My Ullmann
Maria Anna Amalie „My“ Ullmann (* 4. August 1905 in Wien; † 28. Juni 1995 in Konstanz) war eine österreichische Malerin, Grafikerin, Bühnen- und Kostümbildnerin sowie Fotografin.[1]
Leben und Ausbildung
My Ullmann wuchs als ältestes von vier Kindern des Wiener Seidenhändlers Franz Ullmann auf. Ihr Vater war studierter Architekt, der Großvater Steinmetzmeister an der Olmützer Dombauhütte und die Mutter Konzertpianistin. Bei Ausbruch des I. Weltkriegs schickten ihre Eltern sie zu Verwandten nach Schweden. Eine lebenslange Freundin war die spätere Schauspielerin Margarethe Noé von Nordberg. 1921, im Alter von 16 Jahren, begann Ullmann ihre Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Wien.[2] Dort besuchte sie den Unterricht von Carl Witzmann (Allgemeine Formenlehre), Franz Čižek (Ornamentale Formenlehre), Reinhold Klaus (Glasmalerei und Verbleiung, ab 1921/22) und Eugen Gustav Steinhof (Bildhauerei, ab 1924/25).[3] Vor allem die Auseinandersetzung mit dem Kinetismus, der in Čižeks Unterricht ein Schwerpunkt war, sollte sich prägend auf ihre künstlerische Laufbahn auswirken. Im Juli/August 1924 fand Ullmanns erste Ausstellung mit der Čižek-Klasse statt, bei der es um Außen- und Innendekorationen zu einem Gesellschaftshaus in einem Theateranbau ging. Ullmann fertigte dafür einen konstruktivistischen Fries. Ihr Interesse für das Theater wurde durch die von Friedrich Kiesler organisierte Internationale Ausstellung neuer Theatertechnik bestärkt, die im Herbst 1924 u. a. Oskar Schlemmers Triadisches Ballett ausstellte. Mit der Theater- und Revueausstattung eröffneten sich Ullmann neue Betätigungsfelder.[4]
1925 schied Ullmann aus der Kunstgewerbeschule aus und lebte als freischaffende Künstlerin und Kunstgewerblerin in Wien. 1926 übersiedelte sie in die Schweiz, von wo aus sie zwischen 1927 und 1929 zahlreiche Textilentwürfe für den Wiener Textilfabrikanten Joh. Backhausen & Söhne sowie Fotomontagen für die Möbelfirma Thonet fertigte. Ab 1930 schuf sie Bühnen- und Kostümbilder an einem Theater in München. 1931 fertigte sie Ausstattungen für die Festlichen Spiele in Luzern. Dozenturen in New York und Ankara schlug sie aus.
Ab 1933/1934 war Ullmann in Berlin als Malerin, Bühnenbildnerin sowie Reklameleiterin des Schuhhauses Leiser tätig.[5] Für die Berliner Kunstgewerbeschule entwarf sie 1933 Kostüme für die Ausstattung des Faschingsballs. Zu Kriegsbeginn 1939 soll Ullmann in der Schweiz an Wanddekorationen gearbeitet haben. 1940 brachte sie ihre Tochter Barbara zur Welt. 1944 war Ullman in Lübeck-Travemünde. Am 9. März 1945 heiratete sie den 27 Jahre älteren Hamburger Baudirektor Gerhard Reye (1878–1959), NSDAP-Mitglied und hochrangiger Militär. Durch die Ehe erlangte Ullmann die deutsche Staatsbürgerschaft. Kurz vor Kriegsende wurde sie aus Danzig evakuiert.[6] Am 14. Januar 1948 erfolgte die Scheidung von Gerhard Reye.
