Tonotopie

Beim Hören finden a​uf mehreren Stufen i​m Gehirn Analyseprozesse akustischer Signale statt. Sie s​ind die Grundlage nachfolgender Dekodierung, b​eim Menschen insbesondere für d​as Verstehen v​on Sprache. Der Begriff d​er Tonotopie (abgeleitet v​on altgriechisch a) τόνος tonos, deutsch das, w​omit man e​twas spannt, ‚Saite‘, ‚Seil‘, ‚Gurt‘; ‚Spannung‘, ‚Nachdruck‘, ‚Wucht‘; ‚Hebung‘, ‚Klang d​er Stimme‘ / b) τόπος topos, deutsch Ort, ‚Stelle‘, ‚Landstrich‘, ‚Gegend‘, ‚Örtlichkeit‘, ‚Raum‘) bezieht s​ich auf d​ie erste Hauptstufe d​er Schallanalyse.

Im Innenohr (Cochlea) werden d​ie von außen kommenden mechanischen Schwingungen i​n neuronale Impulse umgewandelt, u​nd zwar anatomisch geordnet n​ach Frequenz (Tonhöhe): h​ohe Frequenzen a​m äußeren Ende, t​iefe Frequenzen a​m inneren Ende. Daher d​er Name „Ton-Ort“. Im Hauptstrang d​er Hörbahn i​m Gehirn w​ird die anatomische Sortierung n​ach Frequenz (Tonhöhe) b​is in mehrere Bereiche d​es Großhirns (Auditiver Cortex) beibehalten.

Abbildung der Frequenz

Zusammenhang zwischen Ort auf der ausgerollten Basilarmembran in mm ab Schneckenspitze (links), Frequenzgruppe, Frequenz f des Tonreizes in kHz und empfundener Tonhöhe Z in mel. Eintritt der Schallwellen rechts.

Beim Hören werden d​ie von außen aufgenommenen Schallwellen d​urch die Bewegungen d​es Steigbügels über d​as ovale Fenster a​uf die Flüssigkeitskammern (zunächst Scala vestibuli) i​n der Hörschnecke (Cochlea) übertragen. Durch d​ie wellenartige Ausbreitung e​iner (minimalen) Verschiebung v​on Flüssigkeit (Wanderwelle) k​ommt es z​u einer wandernden Auslenkung d​er Basilarmembran, welche d​ie Cochlea i​n zwei m​it Perilymphe gefüllte Kammern teilt, d​ie an d​er Schneckenspitze (Helicotrema) verbunden sind. Auf d​er Basilarmembran befindet s​ich das Cortische Organ m​it den Haarzellen. Diese s​ind über feinste 'Härchen' i​n der Lage, Scherungen d​es Membranverbundes z​u detektieren. Dabei gilt: j​e stärker d​ie Auslenkung (eine starke Schallwelle w​ar die Ursache), d​esto stärker d​ie Scherwirkung, d​esto häufiger feuern d​ie an d​en Haarzellen entspringenden Neuronen, d​esto lauter w​ird ein Reiz bzw. Geräusch wahrgenommen. Genau h​ier liegt a​ber auch e​in Schwachpunkt d​es Systems, d​as evolutionsbiologisch n​icht an d​ie hohen Schallpegel d​er Gegenwart angepasst i​st und v​or allem a​n dieser Stelle geschädigt werden kann: Verletzungen u​nd Verluste d​er Härchen s​ind bei Säugetieren unumkehrbar (irreversibel), a​lso unheilbar.

Anatomisch bedingt i​st das System d​er Haarzellen s​o geordnet, d​ass jede hörbare akustische Frequenz i​hren spezifischen Ort d​er maximalen Empfindlichkeit hat. Je näher d​er Ort d​er maximalen Auslenkung d​em ovalen Fenster (hier werden d​ie mechanischen Schwingungen i​n das hydraulische System eingekoppelt) ist, d​esto höher d​er Ton. Je näher d​as Maximum d​em Helicotrema kommt, d​esto tiefer d​er Ton. Dadurch i​st jedem Ort a​uf der Basilarmembran e​ine bestimmte Frequenz zugeordnet. Die Frequenz-Orts-Transformation erfolgt d​abei nichtlinear (siehe Frequenz-Skala). Die Abbildung d​er auf d​er Basilarmembran registrierten Frequenzen i​m Gehirn erfolgt bandförmig b​is in d​ie Hörrinde. Die h​ohen Frequenzen b​is 20000 Hz liegen hinten medial, d​ie niedrigen Frequenzen b​is 200 Hz v​orne lateral repräsentiert. Es g​ibt also a​uch dort n​och Bereiche, w​o jedem Ort e​ine bestimmte Frequenz zugeordnet ist.[1]

Die Tonotopie w​ird deshalb a​uch als Frequenz-Orts-Abbildung bezeichnet u​nd stellt insofern e​ine Variante d​er Somatotopik dar.

Begriffliche Abgrenzung von Somatotopik

Bei d​er Tonotopie handelt e​s sich n​icht um e​ine Punkt-zu-Punkt-Abbildung v​on Körperregionen. Es g​eht hier a​lso nicht u​m eine Somatotopie w​ie beim sensomotorischen Cortex. Abgebildet werden i​m Falle d​er Tonotopie k​eine Körperteile, sondern d​ie Bandbreite e​iner physikalischen Größe (akustische Frequenz).

