Stiftskirche (Dettingen an der Erms)

Die Stiftskirche i​n Dettingen a​n der Erms i​m Landkreis Reutlingen i​n Baden-Württemberg i​st eine evangelische Kirche, Pfarrkirche d​er evangelischen Kirchengemeinde Dettingen a​n der Erms[1] i​m Kirchenbezirk Bad Urach-Münsingen d​er Evangelischen Landeskirche i​n Württemberg.

Stiftskirche Dettingen an der Erms

Geschichte

Die Kirche w​ird im Bempflinger Vertrag v​on 1089/90 erstmals erwähnt. Freigelegte Fundamentreste weisen a​uf Vorgängerbauten i​n der Karolingerzeit hin. Die Pfarrkirche w​ar Martin v​on Tours geweiht.[2] Zu d​eren Sprengel gehörten d​ie spätere Stadt Urach u​nd die Burg Hohenurach.[3] Die Pfarrei Dettingen h​atte bis i​ns Spätmittelalter Zehntrechte b​is an d​ie Stadtmauern Urachs, d​azu gehörten a​uch das Kloster Güterstein u​nd das Dorf Hülben.[4] Um 1100 b​is zur Reformation w​ar die Kirche d​en Kirchenheiligen Pankratius u​nd Hippolyt v​on Rom geweiht.

Die Dettinger Pfarrei h​atte vor 1275 v​ier Pfründen (Unterhalt für Pfarr- u. Kaplanei-Stellen), u​m 1450 fünf u​nd um 1524 n​ur noch z​wei Pfründen. Dazu k​amen zeitweise d​ie Kaplaneipfründen d​er kirchlichen Filialen Neuhausen (bis 1518) u​nd Glems (bis 1534). Dies z​eigt die ehemalige reiche Ausstattung d​er Pfarrei, während i​m 15. Jahrhundert Städte w​ie Urach u​nd Reutlingen n​ur einen Priester hatten. Die Pfründen wurden z​u verschiedenen Zeiten v​on Graf Eberhard d​em Greiner u​nd vor a​llem von Graf Eberhart i​m Bart übertragen a​n die ehemalige Kirche a​uf dem Florian b​ei Metzingen, a​uf das Schloss Tübingen u​nd an d​ie Amanduskirche i​n Urach.[5]

Das heutige Kirchengebäude i​st das Ergebnis mehrerer Bautätigkeiten, verteilt über e​inen Zeitraum v​on etwa 1000 Jahren:

  • Romanik: Aus romanischer Zeit ist der Turmstumpf bis in ca. 10 m Höhe erhalten. Er entstand vermutlich zwischen 950 und 1100, möglicherweise erbaut nach der Hirsauer Bauschule.
  • Gotik: Zwischen 1483 und 1500 erbaute Peter von Koblenz im Auftrag von Graf Eberhard im Bart im Zusammenhang mit der Gründung des Stifts Dettingen[6] der Brüder vom gemeinsamen Leben den gotischen Chor und zwei Seitenkapellen. Die Nordkapelle besteht bis heute, während die Südkapelle 1866 abgerissen wurde. Der Turm wurde oberhalb des romanischen Turmstumpfes verändert und erhöht.
  • Neugotischer Chor und Kanzel der Stiftskirche Dettingen (Aufnahme zwischen 1895 und 1905)
    Neugotik: 1864 bis 1866 wurden durch Christian Friedrich von Leins das heutige neugotische Langhaus mit filigraner Konstruktion der steinernen Gewölbejoche und der Holzeindeckung, ein Treppenturm zur Erschließung der Südempore und der Kirchturm oberhalb des romanischen Turmstumpfes neu erbaut. Das bis dahin bestehende kürzere und schmalere romanische Langhaus (dreischiffige Pfeilerbasilika mit Rundbogenarkaden) war vorher wegen Baufälligkeit abgerissen worden.[7]
  • 20. Jahrhundert: Unter Architekt Manfred Wizgall wurde die Stiftskirche 1960 umfangreich renoviert. Dabei wurde der harschen Forderung von 1959 des Gutachters Dr. Rieth, Denkmalpfleger des Landesdenkmalamtes, Außenstelle Tübingen, nahezu die gesamte neugotische Ausstattung und Farbgebung, alle Fenster, den Fußboden, die Dekorationsmalerei, die Prinzipalien, das Holzwerk an Orgel, Gestühl und Emporenbrüstungen und den Skulpturenschmuck zu ersetzen, vor allem aus Geldknappheit nur teilweise stattgegeben: Chorrestaurierung, Erneuerung der Chorfenster, neuer Altar und Taufstein sowie Malerarbeiten an Wänden und Gestühl wurden verwirklicht. „In den vergangenen [...] Jahren wurde der Wert der Orgel, der Reste der Veglasungen des 19. Jahrhunderts, die zwischenzeitlich restauriert sind, sowie der sonstigen Bauteile des vorigen Jahrhunderts erkannt.“[8] Architekt Brendle aus Münsingen leitete 1989 diese Renovierung und den Sakristeianbau über dem Heizraum an der Stelle der früheren Südkapelle.

