Ostoberschlesien
Als Ostoberschlesien wurde das Gebiet Oberschlesiens bezeichnet, das nach dem Ersten Weltkrieg kraft des Versailler Vertrags sowie nach einer Volksabstimmung und Aufständen am 20. Juni 1922 vom Deutschen Reich an Polen abgetreten wurde; vor diesem Hintergrund ist in der Geschichtsbetrachtung die Bezeichnung Polnisch Oberschlesien ebenso gebräuchlich. Es umfasste einen wesentlichen Teil des oberschlesischen Industriegebiets. In ihm lagen unter anderem die Städte und Industriestandorte Kattowitz, Königshütte, Laurahütte, Myslowitz, Pleß, Ruda, Schwientochlowitz, Tarnowitz und Teile des Landkreises Beuthen.
Geschichte
Infolge der Aufstände in Oberschlesien, bei der sich zahlreiche polnische Insurgenten aus den Truppen Wojciech Korfantys beteiligten, die „nicht in Schlesien beheimatet waren“,[1] begann die Besetzung des Teils von Oberschlesien, der nach Korfantys Vorstellungen an Polen abgetreten werden sollte. Sogar eine große Anzahl polnischer Pfarrer kam aus anderen Ländern einschließlich Amerika nach Oberschlesien, um gegen Deutschland zu agitieren. Pfarrer Josef Kubis schickte eine Bittschrift[2] an den Kardinal und an die Fürstbischöfliche Kurie in Breslau und bat um Hilfe wegen der Übergriffe der fremden Geistlichen.
Am 20. März 1921 wurde ein Plebiszit abgehalten. Dieses erbrachte für das Abstimmungsgebiet insgesamt eine 60-%-Mehrheit für Deutschland (Stimmenverhältnis: 700.605 für Deutschland, 479.359 für Polen). Das Abstimmungsgebiet wurde nach Vorschlägen der Interalliierten Regierungs- und Plebiszitskommission für Oberschlesien auf der Pariser Botschafterkonferenz am 20. Oktober 1921 im Flächenverhältnis 2:1 geteilt. Die Teilung trat am 20. Juni 1922 in Kraft. Ferner wurden durch das Deutsch-Polnische Abkommen über Oberschlesien[3] vom 15. Mai 1922 Minderheitenfragen und Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der geteilten Region geregelt.
Beim Deutschen Reich verblieb Westoberschlesien, der zwar flächen- und bevölkerungsmäßig größere, vor allem jedoch eher agrarisch strukturierte, dünner besiedelte Teil des Abstimmungsgebietes. Mit Ostoberschlesien ging der Großteil des Oberschlesischen Industriegebietes an Polen. Im abgetretenen Gebiet hatte insgesamt eine 60-%-Mehrheit für Polen votiert, wobei viele Städte und Industrieorte, vor allem Kattowitz und Königshütte, teils deutliche Mehrheiten für Deutschland aufwiesen.
Durch die neue Grenzziehung wurde das einheitlich gewachsene Oberschlesische Industriegebiet durchschnitten. Die Grenze trennte Hochofenanlagen von ihren weiterverarbeitenden Betrieben und umgekehrt. Von 67 Steinkohlengruben gingen 53 an Polen sowie die Mehrheit der Zinkerzgruben und die gesamte kohlechemische Industrie. Die 22 großen Unternehmen der Montanindustrie waren zur Hälfte durch die Zerreißung ihres Besitzstandes betroffen. Dies betraf vor allem die Oberschlesische Eisenbahnbedarfs-AG und die Oberschlesische Eisenindustrie AG, deren Betriebe nun teilweise im deutschen West-, teilweise im polnischen Ostoberschlesien lagen. Von den rund 3000 km2 umfassenden ostoberschlesischen Steinkohlenvorkommen gingen 2200 km2 an Polen. Von geschätzten 80 bis 90 Millionen Tonnen oberschlesischen Kohlevorräten bekam Polen 90 %. Von insgesamt acht oberschlesischen Eisenhüttenwerken mit 37 Hochöfen verblieben drei mit 18 Hochöfen bei Deutschland.
Ostoberschlesien bildete in der Zweiten Polnischen Republik zusammen mit dem polnischen Teil Teschener Schlesiens (1938 wurde von Polen Zaolzie bzw. das Olsagebiet annektiert – die Bezeichnung wurde im Zweiten Weltkrieg für den ganzen Landkreis Teschen benutzt) die Autonome Woiwodschaft Schlesien.
Im Zweiten Weltkrieg
Beim Überfall auf Polen im September 1939 eroberte die Wehrmacht Ostoberschlesien, das völkerrechtswidrig dem „Großdeutschen Reich“ angeschlossen wurde und somit wieder in Oberschlesien bzw. dem Gau Schlesien aufging. Erweitert wurde der Gau bei dieser Gelegenheit um auch besetzte nichtschlesische, historisch polnische Teile der Woiwodschaften Kielce und Krakau, welche von Besatzern nun ebenfalls (neues) Ostoberschlesien benannt wurden.[4]
In der Politik der Germanisierung in den kleinpolnischen Teilen konnten die Besatzer nicht auf der Schlonsakischen Bewegung basieren, weil die Bevölkerung sich nicht als schlesisch identifizierte, sondern als polnisch. Stattdessen wurden Umsiedlungsaktionen wie die Aktion Saybusch durchgeführt, besonders in den Landkreisen Blächstädt, Saybusch und Bielitz (letzteres oberschlesisch). Die Polen wurden in das Generalgouvernement vertrieben, um Volksdeutsche aus Ostgalizien und Buchenland ansiedeln zu können. Junge Männer wurden teilweise als Zwangsarbeiter in das Deutsche Reich verschleppt.[4] Auf diesem Gebiet befand sich auch das Konzentrationslager Auschwitz, wo die Juden vernichtet wurden. Die zahlreichste jüdische Gemeinde befand sich vor dem Krieg im Dombrowaer Kohlebecken (Sosnowiec und Landkreis Bendsburg).
Literatur
- Erle Bach: Oberschlesien. Vom Sudetenland zur Oberschlesischen Platte. Flechsig, 1998, ISBN 3-88189-218-4.
- Stiftung Haus Oberschlesien (Hrsg.): Schriften der Stiftung Haus Oberschlesien. Berlin 1990.
- Daniela Pelka: Der deutsch-polnische Sprachkontakt in Oberschlesien am Beispiel der Gegend von Oberglogau. Berlin 2006, ISBN 3-89626-524-5.
- Dossiers zum Thema Ostoberschlesien in der Pressemappe 20. Jahrhundert der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft.
Einzelnachweise
- Hans Roos: Geschichte der polnischen Nation 1918–1978. Kohlhammer, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1979, ISBN 3-17-004932-1, S. 91.
- Bittschrift des Pfarrers Josef Kubis um Hilfe gegen die Agitatoren (Memento vom 26. Februar 2010 im Internet Archive)
- Vgl. „Deutsch-polnisches Abkommen über Oberschlesien“ (Oberschlesien-Abkommen, OSA) vom 15. Mai 1922, in: Reichsgesetzblatt, 1922, Teil II, S. 238ff.
- Hans-Werner Retterath (Hrsg.): Germanisierung im besetzten Ostoberschlesien während des Zweiten Weltkriegs. Münster 2018, ISBN 978-3-8309-3828-6 (online [PDF]).