Roger Peyrefitte
Roger Peyrefitte (* 17. August 1907 in Castres, Département Tarn; † 5. November 2000 in Paris) war ein französischer Schriftsteller und Diplomat. Er gilt als Pionier der Homosexuellen-Literatur.
Leben
Geboren in einer wohlhabenden Familie aus Languedoc im Südwesten Frankreichs, besuchte er zunächst verschiedene Jesuiten- und Lazaristen-Kollegs und studierte später Sprachen und Literatur in Toulouse, bevor er in die elitäre École libre des sciences politiques (heute Institut d’études politiques de Paris) eintrat. 1930 schloss er seine Studien als Bester seines Jahrgangs ab und begann 1931 seine diplomatische Laufbahn im französischen Außenministerium. Von 1933 bis 1938 war er Botschaftssekretär in Athen. Zurück in Paris, unterbrach er aus persönlichen Gründen – im Jahre 2010 wurde bekannt, dass er zuvor beim sexuellen Verkehr mit Minderjährigen aufgegriffen worden war[1] – von Oktober 1940 bis Mai 1943 seine Arbeit für das Außenministerium. Seine Karriere wurde 1945 wegen der Anschuldigung der Kollaboration mit Nazi-Deutschland endgültig beendet. Er wurde allerdings 1962 rehabilitiert.
Peyrefitte lebte offen homosexuell. Des Weiteren befürwortete er Päderastie: „J’aime les agneaux pas les moutons!“ (Ich mag die Lämmer, nicht die Schafe!). Weit mehr noch als André Gide und im Gegensatz zu Henry de Montherlant, dessen Freund er lange Zeit war, vertrat er in seiner literarischen Karriere ausführlich seine Liebe zu Knaben.
Trotz seiner liberalen Ansichten zur Sexualität war er politisch sehr konservativ, was ihn in den letzten Jahren zu einem Unterstützer des rechtsextremen Politikers Jean-Marie Le Pen und dessen Partei Front National werden ließ. Gleichzeitig war er gelegentlich offen für den fundamentalistischen Katholizismus. Obwohl er zeit seines Lebens gegen die katholische Kirche immer wieder polemisierte, empfing er die Sterbesakramente der Kirche. Peyrefitte starb in Paris mit 93 Jahren an der Parkinson-Krankheit und fand seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof von Alet-les-Bains (Département Aude).
Schriftstellerische Karriere
In seinen oft kontroversen Werken legte er sich mit vielen Gruppierungen und Einzelpersonen an. Er machte weder vor seinen ehemaligen Arbeitgebern vom Quai d’Orsay noch vor der katholischen Kirche halt. Das brachte ihm viele Feinde, u. a. Marlene Dietrich, Françoise Sagan, André Gide und Henry de Montherlant.
Les amitiés particulières (Heimliche Freundschaften)
Für dieses 1944 erschienene Werk erhielt Peyrefitte auf Anhieb 1945 den Theophraste-Renaudot-Preis. Der Autor löste mit dem Buch einen Skandal aus, denn es deckte recht unorthodoxe amouröse Neigungen in einem katholischen Knabeninternat auf, indem es die Liebe zweier 14 und 12 Jahre alter Jungen zueinander beschreibt. Obschon die Sexualität nur diskret angedeutet wird, ist sie doch ständig im Hintergrund präsent in den hitzigen Gefühlen der Jungen und bisweilen auch der Erwachsenen, so etwa, als der junge Alexander seinem Freund diese Frage stellt: „Georges, weißt du Sachen, die man nicht wissen sollte?“
Man kann diese bewegende Geschichte inmitten einer ausschließlich männlichen Gemeinschaft als eine tragische Konfrontation zweier Religionen verstehen: derjenigen von Christus und derjenigen des Knaben. Jede der Hauptpersonen ist mehr oder weniger durchzogen vom Kampf zwischen der mystischen Liebe einerseits und der Liebe zu Knaben andererseits, zwischen dem offiziellen Christentum und der heimlich triumphierenden Päderastie. Es ist dieser gleichsam mystische Charakter, der in Verbindung mit der Versiertheit des Autors in klassizistischem Stil und strenger Komposition Les Amitiés particulières zu einem Kultbuch werden ließ.
