Stiftung Liebenau
Die Stiftung Liebenau mit Sitz im Meckenbeurer Ortsteil Liebenau ist ein aus christlicher Motivation heraus entstandenes, unabhängiges Sozial-, Gesundheits- und Bildungsunternehmen, das 1870 seine Arbeit aufnahm. Sie ist in Deutschland, Österreich, Italien, der Schweiz, Bulgarien und der Slowakei tätig. Insgesamt arbeiten 7671 Mitarbeiter in den Einrichtungen des Verbunds der Stiftung Liebenau, die jährlich mehrere tausend Menschen unterstützen, versorgen oder behandeln. Sie arbeitet eng mit der Stiftung Hospital zum Heiligen Geist und der Stiftung Helios Leben im Alter zusammen.
Stiftung Liebenau | |
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Rechtsform | Kirchliche Stiftung des privaten Rechts auf katholisch-kirchlicher Grundlage |
Gründung | 1870 |
Sitz | Meckenbeuren-Liebenau |
Leitung | Berthold Broll (seit 2002) Markus Nachbaur (seit 2005) Prälat Michael H. F. Brock (seit 2011) |
Mitarbeiterzahl | 7671 (Stand: Jahresbericht 2019) |
Branche | Sozial-, Gesundheits- und Bildungsunternehmen |
Website | stiftung-liebenau.de |
Aufgabe
Laut § 1 ihrer Satzung ist die Stiftung Liebenau eine „kirchliche Stiftung des privaten Rechts auf katholisch-kirchlicher Grundlage“. Entsprechend ihrem Stiftungszweck bietet sie vielfältige Einrichtungen, Dienste und gemeinwesenorientierte Angebote in der Altenhilfe und der Hilfe für Menschen mit Behinderung (Behindertenhilfe), im Gesundheitswesen, im Bildungsbereich und in der Kinder- und Jugendhilfe.
Geschichte
Die Initiative zur Gründung der Stiftung Liebenau geht auf den Tettnanger Kaplan Adolf Aich zurück, der 1870 das Schloss Liebenau kaufte und zusammen mit 13 Tettnanger Bürgern, unter denen sich auch der angesehene Kaufmann Caspar Bueble befand, eine „Pfleg- und Bewahranstalt“ gründete. Sie sollte eine „Zufluchtsstätte“ für Menschen mit unheilbaren Krankheiten und Behinderungen werden. In den Anfangsjahren arbeitete der Kaplan dort mit sechs barmherzigen Schwestern (heute: Franziskanerinnen von Reute, die bis 1975 in Liebenau wirkten). 1895 wurde die Anstalt um ein neu erbautes Haus, das St. Josefs-Haus, erweitert. Somit konnten Ende des 19. Jahrhunderts bereits über 400 Menschen betreut werden. Die Inflation nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zwang die Anstalt fast dazu, zu schließen. Im Jahr 1925 entstand der zweite große Wohnbereich für Menschen mit geistiger Behinderung in Rosenharz bei Bodnegg. Zwei Jahre später wurde ein weiteres Haus im nahegelegenen Hegenberg gekauft.
Zeit des Nationalsozialismus
Ab Juli 1940 wurden 501 Bewohner der Anstalt im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms in der Tötungsanstalt Grafeneck und der Tötungsanstalt Hadamar ermordet. Der Anstaltsleitung gelang es, einige Personen zu retten, indem sie als landwirtschaftliche und hauswirtschaftliche Hilfskräfte eingestellt wurden. Wenige Bewohner konnten zu ihrer Familie entlassen werden. Lebten vor der Aktion T4 noch über 1000 Menschen in der Stiftung Liebenau, waren es danach nur noch etwas mehr als 500.
