Moltkeviertel
Das Moltkeviertel ist ein Stadtviertel von Essen in Innenstadtnähe etwa 1,2 km Luftlinie südöstlich des Hauptbahnhofs. Es wird begrenzt durch die Kronprinzenstraße, die Ruhrallee, die Töpferstraße, die Rellinghauser Straße sowie die Bahnstrecke Essen Hbf – Essen-Werden (Linie S 6 nach Düsseldorf und Köln). Verwaltungstechnisch gehört es zu den Stadtteilen Essen-Südostviertel und Essen-Huttrop; zur Abgrenzung der beiden Stadtteile und des Moltkeviertels siehe den Weblink unten zu "ESSENS BUNTE SEITE". Das Zentrum des Moltkeviertels bildet das Robert-Schmidt-Berufskolleg, die vormalige Königliche Baugewerkschule Essen, an der Ecke Moltkestraße/Robert-Schmidt-Straße.
Stadtplanung
Das Moltkeviertel wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts als städtebauliche Einheit konzipiert. Als Antwort auf den Mangel an hochwertigem Wohnraum für bürgerliche Schichten in der aufstrebenden und wohlhabenden Stadt Essen wurde es von dem visionären Stadtplaner und Beigeordneten Robert Schmidt nach Gesichtspunkten geplant, die teilweise immer noch gelten und damals innovativ waren. Dazu gehörte unter anderem das Anlegen weiter Durchlüftungsschneisen in Form breiter Straßen und durchgehender Grünzonen. Viele Straßen verlaufen nach Gedanken des von Camillo Sitte propagierten „künstlerischen Städtebaus“ in leicht gekrümmter Linienführung. Plätze und Grünanlagen wurden nach funktionalen und künstlerischen Gesichtspunkten in die Komposition eingefügt. Ausgedehnte Parkanlagen mit zum Teil großen Spiel- und Sportbereichen in unmittelbarer Nähe der Wohnhäuser – sogar die Tennisplätze wurden bereits 1908 geplant – entsprachen den Ideen des „Reformstädtebaus“, dem Volksparkgedanken sowie dem Leitbild der Gartenstadt und werden auch heute noch rege genutzt. Die Benennung der Straßen im Viertel nach großen Baumeistern wie Karl Friedrich Schinkel, Gottfried Semper, Joseph Maria Olbrich und anderen zeigt die Verehrung für die Architektur, während die Namensgebung nach dem preußischen Generalfeldmarschall Helmuth Karl Bernhard Graf von Moltke für die größte Straße und den größten Platz des Viertels wohl eher dem Zeitgeist zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg geschuldet war.
Reformarchitektur
Ab 1908 wurde das von der Stadt aufgekaufte etwa 0,5 km² große Gelände bebaut: Prächtige Villen entstanden ebenso wie Doppel- und Reihenhäuser und auch Firmensitze, die für ihre Bauherren nach individuellen Plänen und entsprechend dem jeweiligen Geldbeutel errichtet wurden – durchgängig im Stil der Reformarchitektur. Als Zentrum, das mit seinem Uhrenturm alles überragt, wurde zwischen 1908 und 1911 die Königliche Baugewerkschule Essen gebaut.[1] Nachdem in dem Gebäude zwischenzeitlich die Staatliche Ingenieurschule für Bauwesen untergebracht war, wurde am 30. August 1982 die Kaufmännische Schule III der Stadt Essen in Betrieb genommen, die im August 2000 in Robert-Schmidt-Berufskolleg umbenannt wurde.[2] Georg Metzendorf, Edmund Körner und andere bekannte Architekten schufen in der unmittelbaren Umgebung für das gehobene Bürgertum eine Architektur, die seinerzeit Wohnraum für hohe und zum Teil – insbesondere in Form repräsentativer Villen – höchste Ansprüche zur Verfügung stellte und die auch nach hundert Jahren weiterhin ein begehrtes Wohnviertel bildet. Am Moltkeplatz baute Otto Bartning für die Alt-Lutherische Kirchengemeinde (heute Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche, SELK) seine erste Kirche in Deutschland (eingeweiht 1910)[1] und plante später mit der 1929 erbauten Auferstehungskirche ganz in der Nähe eines der wichtigsten Leitbilder des modernen Kirchenbaus in Mitteleuropa. An der Ecke Moltkestraße/Camillo-Sitte-Platz entstand 1928/1929 das Wohn- und Atelier- (später nur noch Atelier-) Gebäude von Edmund Körner, das Elemente sowohl des Neuen Bauens als auch von Industriebauten wie auf der Zeche Zollverein XII aufweist. Etliche der alten Gebäude und die Moltkebrücke stehen heute unter Denkmalschutz; Listen von Baudenkmälern finden sich hier (in zwei Listen, da das Moltkeviertel zu zwei Stadtteilen gehört): im Stadtteil Essen-Südostviertel und im Stadtteil Essen-Huttrop. Für einen Großteil des Viertels existiert seit 1983 eine Erhaltungssatzung, für die sich die traditionell selbstbewusste Anwohnerschaft des Viertels mit großem bürgerschaftlichen Engagement eingesetzt hatte.
