Novation
Unter Novation (lateinisch novatio, (Er-)Neuerung, Neuerungsvertrag) versteht man im deutschen Schuldrecht die Aufhebung eines bestehenden Schuldverhältnisses durch Schaffung eines neuen Schuldverhältnisses. Ihre praktische Bedeutung ist heute gering.
Allgemeines
Das Schuldrecht unterliegt – im Gegensatz zum Sachenrecht – keinem gesetzlichen Typenzwang, es gibt also keinen numerus clausus der zulässigen Rechtsgeschäfte. Daher kann jedes beliebige Schuldverhältnis vereinbart werden, so dass neue Vertragstypen (Vertrag sui generis) entstehen dürfen, soweit diese mit der Rechtsordnung in Einklang stehen. Die Novation ist im BGB nicht geregelt, jedoch wegen dieser schuldrechtlichen Vertragsfreiheit zulässig.
Geschichte
Wie der aus dem Lateinischen stammende Begriff vermuten lässt, war die Novation bereits im römischen Recht bekannt. Die Novation spielte in Rom eine viel größere Rolle als heute, weil es die römische Anschauung nicht zuließ, dass eine Verbindlichkeit nachträglich verändert oder eine der an ihr beteiligten Personen ausgetauscht wird. Traditionell wurden Obligationen durch einen Verbalkontrakt, in der Regel eine Stipulation, umgeschafft, sodass die alte Verbindlichkeit getilgt und die neue zugleich ins Leben gerufen war.[1] Grundlage einer Novation war eine bestehende Verbindlichkeit.[2] Die Novation galt in den gaianischen Institutionen als eine der fünf Arten der Beendigung einer Verbindlichkeit durch Tilgung. Die Rolle der Novation war bedeutsam, weil die nachträgliche Änderung einer Obligation, sei es im Inhalt, sei es durch Wechsel in der Person des Gläubigers (Zession) oder des Schuldners (Schuldübernahme) nur durch Novation möglich war. Wegen der oft schwierigen Ermittlung des Schulderneuerungswillens galt seit dem Jahre 533 bei Justinian I., dass eine Novation nur eintreten soll, wenn sie ausdrücklich gewollt war. Deshalb bestehen die Novation und Vertragsänderung im heutigen deutschen Recht nebeneinander.
Der Begriff der Novation tauchte in Deutschland erstmals im Spätmittelalter auf, als 1501/02 ein Rechtsstreit mit Schuldnerdelegation (Austausch des Schuldners) zu entscheiden war.[3] Im Falle Rink/Diepach (1503) führte der Kläger aus, der Beklagte sei per Änderung der Verpflichtung (lateinisch delegationem etiam animo novandi obligationem) Debitor geworden.
Inhalt
Nach § 311 Abs. 1 BGB ist zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ein Vertrag zwischen den Parteien erforderlich. Der Rechtsgrund des alten Schuldverhältnisses weicht der Causa des neuen Schuldverhältnisses. Die Nebenrechte, Kreditsicherheiten und gegebenenfalls Einreden und Einwendungen des alten Schuldverhältnisses erlöschen, was auch für bestellte Sicherungsrechte wie die Bürgschaft oder das Pfandrecht gilt, die gehen unter.[4]
Aufgrund der umfangreichen Rechtsfolgen muss für eine Novation ein eindeutiger Parteiwille erklärt werden.[5] Der BGH legt den Parteiwillen grundsätzlich defensiv aus, da im Zweifel von einer bloßen Vertragsänderung auszugehen ist.[6] Die Novation ist eine Schuldumschaffung,[7] denn der alte Vertrag erlischt, und es entsteht ein neuer Vertrag mit neuem Inhalt.
Beispiele für eine Novation sind:[8]
- Der anerkannte Saldo eines Kontokorrents (§ 355 HGB),[9] wobei die Kreditsicherheiten der in ein Kontokorrent eingestellten Forderungen nach § 356 Abs. 1 HGB durch Anerkennung des Rechnungsabschlusses ausnahmsweise nicht untergehen.[10]
- Der Schuldner erbringt anstatt der vertraglich geschuldeten Leistung eine andere Leistung an Erfüllungs Statt und der Gläubiger nimmt sie an (§ 364 Abs. 1 BGB).
- Konsortialanteile an Konsortialkrediten können im internationalen Kreditverkehr auf dem Sekundärmarkt an neue Kreditgeber übertragen werden. Eine Abtretung genügt nicht, da neben Rechten auch Pflichten übertragen werden.[11]
Abgrenzung
Eine Vertragsänderung führt zur inhaltlichen Abänderung eines Schuldverhältnisses, eine Novation führt zum Erlöschen desselben. Allein der Parteiwille ist ausschlaggebend dafür, welche Rechtsart gewünscht ist. Vereinbaren die Parteien etwa eine „Vertragsergänzung“ oder einen „Nachtrag“, so ist regelmäßig von einer Vertragsänderung auszugehen, so dass der bisherige Vertrag fortgesetzt wird. Findet aber keine Bezugnahme auf das „alte“ Schuldverhältnis statt, so wird widerlegbar vermutet, dass eine Novation gewollt ist. Da bei besicherten Krediten die Kreditsicherheiten weiter bestehen bleiben sollen, gelten Anschlussfinanzierung und Prolongation als klassische Vertragsänderung. Anders als bei einer Novation wird dem Verbraucher nach Ablauf der Gesamtlaufzeit bei einer unechten Anschlussfinanzierung kein neues Kapitalnutzungsrecht gewährt, wenn nach Ablauf der Zinsbindungsfrist lediglich neue zukünftige Kreditzinsen vereinbart werden und die Konditionenvereinbarung entsprechend dem ursprünglichen Darlehensvertrag vollzogen wird.[12]
Hingegen kann in Umschuldung, Konsolidierung, Brückenfinanzierung, Kreditablösung oder Schuldübernahme eine Novation zu erblicken sein. Entscheidend ist für die Einordnung als Novation, dass dem Schuldner ein neues Kapitalnutzungsrecht eingeräumt wird und der bisherige Kreditvertrag keine Geschäftsgrundlage mehr darstellen soll.
