Rape-and-Revenge-Film
Ein Rape-and-Revenge-Film ist ein Film, der zum Subgenre der sogenannten Exploitationfilme gehört. Diese Art von Filmen, deren Übersetzung „Vergewaltigung-und-Rache-Film“ lautet, war ein vor allem in den 1970er-Jahren populäres Genre. Insbesondere bei den älteren Filmen, kam es oft vor, dass die Opfer nicht überleben, so dass ihre Männer, Väter oder Brüder sie rächen, wie z. B. in klassischen Western (Der letzte Zug von Gun Hill, 1959) aber auch Selbstjustiz-Dramen, die außerhalb des Western-Genres angesiedelt sind (wie Ein Mann sieht rot von 1976 und Auge um Auge von 1996). In moderneren Vertretern des Genres überlebt die Frau (fast) immer und ihre Rache kennt mitunter so gut wie keine Grenzen.[1]
Derartige Filme folgen im Wesentlichen einem dreiaktigen Handlungsmuster:
- Akt I: Ein (meist weibliches) Opfer wird vergewaltigt und/oder gefoltert und liegengelassen, der oder die Täter halten sie mitunter für tot (mitunter stirbt die Frau jetzt oder an den Folgen).
- Akt II: Das Opfer überlebt und kommt wieder zu sich (oder stirbt, wird entdeckt und die Familie nimmt Rache).
- Akt III: Die Frau (oder ihr Stellvertreter) nimmt Rache, wobei ehemalige Peiniger z. T. getötet, entehrt oder selbst vergewaltigt werden.
Beschreibung
In älteren Filmen stirbt die Frau oft am Ende des ersten Aktes und die Rache wird von ihrer Familie durchgeführt. Die Jungfrauenquelle (Jungfrukällan) ist ein besonders bemerkenswerter Film, der als erster Film dieses Genres gilt und vom Regisseur Ingmar Bergman stammt. In Ausnahmefällen, wie dem Film Open Season – Jagdzeit, rächt der Täter nicht nur eine ihm bekannte Person, sondern beseitigt die Vergewaltiger auch zum Wohle der Allgemeinheit.
Zu Beginn der 70er-Jahre erfuhr das Genre einen ersten großen Aufschwung, welcher durch die Erfolge von Wer Gewalt sät (1971) und Beim Sterben ist jeder der Erste (1972) ausgelöst wurde. In Beim Sterben ist jeder der Erste variiert das Thema durch die Vergewaltigung eines Mannes.[2]
Im Jahr 2006 schloss Rogue Pictures einen Vertrag mit Wes Craven über eine Neuverfilmung von The Last House on the Left. Dieser Film war einer der einflussreichsten Horrorfilme der 1970er Jahre gewesen. 2010 kam der umstrittene Film I Spit on Your Grave heraus. Er wurde von CineTel Films produziert und weltweit veröffentlicht.
In Gaspar Noés Film Irréversible (2002) wurde die klassische Struktur aufgelöst, wobei der erste Akt der Darstellung der Rache gewidmet ist und erst die Rückverfolgung die Ereignisse zeigt, die zu diesem Punkt geführt haben. Roger Ebert argumentierte, dass der Film daher nicht als Exploitationfilm gelten könne, da hier keine Ausbeutung („Exploitation“) des Themas stattfinden würde.[3]
Das Genre hat die Aufmerksamkeit von Filmkritikern auf sich gezogen.[4][5][6][7] Ein Großteil dieser kritischen Aufmerksamkeit kommt von feministischen Kritikerinnen, die die komplexe Politik in diesem Genre und ihre Auswirkungen auf das Kino im Allgemeinen untersuchen. Im Buch Rape-Revenge Films: A Critical Study von Alexandra Heller-Nicholas wurde eine Analyse der Rape-and-Revenge-Filme vorgenommen und veröffentlicht. Das Buch wendet sich gegen eine vereinfachende Verwendung des Begriffs Rape-Revenge, da es in einigen Filmen oft auch ernsthaft um die Frage der Moralität der Rache gehe.[8] Im Spielfilm Sleepers zum Beispiel ist die Vergewaltigung (ausnahmsweise von Männern) eher ein zweitrangiges Thema. Soziale Verhältnisse, Freundschaft und Loyalität umrahmen hier die Rachegeschichte. Das Gleiche gilt für die Filme Dirty Harry kommt zurück und Für ein paar Dollar mehr.