- Moltkebrücke; Bild aus 1910
- Moltkebrücke; heute
- Skulpturen an der Moltkebrücke über die S-Bahn
- Jugendstil-Geländer neben der Moltkebrücke
- Robert-Schmidt-Berufskolleg (vormals Königliche Baugewerkschule Essen)
- Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche SELK am Moltkeplatz
- Wohnhaus Schinkelstraße 34 von Gustav Heinemann und Familie bis zu seinem Tod am 7. Juli 1976
- „Villa Koppers“ am Moltkeplatz: ehemaliges Wohngebäude der Familie Heinrich Koppers
- Moltkestraße; ehemaliges Verwaltungsgebäude der Firma Heinrich Koppers
- Obere Schinkelstraße
- „Eigenheimsiedlung“: Messelstraße
- Wohn- und Atelierhaus des Architekten Edmund Körner; Moltkestraße Ecke Camillo-Sitte-Platz
- Essen war einmal eine Bergbaustadt: Schlägel und Eisen an einem Hauseingang in der Schinkelstraße
- Semper-/ Dammannstraße
- Untere Ruhrallee
- Am nördlichen Moltkeplatz; mit Stele von Jo Schöpfer und Außenarbeit Blaues Pigment von Katja Hajek
Grünflächen
Neben den Parkanlagen und den vielen alten Bäumen tragen die zu den Häusern gehörenden, in der Planung von Robert Schmidt vorgegebenen großen Vorgärten dazu bei, dass das Moltkeviertel – insbesondere aus der Vogelperspektive – wie eine grüne Gartenstadt erscheint. Im Gegensatz zu einer Gartenstadt im ursprünglichen Sinn gibt es im Moltkeviertel aber keine räumliche Trennung in Arbeits- und Wohnbereiche. Vielmehr liegen im Moltkeviertel Arbeitsplätze – im Wesentlichen in den Bereichen Bildung, Medizin, Verwaltung, (Ingenieur-)Büros, Kanzleien – Tür an Tür mit Wohngebäuden. In einer Veröffentlichung des Bundes Deutscher Architekten und der Stadt Essen von 2004 (siehe unten) wird angegeben, dass das Moltkeviertel ursprünglich für ca. 4.000 Anwohner und ca. 3.000 Arbeitsplätze geplant wurde.
Im südlichen Teil des Moltkeviertels wurde ab 1925 mit der Wiebe-Anlage eine ungewöhnliche Art einer Parkanlage geschaffen – erstmals in Deutschland. Die öffentliche Parkanlage liegt dabei im Innenbereich der darum angeordneten Häuserblocks: Die rückwärtigen Gärten der einzelnen Häuser grenzen direkt an den Park mit seinem Kinderspielplatz und seinen Grünbereichen.
Zeitgenössische Kunst
In starkem optischem Kontrast zu der gegenüberliegenden alten Häuserzeile am nördlichen Moltkeplatz hat der Essener Galerist Jochen Krüper († 2002) seit 1981 auf der Wiese des Moltkeplatzes zusammen mit Dr. Uwe Rüth (vormals Direktor des Skulpturenmuseums Glaskasten Marl) ein Skulpturenensemble hochwertiger zeitgenössischer Kunst zusammengestellt (siehe Literatur unten zu Material und Raum und KUNSTAMMOLTKEPLATZ). Neben bedeutenden Werken von Heinz Breloh, Hannes Forster, Gloria Friedmann, Lutz Fritsch, Friedrich Gräsel, Ansgar Nierhoff und Ulrich Rückriem, die jetzt in Patenschaft durch den von der Anwohnerschaft gegründeten Verein Kunst am Moltkeplatz KaM e. V. erhalten und gepflegt werden, wird seit 2010 im Rahmen des Projektes junge Kunst am Moltkeplatz jeweils für eine beschränkte Zeit ein ausgewähltes junges Werk ausgestellt. An anderen Stellen im Viertel findet sich zeitgenössische Kunst im Außenraum, so an der Ecke Moltkestraße/Schinkelstraße sowie auf privaten Grundstücken wie am nördlichen Moltkeplatz als Skulpturenensemble Moltkeplatz Essen (Abbildungen siehe unten).