Von 1947 bis 1950 war sie an der Bayerischen Staatsoper München tätig. Am 26. November 1948 schloss Ullmann ihre zweite Ehe mit dem 1. Geiger an der Münchner Staatsoper, Walter Eberhard Stuart Jauch (1910–1990). Der gemeinsame Sohn Christoph kam 1950 zur Welt. In den 1950er-Jahren arbeitete Ullmann, erneut geschieden, an Entwürfen für Hotelausstattungen für die englischen Besatzer in Deutschland. In Münster gründete sie 1960 das Atelier my studio für Wandgestaltung aus Metall und Glas. In den 1960er und 1970er-Jahren entstanden Wandreliefs für die Universitätskliniken in Bonn und Münster sowie Portalaufbauten für NATO-Quartiere der Bundeswehr in Borken (Westfalen).
Von 1982 bis zu ihrem Tod 1995 lebte Ullmann in Konstanz. In den Konstanzer Einwohnerbüchern ist sie als „Maria Ullmann, Dipl.-Arch.“ eingetragen.
Werk und Stil
Einflüsse: Wiener Kinetismus
1920 kam es anlässlich der Eröffnung der Kunstschau im Museum für Kunst und Industrie in Wien zu einer ersten öffentlichen Präsentation des Kinetimus. Dieser leitet sich nach der Definition seines Begründers Franz Čižek von dem griechischen Wort kinesis bzw. kinein („Bewegung“, „bewegen“) ab.[7] Dabei ist der Wiener Kinetismus eine avantgardistische Kunstrichtung, die sich exklusiv im Umfeld der Kunstgewerbeschule um Franz Čižek ausbildete. In dessen Unterricht wurden die Schüler dazu angehalten, sich mit Expressionismus, Kubismus und Futurismus auseinanderzusetzen. Der Fokus lag dabei auf den Aspekten der Dynamik, Bewegung und Veränderung. Der daraus entwickelte Kinetismus verfolgte das Ziel einer rhythmischen Komposition und die Darstellung verschiedener, simultan ablaufender Bewegungsprozesse.[8]
Die drei bekanntesten und erfolgreichsten Schülerinnen Čižeks – Erika Giovanna Klien, Elisabeth Karlinsky und My Ullmann – wurden aufgrund ihres Talents und ihrer exzentrischen Persönlichkeiten an der Kunstgewerbeschule als Trio infernale bezeichnet.[9] Auch nach dem Studium blieben sie künstlerisch tätig, doch in Wien geriet der Kinetismus bald in Vergessenheit.[10]
Kunstschaffen
Ullmann arbeitete zeitlebens im Stil des Kinetismus. Ihr Zugehörigkeitsgefühl zur Wiener Schule unterstrich die Künstlerin, indem sie ihre Arbeiten ab 1922 in Anlehnung an den griechischen Ursprung der Wortschöpfung Kinetismus mit der lateinischen Transkription des griechischen M ihres Vornamens als My signierte.[11] Bereits während ihrer Ausbildung 1923 hatte die Künstlerin ein für ihr Schaffen charakteristisches Bildverfahren entwickelt: Mit raschem Pinselstrich aufgetragene figurative Elemente werden in abstrakte, simultanistische Bildstrukturen mit psychedelischem Effekt und leuchtendem Kolorit eingebunden.[12] Dabei fungiert das Quadrat zumeist als Grundform.[13] Die dem Kinetismus immanenten Prinzipien der Gleichzeitigkeit und des dynamischen Formenspiels sind auch die Stilmittel in Ullmanns Werken, wobei sie sich vor allem für die Darstellung des Tanzes interessierte, der aufgrund seiner Bewegungsabläufe ein geläufiges Motiv im Kinetismus war.
Zu Ullmanns Werk, das nach ihrer Zeit an der Wiener Kunstgewerbeschule entstand – ihre Bühnenbilder, Textilentwürfe, Schaufenstergestaltungen u. a. – ist bisher nur wenig bekannt.