Das Motiv Rape-and-Revenge kommt mitunter auch als Nebenhandlung in Filmen vor (wie z. B. bei Quentin Tarantinos Rache-Epos Kill Bill – Volume 1, 2003).
Beispiele
Einige der hier genannten Filme wurden von Rikke Schubart in „Super Bitches and Action Babes“ (2007)[2] oder Alexandra Heller-Nicholas in „Rape-Revenge Films: A Critical Study“ (2011)[1] vorgestellt.
Filme bis 1990
Jahr | Land | Filmtitel | Regie | Anmerkungen | Tipp |
---|---|---|---|---|---|
1960 | Die Jungfrauenquelle | Schweden | Ingmar Bergman | Als Vorlage diente eine mittelalterliche Ballade. | [1] |
1971 | In einem Sattel mit dem Tod | GB | Burt Kennedy | Western | [2] |
1971 | Wer Gewalt sät | GB | Sam Peckinpah | Verfilmung des Romans The Siege of Trencher's Farm. Neuverfilmung als Straw Dogs – Wer Gewalt sät (2011) | [2][1] |
1972 | Das letzte Haus links | USA | Wes Craven | Remake; The Last House on the Left (2009) | |
1972 | Beim Sterben ist jeder der Erste | USA | John Boorman | Nach dem Roman Flussfahrt von James Dickey. Hier ist das Opfer ein Mann. | [2] |
1973 | Lady Snowblood | JAP | Toshiya Fujita | Verfilmung des gleichnamigen Mangas Lady Snowblood. Fortsetzung Lady Snowblood 2: Love Song of Vengeance (1974) | |
1973 | Thriller – ein unbarmherziger Film | Schweden | Bo Arne Vibenius | Der Film war bis 2004 zensiert, da er das Thema Kindesmissbrauch filmisch umsetzt. | |
1974 | Ein Mann sieht rot | USA | Michael Winner | Selbstjustiz-Krimi, Fortsetzung: Der Mann ohne Gnade (1982) | [2] |
1976 | Eine Frau sieht rot | USA | Lamont Johnson | Selbstjustiz-Drama | [1] |
1978 | Ich spuck auf dein Grab | USA | Meir Zarchi | Remake I Spit on Your Grave, 2010 | [2][1] |
1981 | Die Frau mit der 45er Magnum | USA | Abel Ferrara | Blutiger Rachefeldzug mit feministischen Zügen. | [1] |
1983 | Dirty Harry kommt zurück | USA | Clint Eastwood | Polizeifilm | |
1985 | Red Sonja | USA | Richard Fleischer | Actionfilm | |
1986 | Extremities | USA | Robert M. Young | Das Drehbuch basiert auf einem Theaterstück. Die Umsetzung erinnert an ein Kammerspiel. | [1] |
Filme ab 1990
Jahr | Land | Filmtitel | Regie | Anmerkungen | Tipp |
---|---|---|---|---|---|
1996 | Auge um Auge | USA | John Schlesinger | Das Drehbuch basiert auf einem Roman von Erika Holzer | [2] |
1996 | Sleepers | USA | Barry Levinson | Nach dem gleichnamigen Roman von Lorenzo Carcaterra | |
1999 | Der Woroschilow-Schütze | Russland | Stanislaw Goworuchin | Das Drama wurde mehrfach ausgezeichnet. | |
1996 | Titus | USA/IT | Julie Taymor | Moderne Splatter-Adaptation von Shakespeares Titus Andronicus | |
2000 | Baise-moi (Fick mich!) | FR | Virginie Despentes | Pseudo-dokumentarische Literaturverfilmung, zensiert aufgrund von pornografischen Szenen | |
2002 | Irréversible | FR | Gaspar Noé | Auf dem Stockholm Film Festival ausgezeichnet. | |
2002 | Sympathy for Mr. Vengeance | Südkorea | Park Chan-wook | 2003: Best Asian Film beim Fant-Asia Film Festival | |
2003 | Dogville | div. nordeurop. Länder | Lars von Trier | Im Stil eines Theaterstücks orientiert sich die Handlung des vielfach prämierten Dramas an Bertolt Brechts Seeräuber-Jenny (Dreigroschenoper) | [1] |
