RhB Be 4/4
Die sechs Elektrotriebwagen der Serie Be 4/4 mit den Betriebsnummern 511 bis 516 kommen bei der Rhätischen Bahn (RhB) im Regionalverkehr zum Einsatz.
Be 4/4 | |
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Be 4/4 515 der Rhätischen Bahn bei Rhäzüns | |
Nummerierung: | 511–516 |
Anzahl: | 6 (4+2) |
Hersteller: | FFA, SAAS, SIG |
Baujahr(e): | 1971, 1979 |
Ausmusterung: | ab 2021 |
Achsformel: | Bo’Bo’ |
Spurweite: | 1000 mm (Meterspur) |
Länge über Puffer: | 18,7 m (dreiteiliger Pendelzug 55,8 m) |
Dienstmasse: | 44,6 t |
Reibungsmasse: | 44,6 t |
Radsatzfahrmasse: | 11,2 t |
Höchstgeschwindigkeit: | 90 km/h |
Stundenleistung: | (1156 PS) h-Leistung an Motorwelle 4 × 196 kW = 784 kW |
Beschleunigung: | 0,8 m/s² |
Bremsverzögerung: | 0,8 m/s² |
Stromsystem: | 11 kV 16,7 Hz |
Stromübertragung: | Stromabnehmer |
Anzahl der Fahrmotoren: | 4 |
Bremse: | elektrische Widerstandsbremse |
Lokbremse: | mechanische Handbremse |
Zugbremse: | elektropneumatische Druckluftbremse Bauart Oerlikon |
Kupplungstyp: | GFV |
Sitzplätze: | 40 (dreiteiliger Zug 12 1. Kl., 136 2. Kl., 22 Klappsitze) |
Klassen: | 2 Kl. |
Besonderheiten: | Vielfachsteuerung |
Geschichte
Die RhB sah sich in den 1960er Jahren mit stetig steigenden Fahrgastzahlen und auch steigenden Anforderungen an das Rollmaterial konfrontiert. Gerade die Ansprüche der Fahrgäste an das Rollmaterial hatten sich geändert. Dies veranlasste die RhB zu eingehenden Studien, was denn für neues Rollmaterial angeschafft werden sollte. Diese zeigten unter anderem, dass Bedarf für ein zeitgemässes Fahrzeugkonzept im Vorortsverkehr um Chur bestand. So beschloss die RhB Ende Oktober 1968, vier moderne dreiteilige Pendelzüge zu bestellen. Diese sollten neben dem Vorortsverkehr um Chur auch für Sportzüge eingesetzt werden können.
Im Jahr 1971 lieferten die Unternehmen FFA (Wagenkästen), SIG (Drehgestelle) und SAAS (elektrische Ausrüstung) die ersten vier Triebwagen (Nummern 511–14) an die RhB, seinerzeit die ersten serienmässigen Triebfahrzeuge der Schweiz mit stufenloser elektronischer Leistungsregelung (Phasenanschnittsteuerung mittels Thyristoren). Gleichzeitig stellte die RhB die dazu passenden Zwischenwagen B 2411–14 und Steuerwagen ABDt 1711–14 in Dienst, so dass vier dreiteilige Pendelzüge gebildet werden konnten. Im Gegensatz zum übrigen RhB-Rollmaterial besitzen die Be 4/4-Pendelzüge automatische Kupplungen und Druckluftbremsen; ein gemischter Einsatz mit anderen Fahrzeugen ist deshalb nicht möglich. 1979 beschaffte die RhB zwei weitere praktisch baugleiche Züge mit den Endnummern 15 und 16. Nachdem 1988 vier zusätzliche Zwischenwagen (B 2417–20) hinzugekommen waren, konnten auch vierteilige Züge verkehren. Ab 1994 durchliefen die Fahrzeuge ein umfangreiches Refit-Programm, wobei die elektrische Ausrüstung mit Ausnahme der Fahrmotoren komplett erneuert wurde.
Technisches
Die Triebwagen sind als Stahl-Schweisskonstruktion ausgeführt. Diese mussten statisch als Neukonstruktion angesehen werden, weshalb an den Rohbauwagenkasten Belastungsversuche mit entsprechenden Messungen durchgeführt wurde. Die dazugehörenden Wagen besitzen im Gegensatz dazu vollverschweisste Leichtmetall-Wagenkästen. Die gesamte Zugskomposition war von Anfang an darauf ausgelegt, einmännig bedient zu werden. Deshalb sind alle Türen mit einer pneumatischen Türschliessung ausgestattet, die vom Führerstand aus betätigt werden kann (seitenselektive Türfreigabe). Die Türen besitzen Druckknopf-Vorauswahltasten neben den Türen. Auch besitzen sie eine Türschliessautomatik, die beim Anfahren die Türen selbsttätig schliesst und während der Fahrt geschlossen hält. Bei der Inneneinrichtung wurde auch darauf geachtet, dass genügend Haltestangen vorhanden sind, da im geplanten Einsatz durchaus mit Stehpassagieren gerechnet werden musste. Alle Achsen sind scheibengebremst. Die Drehgestelle sind mit Seitenanlenkern versehen und besitzen keine Drehzapfen. Der Triebwagen besitzt zwei zweiachsige Drehgestelle mit Einzelachsantrieb, die Achsformel lautet dementsprechend Bo’Bo’. Die Triebmotoren sind gegenläufig, mit entsprechend angepassten Getrieben, angeordnet. Diese – zwar aufwendigere – Anordnung hat Vorteile in der Laufruhe des Drehgestells. Die eingebaute Vielfachsteuerung ist für den Betrieb von bis zu drei Einheiten ausgelegt. Um ein schnelles Kuppeln und Entkuppeln zu gewährleisten, wurden automatische +GF+-Kupplungen in der Ausführung für Vorortsbahnen (GFV) eingebaut, bei denen neben der mechanischen Verbindung zugleich auch die elektrischen und pneumatischen Leitungen gekuppelt werden.