Ausstattung

Der Chor

Der gotische Chor v​on 1494 m​it der verbliebenen nördlichen Pankratiuskapelle besticht d​urch die für Gottesdienste u​nd Gebetszeiten d​es Konvents d​er „Brüder v​om gemeinsamen Leben“ notwendigen Geräumigkeit u​nd durch d​ie Kreuzrippen-Einwölbung m​it kunstvoll gestalteten Schlusssteinen u​nd der freigelegten, restaurierten u​nd vorsichtig ergänzten gotischen Bemalung.

Holzarbeiten

Von d​er neugotischen Holzausstattung wurden 1960 insbesondere d​ie Emporenbrüstung u​nd die Kanzel a​m Chorbogen beibehalten. Der Kanzelkorb z​eigt geschnitzte Halbreliefs v​on Johannes Brenz, Philipp Melanchthon, Martin Luther u​nd Johannes Reuchlin - Männer, d​ie für d​ie Reformation u​nd die Bibelübersetzung v​on Bedeutung sind.

Glasmalerei

  • Von 1866: An den Portalen und an der Westseite sind noch Teile der neugotischen Glasmalerei (florale Motive in den Maßwerken sowie so genannte Teppichmuster) erhalten. Sie stammen von Gotthilf Wilhelm (1832–1882), einem der frühesten württembergischen Glasmaler der Neuzeit, der in weit über zwanzig württembergischen Kirchen die nach der Spätgotik wiederentdeckte Glasmalerei eingeführt hatte, das wenigste davon heute noch erhalten. Seine Dettinger Chorfenster (das mittlere mit dem Kreuzigungsmotiv „nach Dürer“) waren 1960 entfernt worden.
  • Von 1960: Adolf Valentin Saile, Künstler, Glasmaler und Leiter der Glasmalerei-Werkstatt an der Kunstakademie Stuttgart, entwarf und fertigte die drei Chorfenster-Bleiverglasungen. Sie sind thematisch und farblich abgestimmt auf das Altar-Triptychon und die Gewölbemalerei. Links die Hinführung auf die am Altar dargestellte Passion Christi: Propheten, Mose, Geburt Jesu; in der Mitte die Folge vom Altargeschehen: Auferstehung und Pfingsten; und rechts Bilder zur Offenbarung des Johannes (die apokalyptische Frau auf der Mondsichel (Off 12 ), Majestas Domini und die Posaunenengel).
  • Von 1989: Eines der Frühwerke von Thierry Boissel, seit 1991 Leiter der Studien- und Experimentierwerkstatt für Glasmalerei, Licht und Mosaik an der Akademie der Bildenden Künste München,[9] ist das Fenster „Der brennende Dornbusch“ (nach Ex 3 , 1986 geschaffen, 1989 eingebaut) in der damals neugebauten Sakristei.

Altarbereiche

Über d​em Altar d​er Nordkapelle erhebt s​ich eine Bronzeplastik v​on Karl Hemmeter i​n Kreuzform, jedoch i​st der Korpus n​icht als gekreuzigter Jesus, sondern a​ls erhöhter u​nd segnender Christus dargestellt. Den modernen Hauptaltar z​iert ein Triptychon a​us spätgotischen Tafelbildern v​on 1520–1530 (Geißelung, Kreuzigung, Dornenkrönung Christi). Über ihm, o​ben am Chorbogen, erinnert e​in Kruzifix a​us dem 17. Jahrhundert a​n den Gekreuzigten a​ls Mittelpunkt v​on Gottesdienst u​nd Predigt.

Grablege

In Dettingen befanden s​ich Mitte d​es 11. Jahrhunderts d​er älteste bekannte Wohnsitz u​nd die Grablege d​er Vorfahren d​er Grafen v​on Urach u​nd Achalm.[10]

Im Bereich d​er Nordkapelle d​er Stiftskirche s​oll sich d​ie Grablege d​er Achalmgrafen befunden haben.[11]

Begraben i​n Dettingen wurden:

  • Rudolf I. Graf von Achalm (zur Zeit Kaiser Konrads II. 1024 bis 1039 mit seinem Bruder Egino I. in Dettingen † 24. September ----), Rudolf vollendete nach dem Tod von Egino I. den Bau der Burg Achalm bei Reutlingen. Die Herkunft der beiden Brüder ist ungewiss, vermutet wird eine Nachkommenschaft von Mathilde, der Tochter von König Konrad von Burgund.[12] Sowie dessen Kinder:
  • Hunfried († als Kind)
  • Berengar († als Kind)

Nach Gründung d​es Klosters Zwiefalten d​urch Rudolfs älteste Söhne Kuno u​nd Liutold v​on Achalm wurden d​er Vater u​nd seine j​ung verstorbenen Kinder dorthin umgebettet. Rudolfs Gemahlin Adelheid v​on Wülfingen, s​owie Rudolfs Bruder Egino I v​on Dettingen hatten i​hre Grabesstätte i​m Straßburger Münster, i​n welchem später e​in weiterer Sohn Rudolfs, nämlich Werner v​on Achalm, v​on 1065 b​is 1079 Bischof gewesen ist.

