Lokale Nachhaltigkeitsstrategie
Eine kommunale bzw. lokale Nachhaltigkeitsstrategie ist ein Instrument zur langfristigen Steuerung, zum Übergang (Transition) oder Transformation von Kommunen zur Nachhaltigkeit. Es dient auch zur Umsetzung der SDGs, insbesondere von Ziel 11: „Nachhaltige Städte und Siedlungen – Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig zu gestalten“.
Hintergrund
Das Instrument der Lokalen Nachhaltigkeitsstrategie stellt ein Paradigmenwechsel zur Lokale Agenda 21 dar und basiert auf den Erfahrungen von über 2000 Lokalen Agenda 21 Prozessen in Deutschland, von denen die Mehrzahl suboptimal verlaufen bzw. gescheitert sind, auf den Erfahrungen mit der Stadtentwicklungsplanung und den ersten Transformationsstudien (Zukunftsfähiges Deutschland). Der Begriff lokale Nachhaltigkeitsstrategie (engl. Local Sustainability Strategy) wurde vom Rat der Gemeinden und Regionen Europas 1997 eingeführt. Hintergrund lokaler Nachhaltigkeitsstrategien ist der auf dem Weltgipfel in Johannesburg 2002 vollzogene, instrumentelle Paradigmenwechsel von Nachhaltigkeit zur Nachhaltigkeitsstrategie (OECD 2002), welcher sich bis 2012 auch auf der lokalen Ebene vollzog. Im Vorfeld von Rio plus 20 wurde von Liane Möller festgestellt: „Die Auswertung der bisherigen Erfahrungen zu den Agenda 21-Prozessen kündigt die Einleitung eines Paradigmenwechsels zur lokalen Nachhaltigkeitsstrategie an“ (Kramer 2010). In der Studie „Rio+20 vor Ort“ Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektiven lokaler Nachhaltigkeitsprozesse in Deutschland" mit Unterstützung des BMU und UBA kommt das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Deutschland zur folgenden Handlungsempfehlung:
„Nachhaltige Entwicklung ist eine Querschnittsaufgabe die langfristig gelöst, jedoch kurz- und mittelfristig angegangen und in der kommunalen Politik und Verwaltung verankert werden muss. Die Entwicklung und Implementierung einer umfassenden kommunalen Nachhaltigkeitsstrategie bzw. Agenda 21 mit den zentralen Bestandteilen von Leitvision, Zielstellungen Handlungsprogamm und regelmäßigem Monitoring ist notwendig, um den Transformationsprozess gesamtgesellschaftlich und über Einzelinteressen sowie Legislaturperioden hinweg erfolgreich gestalten zu können. Studie Rio+20 vor Ort 2012, S. 128“
Definition
Eine Lokale Nachhaltigkeitsstrategie besteht aus einer Vision, einem Leitbild mit langfristigen Zielen, einem Programm mit Maßnahmen und Projekten, sowie einem dynamischen Managementzyklus für die Umsetzung, welche zur Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität einer Kommune führen. Ziel ist es, die „am besten geeignete Strategie“ für die Zukunftsfähigkeit (bzw. Nachhaltigkeit) der Kommune zu entwickeln, umzusetzen, fortzuschreiben und regelmäßig zu überprüfen (Review/Monitoring). Konkret geht es z. B. um den Klimaschutz, Anpassungsstrategien für die globale Erwärmung, die Bewältigung des demographischen Wandels, nachhaltige Wirtschaft. Eine Lokale Nachhaltigkeitsstrategie ist eine zentrale Voraussetzung für die Verankerung eines Kommunalen Nachhaltigkeitsmanagements.
Instrument
Das Instrument der lokalen Nachhaltigkeitsstrategie integriert als Gesamtstrategie:
- die strategischen Ziele(z. B. Leistungsziele/Doppik) und kommunale Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs)
- die Planungsgrundlagen und Fachpläne zum Beispiel Jugendhilfeplan, Lärmminderungsplan, Klimaschutzprogramme etc.;
- die Projekte der Stadtentwicklung und Infrastrukturprojekte;
zu einer kohärenten Gesamtstrategie, welche durch ein Kommunales Nachhaltigkeitsmanagement bzw. Steuerungskreislauf verankert wird. Es enthält eine Vielzahl von Methoden des Nachhaltigkeitsmanagements, des Neuen Steuerungsmodells und ist anschlussfähig zur Doppik. Die Gesamtstrategie kann auch multifunktional strukturiert sein, d. h. auch die Funktionen als Stadtentwicklungsplan, ISEK, Leitbild etc. erfüllen.
