Sybille Bedford
Sybille Bedford OBE (* 16. März 1911 in Charlottenburg; † 17. Februar 2006 in London), geborene Sybille Aleid Elsa von Schoenebeck, war eine deutsch-britische Journalistin und Schriftstellerin.
Leben
Sybille Bedford wuchs in Deutschland, England, Italien und Frankreich auf. Ihr Vater war der Oberstleutnant a. D. und Kunstsammler Maximilian von Schoenebeck (1853–1925). Bei ihm auf Schloss Feldkirch lebte Sybille nach der Trennung der Eltern 1918 in ziemlicher Armut inmitten der Kunstsammlung ihres Vaters. Ihr Onkel August von Schoenebeck war 1907 in der Allenstein-Affäre ermordet worden; Bedford verarbeitete sein Schicksal in ihrem Roman A legacy (1956).
1921 zog sie auf Verlangen ihrer Mutter Elisabeth Bernhardt (1883–1937), einer Tochter reicher jüdischer Hamburger Kaufleute, an die Côte d’Azur nach Sanary-sur-Mer, einem damals kleinen Fischerort. Die Mutter heiratete in zweiter Ehe einen wesentlich jüngeren italienischen Architekturstudenten, Norberto Marchesani. 1925 starb ihr Vater und seine Kunstsammlung wurde 1927 in Freiburg versteigert.[1]
Die Familie wurde in Sanary häufig von der Tochter aus der ersten Ehe des Vaters besucht: Maximiliane von Dincklage hielt sich mit ihrem Mann Hans Günther von Dincklage zwischen 1928 und 1939 dort auf, um für den NS-Sicherheitsdienst der NSDAP Informationen auszuspionieren – zum einen von französischen Marineoffizieren über Toulon sowie den Hafen Bizerta im französischen Protektorat Tunesien und zum anderen um die dort versammelte Exilantengemeinde über möglichen intellektuellen Widerstand auszuhorchen. Bedfords Mutter Elisabeth (Lisa) und ihr Ehemann Marchesani sollen daran nicht unbeteiligt gewesen sein. Dieses Kapitel verschweigt Bedford in ihren Erinnerungen.[2]
In Sanary schloss Bedford zahlreiche Freundschaften. Lebenslang bestehen blieben die Verbindungen mit der Malerin Eva Herrmann sowie mit Aldous Huxley und seiner zweiten Frau Maria, eine Erfahrung, die sie vierzig Jahre später mit einer gefeierten zweibändigen Biographie Huxleys krönte und in Ein Liebling der Götter literarisch verarbeitete. Sie war auch mit Klaus und Erika Mann befreundet. „Von 1933 an war Sybille von Schoenebeck persönlich durch Deutschland bedroht: ihrer jüdischen Vorfahren und ihrer praktizierten lesbischen Sexualität wegen – insgeheim hielt ich mich selbst wegen meiner Herkunft für nicht vertretbar. So tauchte sie in den Jahren der Katastrophe so tief wie möglich in die angelsächsische Kultur und Sprache ein. Sie wurde englisch, weil sie ein deutsches Schicksal hatte.“[3]
1935 arrangierte Aldous Huxley ihre Scheinehe mit einem homosexuellen Engländer, Walter („Terry“) Bedford, durch die Bedford die britische Staatsbürgerschaft erlangte und somit in Frankreich nicht interniert wurde. Sie verließ Frankreich noch vor der deutschen Invasion 1940 in Richtung Kalifornien, ebenfalls mit Unterstützung der Huxleys, und verbrachte dort die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Anschließend reiste sie durch Mexiko, eine Zeit, die sie in A Visit to Don Ottavio beschrieben hat.
Sie lebte bis zu ihrem Tode in London. Zuletzt erschien unter dem Titel Quicksands ihre Autobiographie.
Ihre Romane und Reiseerzählungen spiegeln die reichhaltige und abwechslungsreiche Lebensgeschichte ihrer Autorin weitgehend wider, wobei sie biographische Angaben zu ihrer Familie vielfach verschleierte, z. B. in ihrem autobiographischen Roman Jigsaw (deutsch Rückkehr nach Sanary, 2009). Hierin bescheinigt sie ihrer Mutter statt einer deutsch-jüdischen eine englische Herkunft. „Eine Recherche im Staatsarchiv zu Hamburg, wo die Mutter am 24. Oktober 1883 geboren wurde, ergibt, dass sie die Tochter des Kaufmanns Max Bernhardt und seiner Ehefrau Anna, geborener Levy, war. Beide waren ebenfalls in Hamburg geboren … Die Eheleute gehörten der israelitischen Gemeinde in Hamburg an … Sie selbst äußerte sich zu ihrer Abkunft kaum; gelegentlich behauptete sie sogar, sie wisse nicht, wie viel jüdisches Blut in ihren Adern fließe.“[3]
Nur in Quicksands (2005) kann sie das dramatische Ende ihrer Mutter einigermaßen authentisch wiedergeben: „Am Bahnhof von Toulon wird die Kranke auf einer Bahre durch ein Fenster in den Expresszug nach Norden verfrachtet. Die Tochter steht auf dem Bahnsteig – das letzte Bild im Buch.“[3] Die Mutter, früher eine starke und selbstbewusst erscheinende, erfolgsverwöhnte Frau, war nach der Trennung von Marchesani vollends der Morphiumsucht verfallen. Als Suchtkranke erhielt sie in Frankreich keine Gewährung und wurde nach Nazi-Deutschland abgeschoben, wo sie am 4. Februar 1937, dreiundfünfzig Jahre alt, in Berlin starb. „Ich hoffe nicht, befürchte aber: allein“, schreibt die Tochter. Eine nicht belastbare Quelle spricht von Selbstmord.[3]
Darüber hinaus arbeitete Sybille Bedford auch als Gerichtsreporterin für Zeitschriften wie Esquire und Life.
