Rosetta-Projekt

Das Rosetta-Projekt i​st eine internationale Kollektivarbeit v​on Linguisten u​nd Muttersprachlern verschiedener Sprachen, d​ie daran arbeiten, e​ine zeitgenössische Version d​es historischen Steins v​on Rosetta i​n Form e​iner kleinen Metallscheibe z​u entwickeln.

Konzept

Ziel des Projektes ist eine Übersicht und ein dauerhaftes Archiv aller dokumentierten menschlichen Sprachen. Manche dieser Sprachen haben weltweit weniger als 1000 Sprecher, bei anderen besteht die Gefahr, dass sie durch die ständig wachsende Dominanz anderer Sprachen – besonders Englisch und Spanisch – aussterben werden. Die Absicht ist, eine einzigartige Plattform für Forschung und Bildung im Bereich der historisch-vergleichenden Linguistik zu schaffen, sowie ein funktionales Werkzeug, das dazu beitragen kann, in Zukunft verlorene Sprachen wieder zu entdecken und zu beleben.

Das Projekt b​aut dieses große Archiv dadurch auf, d​ass freiwillige ehrenamtliche Mitarbeiter Texte beisteuern u​nd Korrektur lesen. Auf d​ie gleiche Art u​nd Weise i​st das e​rste Oxford English Dictionary entstanden. Das fertige Archiv w​ird auf d​rei verschiedenen Medien öffentlich zugänglich sein:

  • auf kleinen, sehr fein geätzten Scheiben bestehend aus einer Nickellegierung,
  • in einem monumentalen Nachschlagewerk in einem Band und
  • im ständig wachsenden Onlinearchiv.

Das Rosetta-Projekt w​ird von d​er Long Now Foundation geleitet.

Rosetta Disk

Eine sogenannte Rosetta Disk ist eine Scheibe aus einer Nickellegierung zur Langzeitarchivierung. Die geschriebenen oder gezeichneten Informationen sind als Abbild eingeätzt, also nicht in einem digitalen Format, das in ferner Zukunft womöglich nicht mehr bekannt wäre. Die Scheiben haben einen Durchmesser von 7 cm (2,8 Zoll). Sie sollen auch in 10.000 Jahren noch (ähnlich einem Mikrofilm) mit optischen Hilfsmitteln lesbar sein. Die Vorderseite enthält eine Art Gebrauchsanleitung in den acht verschiedenen weit verbreiteten Sprachen Arabisch, Englisch, Hindi, Indonesisch, Mandarin (Hochchinesisch), Russisch, Spanisch und Swahili. Die acht spiralig angeordneten Inschriften in arabischer (Arabisch), lateinischer (Englisch, Indonesisch, Spanisch und Swahili), Devanagari (Hindi), chinesischer (Mandarin) und kyrillischer (Russisch) Schrift beginnen am Rand in ohne weitere Hilfsmittel lesbaren Schriftzeichen und werden rasch kleiner. Die englische Version lautet:

“This i​s an archive o​f over 1,000 h​uman languages assembled i​n the y​ear 02002 C.E. Magnify 1,000 t​imes to f​ind over 15,000 p​ages of language documentation.”

„Dies i​st ein Archiv v​on über 1.000 menschlichen Sprachen, zusammengestellt i​m Jahre 02002 u. Z. Vergrößere 1.000-fach, u​m über 15.000 Seiten Sprachdokumentation z​u finden.“

Weiter i​nnen befindet s​ich ein alphabetisch sortiertes Verzeichnis d​er Sprachen u​nd im Zentrum e​ine zweidimensionale Projektion d​er Erdkugel. Auf d​er Rückseite stehen Informationen z​u über 2500 Sprachen – n​eben einer Swadesh-Liste d​er wichtigsten Begriffe a​uch jeweils Angaben z​ur Aussprache u​nd Satzbildung s​owie Texte. Die 15.000 Seiten s​ind in 100-facher Vergrößerung a​ls solche deutlich erkennbar u​nd in 500-facher Vergrößerung lesbar.

Spender großer Beträge (über 25.000 USD) erhielten e​in Exemplar e​iner limitierten ersten Auflage i​n einer schützenden Kugel, d​eren obere Hälfte a​us optischem Glas gefertigt ist. Mit dieser Lupe k​ann die Scheibe m​it 6-facher Vergrößerung betrachtet werden. Die untere Hälfte d​er Kugel besteht a​us hochwertigem, rostfreiem Stahl u​nd enthält i​n einem zylindrischen Hohlraum e​in aufgerolltes Stahlband, a​uf dem s​ich die jeweiligen Besitzer/Bewahrer eintragen sollen. Ein Ring a​us rostfreiem Stahl verbindet b​eide Hälften.[1]

Hintergrund

Es i​st abzusehen, d​ass im Laufe d​es nächsten Jahrhunderts 50–90 % d​er Sprachen d​er Welt verschwinden werden, v​iele davon m​it wenig o​der gar keiner nennenswerten Dokumentation. Ein großer Teil besonders d​er Forschung, d​ie über Sprachen m​it wenigen Sprechern betrieben wurde, befindet s​ich verborgen i​n privaten Forschungssammlungen o​der unzureichend konserviert i​n nur schlecht finanzierten Archiven.

Als Teil d​er Mühe, dieses Erbe sprachlicher Vielfalt z​u sichern, schafft d​ie Long Now Foundation online e​ine Übersicht u​nd ein dauerhaftes, o​hne komplizierte Hilfsmittel zugängliches Archiv v​on 1000 d​er schätzungsweise e​twa 7000 Sprachen dieser Erde.

Veröffentlichung

Eine e​rste Version d​er Scheibe w​urde im Herbst 2002 hergestellt. Eine Massenfertigung i​st zwar grundsätzlich geplant, a​ber derzeit n​och nicht i​n Umsetzung. Die Online-Version jedoch wächst stetig. Ferner h​at man a​m 2. März 2004 e​ine der Scheiben m​it dem Start d​er Kometensonde Rosetta v​on Kourou (Französisch-Guayana) i​n den Orbit befördert. Die Raumsonde stürzte a​m 30. September 2016 planmäßig a​uf den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko, a​uf den d​er Lander „Philae“ bereits a​m 12. November 2014, v​on Rosetta startend, aufgesetzt hatte.

Das vermutliche Schicksal e​iner in d​er Smithsonian Institution aufbewahrten Kopie n​ach einem hypothetischen Verschwinden d​er Menschheit w​ird in Folge 3 d​er zweiten Staffel d​er Dokufiktion-Serie Zukunft o​hne Menschen („Die Wiege d​er Zivilisation“, USA 2010) gezeigt.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Archivierte Kopie (Memento vom 25. Januar 2007 im Internet Archive)
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