Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg
Das Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg in der Kattunbleiche in Hamburg-Wandsbek ist ein Amt der Behörde für Kultur und Medien. Es übernimmt im Stadtstaat sowohl die Aufgabe eines staatlichen als auch eines kommunalen Archivs.
Geschichte
Ein städtisches Archiv, das unmittelbar vom Rat der Stadt beaufsichtigt wurde, ist erstmals 1293 urkundlich erwähnt. Die Leitung des Archives wurde am 11. September 1710 hauptamtlich einem Mitglied des Senates übertragen, d. h. vom städtischen Archiv im Rathaus zum Ratsamt aufgewertet. Nicolaus Stampeel sorgte für eine erste Übersicht über die ungeordneten Akten.[1]
Eigenständige Räumlichkeiten erhielt das Staatsarchiv erst mit dem Bau des neuen Rathauses, jedoch waren diese schnell belegt, weshalb bereits ab 1907 der Zuwachs wieder in provisorischen Unterkünften gelagert werden musste. Auf Initiative der Bürgermeister Paul Nevermann und Herbert Weichmann wurde nach Plänen des Architekten Bernhard Hermkes ein eigener Archivzweckbau an der ABC-Straße errichtet und 1972 eröffnet. Bereits nach 26 Jahren wurde dieses Gebäude aufgegeben, da die Asbestsanierung, Sanierung der Klimaanlage wegen gestiegener Energiekosten und eine Erweiterung einen Neubau kostengünstiger machten.
Das Archiv ist eines der ältesten Deutschlands. Im Jahr 2010 feierte es sein 300-jähriges Jubiläum.
Zuständige Senatssekretäre und wissenschaftliche Leiter
Nachstehende Personen hatten beziehungsweise haben seit dem 18. Jahrhundert die Leitung des Archivs inne:[2]
18. Jahrhundert
- Nicolaus Stampeel
- Nicolaus Wilckens
- Franz von Som
- Jacob Schuback
- Michael Poppe
- Wilhelm Schlüter
- Vincent Dresky
19. Jahrhundert
- Vincent Dresky
- Johann Wilhelm Schütze
- Johann Martin Lappenberg
- Otto Adalbert Beneke
- Anton Bernhard Carl Hagedorn
20. Jahrhundert
21. Jahrhundert
- Udo Schäfer
Aufgabe
Das Staatsarchiv sorgt für die Aufbewahrung, Pflege und Nutzung von Akten, Protokollen, Urkunden und Karten, die Hamburgs Geschichte erhellen.[3]
Die Funktion des Archivs konzentrierte sich bis ins 19. Jahrhundert hauptsächlich auf praktisch-rechtliche Zwecke.
Eine Bearbeitung des vorhandenen Materials aus wissenschaftlichem Interesse begann erst mit dem Wirken des Archivars Johann Martin Lappenberg, der das Archiv für andere Forscher öffnete und die Archivbenutzung in Hamburg etablierte.
Räumlichkeiten
Heute befindet sich das Archiv in der Kattunbleiche in Hamburg-Wandsbek. Der Neubau wurde nach einem Entwurf des Hamburger Architekten Jan Störmer errichtet. Das Archiv zog im Jahr 1998 vom Gebäude in der ABC-Straße hierher um. Der Komplex besteht aus dem fensterlosen Magazin mit der eisblauen Glasfassade sowie dem Verwaltungs- und Nutzungstrakt.[4] Im Obergeschoss des Verwaltungsgebäudes befinden sich zudem die Geschäftsräume und die Bibliothek des Vereins für Hamburgische Geschichte.
