Radio Andorra
Radio Andorra (französisch Radio Andorre) ist der Name eines der ältesten europäischen Privatradios, das von 1939 bis 1981 mit einer Lizenz des andorranischen Staates auf Sendung war.
Es zählte gemeinsam mit Radio Luxembourg/RTL, Radio Monte Carlo, Europe 1, Andorradio/Andorre 1 - Radio des Vallées/Sud Radio und Atlantic/Radio Océan/Atlantic 2000 zu den „radios périphériques“, dies sind kommerzielle Rundfunkstationen, die von grenznahen Senderstandorten in Frankreichs Nachbarstaaten aus Programme für eine französische Hörerschaft ausstrahlen.
Geschichte
Eigentümer von Radio Andorra war Jacques Trémoulet, der Besitzer der Rundfunkgesellschaft Radiophonie du Midi, die bereits zuvor aus Toulouse, Montpellier, Bordeaux und Agen in Südfrankreich und von Standorten in Nordafrika sendete. Mit dem andorranischen Sender bereitete Trémoulet sich unter anderem auf die Umgehung eines möglichen zukünftigen Staatsmonopols für den Rundfunkbetrieb in Frankreich vor (1945 wurde ein staatliches Rundfunkmonopol in Frankreich eingeführt). Der Sendebetrieb Radio Andorras wurde am 7. August 1939 aufgenommen. Zunächst sendete Radio Andorra fast ausschließlich ein Musikprogramm, nur von der Ansage „Aquí Radio Andorra“ unterbrochen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Musiksendungen von vielen Soldaten geschätzt, von Frankreich bis Nordafrika. Sowohl Deutsche als auch Alliierte versuchten ohne Erfolg, das Radioprogramm für ihre Zwecke zu kontrollieren; die Neutralität Andorras diente als Schutzschild für den Sender.
Nach Kriegsende wurde Jacques Trémoulet von der französischen Justiz wegen Kollaboration mit den Deutschen zum Tode verurteilt. Er floh zunächst nach Spanien, danach in die Schweiz, aus der er 1949 nach seinem Freispruch nach Frankreich zurückkehrte. In dieser Zeit wurde Radio Andorra massiv behindert: Ein in der Nähe von Bordeaux gelegener Störsender machte etwa ein Jahr lang den Empfang in Frankreich fast unmöglich, Schallplattenlieferungen und das Senderpersonal durften die französische Grenze nicht passieren und der französische Geheimdienst versuchte, den Generaldirektor des Senders aus Andorra zu entführen. Die Sendezeit war zwischen spanischsprachigen und französischsprachigen Moderationen geteilt; auch katalanische Chroniken waren im Programm. Wie überall erfreuten sich die Schallplattenwunschsendungen besonderer Beliebtheit, doch auf kaum einem anderen Sender bildeten sie einen so großen Anteil am Gesamtprogramm. Die gewünschte Musik wurde in die Programmplanung aufgenommen und den Einsendern der Musikwünsche Postkarten gesandt, aus denen die genaue Sendezeit ihres Wunschtitels hervorging.
Nach einem langsamen Aufstieg in den fünfziger Jahren bekam Radio Andorra 1958 Konkurrenz von Andorradio, das sich schon bald in Radio des Vallées und später in Sud Radio umbenannte. Diese Station war auf Betreiben der französischen Regierung durch die staatseigene Firma SOFIRAD gegründet worden und überholte Radio Andorra ab 1968 in der Hörergunst. Frankreich hatte insofern Einfluss auf die andorranische Politik, als ursprünglich der Graf von Foix und seit der Gründung der Französischen Republik der Staatspräsident einer der beiden Co-Princes des Fürstentums war; der andere Co-Prince war der Bischof von Urgell in Spanien. Jacques Trémoulet suchte sich 1961 die Franco-Diktatur Spaniens als Bündnispartner für Radio Andorra gegen Frankreich und Andorradio und erklärte sich bereit, die Einrichtungen Radio Andorras zukünftig der spanischen Staatsfirma EIRASA zu überlassen, sollte Radio Andorra durch die Co-Princes und den andorranischen Generalrat (Parlament) ein rechtlich abgesichertes Statut und eine neue Konzession erhalten. Daraufhin einigten sich die Senderbetreiber mit dem Generalrat auf einen Rundfunkfrieden: Radio Andorra sollte unter spanischer Kontrolle (EIRASA) stehen, während Andorradio/Radio des Vallées französischer Aufsicht (SOFIRAD) unterlag. In der Folge erhielt Radio Andorra 1961 eine neue, nunmehr bis 1981 befristete Konzession durch den Generalrat, die aber letztlich von den Co-Princes nicht ratifiziert wurde. Jacques Trémoulet betrachtete fortan seine Vereinbarung mit EIRASA als nichtig.
