Massenentführung nigerianischer Schülerinnen 2014
Zu einer Massenentführung von Schülerinnen kam es in der Nacht vom 14. zum 15. April 2014, als bewaffnete Männer 276[1] jugendliche Schülerinnen der Government Secondary School in Chibok im Bundesstaat Borno im Nordosten Nigerias verschleppten. Abubakar Shekau, Anführer der nigerianischen islamistischen Terrororganisation Boko Haram, bekannte sich zu dem Verbrechen.[2]
Bis Januar 2018 waren 107 der verschleppten Mädchen gefunden, gerettet oder freigelassen worden. In einer Videoansprache im Januar 2018 waren 14 Mädchen zu sehen, die von sich behaupteten, zu den im April 2014 entführten Mädchen zu gehören. In dem Video geben sie an, nicht mehr zu ihren Eltern zurückkehren zu wollen.[3] Stand Februar 2021 waren noch etwa 100 Mädchen vermisst bzw. nicht zurückgekehrt.[4]
Ablauf
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Lage Chiboks im Nordosten Nigerias |
In der Nacht vom 14. zum 15. April 2014, während der Schulexamenszeit, fuhren bewaffnete Männer mit Lastwagen vor der Government Secondary School vor, die auch als Unterkunft für ihre Schüler diente. Die staatliche Schule war in den 1940er Jahren von der pazifistisch-protestantischen Church of the Brethren (Kirche der Geschwister) aufgebaut worden; einer Kirche, der auch viele der Schülerinnen angehören.[5][6] Vor Ort für den Schutz der Schule abgestellte Soldaten wurden von den Angreifern überwältigt, sodass die Männer, die sich nach Aussagen von Augenzeugen gegenüber den fünfzehn- bis achtzehnjährigen Schülerinnen zunächst als Mitglieder der nigerianischen Streitkräfte ausgaben, ihre Opfer auf die Lastwagen zwingen konnten. Zu diesem Zeitpunkt gelang einigen Schülerinnen die Flucht. Die Täter fuhren anschließend mit ihren Geiseln zu einem der Öffentlichkeit bisher unbekannten Ziel.[7]
Der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan kündigte an, dass seine Regierung alles unternehmen würde, um Fortschritte zu machen. Man werde über Boko Haram „hinwegkommen.“[8] Am 16. April 2014 gab ein Sprecher des nigerianischen Militärs bekannt, dass fast alle Entführten befreit worden seien und es außerdem zur Festnahme eines Terroristen gekommen sei.[9] Die Schulleiterin der Government Secondary School sowie viele Eltern der Entführten dementierten diese Verlautbarungen. Es seien nicht alle Opfer befreit worden. Währenddessen, so berichtende Medien, durchkämmten Sicherheitskräfte und Freiwillige den lokalen Dschungel, um das Versteck der Angreifer ausfindig zu machen.[10]
Am 5. Mai 2014 tauchte ein 57-minütiges Bekennervideo von Boko Haram auf. Der Anführer der islamistischen Terrororganisation, Abubakar Shekau, gab darin bekannt, für die Entführung verantwortlich zu sein und die Frauen und Mädchen in seiner Gewalt zu haben. Er kündigte an, „[...] sie auf dem Markt [zu] verkaufen, so Gott will.“[11] Shekau betrachtete die Entführten als „Sklaven“. Es wurde berichtet, dass diese Opfer von Zwangsverheiratungen und sexuellen Übergriffen geworden seien.[12]
Am 12. Mai 2014 tauchte erneut ein Video der Entführer auf. Es zeigte rund 130 Mädchen und junge Frauen, die Hidschābs tragen und Koranverse rezitieren. Shekau teilte in der Aufnahme mit, dass die Entführungsopfer zum Islam konvertiert seien und erst dann freigelassen würden, wenn inhaftierte Boko-Haram-Kämpfer aus der Haft entlassen würden.[13]
Am 27. Mai gab die Armee bekannt, den Aufenthaltsort der Opfer aufgespürt zu haben. Ein Befreiungsversuch sei jedoch zu riskant.[14]
Am 1. Juli 2014 gaben nigerianische Behörden bekannt, mehrere Personen festgenommen zu haben, die verdächtigt würden, in Zusammenhang mit dem Verbrechen zu stehen.[15]
Am 12. Oktober 2014 teilten Medien mit, dass vier der Opfer entfliehen konnten. Diese berichteten, in einem Lager im nigerianischen Nachbarstaat Kamerun festgehalten worden und täglich Opfer von Vergewaltigungen geworden zu sein. Sie seien nach ihrem Entkommen drei Wochen lang zu Fuß nach Nigeria zurückgelaufen.[16][17]
