Sorry We Missed You
Sorry We Missed You ist ein Filmdrama von Ken Loach, das am 16. Mai 2019 im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele von Cannes seine Premiere feierte und hier im Wettbewerb um die Goldene Palme konkurrierte.
Film | |
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Titel | Sorry We Missed You |
Originaltitel | Sorry We Missed You |
Produktionsland | Vereinigtes Königreich, Frankreich, Belgien |
Originalsprache | Englisch |
Erscheinungsjahr | 2019 |
Länge | 101 Minuten |
Altersfreigabe | FSK 12[1] JMK 12[2] |
Stab | |
Regie | Ken Loach |
Drehbuch | Paul Laverty |
Produktion | Rebecca O’Brien |
Musik | George Fenton |
Kamera | Robbie Ryan |
Schnitt | Jonathan Morris |
Besetzung | |
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Handlung
Ricky Turner und seine Familie kämpfen gegen die Folgen der Finanzkrise des Jahres 2008. Die Familie hat Schulden, und als der Vater einen neuen Job als Paketbote bekommt, bietet sich ihnen endlich die Chance, die Misere zu beenden. Er will ein Franchise als selbstständiger Fahrer betreiben und hofft, hierdurch ein wenig von seiner Unabhängigkeit zurückzuerlangen. Doch die Bedingungen in der schönen neuen Arbeitswelt sind gnadenlos. Er muss sechs Tage die Woche und 14 Stunden pro Tag unterwegs sein. Für den neuen Van, den er für die Arbeit braucht, muss das Auto seiner Frau Abbie verkauft werden. Rickys neuer Job ist härter als gedacht, aber auch die Arbeit seiner Frau Abbie als Altenpflegerin ist nicht einfach, sodass das Familienleben darunter leidet.
Der Sohn Seb schwänzt die Schule, geht mit Freunden Graffiti sprühen und begeht einen Ladendiebstahl. Ricky kann sich um diese Problemen aber kaum kümmern, da er es sich eigentlich nicht leisten kann, frei zu nehmen, weil er für Fehlstunden einen Ersatzfahrer stellen oder eine saftige Strafe zahlen muss. Eines Morgens ist der Schlüssel des Transporters verschwunden. Ricky kann nicht fahren und muss Strafe zahlen. Er beschuldigt Seb, den Schlüssel genommen zu haben und schlägt ihn nach einem Streitgespräch. Später stellt sich heraus, dass die Tochter Lisa Jane den Schlüssel versteckt hatte, damit alles so wie früher werde.
Eines Tages wird Ricky an seinem Transporter überfallen, beraubt und zusammengeschlagen. Seine Frau bringt ihn zum Krankenhaus, doch die Wartezeit bis zur Behandlung zieht sich Stunden und Stunden hin. Er muss erfahren, dass die gestohlenen Pakete der Kunden versichert sind, aber den zerstörten Scanner im Wert von 1000 Pfund muss er aus eigener Tasche ersetzen. Am nächsten Tag bricht er trotz seiner Verletzungen zur Arbeit auf, obwohl Abbie und Seb ihn anflehen es nicht zu tun.
Produktion
Stab, Idee und Filmtitel
„Es geht um eine Familie, die in Not gerät. Sie wehren sich, sie tun ihr Bestes. […] Wir wollten eine Geschichte erzählen, die vielen Menschen zustößt. Es ist keine extreme Geschichte.“
Regie führte Ken Loach, das Drehbuch stammt von Paul Laverty. Gegenüber dem Filmdienst erklärte Loach, die Art und Weise, wie sich die Arbeit verändert hat, sei ungerecht. Früher hätten die Menschen einen Job gehabt, der sicher war, mit Kündigungsschutz und Gehältern, die ausreichten, um eine Familie zu ernähren. Das habe sich jedoch entscheidend verändert: „Arbeit ist prekär geworden. Es gibt keine Garantie mehr, ob man morgen noch einen Job hat oder nicht. Die Gehälter sind gesunken, und man weiß nicht mehr, ob man in der nächsten Woche noch dasselbe verdient.“ Es gehe in seinem Film um eine Familie, die in Not gerät, die sich aber wehrt und ihr Bestes tut. Doch am Ende sei der Vater ein Gefangener in seinem eigenen Lastwagen. Sie hätten eine Geschichte erzählen wollen, die vielen Menschen zustößt und keine extreme Geschichte, so Loach, denn was sie beschreiben, passiere Millionen von Familien: „In Großbritannien leben 14 Millionen Menschen in Armut, darunter vier Millionen Kinder. 1,5 Millionen Menschen sind völlig mittellos, sie haben nicht die Möglichkeit, sich Lebensmittel oder ein Dach über dem Kopf zu leisten.“[3] Der Filmtitel (dt.: „Wir haben Sie leider nicht angetroffen“) bezieht sich auf die Benachrichtigungskarte, die der Paketbote nach einem nicht erfolgreichen Zustellversuch beim Kunden einwirft.