Einige Gebäude der Anstalt wurden danach als Lazarett der Wehrmacht genutzt. Ende 1940[1] wurden leergeräumte Gebäude der Stiftung Liebenau umzäunt und als Internierungslager für weibliche Zivilgefangene und Kinder genutzt. Es handelte sich dabei um Ausländerinnen aus „Feindländern“ oder Personen aus besetzten Ländern, die eine doppelte Staatsangehörigkeit besaßen: Sie alle waren für einen Zivilgefangenenaustausch vorgesehen. Darunter waren auch Frauen mit jüdischer Abstammung, so genannte Austauschjuden. Liebenau blieb auch nach der Gründung des Aufenthaltslagers Bergen-Belsen Internierungslager für weibliche Austauschhäftlinge, wenn deren ausländische Staatsangehörigkeit außer Zweifel stand.[2] Bezeugt sind Austauschaktionen mit Personen aus Liebenau mindestens für 1942 bis 1945[3]
Vorbereitet wurden die Austauschaktionen von der Rechtsabteilung und der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, dem Reichssicherheitshauptamt Referat II B 4 (später IV F 4) Ausländerpolizei und Grenzsicherung und dem Eichmannreferat.[4] Die Wachmannschaft bestand aus einer Handvoll Männer, die einem Regierungsinspektor aus dem württembergischen Innenministerium unterstanden. Die Versorgung war vergleichsweise gut, da die meisten Inhaftierten regelmäßig Pakete des Internationalen Roten Kreuzes erhielten.[5]
Nachkriegszeit
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die karitative Stiftungsarbeit wieder in vollem Umfang weitergeführt. 1952 wurde die Don-Bosco-Schule (Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum) erbaut und Ende der 1960er Jahre entstanden die Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Die Einrichtung wurde 1970 von „Heil- und Pflegeanstalt Liebenau“ in Stiftung Liebenau umbenannt. 1971 wurde das Institut für sozialpädagogische Berufe in Ravensburg gegründet und ein Jahr später ein Kinder- und Jugenddorf in Hegenberg eröffnet. Zwei Jahre später wurde die Krankenabteilung im Liebenauer Schloss zum Fachkrankenhaus. Daraus entstand die heutige St.-Lukas-Klinik. 1980 eröffnete in Ravensburg das Berufsbildungswerk Adolf Aich, eine Einrichtung zur beruflichen und sozialen Rehabilitation von Jugendlichen mit Lernbehinderungen und eigener Sonderberufsschule.
Seit 1990 ist die Stiftung Liebenau auch in der Altenhilfe tätig. Um für Menschen mit und ohne Behinderung Arbeitsplätze zu schaffen und dauerhaft zu sichern, gründete die Stiftung Liebenau in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten mehrere gewerbliche Tochtergesellschaften und Stiftungsbetriebe. Diese bieten unterschiedlichste Dienstleistungen und Produkte an: u. a. Catering, Textil- und Gebäudeservice, Garten- und Landschaftsbau, Forst- und Landwirtschaft.
Seit dem Ende der 1990er Jahre engagiert sich die Stiftung Liebenau auch außerhalb Deutschlands und ist aktuell in sechs mittel- und südeuropäischen Ländern mit ihren Angeboten aktiv. Die Jahre seit der Jahrtausendwende sind geprägt von einem starken Wachstum in den meisten Tätigkeitsfeldern sowie der nationalen und europäischen Expansion. Bspw. wurde das Liebenauer Netzwerk Familie aufgebaut mit mehr als 60 Diensten, Hilfen und Angeboten, die sich an Familien mit Kindern im Vorschul- und Schulalter richten. Neben ihren eigentlichen Tätigkeiten nimmt die Stiftung Liebenau auf nationaler und europäischer Ebene auch ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr. Als Mitglied des Brüsseler Kreises, einem Verein aus 13 gemeinnützigen sozial- und gesundheitswirtschaftlichen Unternehmen, und des Netzwerk: Soziales neu gestalten (SONG) wirkt sie aktiv an der Gestaltung politischer Rahmenbedingungen im Sozialbereich mit und fordert gesellschaftliche Solidarität mit ihren Zielgruppen ein.