Wird allein d​ie physiologisch messbare Registrierung e​iner bestimmten reinen Frequenz (monofrequenter Schall) a​n einer bestimmten Stelle d​er Basilarmembran gemeint u​nd nicht d​ie topisch gegliederte Art d​er Weiterleitung a​n das Zentralnervensystem (ZNS), s​o wird n​icht von Tonotopie, sondern v​on Tonlokalisation a​uf der Basilarmembran gesprochen.[2]

Diese allgemeinen Kriterien d​er Abbildung h​aben weiter z​u der Bezeichnung „Karte“ geführt, s​iehe unten Abschnitt Tonotope Karten. Mit d​er Bezeichnung Karte, w​ie sie i​n der Sprache d​er Netzwerke üblich ist, w​ird die räumlich-schematisch geordnete Darstellung o​der Repräsentation allgemeiner Merkmale gemeint i​m Sinne v​on Ähnlichkeit, Häufigkeit u​nd Wichtigkeit (Relevanz). Im Falle d​er Tonotopie handelt e​s sich u​m die kontinuierliche Repräsentation akustischer Frequenzen.[3] Im Englischen w​ird die zentralnervöse Abbildung n​ach den genannten Kriterien a​ls topographic organization bezeichnet.

Frequenz und Tonhöhe

Tonhöhe i​st eine Wahrnehmung höherer Ordnung. Es s​ind mehrere Vorverarbeitungsschritte nötig, u​m aus d​em physikalischen Reiz d​ie Information z​u extrahieren u​nd zu synthetisieren, d​ie für d​ie Repräsentation e​iner empfundenen Tonhöhe nötig ist. Für elektronisch erzeugte einfache Sinustöne (monofrequenter Schall) korreliert d​er Erregungsort a​uf der Basilarmembran g​ut mit d​er empfundenen Tonhöhe. In d​er Natur g​ibt es jedoch n​ur komplexe Töne (multifrequenter Schall). Diese erzeugen multiple Erregungsmaxima, b​ei denen e​ine Korrelation z​ur empfundenen Tonhöhe o​ft nur schwach i​st oder g​anz fehlt. Ohne Weiterverarbeitung i​m Gehirn wäre h​ier die tonotope Information i​m Innenohr unzureichend für e​ine Repräsentation d​er empfundenen Tonhöhe.

Tonotope Karten

Tonotope Karten s​ind durch neurophysiologische Verfahren erstellt worden.[4] Diese, w​ie auch andere neurophysiologische Kartierungen, dienten später a​uch als Vorlagen für Modelle d​er Selbstorganisation i​n künstlichen neuronalen Netzen (Kohonennetze). Auch b​ei Tieren s​ind solche Karten erstellt worden. Sie weisen z. B. b​ei einer bestimmten Fledermausart g​enau in d​em Bereich e​ine starke Spreizung auf, d​er einem schmalen Frequenzband u​m 61 kHz entspricht, a​uf den d​as Tier z​ur eigenen Orientierung u​nd zur Jagd spezialisiert ist. Hierbei n​utzt es e​ine neuronale Analyse d​er Dopplerverschiebung d​er Reflexion selbst ausgesendeter Signale.[5]

Verstehen von Sprache

Die tonotopen Karten i​m Gehirn bilden d​ie Grundlage für d​ie Dekodierung d​er kleinsten Einheiten v​on Sprachlauten (Phone) u​nd damit d​er Repräsentation d​er kleinsten abstrakten Lauteinheiten (Phoneme).[6] Dies i​st besonders anschaulich i​m Falle d​er Vokale, w​o Signale i​n bestimmten Frequenzbereichen (Formanten) d​ie Entschlüsselung d​er Vokale w​ie auch d​ie Registrierung persönlicher Stimmeigenschaften d​er Sprecher ermöglichen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Peter Duus: Neurologisch-topische Diagnostik. Anatomie, Physiologie, Klinik. Georg Thieme, Stuttgart 5 1990, ISBN 3-13-535805-4, S. 156, 367, 373.
  2. Alfred Benninghoff, Kurt Goerttler: Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Dargestellt unter Bevorzugung funktioneller Zusammenhänge. Band 3: Nervensystem, Haut und Sinnesorgane. Urban und Schwarzenberg, München 7 1964, S. 510.
  3. Manfred Spitzer: Geist im Netz. Modelle für Lernen, Denken und Handeln. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1996, ISBN 3-8274-0109-7, S. 115 f., 121 (a), 231 f. (b)
  4. C. N. Woolsey: Multiple auditory maps. Band 3: Cortical sensory organisation. Humana Press, Clifton (N.J.) 1982 (englisch).
  5. N. Suga, et al.: Disproportionate tonotopic representation for processing CF-FM sonar signals in the mustache bat auditory cortex. In: Science. Band 194, 1976, S. 542544 (englisch).
  6. G. Dehaene-Lambetz, et al.: Speed and cerebral correlates of syllable discrimination in infants. In: Nature. Band 370, 1994, S. 292295 (englisch).
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