Praxis
Der weltweite Verband ICLEI von etwa 2.000 Städten, Gemeinden und Landkreisen für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung hat Pfade zu den UN-Nachhaltigkeitszielen mit lokalen Bezügen identifiziert, beispielsweise für Städte und Gemeinden in den USA und Europa.[1][2] Lokale Nachhaltigkeitsstrategien (engl. local sustainability strategy bzw. local sustainable development strategy) haben zum Beispiel die Städte Cardiff, Kopenhagen, Manchester, Oslo und Rugby sowie in Deutschland Augsburg, Ingolstadt, Neumarkt in der Oberpfalz, Garmisch-Partenkirchen, Ludwigsburg und Solingen verwirklicht. Diese haben auch die Funktion eines nachhaltigen Stadtentwicklungsplans (bzw. Masterplans) bzw. wie die Gesamtstrategie Landsberg 2035 eine Verzahnung mit der Haushaltssteuerung (Doppik).
Modellprojekt Visionen für Ingolstadt (Methoden- und Instrumentenentwicklung)
Die Stadt Ingolstadt hat mit Förderung des Freistaat Bayern (2000–2002) erstmals für den kommunalen Bereich, mit dem Prototyp "Visionen für Ingolstadt" eine vollständige Nachhaltigkeitsstrategie einer Großstadt entwickelt. Diese wurde auf dem Weltgipfel in Johannesburg (Rio plus 10) von Umweltminister Werner Schnappauf und dem Projektleiter Ralf Klemens Stappen als Beitrag des Freistaats Bayerns vorgestellt. Die Entwicklung und Umsetzung der Nachhaltigkeit wurde dabei als strategische Aufgabe verstanden, wobei die übergeordnete Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands, des Freistaats Bayern und der Europäischen Union vertikal integriert wurden (Vgl. Visionen für Ingolstadt). Erstmals wurde Nachhaltigkeit als Grundprinzip für alle Planungsprozesse und Projekte verankert.
Modellprojekt Lokale Nachhaltigkeitsstrategie Stadt Neumarkt
Die Stadt Neumarkt in der Oberpfalz hat als erste Stadt Deutschlands im Rahmen des vom Freistaats Bayern geförderten Modellprojekts „Lokale Nachhaltigkeitsstrategie Stadt Neumarkt“ eine lokale Nachhaltigkeitsstrategie mit dem „Ingolstädter Verfahren“ (Prototyp) entwickelt und beschlossen. Diese wurde zusammen mit allen Bürgern, Unternehmen, der Verwaltung, dem Stadtrat und den Vereinen entwickelt. So wurde zum Beispiel der erste Entwurf an alle 18.000 Haushalte der ca. 40.000 Einwohner zählende Stadt geschickt. Jeder Bürger und jede Institution konnte seine Ideen, Anregungen und Verbesserungsvorschläge beisteuern. Ein weiteres Element war eine qualifizierte und breite Bürgerbeteiligung, zum Beispiel wurde ein „Tag der Visionen“ als Auftaktveranstaltung mit über 5000 Bürger organisiert, hinzu kamen drei Zukunftsforen mit 400 Teilnehmern, sechs Bürgerkonferenzen mit 200 Teilnehmern, sowie eine Vielzahl von Arbeitskreisen und Workshops. Das Endergebnis „Zukunftsfähiges Neumarkt“ wurde am 20. Juli 2004 vom Stadtrat beschlossen. Im Zentrum stehen 6 Leitbilder, 24 Leitsätze für die Zukunftsfähigkeit bis 2025, 17 Leitprojekte und 164 Maßnahmen und Einzelprojekte für eine nachhaltige Stadtentwicklung und die Verankerung eines Kommunalen Nachhaltigkeitsmanagements (vgl. Literatur). Das Projekt wurde 2012 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis als "Deutschlands nachhaltigste Stadt mittlerer Größe" ausgezeichnet.
Global Nachhaltige Kommune in NRW (GNK NRW)
Die LAG 21 NRW begleitet im Auftrag der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) von Engagement Global im Projekt Global Nachhaltige Kommune in NRW (GNK NRW) 15 NRW-Kommunen bei der Entwicklung von Strategien für eine global Nachhaltige Entwicklung. Ziel ist ein systematischer Beitrag zur Agenda 2030. Die 15 Modellkommunen erarbeiten ihre Strategien im Kontext der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung und der Globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Sie definieren Bezüge zur Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sowie zur NRW-Nachhaltigkeitsstrategie.
