Schützensteuerung
Die Schützensteuerung (veraltet auch als Hüpfersteuerung bezeichnet) ist eine Bauform von indirekten Stufenschaltern und wurde für die Steuerung von Wechselstrommotoren und der Widerstandssteuerung von Gleichstrommotoren mit mittlerer bis großer Leistung genutzt.
Die Schützensteuerung wurde seit den 1900er Jahren bei elektrischen Eisenbahnfahrzeugen als frühe Form der Mehrfachtraktionssteuerung angewandt und diente zur Ansteuerung mehrerer Fahrmotore von einem Führerstand aus. Mit steigender Leistungsfähigkeit setzte sie sich besonders bei Elektrolokomotiven durch.
Für die Steuerung wurden Schütze verschiedener Ausführungen und Bauformen, die damals in der Umgangssprache auch Hüpfer genannt wurden, verwendet. Abgelöst wurde die Schützensteuerung ab den 1930er Jahren zunehmend durch Nockenschaltwerke, welche eine wartungsärmere und feinere Steuerung ermöglichten. Jedoch kamen Schützensteuerungen (vor allem bei elektrischen Triebwagen) noch bis in die 1970er Jahre hinein - dem beginnenden Zeitalter der Leistungselektronik - zur Anwendung.
Entwicklungsgeschichte
Die Schützensteuerung war eine der ersten Möglichkeiten zur Steuerung verschiedener Spannungen von Gleich- und Wechselstrommotoren in elektrischen Triebwagen Lokomotiven. Sie wurde entwickelt, um speziell bei Fahrzeugen von Straßenbahnen und Untergrundbahnen mehrere (und über den ganzen Zug verteilte) Antriebe zugleich ansteuern zu können und so eine Mehrfachtraktion von einem Führerstand aus zu ermöglichen. Als Nebeneffekt ergab sich so de facto eine Form der Vielfachsteuerung.
Erfunden wurde die Schützensteuerung 1895 in den USA durch den Elektropionier Frank Julian Sprague und 1897 erstmals angewandt.[1] Es gelang ihm auf diese Weise, die Steuerung vom zunehmend mit höheren Strömen belasteten Motorstromkreis zu trennen und den Fahrstrom nicht mehr direkt durch die Fahrschalter (und womöglich noch über Leitungen in weitere Fahrzeuge) führen zu müssen. Somit konnte jedes Fahrzeug über eine eigene Stromabnahme und separate Steuerung verfügen, die vom Kontroller am Führerstand des führendes Fahrzeuges aus durch eine durch den Zug gehenden Steuerleitung angesteuert wurde. In Amerika war die Schützensteuerung von Anfang an ein Erfolg und trug maßgeblich zur Entstehung von Untergrund- und Hochbahnen bei. Eine der frühesten Anwendungen in Europa waren die mit 1200 V Gleichstrom betrieben Triebwagen der Überetscher- und Mendelbahn (elektrisch ausgerüstet von Ganz & Co.) in Südtirol[2] und (nach dem System Thomson multiple) bei der RATP-Baureihe Sprague-Thomson der Pariser Metro ab ca. 1905. Hier war vor allem ein durch die mit hohen Strömen belastete Steuerung ausgelöster Brandunfall Auslöser der Entwicklung.
Weil bei der ersten mit Einphasen-Reihenschlussmotor ausgerüsteten elektrischen Lokomotive ES 1 der Preußischen Staatseisenbahn die schwer zu beherrschenden mechanischen Getriebe des damals verwendeten Drehtransformators in der Bedienung umständlich und durch ihr Gewicht schwer zu bedienen waren, wurde die Schützensteuerung in Folge erstmals bei größeren Lokomotiven im heutigen Deutschland angewandt. Auch in den Nachbarländern wie Österreich, der Schweiz und Frankreich sollte sich diese Art der Steuerung bald bei Elektrolokomotiven durchsetzen. Ähnlich war die Herangehensweise bei Gleichstrommotoren, mit zunehmender Leistung und Erhöhung der Fahrdrahtspannung kamen auch hier zunehmend Schützensteuerungen zur Anwendung.
Die verschiedenartigen Steuerungsarten entstanden im Wettbewerb zwischen allen renommierten elektrotechnischen Firmen. Die Schützensteuerung war über lange Zeit die zahlenmäßig dominierende Steuerungsart von elektrischen Lokomotiven, viele solcher Maschinen blieben museal erhalten (z. B. DB E 69 02, E 95 oder E 77, ÖBB 1245, 1040 oder 1099, SBB Re 4/4 I, Ae 3/5 oder Ae 3/6 III).
Beschreibung
Zweck der Steuerung war die Leistungsänderung der elektrischen Motoren durch mehr oder weniger große Änderung der zugeführten Spannung die Abgriffe auf die Sekundärseite des Leistungstransformators anzusteuern. Die Schützensteuerung steuerte mit Hilfe der sogenannten Schützen die Hochspannungskreise der Fahrzeuge. Dabei wurde die Ansteuerung der Schütze vom Führerstand aus entweder mit ungefährlicher Kleinspannung (elektromagnetisch) oder mit Druckluft (elektropneumatisch), je nach Bauart der Schütze und ausführender Firma, vorgenommen. Speziell die elektropneumatische Schützensteuerung wurde früher auch als Hüpfersteuerung bezeichnet. Dieser Begriff weitete sich später auf beide Bauarten aus.