Zwanzig Jahre nach der Buchveröffentlichung verfilmte Jean Delannoy 1964 den Roman (siehe Heimliche Freundschaften). Der Film fand eine triumphale Aufnahme auf der Biennale in Venedig. Zwar hat er nicht die Dichte und Tiefe des Romans, besticht aber durch die schauspielerischen Qualitäten von Didier Haudepin (Alexandre), Michel Bouquet (Pater de Trennes) und Louis Seigner (Pater Lauzon). Die größten Unterschiede zwischen Buch und Film sind das Alter der beiden Protagonisten und die Dauer der Beziehung. Im Film ist Alexandre am Beginn der Beziehung 12 Jahre alt, während Georges 17 ist, und die Beziehung der beiden besteht durch die ganze dreijährige Oberstufenzeit Georges’ hindurch, bis er kurz vor dem Abitur steht. Ein weniger bedeutender Unterschied besteht auch darin, dass Georges im Buch blond ist, im Film jedoch schwarzhaarig, wodurch einige Anspielungen zwischen ihm und Alexandre betreffs der Haarfarbe wegfallen.
Während der Dreharbeiten in der Abtei von Royaumont verliebte sich Roger Peyrefitte in den damals dreizehn- oder vierzehnjährigen Alain-Philippe Malagnac d’Argens de Villele, mit dem er fortan eine leidenschaftliche Beziehung führte, die unter anderem in den Geschichten Notre amour und L’enfant de cœur thematisiert wird. Peyrefitte unterstützte ihn später finanziell und musste in den 1980er-Jahren deswegen sogar seine Münz-, Bücher- und Skulpturensammlungen verkaufen. Seine umfangreiche Sammlung erotischer Kunst wurde in Paris 1978 versteigert. Sie bildet nun die Basis der „Sammlung Dominik M. Klinger“, die mit mehr als 4000 Objekten eine der größten ihrer Art in Privatbesitz weltweit ist.
Historische und satirische Schriften
1953 rief das Buch Les clés de Saint-Pierre, von dem Kritiker meinten, Peyrefitte verspotte darin Papst Pius XII., einen Skandal hervor.[2] François Mauriac drohte damit, die Wochenzeitschrift L’Express zu verlassen, falls diese weiterhin für das Buch Werbung machen sollte. Die Konfrontation zwischen den beiden Schriftstellern steigerte sich noch, als der Film Les amitiés particulières herauskam, und gipfelte in einem harschen offenen Brief von Peyrefitte, der nicht zögerte, versteckte homosexuelle Neigungen von Mauriac anzusprechen und ihn der Scheinheiligkeit zu bezichtigen.
Die gut belegten historischen Romane von Roger Peyrefitte gründen sich auf reale historische oder aktuelle Tatsachen. Die Biografie Alexanders des Großen wurde für die Historiker zum wichtigsten Referenzwerk über diesen mazedonischen Eroberer.
Der Großteil seiner Werke besteht jedoch im Wesentlichen aus Satiren, auch wenn diese bisweilen der Realität unerwartet nahekommen (vgl. Les Ambassades). Einige seiner Arbeiten wenden sich an Spezialisten (Chevaliers de Malte und Les Juifs). Das Werk Les Juifs bzw. deutsch Die Juden behandelte die Abstammung des Großteils der europäischen Führungselite in Bereichen wie Politik und Wirtschaft und behauptete, dass nahezu jeder einflussreiche Politiker, egal ob in Frankreich, Deutschland oder den Niederlanden, Jude war. Er wurde dafür u. a. von den Rothschilds verklagt.[3] Auch wenn Peyrefittes Humor ganz reizvoll ist, erweisen sich manche Texte für den Unkundigen gelegentlich doch als etwas langweilig (Fils de la Lumière).
In den meisten seiner Werke über Themen der Gegenwart konnte er es nicht lassen, bekannte Persönlichkeiten als mit seiner sexuellen Orientierung Gleichgesinnte zu outen, wie z. B. Henry de Montherlant. Roger Peyrefitte prangerte auch diverse Fehler von Personen an, die er inszenierte, um den Leser zu amüsieren, weshalb es für viele sehr gefährlich war, mit ihm Umgang zu haben. Eine der wenigen Persönlichkeiten, über die er voll des Lobes war, war seine (platonische) Freundin Sylvie Vartan. (vgl. L’enfant de cœur)
Peyrefitte schrieb auch über Baron Jacques d’Adelswärd-Fersens Exil in Capri (L’exilé de Capri) und übersetzte griechische päderastische Liebesgedichte (La muse garçonnière).
Seine Werke wurden in viele Sprachen übersetzt. Im Feuilleton einer auflagenstarken Athener Zeitung erschienen Ende der 1970er-Jahre einige von ihnen unter dem Namen Rozé Perfit.
Ehrungen
- 1944 Prix Renaudot für seinen Roman Heimliche Freundschaften.
Werke
- Autobiografie
- Propos secrets. Albin Michel, Paris 1977/99.
