Okkupationsfeldzug in Bosnien
Im Okkupationsfeldzug von 1878 besetzte Österreich-Ungarn die ihm im Berliner Kongress zur Verwaltung zugesprochenen osmanischen Provinzen Bosnien und Herzegowina. Dabei kam es zum bewaffneten Widerstand vor allem durch die muslimische Bevölkerung.
Vorgeschichte
Im Artikel 25 des Berliner Vertrages vom 13. Juli 1878 wurde Österreich-Ungarn ermächtigt, Bosnien und die Herzegowina unbefristet zu besetzen und unter seine Verwaltung zu nehmen. Der Sandschak Novi Pazar verblieb zwar beim Osmanischen Reich, jedoch wurde der Donaumonarchie zugestanden, dort Truppen zu stationieren. Dies diente dem Zweck, eine südslawische und damit panslawistische Machtbildung auf dem Balkan zu verhindern, wenn etwa Serbien und Montenegro sich vereinigten. Dementsprechend groß war der serbische Widerstand. Auch die Osmanen protestierten, bekamen aber von Außenminister Gyula Andrássy in einer geheimen Abmachung zugesichert, die Regierung in Wien sei bereit, diese Okkupation „als provisorische zu betrachten“.[1]
Feldzug
Zwischen dem 29. Juli und 20. Oktober 1878 wurde das Gebiet (51.027 km²), das eine gemischte Bevölkerung (1.142.000 Einwohner) von orthodoxen Serben (43 %), katholischen Kroaten (18 %) und Muslimen (39 %) aufwies, militärisch erobert.[2] Die Okkupation traf wider Erwarten – Andrassy sprach zuvor von einem „Spaziergang mit einer Blasmusikkapelle“ – auf ernsthaften militärischen Widerstand. Dieser kam vor allem von der zuvor dominierenden moslemischen Mittelschicht, aber teilweise auch von der serbisch-orthodoxen Bevölkerung, die schon die letzten zwei Jahre in einem bewaffneten Aufstand gegen die Osmanen gekämpft hatte. Diese Gruppe kämpfte für einen Anschluss Bosniens an Serbien. Durch diese massive Gegenwehr musste der militärische Kraftaufwand der k.u.k. Armee mehrfach erhöht werden.[2]
Die Hauptarmee zur Okkupation Bosniens unter Joseph Philippovich von Philippsberg, dem Befehlshaber des XIII. Armeekorps, überschritt die Grenze über die Save bei Brod,[3] Kostajnica und bei Gradiška. Dem Generalkommando unterstanden dabei die 6. Infanterie-Division (unter FML Karl von Tegetthoff), die 7. Infanterie-Division (FML Wilhelm von Württemberg) sowie die 20. Infanterie-Division (FML Ladislaus Szápáry). Die Abteilungen vereinigten sich bei Banjaluka, dort folgte der Vorstoß der Straße am linken Vrbasufer nach Varcar Vakuf und Jajce.[4]
Es kam zu erheblichen Widerstand von Partisanen, vor allem von muslimischen Kämpfern unter Derwisch Hadschi Loja (Hadži-Loja). Verstärkt wurde der Widerstand durch Soldaten und Offiziere der regulären Osmanischen Armee, die offiziell das Gebiet zu übergeben hatte.[5]
Die selbständig operierende 18. Infanterie-Division unter Feldmarschall-Leutnant Stephan von Jovanović drang gleichzeitig von Dalmatien mit 9000 Mann entlang der Neretva in die Herzegowina ein. Am 5. August wurde Mostar erobert.[6]
Am 3. August geriet eine Husarenschwadron in der Nähe von Maglaj an der Bosna in einen Hinterhalt. Daraufhin ließ Philippovich das Standrecht verhängen. Wegen des starken Widerstandes sah sich die k.u.k. Heeresleitung veranlasst, die in Kroatien und Slawonien dislozierte 36. Infanterietruppen-Division ebenfalls in das Okkupationsgebiet zu verlegen.