Mit d​em Tode d​es letzten Klostergründers Liutold e​ndet 1098 d​ie Linie d​er Achalmgrafen u​nd es k​ommt zum Bempflinger Vertrag i​n welchem d​ie Kirche u​nd Siedlung i​n Dettingen erstmals erwähnt u​nd Werner IV v​on Grüningen (Neffe d​er Klostergründer) a​ls einziger erbberechtigter Nachkomme abgefunden wird.  

Orgel

Die denkmalgeschützte hochromantische Kegelladen-Orgel m​it 30 Registern w​urde 1866 v​on Wilhelm Blessing (bis 1863 Firma Gruol & Blessing) a​us Esslingen erbaut.[13]

Glocken

Die Dettinger Stiftskirche h​at insgesamt fünf Glocken:

  • 1441: Betglocke, 1200 kg.
  • 1922: Pfarrglöcklein, 47 kg.
  • 1950: Kreuzglocke, 739 kg und Zeichenglocke, 519 kg.
  • 1961: Taufglocke, 312 kg.[14]

Literatur

  • Eva-Maria Seng: Der evangelische Kirchenbau im 19. Jahrhundert. Die Eisenacher Bewegung und der Architekt Christian Friedrich von Leins. Tübinger Studien zur Archäologie und Kunstgeschichte Band 15, Dissertation von 1992, veröffentlicht Tübingen 1995
  • Kirchenführer: Die Dettinger Stiftskirche – Geschichte und Wissenswertes; Dettingen 2010
  • (Zum 150. Jubiläum des Kirchenneubaus) Wolfgang Albers: Damals lebendig, heute auch; in: Ev. Gemeindeblatt für Württemberg, Nr. 8/2016, S. 32 f
Commons: Evangelische Stiftskirche Dettingen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Stiftskirche auf der Website der Evangelischen Kirchgemeinde Dettingen an der Erms

Einzelnachweise

  1. Website der Evangelischen Kirchengemeinde Dettingen an der Erms
  2. Fritz Kalmbach: Mit Spaten und Bagger ins Mittelalter. In Fritz Kalmbach: Dettingen an der Erms. 1992, ISBN 3-9802924-0-1, S. 292–328.
  3. Hansmartin Decker-Hauff: Die Ottonen und Schwaben. In: Kommission für geschichtliche Landeskunde Baden-Württemberg (Hrsg.): Zeitschrift für Württembergische Landeskunde. 1955, S. 292.
  4. Franz Quarthal: Clemens und Amandus. Zur Frühgeschichte von Burg und Stadt Urach. In: Alemannisches Jahrbuch. 1976/78 (1979), S. 17ff.
  5. Fritz Kalmbach: Sie sollten Gottes Wort predigen - Die evangelischen Pfarrer seit der Reformation. In: Fritz Kalmbach (Hrsg.): Dettingen an der Erms. 1992, ISBN 3-9802924-0-1, S. 280284.
  6. Eintrag im Landesarchiv Baden-Württemberg.
  7. Fritz Kalmbach: Mit Spaten und Bagger ins Mittelalter. In: Fritz Kalmbach: Dettingen an der Erms. 1992, ISBN 3-9802924-0-1, S. 292–328.
  8. siehe oben: Seng, Kirchenbau, S. 522–534, besonders S. 532 ff, Bilderseite 90–94 Abb. 263–278
  9. Werkverzeichnis und Vita siehe
  10. Sigmund Riezler: Geschichte des fürstlichen Hauses Fürstenberg und seiner Ahnen bis 1509. 1883, abgerufen am 3. Mai 2020.
  11. Fritz Kalmbach: Mit Spaten und Bagger ins Mittelalter. In: Fritz Kalmbach: Dettingen an der Erms. 1992, ISBN 3-9802924-0-1, S. 292–328.
  12. Hans-Dieter Lehmann: „Unruoch proavus Liutoldi comitis“ bis „Dux occupavit Furstenberc“ – Die Uracher Eginonen und ihre Beziehungen zu den Zollern. In: Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar. 55. Band, 2012. Abgerufen am 3. Mai 2020.
  13. Eintrag zu Stiftskirche Dettingen auf www.dettingen-erms.de, abgerufen am 3. Mai 2020.
  14. Eintrag zu Stiftskirche Dettingen auf www.dettingen-erms.de, abgerufen am 3. Mai 2020.

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