Besetzung und Dreharbeiten
Die Hauptrolle von Ricky Turner wurde mit Kris Hitchen besetzt, die seiner Frau Abbie mit Debbie Honeywood. Rhys Stone spielt ihren Sohn Seb, Katie Proctor ihre Tochter Liza Jane. Hitchen war zwar zuvor bereits als Schauspieler tätig, hatte aber vor allem als Klempner gearbeitet, und er habe einen Lieferwagen besessen, so der Regisseur. Honeywood arbeitet als Assistenzlehrerin mit Kindern, die Lernschwierigkeiten haben und hatte nur wenig Schauspielerfahrung. Die beiden Kinder kommen aus Schulen vor Ort.[3] Die deutsche Synchronisation entstand nach der Dialogregie von Horst Geisler im Auftrag der TaunusFilm Synchron GmbH, Berlin. Florian Clyde leiht in der deutschen Fassung Ricky Turner seine Stimme.
Die Dreharbeiten fanden in Byker in Newcastle upon Tyne, hier unter anderem in der Shields Road[4], und auf dem Gelände von Team Valley in Gateshead im Nordosten von England statt.[5] In Byker hatte Loach bereits Ich, Daniel Blake gedreht, ein Stadtteil, aus dem auch Dave Johns stammt, der Hauptdarsteller des Films[6], in dem es ebenfalls um Armutsbekämpfung, den Überlebenskampf und grundlegende Menschenrechte ging.[5] Es schien Loach eine gute Idee zu sein, ähnliche Handlungsorte zu verwenden, mit Menschen vor dem gleichen kulturellen Hintergrund.[5] Tim Lindemann von epd Film bemerkt, Loach, der zum Ende der 1980er Jahre den realistischen Stil der britischen New Wave zurück in die Kinos brachte, erzähle seit gut 50 Jahren brillant von der Härte des Lebens am unteren Ende des sozialen Spektrums, wie zuletzt im Drama Ich, Daniel Blake, die er als eine authentische Repräsentation prekärer Lebensumstände beschreibt.[7] Über den Drehort Newcastle sagte der Regisseur: „Die Geschichte könnte überall spielen, aber Newcastle ist gut, weil dort die alten Industrien wie Kohle, Stahl und Schiffbau verschwunden sind. Es gibt eine lange Tradition von Arbeitskämpfen, der Dialekt ist sehr stark, die Sprache ist komisch, sie haben eine Fußballmannschaft, Newcastle United, die jeder unterstützt.“[3]
Filmmusik und Veröffentlichung
Die Filmmusik wurde von George Fenton komponiert, mit dem Loach bereits bei mehreren seiner Filme zusammengearbeitet hatte, zuletzt bei Angels’ Share – Ein Schluck für die Engel und Ich, Daniel Blake.[8]
Der Film feierte am 16. Mai 2019 im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele von Cannes seine Premiere, wo er im Wettbewerb um die Goldene Palme konkurrierte. Im August 2019 wurde er beim Melbourne International Film Festival vorgestellt.[9] Im September 2019 wurde der Film beim Toronto International Film Festival im Rahmen der Sektion Masters gezeigt und im gleichen Monat im Rahmen der Filmkunstmesse Leipzig vorgestellt.[10] Ende September, Anfang Oktober 2019 wurde der Film beim Filmfest Hamburg vorgestellt.[11] Ein Kinostart in Frankreich ist am 23. Oktober 2019 geplant, in den Niederlanden am 14. November 2019 und in Deutschland am 30. Januar 2020.[12] Im Vereinigten Königreich wird der Film von Entertainment One vertrieben.[13]
Rezeption
Kritiken
Der Film stieß bislang auf die Zustimmung von 88 Prozent aller Kritiker bei Rotten Tomatoes und erreichte hierbei eine durchschnittliche Bewertung von 7,8 der möglichen 10 Punkte.[14] In der bei Screen veröffentlichten Kritikerumfrage zu den Festivalbeiträgen in Cannes erhielt er 2,5 von 4 möglichen Punkten.[15]
Andreas Busche vom Tagesspiegel schreibt, Ken Loachs Film über den Überlebenskampf einer Familie aus der unteren Mittelschicht gehöre zu seinen schönsten Arbeiten der letzten Zeit: „Unaufgeregt und frei von Klassenpathos erzählt Loach mit poröser Menschlichkeit, die sich allein dank emphatischer Alltagsbeobachtungen einstellt. Es gibt keine Krisen zu bewältigen, der Alltag selbst ist eine einzige Krisensituation. Das Geld reicht in dem Doppelverdienerhaushalt kaum aus, um über die Runden zu kommen.“[16]