Modellprojekt Global Nachhaltige Kommune Thüringen
Das Modellprojekt Global Nachhaltige Kommune Thüringen[3] ermöglicht seit 2017 den Thüringer Kommunen Erfurt, Jena, Nordhausen, Arnstadt, Saalfeld, Bad Köstritz / Crossen an der Elster sowie Schmölln/ Gößnitz eine Beratung und Begleitung bei der Entwicklung von kommunalen Nachhaltigkeitsstrategien im Kontext der globalen Nachhaltigkeitsziele, unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten sowie der Nachhaltigkeitsstrategien auf Bundes- und Landesebene. Im Rahmen der 2. Phase Global Nachhaltige Kommune Thüringen werden im Zeitraum 2020 bis 2021 weitere Thüringer Kommunen bei der Strategieentwicklung begleitet. Das Projekt Global Nachhaltige Kommune Thüringen wird vom Verein Zukunftsfähiges Thüringen e.V. in Kooperation mit der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt der Engagement Global gGmbH durchgeführt und aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert.[4][5] Die Entwicklung der kommunalen Nachhaltigkeitsstrategie erfolgt in jeder der Kommunen anhand eines partizipativen Prozesses, in dem Politik, Verwaltung und Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in einer Steuerungsgruppe zusammenwirken. Der Prozess umfasst neben einer Bestandsaufnahme die Identifizierung von zentralen Themenfeldern, wie Klima- und Ressourcenschutz, globale Verantwortung, Bildung, Mobilität, Gesundheit sowie Arbeit und Wirtschaft. Für diese werden jeweils konkrete Ziele, Teilziele und Maßnahmen mit Terminen im Zeitraum 2020 bis 2030 erarbeitet. Die Zielstellungen und Maßnahmen werden mit einer Ressourcenplanung sowie mit Verantwortlichkeiten und Indikatoren unterlegt. Die Nachhaltigkeitsstrategie wird mit ihrem Handlungsprogramm abschließend vom Stadt- bzw. Gemeinderat verabschiedet. Nachfolgend ist eine regelmäßige Evaluierung, Berichterstattung und die Weiterentwicklung der Zielstellungen geplant. Die Nachhaltigkeitsstrategie dient als umfassendes Steuerungsinstrument, mit dem sich die Kommunen den aktuellen Herausforderungen stellen und ihre eigenen Beiträge für eine zukunftsfähige, global gerechte Entwicklung definieren und umsetzen.
Literatur
- Bundesregierung (Hrsg.): Perspektiven für Deutschland. Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung. Berlin 2002.
- OECD (Hrsg.): Sustainable Development Strategies. London 2003.
- Matthias Kramer: Integratives Umweltmanagement. Gabler, 2010.
- Markt Garmisch Partenkirchen (Hrsg.): Lokale Nachhaltigkeitsstrategie. 2012, online (PDF).
- Katrin Nolting, Edgar Göll: „Rio+ 20 vor Ort“–Kommunen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit. Beispiele aus Deutschland. Forschungsbericht mit Teilstudien. Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (Hrsg.), Berlin 2012, online (PDF).
- Stadt Neumarkt (Hrsg.): Zukunftsfähiges Neumarkt. Stadtleitbild Neumarkt i.d.Opf. Neumarkt 2004, Überarbeitung 2010.
- Stadt Ingolstadt (Hrsg.): Visionen für Ingolstadt. 2002, online (PDF-Datei; 1,96 MB).
- Ralf Stappen: Prozess(re)organisation Lokale Agenda 21 Ingolstadt. Das neue Instrument der Lokalen Nachhaltigkeitsstrategie. In: Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.): Kommunen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit. Köln 2004.
- Ralf Stappen, Helmut Schels: Towards a Local Sustainability Strategy. In: Bavarian Minister for State Development and Environmental Affairs, München 2002, online (PDF-Datei, 735 kB, Originaltitel).
- Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. 2. veränderte Auflage, WBGU, 2011, online (Hauptgutachten, PDF), ISBN 978-3-936191-38-7.
Weblinks
Einzelnachweise
- ICLEI - USA: How does ICLEI support UN's Sustainable Development Goals? Abgerufen am 23. April 2020.
- ICLEI – Europe: 15 Pathways to localise the sustainable development goals. Abgerufen am 23. April 2020.
- Global Nachhaltige Kommune in Thüringen. Abgerufen am 15. April 2020.
- Verein Zukunftsfähiges Thüringen e.V.: Global Nachhaltige Kommune Thüringen. Abgerufen am 19. April 2020.
- SKEW: Kommunale Nachhaltigkeitsstrategien. Abgerufen am 19. April 2020.