Terraferma
Terra ferma (ital. Festland) oder amtlich Domini di Terraferma ist die Bezeichnung der Gebiete im östlichen Oberitalien, die von der Republik Venedig seit dem 15. Jahrhundert untertänig gemacht worden waren.
Zusammen mit dem Dogado (Bereich der Stadt Venedig und Küstenstreifen von Loreo und Grado bis Chioggia) sowie dem Stato da Mar (Mittelmeerbesitzungen der Republik) bildete die Terraferma (auch Stato da Terra genannt) die Gesamtheit des Staates Venedig.
Die venezianische Terraferma-Politik wird gewöhnlich mit der Eroberung von Mestre 1337 und von Treviso und Bassano del Grappa 1339 angesetzt, speziell aber mit der Regierungszeit des Dogen Michele Steno etwa ab 1400 und seiner Nachfolger verbunden. Sie diente dazu, die Fernhandelsinteressen und die Ernährung zu sichern, war aber insbesondere unter den Dogen Tommaso Mocenigo und Francesco Foscari umstritten, die sie aber beide sehr forciert fortsetzten. „Beide hatten recht, Foscari und Mocenigo: die Serenissima wäre gestorben, wenn ihr Handel im Mittelmeer von besser gerüsteten Konkurrenten geschlagen und abgewertet worden wäre, aber sie konnte auch nicht zulassen, daß das Hinterland großen Abenteurern wie den Scaligern, den Carraresi und den Visconti, den Herzögen von Mailand, preisgegeben würde.“[1]
1433 konnte Venedig in einem Vertrag mit Kaiser Sigismund von Luxemburg die Terraferma und Dalmatien als seinen Besitz fixieren. 1437 wurde die Eroberung der Terraferma durch den Kaiser anerkannt: Am 16. August 1437 empfing Marco Dandolo für Venedig in Prag die Terraferma als Reichslehen. Dabei wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieses Reichslehen nicht den Dogado betrifft, denn dieser gehörte nicht zum Reich des westlichen Kaisers. Der spätere Kaiser Karl V. verzichtete am 29. Juli 1523 ausdrücklich auf alle Rechte eines Lehnsherren über die Terraferma. Zum Zeitpunkt ihrer größten Ausdehnung umfasste die Terraferma das Veneto, das Friaul und Teile der Lombardei vom Po bis zur Etsch, dem südlichen Alpenrand und die Julischen Alpen.
Es waren zumeist die einheimischen Fürsten, die die Venezianer nicht als Herren akzeptieren wollten, ganz im Gegensatz zu deren Untertanen. Venedig ließ aber die vorhandenen Strukturen in der Terraferma bestehen, schickte meist nur einige Oberaufseher, Richter und Revisoren und forderte natürlich Steuern ein. Der einheimische Adel in der Terraferma wurde durch Provveditori sopra feudi (Aufseher über die Feudalherren bzw. Feudalherrschaften) überwacht.
Berichte, wonach die energisch betriebene Erweiterung der Terraferma durch den Dogen Francesco Foscari auf Kosten der Stärke und Schlagkraft der Flotte einhergegangen sei und so der allmähliche Verfall der venezianischen Vorherrschaft im östlichen Mittelmeer eingesetzt habe, sind umstritten. Seit der Renaissance investierten venezianische Nobili zunehmend in die Landwirtschaft der Terraferma, ließen sich dort prächtige Landsitze errichten und verbrachten dort die Sommerzeit. Das wird gemeinhin als ein Ausdruck der Dekadenz und des wirtschaftlichen Niedergangs Venedigs gewertet.
Die fruchtbare Terraferma weckte immer wieder Begehrlichkeiten Frankreichs und der Habsburger. Namentlich von Seiten der Habsburgermonarchie gab es immer wieder Pläne, sich die Terraferma anzueignen oder zwischen sich und Frankreich aufzuteilen.[2] Schließlich sicherte Napoleon Bonaparte im streng geheimen Zusatzartikel zum Vorfrieden von Leoben am 18. April 1797 zu, Frankreich werde venezianische Territorien „rechtlich einwandfrei“ an Österreich abtreten. Zu dieser „Länderspende“[3] erhielt Österreich schließlich noch 1798 Venedig selbst.
Einzelnachweise
- Alvise Zorzi: Canal Grande. Biographie einer Wasserstraße, Hildesheim 1993, S. 365.
- Kretschmayr, Bd. 3 S. 510, s. a. 514, 522, 527–529, 634.
- Kretschmayr, Bd. 3, S. 534.
Literatur
- Ingrid Baumgärtner: Rechtsnorm und Rechtsanwendung in der venezianischen Terraferma des 15. Jahrhunderts: In: Dies. (Hrsg.): Consilia im späten Mittelalter: zum historischen Aussagewert einer Quellengattung. Sigmaringen 1995
- Daniele Beltrami: La penetrazione economica dei veneziani in Terraferma: Forze di lavoro e proprietà fondiaria nelle campagne venete dei secoli XVII e XVIII. Venezia 1961
- Heinrich Kretschmayr: Geschichte von Venedig. 3 Bde. Gotha 1905, 1920, 1934. Darmstadt 1964, 2. Neudruck der Ausgabe Gotha 1920, Aalen 1986, Reprint des 1. und 2. Bandes o. O., o. J. (2010)
- Marin Sanudo il Giovane: Iternario per la terraferma veneta (1483); Ders.: Commentari della guerra di Ferrara (1484); Ders.: De origine, situ et magistratus urbis Venetae, ovvero La Città di Venetia (1493–1530, krit. Ausgabe v. Angela Caracciolo Aricò. Milano 1980); Ders.: Vite dei Dogi (1494; neu hrsg. v. Angela Caracciolo Aricò. Padova 1989, Padova/Roma 2003); Ders.: Storia veneziana (1521) sowie dessen Tagebücher, gedruckt ab 1879 in 59 Bänden: Marino Sanudo: Diarii hg. v. R. Fulin, F. Stafani, N. Barozzi, G. Berchet, M. Allegri. Venezia 1879–1911
- Gerhard Schober: Republik Venedig – Die Terraferma und ihre Verwaltung. Seminararbeit 2007
- Gian Maria Varanini: Die Statuten der Städte der venezianischen Terraferma im 15. Jahrhundert, in: Giorgio Chittolini, Dietmar Willoweit (Hrsg.): Statuten, Städte und Territorien zwischen Mittelalter und Neuzeit in Italien und Deutschland, Berlin 1992; Ders.: Proprietà fondaria e agricultura. In: Storia di Venezia dalle origini alla cadut della Serenissima. Bd. 5: Alberto Tenenti, Ugo Tucci (Hg.): Il Rinascimento. Società ed economia. Rom 1996.