In einem Beitrag des mdr kultur Filmmagazins vom 1. Februar 2020 heißt es, Loach, der für eindringliche Sozialdramen steht, in denen seinen Mittelschichtprotagonisten immer hilf- und machtlos dem übermächtigen System ausgeliefert sind, zeige mit dem Film, „dass er seinen scharfen Blick auf gesellschaftliche Deformationen nicht verloren hat.“[17]
Michael Meyns von der Gilde deutscher Filmkunsttheater schreibt, Loach stelle seinen Figuren, wie im Buch Hiob, ein Hindernis nach dem anderen in den Weg und sei gerade dadurch so hart, gesellschaftskritisch und vor allem realistisch wie nie zuvor: „Mit größter Genauigkeit beschreibt Loach die Strukturen der modernen Gig Economy, bei der Arbeitnehmern die Vorzüge der Selbstständigkeit vorgegaukelt werden, die jedoch in Wirklichkeit zu einer Reduzierung von Sozialstandards und Arbeiterrechten führt.“ Im neoliberalen Streben nach ständiger Optimierung und Einsparung, würden im Film alle Mittel angewandt, um Arbeitnehmer zu benachteiligen, so die mobile Krankenschwester Abbie, die etwa nicht nach Stunden bezahlt werde, sondern pro Patienten, so Meyns. Er lasse die Familie immer weiter in die Krise schlittern, Rickys Jähzorn werde immer stärker, die Arbeitszeiten der Eltern immer länger, so dass zudem die beiden Kinder immer mehr vernachlässigt werden. Schuld an dem Übel sei jedoch niemand Bestimmtes, selbst Rickys Chef beim Paketdienst sei nur Teil eines Systems, das im Streben nach Gewinnmaximierung längst die Menschlichkeit verloren hat. Auch wenn der Schauplatz von Sorry We Missed You England sein mag, könne man die Strukturen in ganz Europa finden, in allen Ländern, in denen Sozialsysteme zunehmend schwächer werden und Profitdenken längst alles überstrahlender Raison d'être geworden ist, so Meyns.[18]
Einsatz im Unterricht
Das Onlineportal kinofenster.de bestimmte Sorry We Missed You zum Film des Monats Februar 2020, empfiehlt den Film für die Unterrichtsfächer Sozialkunde, Wirtschaft, Politik, Ethik und Religion und liefert dazu Material ab der 8. Klasse. Dort schreibt der Filmjournalist und Filmpädagoge Holger Twele, ohne Melodramatik, aber mit viel Mitgefühl erzähle Loach eine universelle Geschichte über Leistungsdruck und Ausbeutung, Pflegenotstand und Nächstenliebe, Menschlichkeit und Menschenwürde.[19]
Auszeichnungen
Der Film befindet sich in einer Vorauswahl für den Europäischen Filmpreis 2019.[20][21] Im Folgenden weitere Nominierungen.
British Academy Film Awards 2020
- Nominierung als Bester britischer Film
British Independent Film Awards 2019
- Nominierung als Bester Schauspieler (Kris Hitchen)
- Nominierung für das Beste Drehbuch (Paul Laverty)[22]
Chicago International Film Festival 2019
- Nominierung als Bester Spielfilm im internationalen Wettbewerb (Ken Loach)
- Auszeichnung als Beste Schauspielerin mit dem Silver Hugo (Debbie Honeywood)[23][24]
European Film Festival Palić 2019
- Nominierung als Bester Film für den Golden Tower (Ken Loach)[25]
Festival Internacional de Cine de San Sebastián 2019
- Auszeichnung mit dem Publikumspreis als Bester europäischer Film (Ken Loach)[26]
Filmfest Hamburg 2019
- Nominierung für den Art Cinema Award (Ken Loach)[27]
Internationale Filmfestspiele von Cannes 2019
- Nominierung für die Goldene Palme (Ken Loach)
Synchronisation
Rolle | Darsteller | Synchronsprecher[28] |
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Ricky Turner | Chris Hitchen | Florian Clyde |
Abbie Turner | Debbie Honeywood | |
Seb (Sebastian) | Rhys Stone | |
Lisa Jane (auch: Liza Jae) | Katie Proctor | |
Maloney | Ross Brewster | |
Henry Morgan | Charlie Richmond | |
Jack O'Brien | Alfie Dobson | |
Ben | Christopher John Slater | Alexander Gaida |
Harpoon | Albert Dumba | Kaze Uzumaki |
Roz | Natalia Stonebanks | Zalina Sanchez Decke |
Der Film wurde von der TaunusFilm Synchron GmbH in Berlin synchronisiert, Dialogregie führte Horst Geisler.