Der nigerianische Militärchef Alex Badeh erklärte am 17. Oktober 2014, dass die nigerianische Regierung mit Boko Haram eine Waffenruhe vereinbart habe. Diese gelte unverzüglich. Regierungssprecher Mike Oremi gab gleichentags bekannt, dass alle noch entführten Opfer, die er auf 219 bezifferte, wohlauf seien. Zu einer Freilassung könne es in der kommenden Woche kommen.[1] Boko Haram dementierte jedoch diese Verlautbarungen. Es gebe keine Waffenruhe, auch würden die Entführungsopfer nicht zurückkehren, da diese bereits verheiratet worden seien.[18]
Reaktionen
Internationale Reaktionen
- AU
Das Büro des Sonderbotschafters für Frauen, Frieden und Sicherheit des Vorsitzenden der Kommission der Afrikanischen Union verurteilte in einer Stellungnahme die Entführung. Es forderte die internationale Gemeinschaft auf, alles für das Wohlergehen der Mädchen zu tun.[19] - EU
Die Außenminister der Europäischen Union verurteilten gemeinsam die Entführungen. Sie forderten die sofortige und bedingungslose Freilassung der Jugendlichen.[20] - Vereinigte Staaten
Präsident Barack Obama sowie der Senat der Vereinigten Staaten verurteilten die Entführungen. Obama forderte eine „internationale Mobilisation“ gegen Boko Haram.[21] Die Bundesregierung der Vereinigten Staaten entsandte am 9. Mai 2014 Militär- und Polizeikräfte nach Nigeria. Diese sollen die nigerianischen Behörden bei ihren Bemühungen zur Rettung der Mädchen beratend unterstützen.[22]
Hashtag #bringbackourgirls
Neben Stimmen aus der internationalen Politik zeigten auch andere Teile der Gesellschaft ihre Anteilnahme. Diese wurde öffentlich vor allem unter dem Hashtag #bringbackourgirls (deutsch Bringt unsere Mädchen zurück) in sozialen Netzwerken und Petitionsforen wie Change.org[23], Internetnachrichtendiensten wie Twitter oder bei Demonstrationen[24] bekundet. Prominente, die sich mit diesem Schriftzug ablichten ließen, waren unter anderem die amerikanische Präsidentengattin Michelle Obama und die Sacharow-Preisträgerin und Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai.[25]
Kritik an den Behörden
Nach der Entführung kam es zu Kritik an der Arbeit der nigerianischen Bundesregierung und der Behörden. Demonstranten und Kritiker warfen ihnen Untätigkeit vor.[26] Auch wurde kritisiert, dass sich Präsident Jonathan erst 100 Tage nach dem Tag der Entführung mit den Angehörigen der Opfer traf.[1]
Freilassungen
Am 13. Oktober 2016 wurden nach Verhandlungen 21 junge Frauen von Boko Haram nach zwei Jahren Geiselhaft an das Rote Kreuz übergeben.[27]
Am 7. Mai 2017 ließ Boko Haram nach längeren Verhandlungen weitere 82 der ursprünglich entführten 276 Mädchen frei. Im Austausch dafür wurden inhaftierte Boko-Haram-Kämpfer von den nigerianischen Behörden freigelassen. Die genauen Einzelheiten der Vereinbarung blieben zunächst unbekannt. Ein Sprecher des nigerianischen Präsidenten Muhammadu Buhari dankte „den Sicherheitskräften, dem Militär, der Regierung der Schweiz, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz und lokalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen“ für ihre Beiträge beim Zustandekommen der Vereinbarung. Die freigelassenen Mädchen wurden nahe der Militärbasis bei Banki an der nigerianisch-kamerunischen Grenze freigelassen. Nach der Freilassung bleiben damit weiterhin mehr als 100 Mädchen vermisst bzw. in den Händen Boko Harams.[28][29]
Literatur
- Joe Parkinson, Drew Hinshaw: Bring Back Our Girls: The Search for Nigeria’s Missing Schoolgirls and Their Astonishing Survival. Harper, New York 2021, ISBN 978-0-06-293392-8.
Weblinks
Einzelnachweise
- Boko Haram verspricht Freilassung der Schülerinnen. 17. Oktober 2014. Abgerufen am 21. Oktober 2014.
- dpa-Newskanal=: Nigeria: Boko Haram bekennt sich zu Entführung von Mädchen. In: Süddeutsche.de=. 5. Mai 2014, abgerufen am 26. August 2020.
- Nigeria: Von Terrormiliz entführte Mädchen lehnen Rückkehr ab. In: DER SPIEGEL. Abgerufen am 2. März 2021.
- Nigeria: Boko Haram bekennt sich zu Attacke auf Schule. In: DER SPIEGEL. Abgerufen am 2. März 2021.
- Brethren rally to support kidnapped Nigerian girls. Mennonite World Review, abgerufen am 14. Januar 2015.
