Reichsgüter zu entäußern, aufgehoben, wodurch Frankreich Gebiete im Elsass und in Lothringen z. T. zu voller Souveränität zugesprochen werden konnten.[1]
Die ständige Wahlkapitulation (capitulatio perpetua) von 1711 war der Versuch, die Regeln für den künftigen König in einer vorab festgelegten Wahlkapitulation festzuschreiben. In ihr wurde unter anderem verboten, das Reich zu einer Erbmonarchie zu machen. Auf diese Weise versuchten sich die Kurfürsten ihre politische Stellung zu sichern. Dieses Dokument wurde aber nie durch einen Kaiser ratifiziert und damit zum Reichsgesetz erhoben.
Franz II. begründete 1806 die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation damit, dass er durch die Ereignisse der Geschichte (Koalitionskriege, Gründung des Rheinbundes) nicht mehr in der Lage sei, die in der Wahlkapitulation übernommenen Pflichten zu erfüllen.
Skandinavien
In Norwegen war der Zeitraum von 1449 (Christian I. und Karl Knutsson) bis 1648 die Zeit der Wahlkapitulation, wobei nur die Wahlkapitulation von 1449 und von 1524 (Friedrich I.) auf Norwegen zugeschnitten waren, während die übrigen in Dänemark abgegeben wurden, aber aufgrund der Personalunion ohne weiteres auch für Norwegen galten. Nach 1648 kam im Jahre 1660 der Absolutismus. Die Wahlkapitulation war Voraussetzung für die Krönung. In der Zeit zwischen der Wahlkapitulation und der Krönung trug der König den Titel „erwählter König“ (utvalgt konge). Trotz großer Unterschiede in den einzelnen Dokumenten haben sie alle eines gemeinsam: Sie betonen die Prinzipien des Reichsratskonstitutionalismus, der die Mitwirkungsrechte des Reichsrates an wichtigen Regierungsentscheidungen beinhaltete. Auch die Beschränkung der Regierungsämter auf den heimischen Adel bekam immer mehr Gewicht – in Dänemark gegen deutsche Adlige, in Norwegen gegen deutsche und dänische Adlige.[2]
Papstwahl
Bei den Papstwahlen war es lange Zeit (15. bis 17. Jahrhundert) üblich, dass das Kardinalskollegium Wahlkapitulationen einforderte. Schon 1352 war eine Wahlkapitulation vor der Wahl Innozenz’ VI. aufgestellt, von diesem aber für ungültig erklärt worden. Das Konzil von Konstanz (1414–1417) vertrat die Auffassung, dass die rivalisierenden Päpste Gregor XII. und Benedikt XIII. wegen Verletzung ihrer Wahlkapitulationen des Meineides schuldig seien. Papst Eugen IV. bestätigte 1431 seine Wahlkapitulation in einer feierlichen Bulle. Über Papst Paul II. berichtet Kardinal Jacopo Ammannati Piccolomini, dass er sich unmittelbar nach der Wahl vereinbarungsgemäß zur Einhaltung seiner Wahlkapitulation verpflichtete, später die Kardinäle aber nötigte, ihr Einverständnis für eine erhebliche Revision zu geben. Heute sind Wahlabsprachen vor der Papstwahl verboten (zuletzt in der Konstitution Universi Dominici gregis).
Bischofswahl
Auch bei anderen Fürsten, die ihr Amt durch Wahl erlangten, gab es Wahlkapitulationen. Das betraf in der Regel die Bischöfe, ihr Wahlgremium war das jeweilige Domkapitel. Mit der Wahlkapitulation wurden die Rechte und Pflichten des Bischofs und des jeweiligen Domkapitels festgelegt, sie bildeten damit die Verfassung des zugehörigen geistlichen Fürstentums. Die Geschichte der Wahlkapitulationen verlief nicht in allen Bistümern gleich. In allen Bistümern des Heiligen Römischen Reichs spielten sie seit dem frühen 13. Jahrhundert eine Rolle. Wahlkapitulationen vor Bischofswahlen wurden 1695 vom Papst und 1698 auch vom Kaiser verboten, ausgenommen blieb die Wahl des Erzbischofs von Mainz.
Venedig
Besonders ausgeprägt waren die Wahlkapitulationen zur Wahl des venezianischen Dogen, die promissione ducale[3], deren älteste aus dem Jahre 1192 überliefert ist. Die promissione ducale wurden vor der Wahl eines neuen Dogen von einer eigens dazu eingesetzten Kommission, den Correttori alle promissione ducale, ausgearbeitet, der Doge musste sie auszugsweise bei seiner Wahl zitieren, ihre Einhaltung beschwören und wurde erst danach gekrönt. Ab 1595 wurde ihm dann seine promissione ducale alle zwei Monate vorgelesen. Im Verlauf der Jahrhunderte wurde dieser „Vertrag“ immer umfangreicher und seit 1595 wurde er gedruckt. Die promissione ducale des Dogen Marino Grimani umfasste 108 Seiten, die des Dogen Giovanni II. Cornaro 165, die des letzten Dogen Ludovico Manin 301 Seiten.
Weblinks
Anmerkungen
- Heinhard Steiger: Konkreter Friede und allgemeine Ordnung – Zur rechtlichen Bedeutung der Verträge vom 24. Oktober 1648. In: Heinz Schilling (Hrsg.): 1648. Krieg und Frieden in Europa. Textband 1. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster 1998, ISBN 3-88789-127-9, S. 437–446, 440.
- Steinar Imsen: Valghåndfestning. In: Norsk historisk leksikon, abgerufen am 20. Januar 2012.
- Kurt Heller: Recht, Kultur und Leben in der Republik 697–1797. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 1999, ISBN 3-205-99042-0, S. 136–157.