Bestand
Der Bestand umfasst etwa 35.000 laufende Regalmeter, die in über 2.800 Bestände (Einzelarchive) gegliedert sind. Folgende Datenträger sind vertreten: Handschriften, Manuskripte, Siegel, Verträge, Fotografien und Bücher.[5] 1958 wurde die heute bestehende Tektonik der Archivbestände eingeführt, die sich in 7 Sachgruppen gliedert:
- Regierung, Volksvertretung, Allgemeine und Innere Stadtverwaltung
- Rechtspflege
- Fachverwaltung
- Gebietsverwaltung
- Religionsgemeinschaften
- Vereinigungen und Personen
- Sonderbestände
Eine detailliertere Übersicht der gespeicherten Bestände des Staatsarchivs nach Gebieten und Ämtern ist in der Kommentierte Übersicht über die Bestände des Staatsarchivs der Freien und Hansestadt Hamburg dokumentiert.[6]
Bestandsverluste
Bestandsverluste entstanden aufgrund des Großen Brandes von 1842. Während des Zweiten Weltkrieges und der Sturmflut von 1962 kam es zu Verlusten im Registraturgut der Ämter, das Archiv an sich blieb aber unversehrt. Planmäßige Aktenvernichtung der NS-Dienststellen vor der Kapitulation hat zudem Überlieferungslücken entstehen lassen.
Über 1.500 mittelalterliche und neuzeitliche Dokumente wurden 1942/43 zum Schutz vor der Bombardierung nach Sachsen ausgelagert, kamen kriegsbedingt in Moskauer Archive und wurden im Herbst 1990 an das Hamburger Archiv zurückgegeben.[1]
Im Sommer 2018 wurde bekannt, dass das Staatsarchiv rund eine Million Todesbescheinigungen aus den Jahren 1876 bis 1953 als nicht archivwürdig eingestuft und geschreddert hatte.[7][8] Zur Begründung hieß es, dass es sich um „Parallelüberlieferungen“ zu anderen Beständen gehandelt habe und den Bescheinigungen daher „kein bleibender Wert zuerkannt“ worden sei.[9] Historiker wie der Vorsitzende des Vereins für Hamburgische Geschichte, Rainer Nicolaysen, widersprachen dieser Einschätzung allerdings und wiesen darauf hin, dass die Bescheinigungen insbesondere für die Aufklärung von NS-Verbrechen von großer Bedeutung gewesen seien, weil sie Informationen enthielten, die in anderen Akten nicht enthalten seien.[7] Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten, Wolfgang Kopitzsch, forderte eine lückenlose Aufklärung und eine konsequentere Dienst- und Fachaufsicht, um weitere Fehlentscheidungen zu verhindern.[10]
Lesesaal
Einzelne Dokumente und Bände können, nachdem sie aus dem Archiv bestellt wurden, im Lesesaal eingesehen werden. Der Zugang zu den Beständen wird durch eine archivfachliche Beratung und durch Findbücher unterstützt. In einem Benutzungsantrag werden Benutzungsvorhaben und Benutzungszweck erfragt. Wegen der Schutzfristen nach § 5 HmbArchG sind nicht alle Dokumente zugänglich.[11]
Im Lesesaal sind Hamburger Adressbücher, Meldeunterlagen der Verzogenen und Verstorbenen von 1892 bis 1925 und von 1943 bis 1945 sowie eine Steuer- und Wahlkartei von Groß-Hamburg vom 24. Juli 1943 auf Mikrofilm einsehbar. Außerdem gibt es „Sterbebücher“ mit den Namen der Verstorbenen bis 1979. Per Computer kann im Bibliothekskatalog nach Büchern im Staatsarchiv gesucht werden.
Mitnutzung des Niedersächsischen Landesarchivs, Standort Stade
Einer der sieben Standorte des Niedersächsischen Landesarchivs befindet sich in Stade. Hamburg nutzt dort 20 der 50 Regalkilometer zur Lagerung u. a. seiner Grundbücher und Grundakten.[12]
Weitere Archive in Hamburg
Ergänzende Unterlagen zur Geschichte und Struktur der Stadt Hamburg befinden sich in folgenden Archiven:[13]
- Diözesanarchiv Hamburg
- Hamburgisches Architekturarchiv
- Kirchenarchiv des Kirchenkreises Hamburg-Ost
- Hanseatisches Wirtschaftsarchiv
Außerdem existiert, zum Teil bereits seit den 1980ern, eine Reihe von privaten Stadtteilarchiven.
Literatur
Hilfsmittel
- Paul Flamme, Peter Gabrielsson, Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt (Hrsg.): Kommentierte Übersicht über die Bestände des Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg (= Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg. Bd. 14). 2. erweiterte und verbesserte Auflage. Verlag Verein für Hamburgische Geschichte, Hamburg 1999, ISBN 3-923356-88-9, (Digitalisat).
