Trouton-Noble-Experiment
Mit dem Trouton-Noble-Experiment versuchten Frederick Thomas Trouton und Henry R. Noble 1903 auf eine andere Art als beim Michelson-Morley-Experiment den Bewegungszustand der Erde relativ zum Äther zu messen. Der negative Ausgang des Trouton-Noble-Versuchs war neben dem Michelson-Morley-Versuch eine der wichtigsten frühen Bestätigungen der speziellen Relativitätstheorie und wurde mehrmals mit demselben Resultat wiederholt (vgl. Tests der speziellen Relativitätstheorie).
Damit zusammenhängend existieren auch eine Reihe von Paradoxien der relativistischen Statik, die beispielsweise als „Trouton-Noble-Paradoxon“ oder „Winkelhebelparadoxon“ bekannt sind. Es geht dabei darum, ob durch den Wechsel des Inertialsystems ein Drehmoment oder gar eine messbare Rotation in einem statischen System eintritt. Es wurden dazu eine Reihe von Lösungen vorgeschlagen, die darin übereinstimmen, dass keine Rotation auftritt.
Das Experiment wurde von Joseph Larmor angeregt, der die Erklärung des Michelson-Morley-Experiments durch Längenkontraktion als Bestätigung seiner eigenen Theorie der Elektrodynamik sah, was aber von William Mitchinson Hicks 1901 angegriffen wurde. Larmor trat daraufhin in Kontakt zu George Francis FitzGerald (dieser plante ein ähnliches Experiment mit einem Kondensator-Pendel) und nach dessen Tod zu dessen Schüler Trouton.[1]
Trouton-Noble-Experiment
Bei diesem Versuch wurde ein geladener Plattenkondensator benutzt. Dieser ist so konstruiert, dass er sich frei um eine zu den Platten parallele Achse drehen kann, so er einem Drehmoment unterworfen wäre. Wenn nun die Erde und der Kondensator eine Geschwindigkeit haben, repräsentiert jede geladene Kondensatorplatte einen Strom, dessen Magnetfeld auf die andere Platte eine Lorentz-Kraft und damit ein Drehmoment ausüben sollte. Bei einer „Ätherwindgeschwindigkeit“ in einem Winkel zur senkrechten Verbindungslinie der beiden Platten ergäbe sich das (letztlich vom Winkel unabhängige) Drehmoment zu
(: Feldenergie im Kondensator; : Lichtgeschwindigkeit). Bei dem Versuch konnten jedoch keinerlei Drehmomente nachgewiesen werden. Es stellte somit (zusammen mit dem Michelson-Morley-Experiment) einen bedeutenden Einwand gegen die Auffassung eines ruhenden Äthers bzw. eines bevorzugten Bezugssystems dar.[2][3] Ähnliche Experimente wurden später auch mit noch größerer Präzision aber demselben negativen Resultat, von Rudolf Tomaschek (1925, 1926), Carl T. Chase (1926, 1927) und Howard C. Hayden (1994) wiederholt.[4][5][6][7][8][9]
Dieses Ergebnis stimmt mit der aus der speziellen Relativitätstheorie folgenden Erwartung überein, dass die Experimentalanordnung gemäß dem Relativitätsprinzip als in einem Inertialsystem ruhend betrachtet werden kann, und folglich auch kein positives Ergebnis auftreten kann.
Dies muss auch für alle anderen Inertialsysteme gelten, da eine Lorentz-Transformation (welche die Koordinaten der Inertialsysteme miteinander verbindet) das Ergebnis nicht verändert. Jedoch erwies sich deren Anwendung auf statische und dynamische Probleme als recht schwierig, und es wurden unterschiedliche Modelle vorgeschlagen um das „Trouton-Noble-Paradoxon“ (ob nämlich ein Drehmoment in relativ bewegten Inertialsystem auftritt oder nicht) zu lösen.
Winkelhebelparadoxon
Das Trouton-Noble-Paradoxon ist im Wesentlichen äquivalent mit dem sogenannten „Winkelhebelparadoxon“ (Right-angle lever paradox), das erstmals von Gilbert Newton Lewis und Richard C. Tolman (1909) behandelt wurde.[10] Es sei ein Winkelhebel mit Endpunktion abc gegeben mit gleich langen Schenkeln der Länge . In seinem Ruhesystem sind die Kräfte in Richtung ba mit Angriffspunkt c und in Richtung bc mit Angriffspunkt a gleich groß, sodass Gleichgewicht herrscht, deshalb existiert kein Drehmoment gemäß dem Hebelgesetz:
Wird dies hingegen aus einem relativ zur x-Achse bewegten System betrachtet, so schrumpft bc aufgrund der Längenkontraktion und ba ist länger als bc. Das Hebelgesetz ergibt in diesem Fall:
Das Drehmoment ist in diesem Bezugssystem nicht null, was den Winkelhebel scheinbar in Rotation versetzen müsste. Da dies aber aufgrund der Drehimpulserhaltung nicht der Fall sein kann, schlossen Lewis und Tolman, dass kein Drehmoment vorliegt. Folglich schlossen sie:
Jedoch zeigte Max von Laue (1911)[11], dass dies im Widerspruch zum Transformationsgesetz der Kraft bei Koordinatentransformation steht:
woraus sich stattdessen
ergibt. Angewendet auf das Hebelgesetz ergibt sich folgendes Drehmoment:
was prinzipiell dasselbe Problem beschreibt wie beim Trouton-Noble-Paradoxon.