Rechtliche Einordnung
Änderungen des Schuldverhältnisses:
- personell
- Änderung des Gläubigers
- Änderung des Schuldners
- Schuldübernahme
- Schuldbeitritt, (=Schuldmitübernahme)
- Vertragsübernahme
- Schuldübernahme
- inhaltlich
- Novation
- Schuldänderung
- Vergleich
- Anerkenntnis
International
Anders als in Deutschland ist die Novation in Österreich und der Schweiz gesetzlich geregelt.
Im österreichischen Schuldrecht ist die Novation nach § 1376 ABGB die Umänderung von Rechten oder Pflichten (im Schuldverhältnis) „ohne Hinzutritt einer dritten Person“ und beinhaltet entweder die Änderung des Rechtsgrundes oder die Änderung des Hauptgegenstandes einer Forderung. In diesen Fällen geht „die alte Verbindlichkeit in eine neue über“. Die alte Verbindlichkeit wird nach § § 1377 ABGB beendet, während gleichzeitig eine neue Verbindlichkeit beginnt. Die Entstehung der neuen Verbindlichkeit hängt von der Rechtswirksamkeit einer alten Verbindlichkeit ab (Akzessorietät). Nebenrechte der alten Verbindlichkeit erlöschen auch in Österreich (§ 1378 ABGB).[13]
Auch im Schweizerischen Obligationenrecht ist die Novation bekannt, sie wird dort auch Neuerung genannt. Unter Neuerung im Sinne von Art. 116 OR ist die Umwandlung eines alten Schuldverhältnisses in ein neues zu verstehen, wobei der Verpflichtungsgrund des neuen nicht in jenem des alten, sondern in dem die Neuerung bewirkenden selbständigen Rechtsgeschäft besteht.[14] Es wird mithin eine alte Schuld beseitigt und an einen damit verknüpften Bestand einer neuen Schuld gebunden. Dabei geht das Gesetz davon aus, dass durch die Begründung einer neuen Schuld die alte Schuld nicht getilgt wird. Nach Art. 117 OR kommt der Anerkennung eines Saldos im Kontokorrent Novationswirkung zu.
In Frankreich ist die Novation (französisch novation) ein Schuldvertrag nach Art. 1271 ff. Code civil, wofür sich jede Forderung eignet.[15] Es gibt drei Arten der Novation:
- Gläubiger und Schuldner ersetzen durch eine neue Verbindlichkeit die alte,
- ein neuer Schuldner ersetzt den alten,
- ein neuer Gläubiger ersetzt den alten.
Die Novation ist demnach nur wirksam, wenn eine zu ersetzende Schuld besteht.
Im englischen Recht ist die Novation als Novation eines Vertrags (englisch novation of contract) bekannt.[16] Sie betrifft entweder den Austausch einer Vertragspartei bei einer bestehenden Verbindlichkeit oder der Ersatz einer Verbindlichkeit durch eine neue.[17] Mit Begründung der neuen Schuld erlischt auch hier die alte.
Einzelnachweise
- Max Kaser: Das römische Privatrecht, 1955, S. 541 ff; Kaser nimmt dabei auf diese Quellen Bezug: Ulpian, Digesten 46, 2, 1 pr. und Gaius 3, 176.
- Carl Salkowski: Zur Lehre von der Novation nach Römischem Recht, 1866, S. 1.
- Jechlin, Heyn; Helmut Coing: Die Rezeption des römischen Rechts in Frankfurt am Main: ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte, 1962, S. 124.
- BGH NJW 2003, 59
- BGH NJW 1986, 1490
- BGH, Urteil vom 26. Oktober 2010 – Az.: XI ZR 367/07
- BGH, Urteil vom 14. März 2013, Az.: III ZR 417/12, Tz. 11
- Thorsten S. Richter: Vertragsrecht, 2011, S. 501.
- Otto Palandt/Christian Grüneberg: BGB-Kommentar, 73. Auflage, 2014, § 311 Rn. 10.
- BGH NJW 1982, 2193
- Kai-Oliver Knops: Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2008, S. 2476 Rn. 34.
- BGH, Urteil vom 6. Dezember 1994, Az.: XI ZR 99/94.
- Online-Lehrbuch Zivilrecht Österreich, Kapitel 7, Novation
- BGE 60 II 332 E. 2
- Tobias Maurer, Schuldübernahme, 2010, S. 58 f.
- Tobias Maurer, Schuldübernahme, 2010, S. 127 ff.
- Kathryn J. Haupt, Washington Real Estate Fundamentals, 2006, S. 105