Darstellungen
- Joachim W. Frank und Thomas Brakmann (Hrsg.): Aus erster Quelle. Beiträge zum 300-jährigen Jubiläum des Staatsarchivs der Freien und Hansestadt Hamburg. (= Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg Bd. 22), Hamburg 2013, ISBN 978-3-943423-06-8, (Digitalisat).
- Julia Brüdegam: Auswahlverfahren im Staatsarchiv Hamburg. In: Archivar 61, 2008, 1, ISSN 0003-9500, S. 45–47.
- Hans-Dieter Loose: Der Neubau des Staatsarchivs Hamburg. In: Archivalische Zeitschrift 83 (2000) S. 39–71.
- Jürgen Sielemann: Hamburger Gemeindeakten im Staatsarchiv Hamburg. In: Frank M. Bischoff (Hrsg.): Jüdisches Archivwesen. Beiträge zum Kolloquium aus Anlass des 100. Jahrestags der Gründung des Gesamtarchivs der Deutschen Juden. Zugleich 10. Archivwissenschaftliches Kolloquium der Archivschule Marburg, 13.–15. September 2005 (= Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Institut für Archivwissenschaft. Bd. 45). Archivschule Marburg, Marburg 2007, ISBN 978-3-923833-10-8, S. 97–110.
- Irmgard Mummenthey: Erdhörnchen verlassen ihre Höhle. Einblicke in die strategische Steuerung und Zukunftsplanung im Staatsarchiv Hamburg. In: Auskunft 27, 2008, 1, ISSN 0720-7123, S. 104–111.
- Sarah Schmidt: Das Staatsarchiv Hamburg im Nationalsozialismus (= Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg. Bd. 24). Hamburg University Press, Hamburg 2016, ISBN 3-943423-29-8 (Volltext online)
Weblinks
- www.hamburg.de Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg – Offizielle Website
- Bestände des Staatsarchivs der Freien und Hansestadt Hamburg im Archivportal-D
Einzelnachweise
- Hamburgs historisches Gedächtnis. In: Welt am Sonntag. Teil Hamburg. 26. September 2010, S. 12 (online auf den Seiten der Tageszeitung Die Welt [abgerufen am 15. Februar 2015]).
- Für das Archiv zuständige Senatssekretäre und wissenschaftliche Leiter, abgerufen am 9. Juni 2019.
- Quelle: Rote Infotafel Nr. 8 des Wandsbeker Info-Pfades.
- Quelle: Rote Infotafel Nr. 8 des Wandsbeker Info-Pfades.
- Matthias Gretzschel: Hamburgs historisches Gedächtnis wird 300 Jahre alt. In: Hamburger Abendblatt. 5. März 2010, S. 6 (online auf den Seiten des Hamburger Abendblatts [abgerufen am 15. Februar 2015]).
- Bestände des Staatsarchivs der Freien und Hansestadt Hamburg (PDF; 1,6 MB)
- Olaf Wunder: Eine Million Dokumente!: Staatsarchiv-Leiter ließ Hamburgs Geschichte schreddern. In: MOPO.de. (mopo.de [abgerufen am 18. September 2018]).
- Neuer Kassationsskandal im Staatsarchiv Hamburg. In: Archivalia. (hypotheses.org [abgerufen am 18. September 2018]).
- Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage des Linken-Abgeordneten Norbert Hackbusch (Drs. 21/14076 vom 24. August 2018). In: kleineanfragen.de. Abgerufen am 18. September 2018.
- Olaf Wunder: Schredder-Skandal im Staatsarchiv: Vernichtete NS-Akten: Experten fordern Aufklärung. In: MOPO.de. (mopo.de [abgerufen am 18. September 2018]).
- Udo Schäfer: Verwaltungsvorschrift über die Benutzung von Archivgut im Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg (Benutzungsordnung) vom 1. Juni 2004
- Neues Staatsarchiv eröffnet. In: Hamburger Abendblatt vom 20. Mai 2014, S. 8.
- Führungen zum Thema Katastrophen im Staatsarchiv. In: Hamburger Abendblatt vom 24. Februar 2012, S. 10.