Der Hauptteil des Programms von Radio Andorra war weiterhin auf Französisch und wurde nach Südfrankreich abgestrahlt. Spanisch- und katalanischsprachige Beiträge gab es vor allem abends. Seit dem Aufstieg von Radio des Vallées/Sud Radio gingen die Einnahmen Radio Andorras aus Reklamebeiträgen zurück. Zudem verschlechterte sich die Reichweite der von Radio Andorra genutzten Mittelwelle 701 kHz, als Radio Monte Carlo 1974 begann, sein auf derselben Frequenz sendendes italienischsprachiges Programm von Standort Col de la Madone (nahe Monaco) mit deutlich erhöhter Leistung auszustrahlen. Radio Andorra konnte nun im Südosten Frankreichs nicht mehr in befriedigender Qualität empfangen werden. Aufgrund des Wunsches nach der Einrichtung eines eigenen nationalen Rundfunks lehnte es das Fürstentum Andorra ab, die 1981 auslaufenden Rundfunklizenzen für die beiden kommerziellen Sender auf seinem Territorium zu verlängern. Während Sud Radio fortan Studios und Sender auf französischem Gebiet nutzte und von Toulouse aus bis heute weitersendet, erging an Radio Andorra am 26. März 1981 die Anordnung zur Einstellung des Sendebetriebs. Am 2. April 1981 wurde der Sendebetrieb abgeschaltet, jedoch sechs Tage später noch einmal aufgenommen. Am 9. April 1981 erzwang die andorranische Polizei die Stilllegung der Sendemasten am Engolasters-See hoch über Encamp.
Versuche der Wiederaufnahme des Sendebetriebs scheiterten zunächst an Bestrebungen des spanischen und des französischen Staats, sich Einfluss auf Radio Andorra zu sichern, sowie an Eigentumsstreitigkeiten zwischen den Erben Jacques Trémoulets und dem spanischen Staat. Erst 1983 kam es zu einer Genehmigung zum Weiterbetrieb, woraufhin man am 4. Januar 1984 wieder mit dem Sendebetrieb begann. Das endgültige Ende des Radios am 31. März 1984 erfolgte auf Anweisung der spanischen Eigentümer-Firma PROERSA. 1991 vernichtete ein Brand das angemietete, zuletzt 1984 genutzte Studiogebäude von Radio Andorra. Archivbestände und Diskothek von Radio Andorra wurden bereits in den 1980er Jahren in das Sendergebäude in Encamp ausgelagert und werden seit 2010 denkmalpflegerisch gesichert. Erst im Jahr 2009 kam es zu einer Einigung zwischen den Regierungen Andorras und Spaniens sowie den Erben Jacques Trémoulets, womit Andorra nun endgültig über die historische Sendestation Encamp verfügen kann. Das Schallarchiv von Radio Andorra wird nach und nach digitalisiert und vom Arxiu Nacional d'Andorra im Internet zur Verfügung gestellt[1].
Am 12. April 2021 haben ehemalige Radio Andorra Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammen mit deutschen Hörfunkenthusiasten die für den 12. April 1981 vorgesehene, aber nie ausgestrahlte Hitparaden-Sendung anhand noch vorhandener Dokumente 1:1 reproduziert und exakt 40 Jahre nach der beabsichtigten Ausstrahlung auf Sendung gebracht.[2]
Weblinks
- Aqui Radio-Andorra Geschichte von Radio Andorra (in französisch)
- La page des liens radio et radioamateurs de F5NSL en Gironde - Information über Radio Andorra (in englisch und französisch)
- 100 ans de radio Geschichte des Rundfunks in Frankreich (in französisch)
- Catàleg discogràfic de l'Arxiu Nacional d'Andorra Diskographischer Katalog des andorranischen Nationalarchivs mit digitalisiertem Material aus dem Schallarchiv von Radio Andorra (in katalanisch)
Einzelnachweise
- Radio Menschen und Geschichten: Die Discotheque von Radio Andorra. Ausgabe vom 24. Februar 2019, abgerufen am 26. Februar 2019.
- Mitschnitt der reproduzierten Hitparade vom 12. April 1981, ausgestrahlt am 12. April 2021. 12. April 2021, abgerufen am 11. Juli 2021 (französisch).