Organisation
Für folgende gemeinnützige Tochtergesellschaften (gGmbH) in Deutschland fungiert die Stiftung Liebenau als Holding:
- Liebenau Teilhabe gemeinnützige GmbH (Schwerpunkt: Hilfe für Menschen mit Behinderungen)
- Liebenau Dienste für Menschen gemeinnützige GmbH (Schwerpunkt: Hilfe für Menschen mit Behinderungen)
- Liebenau Kliniken gemeinnützige GmbH (Schwerpunkt: medizinische Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung)
- Liebenau Therapeutische Einrichtungen gemeinnützige GmbH (Schwerpunkt: medizinische Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung)
- Liebenau Lebenswert Alter gemeinnützige GmbH (Schwerpunkt: Altenhilfe, Pflege und Lebensräume)
- Liebenau Leben im Alter gemeinnützige GmbH (Schwerpunkt: Altenhilfe, Pflege und Lebensräume)
- Liebenau Berufsbildungswerk gemeinnützige GmbH (Schwerpunkt: berufliche und soziale Rehabilitation von Jugendlichen mit Lernbehinderungen)
Für folgende ausländische gemeinnützige Tochtergesellschaften fungiert die Stiftung Liebenau als Holding:
- Liebenau Österreich gemeinnützige GmbH (Österreich/Schwerpunkt: Altenhilfe)
- Liebenau Österreich Service gemeinnützige GmbH
- Liebenau Österreich Sozialzentren gemeinnützige GmbH
- Liebenau Schweiz gemeinnützige AG (Schwerpunkt: Altenhilfe)
- Liebenau Italien gemeinnützige GmbH (Schwerpunkt: Altenhilfe)
- Liebenau Bulgaria EOOD
Dienstleister und Stiftungsbetriebe der Stiftung Liebenau:
- Liebenau Service GmbH (Schwerpunkt: Dienstleistungen in den Bereichen Gebäude-, Textilservice, Catering, Organisationsberatung und Training)
- Liebenau Gebäude- und Anlagenservice GmbH (Schwerpunkt: Dienstleistungen und Handwerksleistungen in den Bereichen Elektro, Sanitär und Heizung)
- Liebenau Beratung und Unternehmendienste GmbH (Schwerpunkt: Dienstleister in den Bereichen IT-Services, Rechnungswesen und Personalabrechnung)
- Liebenau Objektservice GmbH (Schwerpunkt: Hauswirtschaftliche Dienstleistungen)
- Forstbetriebe (Schwerpunkt: Dienstleistungen rund um den Wald wie Pflanzung, Waldpflege und Holzernte)
- Liebenauer Landleben (Bereiche: Gärtnerei, Obst- und Weinbau, Landwirtschaft, Garten- und Landschaftsbau, Verkaufsladen und Gastronomie)
Die Stiftung Liebenau ist unter anderem auch an folgenden sozialen Einrichtungen beteiligt:
- Institut für soziale Berufe gGmbH (IfsB) (Schwerpunkt: Aus-, Fort- und Weiterbildung)
- CSW – Christliches Sozialwerk gGmbH im Bistum Dresden-Meißen (Schwerpunkt: Eingliederungs-, Kinder- und Jugendhilfe)
- Franz von Assisi gGmbH (Schwerpunkt: Kinder- und Jugendhilfe)
- Gesellschaft für Entwicklungspsychiatrie und Integration gGmbH (Schwerpunkt: Kinder- und Jugendpsychiatrie)
- Casa Leben im Alter gGmbH (Österreich)
- Bulgarisch-Deutsches Sozialwerk St. Andreas e.V. (Bulgarien)
- Fondazione S. Elisabetta (Italien)
- SMO Reha GmbH (Österreich, Schwerpunkt Rehabilitation)
Tätigkeitsfelder
Die Stiftung Liebenau ist ein Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsunternehmen mit hoher Fachlichkeit, nachhaltiger Wirtschaftlichkeit auf kirchlich-katholischer Grundlage. Sie kooperiert mit Partnern im In- und Ausland und tritt für gesellschaftliche Solidarität mit ihren Zielgruppen ein. Sie arbeitet partnerschaftlich, ermöglicht Teilhabe, stärkt Selbsthilfe und knüpft Hilfenetzwerke.[6]
Pflege und Lebensräume
Die Stiftung Liebenau hat Wohn- und Pflegeangebote für ältere und hochbetagte Menschen. Ziel ist das selbstbestimmte Leben durch ambulante, stationäre und bürgerschaftliche Hilfen.
Teilhabe
Menschen mit Unterstützungsbedarf werden bei individueller Entfaltung, Einbindung in die Gesellschaft und die Arbeit begleitet.
Gesundheit
Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung werden in einem Fachkrankenhaus, einer psychiatrischen Tagesklinik sowie in Ambulanzen medizinisch und therapeutisch versorgt.