2004 | Shutter | Thailand | Banjong Pisanthanakun, Parkpoom Wongpoom | Horrorfilm, US-Remake als Shutter – Sie sehen dich (2008), Regie: Masayuki Ochiai | |
2005 | Bad Reputation | USA | Jim Hemphill | Low-Budget-Film mit Slasher-Elementen | [1] |
2005 | Hard Candy | USA | David Slade | Selbstjustiz-Thriller, erhielt diverse Auszeichnungen beim Sitges Festival Internacional de Cinema de Catalunya | |
2005 | One Way | DE/CAN | Reto Salimbeni | Thriller | [1] |
2007 | Rise: Blood Hunter | USA/Neuseeland | Sebastian Gutierrez | Vampirfilm | |
2009 | Verblendung | Schweden, Dänemark, Norwegen, DE | Niels Arden Oplev | Basiert auf dem ersten Roman von Stieg Larssons Millennium-Trilogie. Zwei weitere Teile: Verblendung und Vergebung | [1][9] |
2010 | 6 Guns | USA | Shane Van Dyke | Western | |
2012 | American Mary | CAN | Jen und Sylvia Soska | Erzwungene Körpermodifikation ist hier Teil der Selbstjustiz | |
2013 | Savaged | USA | Michael S. Ojeda | Horrorfilm | |
2013 | We Are Monsters | Schweden | Sonny Laguna und Tommy Wiklund | Horrorfilm | |
2016 | Elle | FR | Paul Verhoeven | Zahlreiche Auszeichnungen, insbesondere für Hauptdarstellerin Isabelle Huppert | |
Literatur
- Julia Reifenberger: Girls with Guns. Rape & Revenge Movies: Radikalfeministische Ermächtigungsfantasien? Bertz + Fischer, Berlin 2013, ISBN 978-3-86505-721-1.
- Tilo Renz: „Gewalt weiblicher Figuren als resignifizierendes Sprechen. Thelma and Louise, Baise-moi und Judith Butlers Politik des Performativen“, in: Das schlechte Gewissen der Moderne. Kulturtheorie und Gewaltdarstellung in Literatur und Film nach 1968, hg. v. Jochen Fritz und Neil Stewart, Böhlau, Köln/Weimar 2006, S. 181–212, ISBN 978-3-412-32805-4.
Einzelnachweise
- Alexandra Heller-Nicholas: Rape-Revenge Films: A Critical Study. MacFarland & Co Inc, Jefferson 2021, ISBN 978-0-7864-4961-3.
- Rikke Schubart: Super Bitches and Action Babes. McFarland and Company Inc., Publishers, 2007, ISBN 978-0-7864-2924-0, S. 83–104.
- Roger Ebert: Irreversible :: rogerebert.com :: Reviews. Rogerebert.suntimes.com. Abgerufen am 25. Januar 2010.
- Carol J. Clover: Men, Women, and Chainsaws: Gender in the Modern Horror Film. Princeton University Press, Princeton (NJ) 1992, ISBN 0-691-00620-2.
- B. Creed: The Monstrous-Feminine: Film, Feminism, Psychoanalysis. Routledge, New York 1993, ISBN 0-415-05259-9.
- Claire Sisco King: „Review von Thelma & Louise von Marita Sturken und von The New Avengers: Feminism, Femininity, and the Rape-Revenge Cycle von Jacinda Read.“ (2003, abgerufen am 6. Oktober 2007)
- Jacinda Read: The New Avengers: Feminism, Femininity, and the Rape-Revenge Cycle. Manchester University Press, Manchester 2000, ISBN 0-7190-5905-4.
- Alexandra Heller-Nicholas: Rape-Revenge Film:. A Critical Study. McFarland, New York 2011, ISBN 978-0-7864-4961-3, S. 230. Archiviert vom Original am 19. März 2013 Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (Abgerufen am 25. März 2019).
- Vergewaltigung als Vorgeschichte von Ermittlerinnen: Ein Kampf gegen die rape culture? Antiheldin, Magazin für feministische Popkultur, aufgerufen am 31. Januar 2022