Sepulkralkultur in der DDR
Die Sepulkralkultur in der DDR wies ab Beginn der 1960er Jahr deutlich Unterschiede zu der Sepulkralkultur in Westdeutschland auf. Diese Unterschiede wirken bis heute nach, insbesondere was den Anteil an Feuerbestattungen betrifft.
Ideologischer Hintergrund
Das traditionelle Bestattungswesen mit Erdbestattung in Einzelgräbern samt Grabdenkmälern und kirchlicher Begleitung stand im mehrfachen Konflikt mit der marxistisch-leninistischen Ideologie der SED.
Zunächst einmal war die Rolle der Kirche und des christlichen Glaubens aus Sicht der SED problematisch: Viele Friedhöfe waren im Eigentum der christlichen Kirchen, die Begleitung der Trauerfeier erfolgte weitaus überwiegend durch die Pfarrer und die Grabsteine zeigten überwiegend christliche Symbole, insbesondere in Form von Grabkreuzen. 1949 waren 92 % der Bevölkerung Mitglied christlicher Kirchen. Der atheistische Marxismus-Leninismus, die Staatsideologie der DDR, postulierte ein Verschwinden von Religion auf dem Weg zum Kommunismus, auf dem sich die SED sah. Die Kirchen waren für den Staat schon aus diesem Grund ideologische Gegner (Religion als „Opium des Volkes“), auch wenn in der DDR-Kirchenpolitik immer wieder harmonisierende Tendenzen vorhanden waren. Ein wesentliches Ziel der Friedhofspolitik der SED war daher die Zurückdrängung des religiösen Einflusses und der religiösen Symbole.
Daneben stand die bestehende Friedhofskultur in einem Konflikt mit dem angestrebten Ideal der Gleichheit: Die Grabdenkmäler waren sehr unterschiedlich aufwändig gestaltet. Sie reichten vom einfachen Reihengrab bis hin zum repräsentativen Mausoleum. Und der Aufwand, der bei den Grabdenkmälern getrieben wurde, spiegelte den sozialen Status und vor allem das Vermögen der Verstorbenen wider. Aus Sicht der SED spiegelten diese Unterschiede die Klassengegensätze der vergangenen Zeit wider. Entsprechend war es Ziel, einheitliche Grabanlagen zu schaffen, die entsprechend dem Ziel einer klassenlosen Gesellschaft keinen Rückschluss auf Status und Vermögen der Verstorbenen mehr erlaubten.
Zuletzt galt es aus Sicht des Regimes, die Friedhöfe in den Dienst der offiziellen Erinnerungskultur der DDR zu stellen.
Wirtschaftliche Hintergründe
Neben der Ideologie spielten auch ökonomische Faktoren eine wesentliche Rolle bei der Organisation des ostdeutschen Bestattungswesens. Die Mangelwirtschaft der DDR kämpfte von Anfang an mit einem Mangel an Ressourcen. Die fehlende Effizienz der Planwirtschaft führte zu einer Übernachfrage an Arbeitskräften und Produkten in allen Bereichen. Die Feuerbestattung und einheitliche Grabgestaltung erlaubten perspektivisch eine Reduktion der Friedhofsflächen, der Zahl der Mitarbeiter im Bestattungswesen und der Menge der benötigten Särge, Grabsteine etc. So wurden beispielsweise im Jahre 1960 nur 180.000 Särge für über 230.000 Verstorbene produziert.
Rückgriffe auf bestehende Strömungen
Die Friedhofspolitik in der DDR konnte auf bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts bestehende Strömungen in der Sepulkralkultur zurückgreifen, die unter anderem auf die Ablehnung der Kirchen auf die Feuerbestattung gründeten. Die Friedhofsreformbewegung hatte sich bereits im Kaiserreich entwickelt und strebte eine Friedhofsästhetik an, die von Ordnung und Homogenität geprägt war. Die ersten Urnengemeinschaftsanlagen entstanden in der Weimarer Republik.