Lösungen
Die detaillierte relativistische Analyse dieser Paradoxien erfordert eine sorgfältige Berücksichtigung der relevanten Kräfte und Impulse. Dafür wurden verschiedenen Ansätze vorgelegt, die allesamt darin übereinstimmen, dass keine Rotation eintritt.[12]
Laue-Strom
Die erste Lösung des Trouton-Noble-Paradoxons wurde durch Hendrik Antoon Lorentz (1904) gegeben. Sie beruht auf der Annahme, dass Impuls und Drehmoment der elektrostatischen Kräfte kompensiert werden durch Impuls und Drehmoment der molekularen Bindungskräfte.[13]
Dies wurde von Max von Laue (1911) fortgeführt, der die Standardlösung für dieses Paradoxon gab. Sie basierte auf der „Trägheit der Energie“, wonach durch elastische Spannungen ein Energiefluss erzeugt wird, der ebenfalls mit einem Impuls ausgestattet ist („Laue-Strom“). Das resultierende (mechanische) Drehmoment im Falle des Trouton-Noble-Experiments ist
und im Falle des Winkelhebels:
was das oben erwähnte elektromagnetische Drehmoment exakt kompensiert, sodass keine Rotation entsteht. Oder mit anderen Worten: Das elektromagnetische Drehmoment ist sogar notwendig um die gleichförmige Bewegung eines gespannten Körpers zu ermöglichen, d. h., um den Körper daran zu hindern, aufgrund des mechanischen Drehmoments zu rotieren.[14][11][15][16]
Seitdem wurden eine Reihe von Arbeiten veröffentlicht, die Laues Lösung weiterentwickelten bzw. modifizierten, und für verschiedene Probleme „versteckte“ Impulse („hidden momentum“) einführten.[17]
Reformulierungen von Kraft und Impuls
Andere Autoren waren unzufrieden mit der Idee von bezugssystemabhängigen Drehmomenten. Wenn im Ruhesystem des Objekts kein Drehmoment auftritt, sollte dies auch in allen anderen Inertialsystemen nicht der Fall sein. Deshalb wurde versucht, die Standardausdrücke für Impuls und Kraft mit solchen zu ersetzen, die von vornherein manifest Lorentzkovariant waren.[18] Diese Methode ist analog zur Lösung des 4/3-Problem der elektromagnetischen Masse von Elektronen gemäß Enrico Fermi (1922) und Fritz Rohrlich (1960). Entgegen der Standardmethode, wo Kräfte und Impulse auf die Gleichzeitigkeits-Hyperebenen des jeweiligen Beobachters bezogen werden, sollen in der Fermi-Rohrlich-Definition lediglich Gleichzeitigkeits-Hyperebenen des Ruhesystems des Objekts benutzt werden. Laut Jannsen beruht der Unterschied zwischen Laues Standardlösung und solchen alternativen Formulierungen also nur auf unterschiedlichen Konventionen zur Wahl der Gleichzeitigkeits-Hyperebene.[19]
Analog dazu unterschied Rohrlich (1967) zwischen „scheinbaren“ und „wahren“ Lorentz-Transformationen. Die direkte Anwendung der Lorentz-Transformation, wo die nicht-gleichzeitigen Positionen der Endpunkte einer Strecke in einem bewegten System ermittelt wird, wäre eine „wahre“ Transformation. Die Lorentzkontraktion wäre hingegen das Resultat einer scheinbaren Transformation, da neben der Lorentz-Transformation noch zusätzlich die gleichzeitigen Positionen der Endpunkte berechnet werden müssen. Zusätzliche sprachen Cavalleri/Salgarelli (1969) von „synchroner“ versus „asynchroner“ Formulierung von statischem Gleichgewicht. Ihrer Meinung nach sollten Kräfte und Impulse nur im Ruhesystem des Objekts synchron betrachtet werden, im bewegten System jedoch asynchron.[20]
Kraft und Beschleunigung
Eine einfache Lösung, die ohne Kompensationskräfte und ohne Neudefinitionen auskam, wurde von Richard C. Tolman[21] und Paul Sophus Epstein (1911) gegeben.[22][23] Eine ähnliche Lösung wurde von Franklin (2006) wiederentdeckt.[24] Sie verwiesen auf die Tatsache, dass Kraft und Beschleunigung in der Relativitätstheorie nicht notwendigerweise in dieselbe Richtung weisen, d. h. der Zusammenhang von Masse, Kraft und Beschleunigung hat Tensorcharakter. Die von der Kraft gespielte Rolle in der Relativitätstheorie ist also sehr unterschiedlich zur klassischen Mechanik.