- Propos secrets I. 1977, ISBN 2-226-00502-1.
- Propos secrets II. 1980, ISBN 2-226-00978-7.
- L’innominato. Nouveaux propos secrets. 1999, ISBN 2-226-03492-7.
- Biografien
- Le spectateur nocturne. Flammarion, Paris 1960 (Biografie von Nicolas Edme Restif de la Bretonne).
- Die Kunst des Handels oder Das abenteuerliche Leben des Fernand Legros („Tableaux de chasse, ou la vie extraordinaire de Fernand Legros“). Albin Michel, Paris 1976, ISBN 3-552-02929-X.
- Alexander der Große („Alexandre le Grand“). Goldmann, München 1982/88
- Der Junge Alexander („La jeunesse d’Alexandre“). 1982, ISBN 3-442-06455-4 (2 Bde.).
- Alexander der Eroberer („Les conquêtes d'Alexandre“). 1985, ISBN 3-442-06799-5.
- Alexander Der Große („Alexandre le Grand“). 1988, ISBN 3-442-09159-4.
- Voltaire. Sa jeunesse et son temps. Albin Michel, Paris 1985 (2 Bände):
- 1985, ISBN 2-226-02480-8.
- 1980, ISBN 2-226-02533-2.
- Voltaire et Frédéric II. Albin Michel, Paris 1992
- 1992, ISBN 2-226-06020-0.
- 1992, ISBN 2-226-06081-2.
- Bildbände
- Un musée de l’amour. Éditions du Rocher, Monte Carlo 1972 (Fotografien von Marianne Haas).
- Louis Doucet: raconté par … Éditions Sun, Paris 1985, ISBN 2-7191-0226-1 (Fotografien von Rosine Mazin).
- Briefe
- Pierre Sipriot (Hrsg.): Correspondance Henry de Montherlant Roger Peyrefitte (1938–1941). Laffont, Paris 1983, ISBN 2-221-01228-3.
- Erzählungen
- Les amours singulières. Flammarion, Paris 1970 (darin: Le maîtresse de piano und Le Baron de Glœden).
- La Sibylle de Cume. In: Ders. (Hrsg.): Les Œuvres libres, Bd. 1. Fayard, Paris 1951.
- A travers la Campanie. In: Ders. (Hrsg.): Les Œuvres libres, Bd. 2. Fayard, Paris 1952.
- Vom Vesuv zum Ätna. Erzählung („Du Vésuve à l’Etna“). Stahlberg Verlag, Karlsruhe 1955 (übersetzt von Johannes Piron).
- Jeunes proies. Flammarion, Paris 1956.
- Les secrets des conclaves. Flammarion, Paris 1964.
- Manouche. Eine Frau in unserer Zeit („Manouche“). Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1977, ISBN 3-404-00425-6 (übersetzt von Gerhard Heller).
- L’enfant amour. Flammarion, Paris 1972.
- Herzbube. Erzählung („L’enfant de cœur“). Heyne, München 1980, ISBN 3-453-01248-8 (übersetzt von Sybille A. Rott-Illfeld).
- Retour en Sicile. Éditions du Rocher, Monte Carlo 1996, ISBN 2-268-02155-6.
- Romane
- Heimliche Freundschaften. Roman („Les amitiés particulières“). Gmünder Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-86187-837-2 (übersetzt von Günther Vulpius).
- Mademoiselle de Murville. Roman. Éditions J'ai lu, Paris 1969 (J'ai lu; 86).
- L’oracle. Roman. Flammarion, Paris 1974 (Le Livre de Poche; 4006).
- La mort d’une mère. Éditions J’ai lu, Paris 1986, ISBN 2-277-22113-9 (J'ai lu; 2113).
- Diplomaten. Roman („Les ambassades“). Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 1970 (übersetzt von Grete Steinböck).
- Diplomatische Missionen. Roman („La fin des ambassades“). Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 1973, ISBN 3-436-01731-0 (übersetzt von Cajetan Freund).
- Die Schlüssel von Sankt-Peter. Roman („Les clés de Saint-Pierre“). Goldmann, München 1983, ISBN 3-442-06563-1 (übersetzt von Hellmuth Ludwig).
- Malteser Ritter. Roman („Les Chevaliers de Malte“). Stahlberg Verlag, Karlsruhe 1957 (übersetzt von Urban Fürst).
- Exil in Capri. Roman („L’Exilé de Capri“). Gmünder Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-86187-839-9 (Vorwort von Jean Cocteau, übersetzt von Urban Fürst).