Die Schaltung wird an dem Beispiel der Steuerung des Einphasen-Reihenschlussmotors beschrieben; der Schaltvorgang zwischen zwei Anzapfung des Transformators musste ohne Unterbrechung vonstatten gehen, denn es mussten durch das Öffnen von Schützen Überspannungen vermieden werden. Dafür arbeiteten jeweils zwei benachbarte Schütze gemeinsam unter Einschaltung der in der Skizze mit D bezeichneten Drosselspule. Dadurch erhielt der Motor den arithmetischen Mittelwert von den Spannungen der beiden Anzapfungen. Beim Schalten auf eine höhere Fahrstufe musste zuerst das niedrige Schütz geschlossen und danach das nächsthöhere zugeschaltet werden. Beim Abwärtsschalten wurde dieser Schaltvorgang umgekehrt ausgeführt. Da die Schütze der geraden Nummern und die der ungeraden jeweils den gleichen Zugang zu der Drosselspule D haben, muss ein zeitgleiches Einschalten von ungeraden bzw. geraden Schützen auf jeden Fall vermieden werden, da dies einen Kurzschluss verursachen würde. Dafür sind die Schütze mit einem Verriegelungskontakt versehen, der ein Zuschalten von zwei Schützen derselben Geradigkeit vermeiden soll. Der Schaltvorgang spielte sich auf dem Führerstand dermaßen ab, dass beim Hochschalten auf dem Führerstand eine Kontrolllampe aufleuchtete; war die nächste Fahrstufe erreicht, erlosch sie wieder. Das erklärt auch die einfache Steuerung der Schützensteuerung: Ein Schalten des Fahrschalters auf die höchste Fahrstufe hatte nicht einen Spannungssprung auf diese Stufe zur Folge, die Verriegelungskontakte schalteten die Lokomotive nach und nach auf die gewünschte Stufe.
Diese Schaltung war die allgemeine Herangehensweise bei der Schützensteuerung. Sollten größere Zuglasten gesteuert werde, behalf man sich mit mehr Anzapfungen am Transformator und mehr Leitungen zur Drosselspule. Im Beispiel der E 91.3 waren zwei Transformatoren vorhanden, dadurch bestand eine Sicherheit gegen Defekt eines Transformators, außerdem existierten bei dieser Lokomotive drei Leitungen zur Drosselspule. Dadurch konnten jeweils drei Schütze gleichzeitig eingeschaltet werden. Die zu steuernden Fahrmotoren waren in Reihe geschaltet. Sie besaßen eine Ausschaltsteuerung, um einen defekten elektrischen Motor abzuschalten. Lokomotiven mit nur einem Transformator besaßen die Möglichkeit der doppelten Anzapfung der Sekundärseite, dadurch konnte, wie bei der E 71.1 praktiziert, ebenfalls die Zahl der Anzapfungen erhöht werden. Ein Abfallen der Steuerspannung hatte eine sofortiges Abstellen aller Schütze zur Folge, der Bediener konnte die Schützsteuerung dann nur über die Fahrschalterstellung 0 wieder aufbauen.[3]
Anwendung
Schützensteuerungen wurden bevorzugt bei elektrischen Fahrzeugen für verschiedene Dienste eingesetzt und zeigten gute Resultate bis die Steuerung mit Nockenschaltwerk und Feinsteller aufkam. Anfangs waren sie auch eine große Erleichterung der Bedienung gegenüber der Bedienung mit einem Drehtransformator oder einer Steuerung mit Bürstenverstellung wie bei dem Repulsionsmotor. Besonders war ihre Anwendung erforderlich bei Lokomotiven mit mehreren elektrischen Motoren, und so waren die ersten Lokomotiven mit Mehrmotorantrieb, wie die deutsche E 71.1 oder die österreichische 1170 auch mit ihr ausgerüstet. Es sind in der Literatur keine Mängel bei den betreffenden Lokomotiven aufgeführt. Über bestimmte Unzulänglichkeiten wie die nach wie vor geringe Anzahl der Fahrstufen sowie das Klebenbleiben sah man anfangs großzügig hinweg, die Loks waren zu der Zeit mit zwei Mann besetzt und die zu befördernden Lasten hielten sich durch die geringen Streckenentfernungen in Grenzen. Lokomotiven mit Einzelachsantrieb bedingten eine Schützensteuerung.[4]
Situation in Deutschland
Mit der deutschen E 95 war ein Grenzfall bei der Anwendung der Schützensteuerung eingetreten, hinsichtlich der zu steuernden Zugkräfte und der Fertigungskosten. Als die Fahrzeuge mit Nockenschaltwerk und Feinsteller aufkamen, änderte sich die Einstellung der Lokpersonale, war mit ihnen doch ein viel feinstufigeres Schalten möglich. Als dann noch die Umstellung auf Einmannbedienung aufkam, bedeutete das für die Lokomotiven mit Schützensteuerung zumindest in Deutschland das Aus.[5] Sofern sie nicht umgerüstet wurden, wurden sie ausgemustert.