Bildung
Die Stiftung betreibt Schulen für Kinder mit Behinderungen, bildet Jugendliche mit Förderbedarf aus und hilft beim Start oder beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt.
Familie
Familien von Kindern mit schwerer Krankheit und Behinderungen werden durch begleitende Maßnahmen unterstützt und vor Überlastung geschützt.
Dienstleistungs- und Stiftungsbetriebe
In den Dienstleistungs- und Stiftungsbetrieben der Stiftung Liebenau arbeiten Menschen mit und ohne Unterstützungsbedarf. Privatkunden, Unternehmen oder Kommunen sind die Kunden.
Die Stiftung ist Mitglied im Verein Netzwerk Leichte Sprache und unterhält eine ausgebildete Prüfergruppe für Leichte Sprache, die die Inhalte von Texten nach ihrer Verständlichkeit überprüft und nach den Regeln der Leichten Sprache übersetzt.[7] Publikationen der Stiftung erscheinen zum Teil in Leichter Sprache.
Vorstände der Stiftung Liebenau
- 1910–1953: Josef Wilhelm[8][9] (1875–1953), kath. Priester und Theologe
- 1953–1967: Max Gutknecht (1901–1967), kath. Priester und Theologe
- 1968–1996: Norbert Huber[10] (* 1926), kath. Priester, Theologe und Diplom-Psychologe
Literatur
- Michael Schnieber: In unserer Mitte – der Mensch. Stiftung Liebenau. Senn, Tettnang 1995, ISBN 3-88812-169-8.
- Berthold Broll, Helmut Staiber, Dieter Worrings: In Freiheit Beziehungen gestalten. Erfahrungen, Standpunkte und Perspektiven aus der Stiftung Liebenau. Lambertus, Tettnang 1992, ISBN 3-78411-403-2.
- Anna Grebe: Fotografische Normalisierung. Zur sozio-medialen Konstruktion von Behinderung am Beispiel des Fotoarchivs der Stiftung Liebenau. Transcript, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8376-3494-5.
Einzelnachweise
- Carolyn Gossage: Auf Irrfahrt: Sieben kanadische Frauen unterwegs im "Dritten Reich". ISBN 978-3-861-53545-4, Berlin S. 101.
- Alexandra-Eileen Wenck: Zwischen Menschenhandel und „Endlösung“ - Das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Paderborn 2000, ISBN 3-506-77511-1, S. 390.
- Alexandra-Eileen Wenck: Zwischen Menschenhandel und „Endlösung“ - Das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Paderborn 2000, ISBN 3-506-77511-1: Juni 1942, (S. 72), Juli 1943 (S. 84), April 1944 (S. 222), November 1944 (S. 236), Dezember 1944 (S. 246), März 1945 (S. 237)
- Alexandra-Eileen Wenck: Zwischen Menschenhandel und „Endlösung“ - Das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Paderborn 2000, ISBN 3-506-77511-1, S. 56.
- Carolyn Gossage: Auf Irrfahrt: Sieben kanadische Frauen unterwegs im "Dritten Reich". ISBN 978-3-861-53545-4, Berlin S. 114 und 106.
- Stiftung Liebenau im Überblick. In: Volker Faust unter Mitarbeit von Walter Fröscher und Günter Hole: Psychische Gesundheit, Psychiatrisch-neurologisches Informations-Angebot der Stiftung Liebenau, Band 23, Stiftung Liebenau, Sommer 2018, S. 32–34.
- Anne Oschwald: Leichte Sprache ist manchmal ganz schön schwer. Ein Blick in die Prüfergruppe für Leichte Sprache der Stiftung Liebenau… In: Leben am See. Band 37, 2019, S. 88–97.
- Eintrag über Josef Wilhelm (Landesarchiv Baden-Württemberg) auf leo-bw.de, abgerufen am 25. Januar 2021
- „Die Stiftung Liebenau unter Direktor Josef Wilhelm: 1910-1953“ (Landesarchiv Baden-Württemberg) auf leo-bw.de, abgerufen am 25. Januar 2021
- Liebenau-Buch: "Von Angst bis Zwang" auf mediendb.ecomed-storck.de, abgerufen am 25. Januar 2021