- Die Söhne des Lichts. Roman („Les fils de la lumière“). Stahlberg Verlag, Karlsruhe 1962 (thematisiert die Freimaurerei, übersetzt von Günther Vulpius).
- Die Natur des Prinzen. Roman („La Nature du Prince“). Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 1970, ISBN 3-436-01307-2 (übersetzt von Günther Vulpius).
- Die Juden. Roman („Les Juifs“). Stahlberg Verlag, Karlsruhe 1966 (übersetzt von Brigitte Weitbrecht).
- Die unmögliche Liebe. Roman („Notre amour“, 1967). Stahlberg Verlag, Karlsruhe 1968 (übersetzt von Max Schmalfeldt).
- Amerikaner, Amerikaner. Roman („Les Américains“). Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 1984, ISBN 3-596-28098-2 (übersetzt von Erika Wolber).
- Paris ist eine Hure. Roman („Des Français“). Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 1984, ISBN 3-596-28099-0 (übersetzt von Max Schmalfeldt).
- La Coloquinte. Roman. Éditions J’ai lu, Paris 1973 (J'ai lu; 473).
- Roy. Roman. Éditions T. G., Paris 2005, ISBN 2-914679-17-3.
- L’Illustre écrivain. Roman Albin Michel, Paris 1982, ISBN 2-226-01482-9.
- Die rote Soutane. Roman („La soutane rouge“). Goldmann, München 1986, ISBN 3-442-08470-9 (übersetzt von Martin Schulte).
- Le Dernier des Sivry. Roman. Éditions du Rocher, Monte Carlo 1993, ISBN 2-268-01486-X.
- Sachbücher
- Hommage an Arno Breker. Festschrift zum 80. Geburtstag des Bildhauers. Marco Éditions, Paris 1980 (zusammen mit Volker G. Probst).
- Réflexion sur De Gaulle. Société des Éditions régionales, Genf 1991, ISBN 2-84035-003-3.
- C’etait De Gaulle. Éditions de Fallois, Paris 1995/2000
- La France redevient la France. 1995, ISBN 2-213-02832-X.
- La France repend sa place dans le monde. 1997, ISBN 2-213-59458-9.
- Tout le monde à besoin d’une France qui marche. 2000, ISBN 2-213-60059-7.
- Theater
- Le prince des neiges. Drame en 3 Actes. Flammarion, Paris 1961 (UA Théâtre Hébertot, Paris 10. Dezember 1947).
- Übersetzungen
- Lukian von Samosata: Les amours. Flammarion, Paris 1954 (aus dem Griechischen).
- Lukian von Samosata: La muse garçonnière. Flammarion, Paris 1973 (aus dem Griechischen).
Literatur
- David Berger: Peyrefitte, Roger. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 31, Bautz, Nordhausen 2010, ISBN 978-3-88309-544-8, Sp. 1057–1061.
- Patrick Buisson: 1940 – 1945. Années érotiques. Michel, Paris, 2008/09
- Vichy ou les infortunes de la vertu. 2008, ISBN 978-2-226-18394-1.
- De la grande protituée à la revanche des mâles. 2009, ISBN 978-2-226-18688-1.
- Jean Chalon (Hrsg.): Hommage à Peyrefitte. Love to Roger; Festschrift zum 75. Geburtstag. Marco Éditions, Paris 1982 (illustriert von Arno Breker, Salvador Dalí, Pierre-Yves Trémois, Amanda Lear, Jean Carzou, Yves Bayer).
- Paul-Xavier Giannoli: Roger Peyrefitte ou les clés du scandale. Fayard, Paris 1970.
- Maurice Périsset: Roger Peyrefitte ou La boutiquière de Castres. Lefeuvre, Nizza 1979.
- Antoine Deléry: Roger Peyrefitte le sulfureux. H&O éditions, Le Triadou, 2011.
Einzelnachweise
- So trieben es die Franzosen mit den Deutschen. In: welt.de. 28. August 2018, abgerufen am 13. Januar 2020 (Rezension von: Patrick Buisson: 1940–1945. Années érotiques).
- Vatikan: Plauderten die Kardinäle? In: Der Spiegel. Nr. 35, 1955 (online).
- Peyrefitte: Namen und Nasen. In: Der Spiegel. Nr. 29, 1965 (online).
Weblinks
- Literatur von und über Roger Peyrefitte im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Biblioweb: Biografie, Bibliografie (Memento vom 4. Oktober 2006 im Internet Archive) – französisch
- Michael D. Sibalis: Peyrefitte, Roger (1907–2000). In: glbtq Encyclopedia. 2006, archiviert vom Original am 18. April 2006 (englisch, Kontroversen).