Schleppzugschleuse
Schleppzugschleuse war früher die Bezeichnung für eine Schleuse mit großer Schleusenkammer, die für Schleppzüge konzipiert war. Ein Schleppzug bestand aus einem Schlepper und mehreren unmotorisierten Schleppkähnen, die mit Hilfe von Trossen vom Schlepper gezogen wurden. Durch die größere Schleusenkammer sollte das zeitraubende Entkoppeln und anschließende Zusammenführen eines Schleppzugs möglichst eingespart oder wenigstens minimiert werden.[1] Begrifflich wurden Schleppzugschleusen bis in die 1940er Jahre gebaut, da sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Selbstfahrer mit eigenem Motor immer mehr durchsetzten.
Hintergrund
Die im 19. Jahrhundert entstandene Kettenschifffahrt mit Dampfantrieb war die Ablösung der Treidelschifffahrt. Durch Schleppzüge konnte der Transport über Wasserwege wirtschaftlicher und mit den Kettenschleppern deutlich schneller abgewickelt werden. Die geringe Tauchtiefe der Kettenschlepper von nur 50 Zentimeter machte es möglich, auch die Nebenflüsse der deutschen Ströme mit Schleppzügen zu befahren. Jedoch war der Unterhalt und die Erneuerung der Ketten aufwendig und der Begegnungsverkehr 'auf der Kette' umständlich. Schließlich bereitete der Ausbau der Gewässer mit Staustufen der Kettenschifffahrt ein Ende. Sie wurden ersetzt durch die 'unabhängigen' Raddampfschlepper und ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts vermehrt durch Schlepper mit Propellerantrieb.[2] Schleppzüge waren in der Zeit auf allen großen Strömen und ihren Nebenflüssen anzutreffen.
Abmessungen
Je nach Fahrtgebiet der Schleppzüge hatten die Schleusen angepasste Längen und Breiten, da sich die Schleppzüge anhand der Anzahl angehängter Kähne und der Kahntypen des Reviers unterschieden. Im Optimalfall war die Schleuse so lang wie die Summe der Schiffslängen eines üblichen Schleppzugs, damit dieser komplett und in der richtigen Reihenfolge in der Kammer Platz fand. Dies trifft zwangsläufig auf eine Grenze, da man Schleusen nicht beliebig lang bauen kann. Eine Lösung waren Doppelschleusen, um den Schleppzug auf zwei Kammern aufzuteilen. Alternativ erhielt die Kammer wie bei einer Kesselschleuse im Inneren eine größere Breite, damit die Schleppkähne darin nebeneinander liegen konnten. Bisweilen ergab sich die größere Breite der Kammer durch die verwendeten Radschlepper, deren seitliche Antriebsräder die übliche Breite der Schleppkähne überschritt. Ansonsten besaßen Schleppzugschleusen mit breiter Kammer einen gegenseitigen Versatz der beiden schmaleren Häupter, damit nach der Schleusung die Fahrtfolge der Schiffe erhalten bleiben konnte. Bei sehr langen Schleusen errichtete man bisweilen Mittelhäupter, um die Kammer in Teilen zu betreiben und dadurch Zeit und Wasser bei der Schleusung zu sparen.
Schleppzugschleusen an deutschen Flüssen und Kanälen
Für die Schleppschifffahrt auf Rhein und Elbe gab es keine Behinderungen durch Querbauwerke und Schleusen. Der Ausbau des Neckars wurde mit 'normalen' Schleusen gestartet und der Bau der Staustufen an der Mosel erfolgte erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die Staustufen am Unterlauf des Mains sollte den Schleppschiffen den Zugang vom Rhein ermöglichen. Dazu wurden die vorhandenen vier Schleusen auf 350 Meter verlängert. Sie hatten bei einer Torbreite von 12 Metern eine Kammerbreite von 15 Meter, um Schleppkähne nebeneinander legen zu können.[3] Beim weiteren Ausbau des Mains in den 1930er Jahren versah man die weiteren Staustufen mit 300 Meter langen Schleusenkammern.