Die Fahrzeuge verfügen über eine Beschleunigung von 0,8 m/s². Die zulässige Endgeschwindigkeit beträgt 90 km/h. Die elektrische Bremse kann ebenfalls mit einer Verzögerung von 0,8 m/s² den Zug bis auf eine Geschwindigkeit von 20 km/h abbremsen. Darunter schaltet sich die elektropneumatische Bremse selbsttätig zu, um die abfallende Bremsleistung der elektrischen Bremse zu kompensieren. Die elektrische Bremse ist auch auf die Dauerbelastung ausgelegt, die bei einer Anwendung als Beharrungsbremse bei einem vollausgelasteten Zug in einem 45 ‰ Gefälle auftritt (z. B. Davos – Küblis). Die Stundenleistung beträgt 780 kW bei 45 km/h.
Betriebliches
Der Triebwagen selbst bietet 40 Sitzplätze 2. Klasse. Der bestellte Zug mit einem B-Zwischenwagen und dem Steuerwagen bietet insgesamt 12 Sitzplätze 1. Klasse, 136 Sitzplätze 2. Klasse und zusätzlich 22 Klappsitze.
Haupteinsatzgebiet der Vorortspendel war und ist der Regionalverkehr im Raum Chur. Einsätze auf der Linie Davos – Filisur sowie im Oberengadin blieben kurze Episoden.
Am späten Abend des 11. September 2011 entgleiste auf der Carrerabach-Brücke (zwischen Reichenau und Ilanz) infolge eines Schuttkegels der Steuerwagen und der nachfolgende Wagen eines Zuges. Bei dem Unfall wurden drei Insassen leicht verletzt, am Fahrzeug entstand grosser Sachschaden.
Trotz der Tatsache, dass die Be 4/4 durch die neuen ABe 4/16 ersetzt werden, wurde der beschädigte Steuerwagen ABDt 1716 in der Hauptwerkstätte in Landquart wieder aufgebaut. Dazu wurden Teile des Mittelwagens B 2415 verwendet, welcher ebenfalls im Unfallzug eingereiht war. Dieser diente als Ersatzteilspender und wurde im Mai 2012 abgebrochen.[1]
Seit die ABe 4/16 den S-Bahn-Betrieb zwischen Thusis, Chur, Landquart und Schiers übernommen haben, sind die Be 4/4-Pendel hauptsächlich rund um Davos, auf den Verstärkerfahrten nach Klosters eingesetzt. Im September 2020 werden sie auch dort nach und nach durch die neuen "Capricorn"-Züge ersetzt und nur noch als Reserve vorgehalten. Ein Abbruch der Flotte ist bis Ende 2020 geplant.
Am 29. Januar 2021 wurde der erste Zug bestehend aus Be 4/4 511, B 2412, B 2414 und ABDt 1715 nach Chur zum Abbruch überführt.[2]
Die übrigen Garnituren folgten im Laufe des Jahres 2021.
Am 20. Dezember 2021 wurden die noch verbliebenen Garnituren Be 4/4 514 + ABDt 1711 sowie Be 4/4 515 + ABDt 1716 mit jeweils zwei eingereihten 2.Klasse-Zwischenwagen per Eigenkraft nach Disentis/Mustér gebracht, wo sie durch die Matterhorn Gotthard Bahn (MGB) in Empfang genommen wurden.
Wegen des fehlenden Zahnstangenantriebs der Triebwagen wurden die beiden Garnituren jeweils einzeln von der MGB HGe 4/4 - 108 über die Zahnstangenabschnitte – jeweils mit der Lok am tiefsten Punkt des Zugverbands – geschoben bzw. gezogen und nach Reckingen VS.
Die beiden Triebwagen sollen während des Bundeslagers «HILARI» der Pfadibewegung Schweiz mit 30.000 Teilnehmern im Sommer 2022 den zusätzlichen Pendelverkehr im Goms (Wallis/Valais) auf dem dortigen Streckenabschnitt im Adhäsionsbetrieb abwickeln.
Danach sollen auch die beiden Pendelzüge nach derzeitigem Stand (Februar 2022) voraussichtlich verschrottet werden.
Literatur
- W. Wegmann: Die Nahverkehrs-Pendelzüge der Rhätischen Bahn (RhB) In: Eisenbahn Amateur 2/1975 Seite 53–57
- Franz Skvor: 25 Jahre Thyristor-Pendelzüge der Rhätischen Bahn. In: Schweizer Eisenbahn-Revue 5/1996.
- Daniel Brunner und Leo Fäh: Refit-Aktion bei den Thyristor-Pendelzügen der Rhätischen Bahn. In: Schweizer Eisenbahn-Revue 5/1996.
- Wolfgang Finke, Hans Schweers: Die Fahrzeuge der Rhätischen Bahn: Lokomotiven, Triebwagen, Traktoren. In: Wolfgang Finke (Hrsg.): Die Fahrzeuge der Rhätischen Bahn, 1889–1996. Band 3. Schweers + Wall, Aachen 1998, ISBN 3-89494-105-7 (223 S., [eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche ]).
Weblinks
Einzelnachweise
- Infolge Unwetter: Entgleisung auf der RhB-Strecke Reichenau-Tamins – Ilanz. Bahnonline.ch, 12. September 2011, abgerufen am 16. Oktober 2018.
- Erster Stammnetz-Pendelzug der RhB wurde abgebrochen. Bahnonline.ch, 3. Februar 2020, abgerufen am 4. Februar 2020.