- … Heinz Breloh, Friedrich Gräsel und Hannes Forster unter 100-jährigen Platanen
- … Hannes Forster mit Ausrichtung auf die Alt-Lutherische Kirche (heute SELK), dem ersten Kirchbau des Architekten Otto Bartning in Deutschland[1]
- … Ansgar Nierhoff und Hannes Forster
- … Friedrich Gräsel und Gloria Friedmann
Weiteres
In der Schinkelstraße 34 steht das ehemalige Wohnhaus von Gustav Heinemann, erster gewählter Oberbürgermeister Essens nach dem Zweiten Weltkrieg und dritter Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland[3]. Über ihre Jugendzeit in diesem Haus schreibt Uta Ranke-Heinemann u. a. in ihrem Beitrag Der BDM-Keller im Hause meines Vaters (siehe unten). An der Moltkestraße 31 befindet sich die Filiale Essen der Deutschen Bundesbank. Die Krankenanstalten der Huyssens-Stiftung an der Henricistraße und das Elisabeth-Krankenhaus auf der anderen Straßenseite der Ruhrallee bilden zusammen mit den umliegenden Einrichtungen einen Schwerpunkt der medizinischen Versorgung. In der Villa Koppers, Moltkeplatz 61, dem ehemaligen Wohnhaus des Industriellen Heinrich Koppers, hat die International School Ruhr ihren Sitz.
Im Jahr der RUHR.2010 Kulturhauptstadt Europas feierte die SELK-Kirchengemeinde das 100-jährige Bestehen ihres von Otto Bartning gebauten, unter Denkmalschutz stehenden Kirchengebäudes. Später im Jahr begingen die Anwohner des Moltkeplatzes dessen Namensgebung vor ebenfalls 100 Jahren. Die von Edmund Körner gebaute vormalige Königliche Baugewerkschule Essen (das heutige Robert-Schmidt-Berufskolleg) feierte am 16. November 2011 das 100-jährige Jubiläum seiner Einweihung.
Uta Ranke-Heinemann wohnte in einem Haus an der Henricistraße.[4]
Literatur
- Bund Deutscher Architekten, Stadt Essen – Amt für Stadtplanung und Bauordnung (Hrsg.): Visionäres Essen – Von der Industriestadt zur Dienstleistungs-Metropole. (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung (Teil 1) anlässlich u. a. des Stadtjubiläums „1150 Jahre Stadt und Stift Essen“ im Jahr 2002 und in der Wiener Planungswerkstatt des Magistrats der Stadt Wien, MA 18 17.03., 06.04 2005, V.i.S.d.P. Ernst Kurz.) Essen 2004 (2., ergänzte Auflage).
- KUNSTAMMOLTKEPLATZ – 10 Jahre Kunst am Moltkeplatz KaM e.V. – 35 Jahre Skulpturenwiese Moltkeplatz; mit Beiträgen von Dr. Uwe Rüth und Tankred Stachelhaus; 52 pp; Hrsg.: KaM e.V.; Essen 2017; siehe hier.
- Silke Lück: Das Moltkeviertel in Essen. (= Rheinische Kunststätten, Heft 449.) Köln 2000, ISBN 3-88094-858-5 (Dieses Heft ist vergriffen; mehr Informationen dazu beim Verein Kunst am Moltkeplatz KaM e.V.; siehe Weblinks)
- Uta Ranke-Heinemann: Der BDM-Keller im Hause meines Vaters. In: Alfred Neven DuMont (Hrsg.): Jahrgang 1926/27, Erinnerungen an die Jahre unter dem Hakenkreuz. Köln 2007, S. 95–106.
- Uwe Rüth (Hrsg.): Material und Raum, Installationen + Projekte, Kunst im öffentlichen Raum. Galerie Heimeshoff Jochen Krüper, Essen 1990/1991, ISBN 3-928417-01-0 (Dieses Buch ist vergriffen; mehr Informationen dazu beim Verein Kunst am Moltkeplatz KaM e.V.; siehe Weblinks).
- Tankred Stachelhaus: Das Essener Moltkeviertel – Weltweit einzigartige RaumKunst (= Rheinische Kunststätten, Heft 521.) Köln 2010, ISBN 978-3-86526-051-2 (Dieses Heft ist erhältlich u. a. beim Verein Kunst am Moltkeplatz KaM e.V.; siehe Weblinks)
Weblinks
- Eintrag zu Moltkeviertel (Kulturlandschaftsbereich Regionalplan Ruhr 283) in der Datenbank „KuLaDig“ des Landschaftsverbands Rheinland
- Artikel über das Moltkeviertel bei baukunst-nrw
- Internet-Präsenz zum Moltkeviertel
- historische Karten und Luftbilder des Moltkeviertels
- ESSENS BUNTE SEITE: Südostviertel & Huttrop; Stadtteilführer von Bürgern für Bürger
- Bürgerverein Moltkeviertel e.V.
- Verein Kunst am Moltkeplatz KaM e.V.
- International School Ruhr
- SELK Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche am Moltkeplatz
Einzelnachweise
- Gedenktafel am Objekt
- Homepage des Robert-Schmidt-Berufskollegs, Geschichte
- Hinweisschild am Objekt
- https://www.waz.de/staedte/essen/platz-in-essen-soll-nach-uta-ranke-heinemann-benannt-werden-id234224235.html