Die Weser erhielt am Weserwehr bei Hemelingen ebenfalls eine Schleppzugschleuse von 350 Meter Länge und 12 Meter Breite.[4] Beim weiteren Ausbau der Weser als Großschifffahrtsweg wurden weitere Schleppzugschleusen mit 225 Meter Länge in Dörverden und Hameln angelegt.[5] Auch am Nebenfluss Aller bestand Schleppschifffahrt mit Schleusen von rund 160 Meter Länge.
An der Donau erfolgte in den 1920er Jahren der Bau der ersten Schleppzugschleuse als Doppelschleuse Kachlet. Die beiden Kammer haben 230 Meter Länge und eine Nutzbreite von 24 Meter, wodurch ein Schleppzug mit vier Schleppkähnen geschleust werden konnte.[6]
Der in den 1890er Jahren gebaute Dortmund-Ems-Kanal beruht im nördlichen Teil auf der Kanalisierung der Ems. Die ursprünglich nur für einen DEK-Normalkahn gebauten Schleusen waren aber zu kurz für die Schleppschifffahrt, sodass viele der Schleusen bis zum Beginn des 1. Weltkriegs um Schleppzugschleusen von 165 Meter Länge ergänzt wurden. Entsprechend dem Bemessungsschiff betrugen die Schleusenbreiten 10 Meter. Die gleiche Kammerlänge wurde auch beim Bau des Rhein-Herne-Kanals verwendet, sodass die Schleppzüge mit zwei Kähnen durchgehend von der Ems bis an den Rhein verkehren konnten.
Der später gebaute Mittellandkanal war für Schleppzüge mit sechs DEK-Schleppkähnen ausgelegt.[7] Aus diesem Grund wurden die zwei Schleusen in Hannover und Wolfsburg als Doppelschleusen mit jeweils 225 Meter langen Kammern ausgeführt. Um den Anschluss an das Ruhrgebiet zu gewährleisten ergänzte man die Schleuse Münster um eine dritte Kammer mit dieser Länge, sodass darin ebenfalls ein Schlepper mit drei Kähnen Platz fand. Zwei solcher Schleppzugschleusen liegen auch im Elbe-Havel-Kanal als Fortsetzung des Mittellandkanals östlich der Elbe. Die Schleusen beider Kanäle wurden schon mit 12 Meter breiten Kammern gebaut.
Der Ausbau der Märkischen Wasserstraßen zwischen Elbe und Oder basiert auf den Maßkähnen nach Plauer Maß und dem kleineren Finowmaß. Die Schleppkähne hatten die Abmessungen von ungefähr 65 × 8 Meter bzw. 40 × 4,6 Meter. Kleine Schleusen bis 50 Meter Kammerlänge wie beispielsweise die Ragöser Schleppzugschleuse konnten bei Kammerbreiten bis 10 Meter zwei Finowkähne nebeneinander aufnehmen. Mit zunehmender Verbreitung des Plauer Kahns mussten die Kammergrößen angepasst werden. Die Schleuse Brandenburg bekam zunächst eine Kammer mit 67 Meter Länge und 16,6 Meter Breite, sodass zwei Plauer-Kähne nebeneinander liegen konnten. 1909 wurde dort eine 220 Meter lange Schleppzugschleuse hinzugebaut, deren Kammerbreite 17,5 Meter beträgt. So war es in nur einem Schleusungsvorgang möglich, einen kompletten Schleppzug, bestehend aus Schleppdampfer und 6 Großplauer-Maßkähnen, zu schleusen. Wie bei den anderen Schleusen waren die Torbreiten kleiner und gegeneinander versetzt. Im weiteren Verlauf der Havel mit der Unteren Havel-Wasserstraße erhielten die Schleppzugschleusen bis zu 23 Meter breite Kammern mit 220 Meter Länge.[8]
An der Saale sind ebenfalls Schleppzugschleusen zu finden, die in den 1930er Jahren gebaut worden sind. Bei einer Nutzlänge von 103 Meter konnten sie bei 20 Meter Breite drei Saale-Kähne nebeneinander aufnehmen und dadurch bis zu sechs Kähne bei einer Schleusung durchsetzen.