Werke
- Zu Aldous Huxley’s neuem Buch, in: Die Sammlung. Literarische Monatszeitschrift. Unter dem Patronat von André Gide, Aldous Huxley, Heinrich Mann hrsg. von Klaus Mann. 1. Jahrgang 1934, Heft 9, S. 482–488. Amsterdam, Querido 1934. Nachdruck München 1986, ISBN 3-8077-0222-9
- The Sudden View: A Mexican Journey, auch veröffentlicht als A Visit to Don Octavio. A Traveller’s Tale From Mexico, 1953
- A legacy. A Novel, 1956
- The Best We Can Do: The Trial of Dr Adams, 1958
- The Faces of Justice: A Traveller’s report, 1961
- A Favourite of the Gods, 1963
- A Compass Error, 1968
- Aldous Huxley. A Biography, 1973
- Jigsaw. An Unsentimental Education, 1989
- As It Was: Pleasures, Landscapes and Justice, 1990 (Neuveröffentlichung als Pleasures and Landscapes: A Traveller's Tales from Europe)
- Quicksands. A Memoir, 2005
Werke in deutscher Übersetzung
- Der Fall John Bodkin Adams. Ein Bericht, 1960
- Fünf Gesichter der Gerechtigkeit. Justiz in England, Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, 1964
- Das Legat, 1964 und 1988
- Zu Besuch bei Don Otavio. Eine mexikanische Reise, 1967
- Kursabweichung, 1969[4]
- Ein Liebling der Götter, 1965 und 1968
- Zeitschatten. Ein biographischer Roman, 1992 ISBN 3-8052-0503-1
- Ein Vermächtnis, 2003 ISBN 3-8218-4519-8, Reihe Die Andere Bibliothek (Neuübersetzung von Das Legat, 1993 als Das Vermächtnis)
- Ein Liebling der Götter, 2005 ISBN 3-86555-021-5 (Neuübersetzung)
- Treibsand. Erinnerungen einer Europäerin, 2006 ISBN 3-86555-030-4
- Ein trügerischer Sommer, 2006 ISBN 3-86555-028-2 (Neuübersetzung von Kursabweichung)
- Ein Bad in Wasser und Champagner. Johanna Wais über die Übersetzung Sigrid Ruschmeiers, in ReLÜ, Rezensionen online, 4, 2006
- Zu Besuch bei Don Otavio. Eine mexikanische Reise, 2007 ISBN 978-3-86555-038-5 (Neuübersetzung)
- Am liebsten nach Süden. Unterwegs in Europa, 2008 ISBN 978-3-86555-050-7
- La vie de château. Eine Weinprobe in Bordeaux, 2008 ISBN 978-3-86555-056-9 (Kapitel aus Am liebsten nach Süden)
- Rückkehr nach Sanary. Roman einer Jugend, 2009 ISBN 978-3-86555-062-0 (Neuübersetzung von Zeitschatten)
- Jagd auf einen Lebemann. Der Prozess Dr. Ward. Eine Gerichtsreportage, 2011 ISBN 978-3-8296-0543-4 (aus dem Nachlass)
Auszeichnungen
- 1964 Fellow of the Royal Society of Literature (FSRL)
- 1981 Officer (OBE) des Order of the British Empire
- 1989 Nominierung für den Booker Prize für Literatur (Jigsaw / Das Vermächtnis)
- 1994 Companion of Literature der Royal Society of Literature
Bibliographie
- Martin Mauthner: German Writers in French Exile, 1933–1940. Vallentine Mitchell, London 2007, ISBN 978-0-85303-540-4
- Selina Hastings: Sybille Bedford: an appetite for life. Chatto & Windus, London und New York 2020, ISBN 978-1-101-94791-3
Weblinks
- Literatur von und über Sybille Bedford im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Edelgard Abenstein über Ein Liebling der Götter: Umgekehrte Romantikerin, auf Deutschlandradio Kultur, 13. Dezember 2005
- Interview von Thomas Kielinger: Zeugin versunkener Welten in Die Welt, 22. November 2005
- Rezensionen in der FAZ:
- zu Ein Vermächtnis, 9. August 2003
- zu Ein Liebling der Götter, 6. November 2005
- zu Ein trügerischer Sommer, 8. Juli 2006
- zu Treibsand, 4. Oktober 2006, von Felicitas von Lovenberg
- zu Zu Besuch bei Don Otavio, 30. November 2007 von Ingeborg Harms
- zu Die Baroness von Feldkirch, Biografische Korrekturen, in Beilage Bilder und Zeiten Z3, 5. Juni 2010 von Peter Brugger
- Nachruf in The Independent: Sybille Bedford – Author of ‘The Legacy’ whose novels examined the relationship between freedom and fate, 20. Februar 2006
- Nachruf in der Times: Sybille Bedford – Cosmopolitan writer who drew upon her own experiences to chronicle the lives of loosely fictionalised prewar aristocracy, 21. Februar 2006
- Feldkirch in literarischen Zeugnissen
Einzelnachweise
- Sammlung des verstorbenen Baron Maximilian von Schoenebeck. Auktion in Freiburg im Breisgau am 18., 19. und 20. Oktober 1927. Altkunst G.m.b.H. Freiburg, Poppen & Ortmann, 1927
- Flügge, Manfred: Muse des Exils: Das Leben der Malerin Eva Herrmann, Berlin, Insel 2012, S. 135ff., ISBN 978-3-458-17550-6
- Peter Brugger: Die Baroness von Feldkirch, in: Beilage Bilder und Zeiten, 5. Juni 2010
- siehe Neuübersetzung 2006 mit anderem Titel.