Situation in Österreich
Ab den 1900er Jahren gab es mit Schützensteuerung ausgerüstete Triebwagen für Gleichstrombetrieb auch in Österreich-Ungarn, 1910 wurden mit den Elektrolokomotiven der Mariazellerbahn erstmals auch größere, mit Wechselstrom betriebene Lokomotiven mit einer solchen ausgerüstet. 1912 folgte mit der Reihe 1060 der k.k. Staatsbahnen die erste Vollbahn-Maschine mit Schützensteuerung für die Mittenwaldbahn, 1914 die Reihe Ewp der Lokalbahn Wien-Pressburg. Bei den Triebwagen der Type N der Wiener Stadtbahn (1925) und der Reihe 220/230 der Wiener Lokalbahn (1927/28) kam die Schützensteuerung in elektro-pneumatischer Form auch bei Schnellbahn-Triebwagen zur Ausführung. Bis in die 1950er Jahre war die Schützensteuerung die dominierende Bauart von Steuerungen bei elektrischen Triebfahrzeugen in Österreich.
In Österreich fahren Lokomotiven und Triebwagen mit Schützensteuerung teilweise bis heute. Bis Anfang dieses Jahrtausends waren die Altbau-Elektrolokomotiven der Reihen 1245, 1040 und 1041 der Österreichischen Bundesbahnen ein gewohntes Bild auf österreichischen Bahnstrecken und mit ihnen das bekannte Geräusch der Schützensteuerung. Die schmalspurigen Lokomotiven der Reihe 1099 von 1910/11 fuhren sogar bis in das Jahr 2013 im täglichen Verkehr und seit der grundlegenden Modernisierung in den 1960er Jahren ausschließlich einmännig. Auch heute fahren noch einige Fahrzeuge mit Schützensteuerung im täglichen Betrieb in Österreich, jedoch ausschließlich auf Nebenstrecken von Privatbahnen. Es sind dies u. a. Güterzugs-Lokomotiven von Stern & Hafferl, weiters die in den frühen 1950er Jahren gebauten "Grazer" Triebwagen der Linzer Lokalbahn und die beiden (zwischenzeitlich modernisierten) Fahrzeuge der Lokalbahn Feldbach – Bad Gleichenberg von 1930.
- Der in den 1980er Jahren modernisierte Triebwagen ET 1 der Lokalbahn Feldbach – Bad Gleichenberg von 1930 wird noch immer mit der ursprünglichen Schützensteuerung von ELIN gesteuert
- Führerstand des ET 1 mit dem antiquiert wirkenden Fahrschalter (Kontroller) der Schützensteuerung
Hersteller
Hersteller von Schützensteuerungen waren im deutschsprachigen Raum unter anderem die Firmen AEG-Union, Siemens-Schuckertwerke (SSW), Brown-Boveri (BBC), Österreichische Siemens-Schuckert-Werke (ÖSSW), ELIN, SAAS, MFO und die Bergmann Electricitäts-Werke (BEW).
Literatur
- B. Wachsmuth Die Steuerungen der elektrischen Wechselstrom-Hauptbahnlokomnotiven der preußischen Staatsbahn in Elektrische Schienenfahrzeuge auf Glasers Annalen 1909-1929, Transpress-Reprint, Berlin 1990, ISBN 3-925952-11-X, Seite 54 ff.
- H. Tetzlaff Elektrische Triebwagen für Fahrleitungsbetrieb in Elektrische Schienenfahrzeuge auf Glasers Annalen 1930-1953, Transpress-Reprint, Berlin 1990, ISBN 3-344-00477-8, Seite 79 ff.
- H. Tetzlaff Fünf Jahre deutscher elektrischer Lokomotivbau in Elektrische Schienenfahrzeuge auf Glasers Annalen 1930-1953, Transpress-Reprint, Berlin 1990, ISBN 3-344-00477-8, Seite 165 ff.
Weblinks
Einzelnachweise
- Digitalisierter Bestand der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann. Abgerufen am 28. Juni 2021.
- Digitalisierter Bestand der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann. Abgerufen am 28. Juni 2021.
- B. Wachsmuth: Die Steuerungen der elektrischen Wechselstrom-Hauptbahnlokomnotiven der preußischen Staatsbahn. In: Elektrische Schienenfahrzeuge auf Glasers Annalen 1909-1929. Transpress-Reprint, Berlin 1990, ISBN 3-925952-11-X, Seite 54 ff.
- H. Tetzlaff: Fünf Jahre deutscher elektrischer Lokomotivbau. In: Elektrische Schienenfahrzeuge auf Glasers Annalen 1930-1953. Transpress-Reprint, Berlin 1990, ISBN 3-344-00477-8, Seite 165 ff.
- Glanert/Borbe/Richter Reichsbahn-Elloks in Schlesien VGB-Verlag 2015, ISBN 978-3-8375-1509-1, Seite 233