Schleppzugschleusen heute
Mit dem Ausbau der Binnenschifffahrtswege zu Großschifffahrtswegen kam für große Schleusen der Begriff Großschifffahrtsschleuse in Gebrauch. Die 'alten' Schleppzugschleusen mit Torbreiten von 12 Meter können dadurch heute noch von den modernen Großmotorgüterschiffe (GMS) und Schubverbänden von 11,40 Meter Breite passiert werden. Die Schleusenneubauten erhalten aktuell Kammerbreiten von 12,50 Meter, um seitlich einen größeren Freiraum zu geben.
Für die Befahrung mit langen Verbänden im 2er-Verband hintereinander sind Schleusenkammerlängen zwischen 175 und 190 Meter erforderlich, wie sie beispielsweise am Main-Donau-Kanal oder beim Moselausbau einschließlich der Saar errichtet wurden. Als weitere Standardlänge ist eine Kammerlänge von 225 Meter in Deutschland in Gebrauch, wodurch zwei Großmotorgüterschiffe gleichzeitig geschleust werden können. Beispiele finden sich am Mittellandkanal mit dem Stichkanal Salzgitter sowie bei der Planung zum Neubau der Schleuse Lüneburg.
Beim Mainausbau in den 1950er Jahren kamen noch längere Schleusen zur Ausführung. Dies erfolgte auf Basis der schon vorhandenen Schleusen, sodass bis nach Bamberg durchgängig die Schleusenkammerlängen 300 Meter betragen.
Die längste Schleuse in den westdeutschen Kanäle ist die in den 1950er Jahren erbaute Ruhrschleuse Duisburg mit 350 Meter Länge und 13 Meter Breite. Um bei geringem Verkehr Zeit und Wasser zu sparen, war die Schleuse mit einem Mittelhaupt ausgestattet, das in den 1980er Jahren entfernt wurde.
Die größten Schleusen am Oberrhein haben Kammern von 270 Metern Nutzlänge und 24 Metern Breite. Dadurch passen zwei moderne Transporteinheiten nebeneinander hinein, sodass maximal ein 6er-Schubverband in zweispurig-dreigliedriger Anordnung gefahren werden könnte.
Die zehn Meter breiten Schleppzugschleusen am Dortmund-Ems-Kanal werden nicht vergrößert, da sie für zwei Europaschiffe von 9,5 Meter ausreichend sind. Der Kanal wird aber ertüchtigt mit zusätzlichen Schleusen von 140 Meter Länge für die übergroßen Großmotorgüterschiffe.[9] Ebenfalls für diese Schiffsklasse wird jeweils eine der Doppelschleusen am Neckar entsprechend verlängert.[10]
Einzelnachweise
- Dehnert H.: Schleusen und Hebewerke - Ausrüstung und Betrieb der Schleusen. Springer, Berlin, Heidelberg 1954, ISBN 978-3-662-12946-3, S. 42.
- Otto Franzius: Der Verkehrswasserbau. Springer, Berlin, Heidelberg 1927, ISBN 978-3-642-89696-5, S. 398.
- Wasserstraßen und Binnenschiffahrt (1914) auf wikisource.org, abgerufen am 12. April 2021
- Zwischen Weser und Ems Nr. 36 PDF auf silo.tips, Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nordwest 2002, abgerufen am 12. April 2021
- Schleuse Dörverden auf m.doerverden.de, abgerufen am 12. April 2021
- Die Donau zwischen Kelheim und Jochenstein PDF auf schifffahrtsverein.de, abgerufen, am 14. April 2021
- Eckhard Schinkel: Schlepper packen auf. Hrsg.: Eckhard Schinkel. Landschaftsverband Westfalen-Lippe, 1996, ISBN 978-3-88474-398-0.
- Geschichte der Havel auf wsa-spree-havel.wsv.de, abgerufen am 18. April 2021
- Baustart für neue Schleusen auf westfalenspiegel.de, abgerufen am 18. April 2021
- Verlängerung und Grundinstandsetzung von Schleusen auf wsv.de, abgerufen am 18. April 2021