Philip Manow
Philip Manow (* 1963 in Hamburg)[1] ist ein deutscher Politikwissenschaftler und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen.
Leben
Manow studierte Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Geschichte an der Philipps-Universität Marburg und der Freien Universität Berlin. Von 2002 bis 2007 war Manow Leiter der Forschungsgruppe „Politik und politische Ökonomie“ am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. 2004 initiierte Manow die politikwissenschaftliche Datensammlung ParlGov, die er seitdem mit Holger Döring betreibt. Die Dateninfrastruktur enthält vergleichbare Daten aus 39 westlichen Demokratien von rund 1700 Parteien, 990 Wahlen und 1500 Regierungen (Stand 2019). Sie wird konstant weiter geführt.[2]
2007 wurde er auf eine Professur für Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz berufen. Ab 2009 hatte er die Professur für Moderne Politische Theorie am Institut für Politische Wissenschaft der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg inne. Seit 2010 Professor für Vergleichende Politische Ökonomie, Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen.[3]
Am Wissenschaftskolleg Berlin startete er 2014 das Projekt „Dinge und Orte der Demokratie“, in dem es darum gehen soll, was die Praxis der Politik und die Mittel der Politik über die Politik aussagen. Die dingliche Seite, wie die Wahlurne, das Parlamentsprotokoll, die Bannmeile, die Großbildleinwand auf dem Parteitag etc. werden aus empirisch-kulturwissenschaftlicher Sicht untersucht.
2018 wurde Manow in die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften gewählt.
Die Politische Ökonomie des Populismus
In seinem Buch Die Politische Ökonomie des Populismus versucht Philip Manow die verschiedenen linken und rechten Populismen in Europa zu analysieren. Innerhalb der Europäischen Union und den einzelnen Nationalstaaten muss man nach Manow „sozioökonomisch differenzieren“,[4] um die verschiedenen Ausprägungen des Populismus zu verstehen.[5]
Philip Manow führt „populistischen Protest auf zwei Globalisierungsprozesse zurück: internationaler Handel und Migration.“[6] Er unterscheidet dabei zwischen Arbeits- und Fluchtmigration und der jeweiligen Politischen Ökonomie.
Manow unterscheidet innerhalb der Europäischen Union vier Idealtypen der Politischen Ökonomie.
- Norden: skandinavisch-sozialdemokratische Politische Ökonomien
- Westen: kontinentaleuropäisch–konservativ (inklusiv der angelsächsisch–liberalen) Politische Ökonomien
- Süden: südeuropäisch(–klientelistisch) Politische Ökonomien
- Osten: die Länder Osteuropas[7]
Im Norden ist es nach Manow ein rechter Populismus, der sich gegen Migration richtet. Hier unterscheidet Manow zwischen den skandinavisch-sozialdemokratischen Ökonomien, in denen der populistische Protest sich gegen Fluchtmigration richtet und den angelsächsisch–liberalen Ökonomien, in denen der Protest sich gegen Arbeitsmigration, vor allem aus Osteuropa, richtet. Die skandinavisch-sozialdemokratischen Ökonomien mit ihrer scheinbar großzügigen Grundsicherung begünstigen Fluchtmigration, die von den „Arbeitsmarkt-Insidern“ abgelehnt wird. Die angelsächsisch–liberalen Ökonomien haben deregulierte Arbeitsmärkte und im Niedriglohnsektor kämpfen die „Arbeitsmarkt-Outsider“ mit den Arbeitsmigranten um die Jobs.[8]
Träger des populistischen Protestes sind in den skandinavisch-sozialdemokratischen Ökonomien „Arbeitsmarkt-Insider“. In den angelsächsisch–liberalen Ökonomien sind die Träger des politischen Protestes die „Arbeitsmarkt–Outsider“. Unter „Arbeitsmarkt-Insider“ fasst Manow alle Beschäftigten, „die angeben, a) auf der Basis eines unbefristeten Arbeitsvertrages b) mehr als 30 Wochenstunden zu arbeiten; als Outsider all diejenigen, die entweder arbeiten wollen, aber arbeitslos sind, oder auf der Basis befristeter Verträge weniger als 15 Wochenstunden arbeiten oder sogar ganz ohne jeden Vertrag arbeiten.“[9]
In Deutschland stiegen die Wählerstimmen der in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) im Jahr 2017 obwohl die Arbeitslosigkeit seit 2005 zurückging. Der im Jahr 2017 „gegenwärtige Statusverlust, eine aktuell erlebte soziale oder ökonomische Deprivation können mithin schwerlich“[10] für die Wahl von rechten Parteien herangezogen werden. Nach Manow ist es „vielmehr die in der Vergangenheit erfahrene Arbeitslosigkeit, die sich in Verbindung mit der Flüchtlingspolitik nach 2015 zu einem Syndrom des Unmuts verfestigte.“[11]
Die Wähler der AfD sind dabei nicht die „Modernisierungs- oder Globalisierungsverlierer“,[12] die „Arbeitsmarkt-Outsider“, sondern die „Arbeitsmarkt-Insider“. Manow verneint explizit psychologische oder kulturalistische Erklärungen für die Wahl von populistischen Parteien, sondern dahinter scheint „ein Konflikt über die »gerechte Verteilung von Ressourcen« zu stehen, und das heißt eine vielleicht kulturalisierte, im Kern jedoch sozioökonomische Auseinandersetzung.“[13]