- Es reicht! - Offener Brief an Präsident Goodluck Jonathan. Nigerianischer Kirchenrat fordert Regierung auf, Boko Haram zu stoppen. (Nicht mehr online verfügbar.) Evangelische Mission in Solidarität e. V., ehemals im Original; abgerufen am 14. Januar 2015. (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven)
- Terror in Nigeria: Islamisten überfallen Schule und verschleppen Mädchen. In: Spiegel Online. 15. April 2014, abgerufen am 17. Mai 2014.
- Kritik an Präsident Goodluck Jonathan wächst. In: Spiegel Online. 15. April 2014, abgerufen am 17. Mai 2014.
- Terror in Nigeria: Nigerias Militär befreit fast alle entführten Schülerinnen. In: Spiegel Online. 16. April 2014, abgerufen am 17. Mai 2014.
- Terror in Nigeria: Schicksal von entführten Schülerinnen bleibt ungewiss. In: Spiegel Online. 17. April 2014, abgerufen am 17. Mai 2014.
- Nigeria: Terroristenchef will entführte Mädchen verkaufen. In: Spiegel Online. 5. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014.
- Boko Haram in Nigeria: Islamisten kidnappen noch mehr Mädchen. In: Spiegel Online. 6. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014.
- Boko Haram in Nigeria: Islamisten kidnappen noch mehr Mädchen. In: handelsblatt.de. 6. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014.
- Christoph Sydow: Panorama: Das Dilemma der nigerianischen Armee. GMX. 27. Mai 2014. Archiviert vom Original am 27. Mai 2014. Abgerufen am 27. Mai 2014.
- Lanre Ola: Bomb kills 20 in Nigeria market, girls' abduction suspect held. Reuters. 1. Juli 2014. Abgerufen am 4. August 2014.
- Tom Bonnici: Kidnapped Boko Haram girls make long walk to freedom. In: The Times. 12. Oktober 2014. Online aufrufbar hier (kostenpflichtig für ganzen Artikel; abgerufen am 14. Oktober 2014)
- Sarah A. Topol: Wenn wir davonrennen und sie töten uns, dann ist es halt so. Vor einem halben Jahr wurden 276 nigerianische Schulmädchen von der Terrorgruppe Boko Haram gekidnappt. Viele waren Christinnen, die mit Gewalt zum Islam konvertieren mussten. Die wenigen, die in jener Nacht entkamen, haben nie die ganze Geschichte ihrer Tortur erzählt - bis jetzt. Das Magazin vom 20. Dezember 2014, Seiten 26–36
- Chris Johnston u. Agenturen: Boko Haram denies it has agreed ceasefire. In: theguardian.com. 1. November 2014, abgerufen am 4. November 2014.
- Statement on the Kidnapping of the Nigerian School Girls from the Office of the African Union Commission (AUC) Chairperson’s Special Envoy for Women, Peace and Security. In: http://www.au.int/. 12. Mai 2014, archiviert vom Original am 2. Mai 2014; abgerufen am 17. Mai 2014.
- EU Foreign ministers condemn recent violence in Nigeria. In: aa.com.tr. 12. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014.
- Obama greift durch gegen "Boko-Haram-Terroristen". In: welt.de. 7. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014.
- Nigeria: US-Spezialteam beginnt Suche nach verschleppten Mädchen. In: Spiegel Online. 9. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014.
- Ify Elueze: An: Regierungschefs der Welt und internationale Organisationen - Über 200 Mädchen werden in Nigeria vermisst - BITTE FINDET SIE! #bringbackourgirls. Abgerufen am 19. Juni 2014.
- KVS/Pedro Andrade: Anne-Hathaway and Adam-Schulman Protest Bring Back Our Girls. Archiviert vom Original am 16. Mai 2014; abgerufen am 17. Mai 2014.
- Malala Fund. In: Twitter (Screenshot). Abgerufen am 17. Mai 2014.
- Entführte Mädchen in Nigeria: Regierung lehnt Verhandlungen mit Boko Haram ab. In: faz.de. 13. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014.
- Christoph Titz: Terrormiliz Boko Haram Die vielen Rätsel um Nigerias Chibok-Geiseln. Spiegel online, 18. Oktober 2016, abgerufen am 20. Oktober 2016.
- Nigeria Chibok girls: Eighty-two freed by Boko Haram. BBC News, 7. Mai 2017, abgerufen am 7. Mai 2017 (englisch).
- Boko Haram lässt 82 verschleppte Mädchen frei. tagesschau.de, 7. Mai 2017, abgerufen am 7. Mai 2017.
- Heike Hupertz: Frauen als Beute. FAZ, 20. November 2018, abgerufen am 21. November 2018.
- IMDb Webseite (engl.): Stolen Daughters: Kidnapped by Boko Haram. Documentary 2018.