Am 7. August stellte sich eine bosnische Streitmacht bei Jajce einer offenen Feldschlacht mit der k.u.k. 7. Infanterietruppen-Division und verlor dabei mehr als 600 Kämpfer. Durch einen Angriff bei Ravnice, heute Teil von Novi Grad in der Herzegowina, starben am 13. August mehr als 70 Offiziere und Soldaten eines ungarischen Infanterieregiments. In Öffentlichkeit und Presse der Doppelmonarchie wurden die Gegner als „unzivilisiert“ und „verräterisch“ geschmäht.[7] Aufgrund der massiven Kampfhandlungen wurden drei weitere Korps mobilisiert.[8]
Am 19. August wurde Sarajevo nach Artilleriebeschuss aus 52 Geschützen und heftigem Straßenkampf eingenommen.[7][9] Noch am Tag vor der Eroberung ließ Philippovich Hafiz Pascha inhaftieren, den osmanischen Gouverneur für Bosnien.[7]
Der Häuserkampf in der bosnischen Hauptstadt, die damals 50.000 Einwohner hatte, forderte durch die Guerillataktik der Verteidiger zahlreiche Opfer:
„Der ganze äußere Umkreis Sarajevos war stark besetzt. Aber auch im Inneren der Stadt gestatteten die engen Gassen mit ihren vielen Häusergruppen und einzelnen in den Erdgeschossen leicht zu verrammelnden Gebäuden, deren kleine Fenster der Stockwerke und zahlreiche Dachlücken die Abgabe des Feuers nach verschiedenen Richtungen zuließen, die nachhaltigste Verteidigung. Von der Umfassung der Stadt vertrieben, warfen sich die Insurgenten meist in die nächsten Häuser, verbarrikadierten alle Eingänge und unterhielten ein vernichtendes Feuer gegen die nachstürmende Infanterie.“
Philippovich berichtete:
„Es entspann sich einer der denkbar gräßlichsten Kämpfe. Aus jedem Hause, aus jedem Fenster, aus jeder Türspalte wurden die Truppen beschossen; ja selbst Weiber beteiligten sich daran. Das fast ganz am westlichen Stadteingange gelegene Militärspital, voll von kranken und verwundeten Insurgenten ...“[5]
Die Verluste bei der Eroberung der Stadt unter den 13.000 eingesetzten Soldaten beliefen sich auf 57 Tote und 314 Verwundete, unter den bewaffneten Bosniern gab es laut österreichisch-ungarischem Generalstabswerk mehr als 300 Tote. Angaben über zivile Opfer fehlen. Zahlreiche Aufständische wurden von den Besatzern in den folgenden Tagen nach Schnellverfahren gehenkt oder erschossen.[7]
Die aufständischen Bosnier zogen sich nach der Einnahme von Sarajevo in die umliegenden Berge zurück und leisteten mittels Guerillataktik noch wochenlang Widerstand.[5] Die Burg von Velika Kladuša ergab sich erst am 20. Oktober.[11] Hadschi Loja konnte am 3. Oktober 1878 vom k.u.k. Ungarischen Infanterie Regiment Erzherzog Joseph Nr. 37 im Tal der Rakitnica in der Nähe von Rogatica gefangen genommen werden. Er wurde zum Tode verurteilt, später aber zu fünf Jahren Kerker begnadigt.[12]
Ein Artikel im Pester Lloyd, der die Vorbereitung der Armee auf den Feldzug kritisierte, wurde auf Befehl Franz Josephs unterdrückt.[9] Letztlich waren 5 Armeekorps mit 153.000 Soldaten in Bosnien im Einsatz.[1][9] Die österreichischen Stabsstellen rechneten am Ende mit 79.000 bewaffneten Aufständischen und 13.800 regulären osmanischen Soldaten auf der Gegenseite.[13] Die Verluste der Österreicher betrugen mehr als 5000 Mann,[14] davon waren die meisten Verwundete, rund 1000 Tote.[15] Die Verluste unter den Bosniern sind nicht bekannt.
Folgen
Weil beide Reichshälften der Donaumonarchie Anspruch auf die Neuerwerbungen erhoben, wurde die Verwaltung durch das Gemeinsame Finanzministerium von Österreich-Ungarn übernommen. Das Land blieb ein dauernder Unruheherd. Bei der Annexion der Länder 1908 kam es zu einer schweren internationalen Krise. Das Attentat von Sarajevo durch den bosnischen Serben Gavrilo Princip löste schließlich den Ersten Weltkrieg aus.
Museale Rezeption
Der Okkupationsfeldzug von 1878 ist im Wiener Heeresgeschichtlichen Museum dokumentiert. So sind diverse Beutestücke ausgestellt, auch aus dem persönlichen Besitz des Joseph von Philippovich, wie etwa eine Insurgentenfahne und orientalische Waffen.[16]
Literatur
- Gesellschaft für österreichische Heereskunde (Hrsg.): Militärische Friedensmission Österreich-Ungarns im Auftrag der europäischen Großmächte 1878/79. Teil 1 der dreiteiligen Reihe: Pulverfass Balkan, Bosnien Herzegowina (= Militaria austriaca, Nr. 11/1992), Fritz H. Baer (Bearbeiter), Stöhr, Wien 1992, ISBN 3-901208-04-6.
- László Bencze: Occupation of Bosnia and Herzegovina in 1878. Colombia University Press, New York 2005, ISBN 978-0-88033-578-2.