Die erlebte Arbeitslosigkeit in der Vergangenheit der „Arbeitsmarkt-Insider“ korreliert mit einem hohen Wahlanteil der AfD. Im Osten Deutschlands sind es die ökonomischen Veränderungen nach dem Fall der Mauer, die den Menschen ihre eigene „ökonomische Verletzlichkeit“ bewusst macht.[14] Im Westen sind es die Folgen der Agenda 2010, die zur Wahrnehmung führen „zurückgesetzt und ökonomisch deklassiert zu werden“.[15]
Im Süden ist es nach Manow eher linker Populismus, der die Wirtschaftslage und die Arbeitslosigkeit als drängendstes Problem sieht[16] und nicht die Migration. Nach Manow ist dafür der zweite Globalisierungsprozess die Ursache: internationaler Handel und die damit verbundene Austeritätspolitik. In den südeuropäischen Ländern geben „Insider wie Outsider“[17] den Linkspopulisten ihre Stimme. Beschäftigte im öffentlichen Sektor verhalten sich in den beiden Politischen Ökonomien genau umgekehrt: Im Norden verringere eine solche die Wahrscheinlichkeit einer populistischen Wahl, im Süden werde sie dadurch erhöht.[18]
Manow behauptet weiter, dass die osteuropäischen Ökonomien nicht in das bisher beschriebene Muster passen. Zwar wählen hier auch die „Arbeitsmarkt-Insider“ eher populistische Parteien, aber frühere „Episoden [der] Arbeitslosigkeit senken deutlich die Wahrscheinlichkeit der Protestwahl“.[19] Manow vermutet eher, dass die ländlichen Regionen „sich als Globalisierungsverlierer verstehen und PiS, Fidez oder (...) Smer wählen“.[20]
Zum Schluss weist Manow darauf hin, dass sich der Populismus europäisiert und sich gegen die Europäische Union richtet. Dies kann man aus den wachsenden Wahlerfolgen der populistischen Parteien zu den Europawahlen erkennen. Diese Erfolge haben wiederum Rückwirkungen auf die nationalen Parlamente. „Der linke südeuropäische und der rechte nordeuropäische Protest gegen die Globalisierung als freie Bewegung von Gütern und Geld einerseits sowie von Personen andererseits richtet sich schließlich gegen ein Europa, das in den letzten drei Dekaden jene Bewegungen enorm intensiviert hat.“[21]
Manow schreibt im Merkur im April 2018, dass man „eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den jeweiligen populistischen Strömungen nicht vermeiden könne[n]“. „Wenn man beginnt, nach den Ursachen für diese Unterschiede zu fragen, sich also auf die politischen Inhalte einlässt, wird es vielleicht möglich sein, ein besseres Verständnis dieses zunehmenden politischen Protestverhaltens zu entwickeln.“[22]
Fabio Wolkenstein sieht, dass „Manows Buch einen wichtigen Anstoß liefert, Populismus und politische Ökonomie systematisch zusammen zu denken“. Wolkenstein kritisiert zwei Punkte. Einmal den Begriff Populismus, der nicht genau genug abgegrenzt werde. Zweitens kritisiert Wolkenstein, dass es besser wäre, „kulturalistische Erklärungen“ nicht a priori auszuschließen.[23]
Publikationen (Auswahl)
- Im Schatten des Königs. Die politische Anatomie demokratischer Repräsentation. suhrkamp, 2008, ISBN 978-3-518-12524-3.
- Religion und Sozialstaat. Die konfessionellen Grundlagen europäischer Wohlfahrtsstaatsregime. 2009, ISBN 978-3-593-38752-9.
- Politische Ursprungsphantasien. Der Leviathan und sein Erbe. Konstanz University Press, Paderborn 2011, ISBN 978-3-86253-011-3.
- Die zentralen Nebensächlichkeiten der Demokratie. Von Applausminuten, Föhnfrisuren und Zehnpunkteplänen, Reinbek bei Hamburg 2017, ISBN 978-3-499-63277-8.
- Die Politische Ökonomie des Populismus. suhrkamp, Berlin 2018, ISBN 978-3-518-12728-5.
- (Ent-)Demokratisierung der Demokratie. suhrkamp, Berlin 2020, ISBN 978-3-518-12753-7.
Essays
- Der Extremismus der Mitte, Merkur, Januar 2019
- „Dann wählen wir uns ein anderes Volk …“ Populisten vs. Elite, Elite vs. Populisten, Merkur, April 2019.
Weblinks
Einzelnachweise
- Philip Manow auf der Website des Wissenschaftskollegs zu Berlin
- ParlGov · parties, elections, cabinets. Abgerufen am 12. Dezember 2019.
- Philip Manow auf der Website der Universität Bremen
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 125.
- Populismus ist Protest gegen die Globalisierung, Deutschlandfunk Kultur, 2. Februar, 2020.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 61.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 61f.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 68.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 115.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 99.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 99f.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 99.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 100.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 100.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 101.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 113.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 117.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 117.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 118.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 118.
- Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus. S. 138.
- „Dann wählen wir uns ein anderes Volk …“ Populisten vs. Elite, Elite vs. Populisten, Merkur, April 2019.
- Fabio Wolkenstein: Lesenotiz zu Philip Manow: Die Politische Ökonomie des Populismus (Frankfurt am Main, 2018), theorieblog.de, 1. März 2019.