Ein Beispiel: Es sei ein masseloser Stab mit Endpunkten OM gegeben. Dieser ist am Punkt O befestigt, wobei ein Körper mit der Masse m bei M befestigt ist. Der gesamte Stab schließt den Winkel mit O ein. Nun wirkt bei M eine Kraft in Richtung OM, wobei Gleichgewicht im Ruhesystem dann herrscht, wenn . Wie bereits oben erwähnt, ist die Form dieser Kräfte in einem relativ dazu bewegten System:
Also .
Die resultierende Kraft zeigt also nicht direkt von O zu M. Wie Epstein zeigte, führt dies jedoch nicht zu einer Rotation, denn nun betrachtete er die von den Kräften verursachten Beschleunigungen. Die relativistischen Ausdrücke für den Zusammenhang von Masse, Beschleunigung und Kraft sind in longitudinaler und transversaler Richtung:
- , wo .
Also .
Folglich tritt auch in diesem System keine Rotation auf. Ähnliche Überlegungen gelten auch für das Trouton-Noble- und das Winkelhebelparadoxon. Die Paradoxien sind damit also aufgelöst, weil die beiden Beschleunigungen (als Vektoren) zum Schwerpunkt des Systems (Kondensator bei Trouton-Noble) zeigen, obwohl die Kräfte dies nicht tun.
Epstein fügte hinzu, dass, wenn man es befriedigender findet, auch in der Relativitätstheorie die Proportionalität zwischen Kraft und Beschleunigung wiederherzustellen (wie in der gewohnten Newtonschen Mechanik), Kompensationskräfte eingeführt werden müssen, welche formal mit Laues Strom übereinstimmen. Epstein entwickelte einen solchen Formalismus in den weiteren Abschnitten seiner Arbeit von 1911.
Literatur
Übersicht
- Michel Janssen: A Comparison between Lorentz’s Ether Theory and Special Relativity in the Light of the Experiments of Trouton and Noble (Thesis) 1995.: Title/TOC (PDF; 74 kB), Intro (Memento vom 16. Juli 2012 im Internet Archive) (PDF; 71 kB), Intro (Part I) (Memento vom 16. Juli 2012 im Internet Archive) (PDF; 63 kB), Chapter 1 (PDF; 271 kB), Chapter 2 (PDF; 462 kB), (Intro Part 2) (Memento vom 16. Juli 2012 im Internet Archive) (PDF; 90 kB), Chapter 3 (PDF; 664 kB), Chapter 4 (PDF; 132 kB), References (PDF; 111 kB)
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Textbücher
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Weblinks
- Kevin Brown: Trouton-Noble and The Right-Angle Lever auf MathPages.
- Michel Janssen: The Trouton Experiment and E = mc². (PDF; 585 kB) Einstein for Everyone, Kurs der University of Minnesota, 2002.
Einzelnachweise
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- R. Tomaschek: Über Versuche zur Auffindung elektrodynamischer Wirkungen der Erdbewegung in großen Höhen I. In: Annalen der Physik. 78, 1925, S. 743–756.
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- Carl T. Chase: A Repetition of the Trouton-Noble Ether Drift Experiment. In: Physical Review. 28, Nr. 2, 1926, S. 378-383. doi:10.1103/PhysRev.28.378.
- Carl T. Chase: The Trouton–Noble Ether Drift Experiment. In: Physical Review. 30, Nr. 4, 1927, S. 516–519. doi:10.1103/PhysRev.30.516.
- R. Tomaschek: Bemerkung zu meinen Versuchen zur Auffindung elektrodynamischer Wirkungen in großen Höhen. In: Annalen der Physik. 84, 1927, S. 161–162.
- H. C. Hayden: High sensitivity Trouton–Noble experiment. In: Rev. Scientific Instruments. 65, Nr. 4, 1994, S. 788–792. doi:10.1063/1.1144955.
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- Max von Laue: Zur Dynamik der Relativitätstheorie. In: Annalen der Physik. 340, Nr. 8, 1911, S. 524-542. doi:10.1002/andp.19113400808.
- Max von Laue: Bemerkungen zum Hebelgesetz in der Relativitätstheorie. In: Physikalische Zeitschrift. 12, 1911, S. 1008-1010.
- Max von Laue: Zur Theorie des Versuches von Trouton und Noble. In: Annalen der Physik. 343, Nr. 7, 1912, S. 370-384. doi:10.1002/andp.19123430705.
- Siehe „Literatur“, besonders Nickerson/McAdory (1975), Singal (1993), Teukolsky (1996), Jefimenko (1999), Jackson (2004).
- Siehe „Literatur“, besonders Butler (1968), Aranoff (1969, 1972), Grøn (1975), Janssen (1995, 2008), Ivezić (2006).
- Janssen (2008), siehe „Literatur“
- Rohrlich (1967), Cavalleri/Salgarelli (1969)
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- P. S. Epstein: Über relativistische Statik. In: Annalen der Physik. 341, Nr. 14, 1911, S. 779-795. bibcode:1911AnP...341..779E. doi:10.1002/andp.19113411404.
- P. S. Epstein: Conference on the Michelson-Morley experiment. In: Contributions from the Mount Wilson Observatory. 373, 1927, S. 45-49. bibcode:1928CMWCI.373...43E.
- Franklin (2006, 2008), siehe „Literatur“.