- Abdul G. Khan (Hrsg.): Photo album, occupation of Bosnia-Herzegovina, 1878–1879. Supplement zu Austro-Hungarian-Slavic Postal History Project, Vol. 1, Springfield 1980, ISBN 0-936542-01-2.
Weblinks
- Karten und Pläne digitalisiert durch die Universitätsbibliothek der Universität Regensburg aus: Abtheilung für Kriegsgeschichte des k. k. Kriegsarchiv: Die Occupation Bosniens und der Hercegovina durch k. k. Truppen im Jahre 1878. Verlag des k. k. Generalstabes, Wien 1879.
Einzelnachweise
- Erwin Matsch (Hrsg.): November 1918 auf dem Ballhausplatz. Erinnerungen Ludwigs Freiherrn von Flotow, des letzten Chefs des Österreichisch-Ungarischen Auswärtigen Dienstes 1895–1920. Böhlau, Wien 1982, ISBN 3-205-07190-5, S. 213.
- Srećko Matko Džaja: Bosnien-Herzegowina in der österreichisch-ungarischen Epoche (1878–1918). Die Intelligentsia zwischen Tradition und Ideologie. (=Südosteuropäische Arbeiten Band 93), Verlag Oldenbourg, München 1994, ISBN 3-486-56079-4, S. 37ff.
- Dragan Damjanovic: Austrougarska okupacija Bosne i Hercegovine gledana očima hrvatskog slikara: Prijelaz Save kod Broda Ferdinanda Quiquereza (Austro-Hungarian Occupation of Bosnia and Herzegovina Seen through the Eyes of a Croatian Painter: Ferdinand Quiquerez’s Crossing the Sava River at Brod). In: Radovi Instituta za povijest umjetnosti 41. 2017, S. 199–214 (academia.edu [abgerufen am 17. Februar 2019]).
- Wissenschaftliche Mitteilungen aus Bosnien und der Hercegowina. Band 10, 1907, S. 455.
- Richard Georg Plaschka: Avantgarde des Widerstands. Modellfälle militärischer Auflehnung im 19. und 20. Jahrhundert. Böhlau, Wien 2000, ISBN 3-205-98390-4, S. 45.
- Scott Lackey: The Rebirth of the Habsburg Army. Friedrich Beck and the Rise of the General Staff. ABC-CLIO, 1995, ISBN 0-313-03131-2, S. 78f.
Hubert Zeinar: Geschichte des Österreichischen Generalstabes. Böhlau, Wien 2006, ISBN 3-205-77415-9, S. 402f. - Martin Gabriel: Die Einnahme Sarajevos am 19. August 1878. Eine Militäraktion im Grenzbereich von konventioneller und irregulärer Kriegsführung. (PDF; 122 kB)
- Vjekoslav Klaic: Geschichte Bosniens von den ältesten Zeiten bis zum Verfalle des Königreiches. Friedrich, Leipzig 1885, S. 454.
- Scott Lackey: The Rebirth of the Habsburg Army. Friedrich Beck and the Rise of the General Staff. Greenwood Press, Westport 1995, ISBN 0-313-03131-2, S. 79.
- Richard Georg Plaschka: Avantgarde des Widerstands. Modellfälle militärischer Auflehnung im 19. und 20. Jahrhundert. Böhlau, Wien 2000, ISBN 3-205-98390-4, S. 44.
- Vjekoslav Klaic: Geschichte Bosniens von den ältesten Zeiten bis zum Verfalle des Königreiches. Friedrich, Leipzig 1885, S. 455.
- Richard Georg Plaschka: Avantgarde des Widerstands. Modellfälle militärischer Auflehnung im 19. und 20. Jahrhundert. Böhlau, Wien 2000, ISBN 3-205-98390-4, S. 97.
- Richard Georg Plaschka: Avantgarde des Widerstands. Modellfälle militärischer Auflehnung im 19. und 20. Jahrhundert. Böhlau, Wien 2000, ISBN 3-205-98390-4, S. 99f.
- Marie-Janine Calic: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-60645-8, S. 46.
- Richard Georg Plaschka: Avantgarde des Widerstands. Modellfälle militärischer Auflehnung im 19. und 20. Jahrhundert. Böhlau, Wien 2000, ISBN 3-205-98390-4, S. 102.
- Liselotte Popelka: Heeresgeschichtliches Museum Wien. Verlag Styria, Graz u. a. 1988, ISBN 3-222-11760-8, S. 52.
Manfried Rauchensteiner, Manfred Litscher (Hrsg.): Das Heeresgeschichtliche Museum in Wien. Verlag Styria, Graz u. a. 2000, ISBN 3-222-12834-0, S. 59.