Instrumente und Methoden
Dresdner Institut für Kommunalwirtschaft
Das Dresdner Institut für Kommunalwirtschaft (IfK) wurde im Jahr 1962 gegründet und formulierte in einer Vielzahl von Publikationen die Ziele der sozialistischen Bestattungskultur: Feuerbestattung, Reglementierung und Normierung der Grabmalgestaltung, Urnengemeinschaftsanlage und die Privilegierung des Gedenkens an verdiente Kräfte in sozialistischen Ehrenhainen.
Feuerbestattung
Die Forcierung der Feuerbestattung war wohl der erfolgreichste Teil der SED-Friedhofspolitik. Am Ende der DDR erfolgten 90 % der Bestattungen in dieser Form. Die Verbrennung des Körpers, die symbolisch ein Leben nach dem Tod ausschloss, stand im klaren Widerspruch zu der christlichen Tradition der Erdbestattung des Körpers. Gleichzeitig war die Feuerbestattung ressourcenschonend. Die geringe Größe der Gräber förderte eine Entindividualisierung der Grabgestaltung. Es bestand nie ein formeller Zwang zur Feuerbestattung. Allerdings wurde diese Form vielfältig gefördert. Insbesondere erhielten Mitarbeiter der Friedhofsverwaltungen teilweise Prämien für die Steigerung der Nutzung der Feuerbestattung und der Urnengemeinschaftsanlagen. Seit 1963 verfügten die Friedhofsverwaltungen über einen Vortrag „Feuerbestattung heute“, um für die Feuerbestattung zu werben.
Reglementierung und Normierung der Grabmalgestaltung
Ziel der Reglementierung und Normierung der Grabmalgestaltung war in erster Linie die Zurückdrängung des individuellen Gedenkens an die Verstorbenen. Die Broschüre Gestaltung unserer Friedhöfe der IfK aus dem Jahr 1963 bewertete die Friedhofskultur im Kapitalismus wie folgt:
- „Das Erbbegräbnis, das Familien- und Wahlgrab wird zur Bestattungsform der herrschenden Klasse, das Reihengrab zum Symbol der ausgebeuteten Schichten.“
Es sei daher erstrebenswert, „möglichst gleiche Ausführungsarten festzulegen, um den Ausdruck des Gemeinsamen wirklich zu erreichen“.
Am 1. April 1967 veröffentlichte das Ministerium für Bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie die Musterfriedhofsordnung für die kommunalen Friedhöfe in der DDR. Wesentliche Vorgabe war, „verstärkt Grabformen mit einheitlichen Gestaltungsformen“ einzurichten. Für diese Grabfelder wurden Entwürfe für Grabzeichen und Pflanzungen von den Friedhofsverwaltungen bereitgehalten. Liegende Grabplatten sollten stehenden Grabdenkmälern vorgezogen werden. Wünschten die Angehörigen doch einen stehenden Grabstein, so war dieser streng reglementiert. Er durfte eine Größe von 1 Meter (bei Reihengräbern 60 cm) nicht überschreiten, Gold-, silber- und grellfarbige Schriften waren genauso verboten wie individuelle Pflanzbecken. Wesentlicher Gestaltungsgrundsatz war die „größtmögliche Einfachheit und Schlichtheit“.
Auf dem Hauptfriedhof Erfurt, der als Modell und Vorbild galt, schuf der Kunstschmied und Metallgestalter Günther Reichert aus Friedrichroda (* 1935) eine Reihe von Grabzeichen aus Metall, die auf christliche Symbolik verzichteten und die als Musterbeispiele für andere Friedhöfe gelten sollten. Bereits auf der Internationalen Gartenbauausstellung (IGA) in Erfurt 1961 war auf dem Hauptfriedhof Erfurt ein Mustergrabfeld angelegt worden, das den genannten Prinzipien entsprach. Zentrum dieser Anlage war die Skulptur Mutter Erde des Bildhauers Kurt Lehman nach Entwurf von Fritz Cremer.