Ausstellungen
- 1925: Internationale Kunstgewerbeausstellung, Paris
- 1927: „Künstler im Kunsthandwerk und in der Industrie“, Österreichisches Museum, Wien
- 1929: Ausstellung zum 60jährigen Jubiläum der Kunstgewerbeschule, Kunstgewerbeschule Wien
- 1929/1930: „Wiener Raumkünstler“, Österreichisches Museum, Wien
- 1989: My Ullmann, Galerie in der Walfischgasse, Wien
- 1997: „Hommage à My Ullmann.“ Restaurierte Bilder aus Archiv und Sammlung der Hochschule, Heiligenkreuzerhof, Wien
- 2001: „Farbenlust und Formgedanken“, Universität für angewandte Kunst Wien
- 2006: „Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde“, Wien Museum
- 2011: „Dynamik! Kubismus / Futurismus / KINETISMUS,“ Belvedere Wien
- 2020: „Schall und Rauch – die wilden Zwanziger. Von Josephine Baker bis Thomas Ruff“, Kunsthaus Zürich
Literatur
- Ulrich Thieme, Felix Becker (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der Bildenden Künste. Von der Antike bis zur Gegenwart. Bd. 33. Leipzig 1939.
- 14. Wiener Kinetismus, Kat. Nr. 16. Hg. v. Galerie Pabst. München 1986.
- Ausstellungskatalog: My Ullmann, Galerie in der Walfischgasse, Wien 1989 (PDF, bebildert, abgerufen am 21. März 2021).
- Rolf Laven: Franz Čižek und die Wiener Jugendkunst. Wien 2006.
- Monika Platzer, Ursula Storch (Hrsg.): Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde. Ausst. Kat. Wien 2006.
- Gerald Bast u. a. (Hrsg.): Wiener Kinetismus. Eine bewegte Moderne. Springer, Wien 2011.
- Kathrin Pokorny-Nagel: Ullman, My. In: Allgemeines Künstler-Lexikon. Bd. 111. München / Berlin 2021, S. 217–218.
Einzelnachweise
- Kathrin Pokorny-Nagel: Ullmann, My. In: Allgemeines Künstler-Lexikon. Bd. 111, München / Berlin 2021, S. 217–218.
- Ulrike Matzer: Die drei Stars der Klasse: Klien – Ullmann – Karlinsky. In: Monika Platzer, Ursula Storch (Hrsg.): Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde. Ausstellungskatalog. Wien 2006, S. 61.
- Marion Krammer: Chronologie. In: Gerald Bast u. a. (Hrsg.): Wiener Kinetismus. Eine bewegte Moderne. Wien 2011.
- Kathrin Pokorny-Nagel: Ullmann, My. In: Allgemeines Künstler-Lexikon, Bd. 111. München / Berlin 2021.
- Kathrin Pokorny-Nagel: Ullmann, My. in: Allgemeines Künstler-Lexikon, Bd. 111. München / Berlin 2021.
- Marion Krammer: Chronologie. In: Gerald Bast u. a. (Hrsg.): Wiener Kinetismus. Eine bewegte Moderne. Wien 2011.
- Monika Platzer: Kinetismus = Pädagogik – Weltanschauung – Avantgarde. In: Monika Platzer, Ursula Storch (Hrsg.): Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde. Ausstellungskatalog. Wien 2006, S. 6.
- Rolf Laven: Franz Čižek und die Wiener Jugendkunst. Wien 2006.
- Ulrike Matzer: Die drei Stars der Klasse: Klien – Ullmann – Karlinsky. In: Monika Platzer, Ursula Storch (Hrsg.): Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde. Ausstellungskatalog. Wien 2006, S. 61.
- Monika Platzer: Der Wiener Kinetismus – eine Balance zwischen den Avantgarden. In: Wiener Kinetismus. Eine bewegte Moderne. Wien 2011, S. 36.
- Kathrin Pokorny-Nagel: Ullmann, My. In: Allgemeines Künstler-Lexikon, Bd. 111. München / Berlin 2021.
- Verena Krieger: Adaption – Synthese – Transformation. Zu den künstlerischen Verfahren des Wieder Kinetismus. In: Wiener Kinetismus. Eine bewegte Moderne. Wien 2011, S. 50.
- Ulrike Matzer: Die drei Stars der Klasse: Klien – Ullmann – Karlinsky. In: Monika Platzer, Ursula Storch (Hrsg.): Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde. Ausstellungskatalog. Wien 2006, S. 67.