Weblinks
- Sorry We Missed You in der Internet Movie Database (englisch)
- Sorry We Missed You in der Deutschen Synchronkartei
- Sorry We Missed You im Programm der Filmfestspiele von Cannes (englisch)
- Sorry We Missed You – Official Trailer von Entertainment One UK bei YouTube (Video, englisch)
Einzelnachweise
- Freigabebescheinigung für Sorry We Missed You. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (PDF; Prüfnummer: 194462/K).
- Alterskennzeichnung für Sorry We Missed You. Jugendmedienkommission.
- Michael Ranze: Ein Boss des eigenen Elends – Ein Interview mit Ken Loach zu „Sorry We Missed You“. In: Filmdienst, 3. Februar 2020.
- Killian Fox: Interview: Dave Johns: 'I was about to pack it in when Ken Loach got in touch'. In: The Guardian, 13. August 2017.
- Barbara Hodgson: See Ken Loach back in action in Newcastle with new film after success of I, Daniel Blake. In: chroniclelive.co.uk, 7. Januar 2019.
- Ken Loach im Interview: Fruchtbar. In: derFreitag, 24. November 2016.
- Till Lindemann: Tristes Leben, starkes Kino: Der neue britische Sozialrealismus. In: epd Film, 23. April 2019.
- https://filmmusicreporter.com/2019/04/17/george-fenton-scoring-ken-loachs-sorry-we-missed-you/
- . In: miff.com. Abgerufen am 9. Juli 2019.
- Marc Mensch: Viel Neues auf der Filmkunstmesse. In: Blickpunkt:Film, 20. August 2019.
- Erste Filme. In: filmfesthamburg.de, 30. Juli 2019.
- Starttermine Deutschland. In: insidekino.com. Abgerufen am 28. September 2019.
- Robert Mitchell: New Ken Loach Film, ‘Sorry We Missed You,’ Picked Up by eOne for U.K. In: Variety, 11. September 2018.
- Sorry We Missed You. In: Rotten Tomatoes. Fandango, abgerufen am 11. Februar 2022 (englisch).
- Ben Dalton: Screen reveals Cannes 2019 jury grid critics. In: screendaily.com. Abgerufen am 25. Mai 2019.
- Andreas Busche: Neue Superhelden in Cannes. In: Der Tagesspiegel, 17. Mai 2019.
- Titus Richter und Hans Henrick Wöhler, mdr kultur Filmmagazin, Sendung vom 1. Februar 2020.
- https://www.programmkino.de/content/Filmkritiken/sorry-we-missed-you/
- https://www.kinofenster.de/filme/aktueller-film-des-monats/kf2002-sorry-we-missed-you-film/
- Jochen Müller: Lola-Abräumer in Vorauswahl für Europäischen Filmpreis. In: Blickpunkt:Film, 20. August 2019.
- EFA Feature Film Selection. In: europeanfilmawards.eu. Abgerufen am 20. August 2019.
- Alex Ritman: Armando Iannucci's 'David Copperfield' Leads 2019 British Independent Film Awards Nominations. In: The Hollywood Reporter, 30. Oktober 2019.
- Announcing Competitions for the 55th Chicago International Film Festival. In: chicagofilmfestival.com. Abgerufen am 12. Oktober 2019.
- Portrait of a Lady on Fire and Vitalina Varela Win Top Awards At The 55th Chicago International Film Festival. In: chicagofilmfestival.com. Abgerufen am 26. Oktober 2019.
- http://www.palicfilmfestival.com/?page_id=53&lang=en
- John Hopewell und Jamie Lang: 'Pacified' Wins Golden Shell at San Sebastian. In: Variety, 28. September 2019.
- Nominierungen: Art Cinema Award. In: filmfesthamburg.de. Abgerufen am 28. September 2019.
- Sorry We Missed You. In: synchronkartei.de. Deutsche Synchronkartei, abgerufen am 18. September 2021.