1964 wurde in Halle (Saale) auf dem Nordfriedhof eine Musteranlage errichtet, Prinzip waren kleinstmögliche Gräber, mit einheitlichen Grabmalen (eine Gliederung ergab sich durch die Verwendung roter und grauer Grabsteine) mit einheitlicher Pflege durch die Friedhofsverwaltung. Diese Musteranlage steht seit 1991 unter Denkmalschutz.
Urnengemeinschaftsanlage
Zumindest auf den größeren Friedhöfen wurden ganze Friedhofsfelder dahingehend reglementiert, dass nur liegende Grabplatten verwendet werden durften. Bis 1985 entstanden darüber hinaus etwa 140 Urnengemeinschaftsanlagen. Die Akzeptanz war im Norden geringer als im Süden.
Auf einem Hektar Fläche fanden etwa 800 Familiengräber, 1200 Erdgräber, 2400 Urnenstellen oder 100.000 Urnen in Gemeinschaftsanlagen Platz. Die geringe Zahl von 140 Anlagen bedeutete daher ein Vieltausendfaches an Bestattungen. Diese waren in unterschiedlicher Weise durch Denkmale, Platten oder Stelen gekennzeichnet. Die größte Anlage befand sich auf dem Heidefriedhof in Dresden, wo 40.000 Menschen ihr Grab fanden. Hier bildete ein monumentales, 5,5 Meter hohes Denkmal des Bildhauers Rudolf Sitte den Mittelpunkt.
Kommunalisierung der Friedhöfe
Die Politik der Umwandlung der kirchlichen Friedhöfe in kommunale Einrichtungen führte dazu, dass 60 % der kirchlichen Friedhöfe kommunalisiert wurden.
Ehrenhaine
In jeder Bezirkshauptstadt und auch in anderen Städten wurden Ehrenhaine als Ehrengrabfelder für verdiente Personen geschaffen. Damit sollten einerseits verdienstvolle Einwohner gewürdigt werden, andererseits Personen, die sich um die sozialistische Idee verdient gemacht hatten. Bekanntestes Beispiel einer solchen Anlage war die Gedenkstätte der Sozialisten mit Gräberanlage Pergolenweg auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin.
Daneben gab es auch Gräberanlagen für die Opfer und Verfolgten in der Zeit des Nationalsozialismus. Auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde wurde dafür beispielsweise 1978 eine Urnen-Gräberanlage (auch VdN-Ehrenhain genannt) eingeweiht. Grundlage dafür war ein Beschluss des Magistrats von Berlin von 1975, worauf Ehrenhaine für Verfolgte des Naziregimes, Revolutionäre und verdiente Persönlichkeiten auf fünf Ost-Berliner Friedhöfen eingerichtet wurden. Damit sollte den Überlebenden des Widerstands gegen den Nationalsozialismus eine würdige Begräbnisstätte geschaffen werden. Die Form und das Material der Grabsteine (Granit) sowie die Beschränkung der Inschriften auf das Geburts- und Sterbejahr der Toten waren festgelegt.
Siehe auch
Literatur
- Barbara Happe: Grabdenkmale in der DDR – Der erzwungene Abschied vom persönlichen Grabmal. In: Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, Museum für Sepulkralkultur, Kassel (Hrsg.): Grabkultur in Deutschland : Geschichte der Grabmäler. 2009, ISBN 978-3-496-02824-6, S. 189–214.
- Martin Venne: Nachfrageorientierte Strategien zur Nutzung städtischer Friedhofsflächen. 2010, ISBN 978-3-924447-45-8, S. 26–27. (online)
- Felix Robin Schulz: Death in East Germany 1945–1990. 2013, ISBN 978-1-78238-013-9. (Teildigitalisat)