Linde am Brunnen vor dem Tore
Inspiriert von der Linde am Brunnen vor dem Tore im nordhessischen Bad Sooden-Allendorf soll Wilhelm Müller, so wird überliefert, das Gedicht „Der Lindenbaum“ geschrieben haben. Berühmt wurden die Verse als „Am Brunnen vor dem Tore“ durch die Vertonung von Franz Schubert und durch die Bearbeitung von Friedrich Silcher. Die fast 700 Jahre alt gewordene „Original“-Linde fiel im Mai 1912 einem Sturm zum Opfer. Im Jahr 1914 wurde eine neue Linde an ihrer Stelle gepflanzt, die inzwischen mit einer Höhe von rund 26 Metern und einem Stammumfang von mehr als drei Metern stattliche Ausmaße erreicht hat. Der Baum steht seit 1936 als Naturdenkmal unter besonderem Schutz.[1]
Linde am Brunnen vor dem Tore | |||
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Blick stadtauswärts auf Linde und Brunnenplatz in Allendorf | |||
Ort | Bad Sooden-Allendorf im nordhessischen Werra-Meißner-Kreis | ||
Land | Hessen, Deutschland | ||
Baumart | Sommerlinde (Tilia platyphyllos) | ||
Geographische Lage | 51° 16′ 13,2″ N, 9° 58′ 49,9″ O | ||
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Status Naturdenkmal | Ausgewiesen als Naturdenkmal am 1. August 1936 | ||
Alter | Über 100 Jahre | ||
Stammumfang (Brusthöhe) |
mehr als drei Meter | ||
Baumhöhe | Rund 26 Meter |
Standort
Den Platz mit dem Lindenbaum und dem Brunnen findet man an der Ecke von „Langer Weg“ und „Rothesteinstraße“ in Allendorf[2] im Werra-Meißner-Kreis. Die Anlage liegt unweit des früheren „Steintors“ im südöstlichen Bereich der Allendorfer Stadtbefestigung. Hier haben sich noch Relikte der äußeren Mauer erhalten, die mit einer Inschrift versehen ist, die das Jahr 1724 angibt.
In den 1990er Jahren wurde das seit mehr als 150 Jahren verschwundene Steintor nach alten Unterlagen wieder neu errichtet. Gründe für die Rekonstruktion sollen vor allem Teilnehmer japanischer Reisegruppen geliefert haben, die den Brunnen vor dem Tore mit dem Lindenbaum besucht haben, weil sie wussten, dass an dieser Stelle der Dichter Wilhelm Müller den Text des berühmten Liedes geschrieben hat, und fragten, wo denn das dazugehörige Tor sei.[3] Allerdings deutet der heutige Torbogen das ehemalige Stadttor lediglich noch an.
Hinter dem „Zimmersbrunnen“, so die offizielle Bezeichnung, liegt der letzte von den drei Grundsteinen des Allendorfer Galgens. Dieser stand auf dem Zinnberg am Rande des Klausbergs, von dem das saubere weiche Wasser des Zimmersbrunnens kommt. Die „Zinnborn“ genannte Quelle soll einer Sage nach an der Stelle entspringen, wohin der Kopf eines unschuldig enthaupteten Mädchens vom Richtplatz aus rollte.[4]
Die mehrfach umgestaltete Anlage mit dem erhöhten Platz um den Brunnen wird als Kulturdenkmal aus geschichtlichen Gründen geschützt.[5]
Geschichte
Die anlässlich der Stadtgründung von Allendorf im Jahr 1218 gepflanzte Linde stürzte, zerstört durch ein Hagelunwetter, in der Nacht des 12. Mai 1912 um. Über den Verlust des alten Baumes wurde damals landesweit berichtet. Aufnahmen des entwurzelten Baumes erschienen in vielen Zeitungen des Reiches. Der Kunsthistoriker und Fotograf Thomas Wiegand berichtet in seinem Buch „Bäume aus dem Werraland“, dass sich Gesangvereine Holzstücke von dem mächtigen Stamm, gewissermaßen als Reliquie, schicken ließen.
Einige Monate später, am 17. März 1913, im Jahr der 100. Wiederkehr der Befreiung von der französischen Besatzung und am Tage des 25-jährigen Regierungsjubiläums des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II., wurde eine neue Linde, begleitet von vaterländischen Reden und Blaskapellenmusik, gepflanzt. Diese wuchs jedoch nicht an und die Pflanzaktion musste im darauffolgenden Jahr, diesmal allerdings ohne patriotisches Gebaren, wiederholt werden.[4] Als die im Jahr 1914 gesetzte Linde ihr 100. Lebensjahr vollendet hatte, haben die Stadt und der Verein für Heimatkunde mit einem Lindenfest auf das Jubiläum aufmerksam gemacht.[6] Nach Festgottesdienst, Festvorträgen und musikalischen Beiträgen sangen mehr als 500 Menschen gemeinsam das Lied „Am Brunnen vor dem Tore“ zu Ehren des Baumes.[7]
Folkloristische Bedeutung
Auf einer seiner zahlreichen Reisen soll Wilhelm Müller, der nur knapp 33 Jahre alt geworden ist,[8] auch Allendorf an der Werra besucht haben. Die Überlieferung berichtet, dass es um 1822 gewesen sein soll, als die stattliche Linde ihn zum Verfassen seiner berühmten Verse anregte. Veröffentlicht wurde sein Gedicht zuerst als „Der Lindenbaum“ im Jahr 1823 in dem Zyklus mit zwölf Wanderliedern „Die Winterreise“. Anfang 1827 vertonte Franz Schubert die ersten Lieder der „Winterreise“. Für den großen Erfolg des Liedes war jedoch vor allem eine Bearbeitung durch Friedrich Silcher verantwortlich. Auf der Basis von Schuberts Komposition war es Silchers vereinfachte Fassung, die „Am Brunnen vor dem Tore“ von einem romantischen Kunstlied zu einem weltweit berühmten und beliebten Volkslied machte.
Es ist jedoch nicht gesichert, dass Wilhelm Müller jemals in Allendorf gewesen ist und gerade dieser Linde ein Denkmal setzte. Einige andere Orte in Deutschland mit einem „Brunnen vor dem Tore“ beziehen die Entstehung der Verse auch auf sich. Allerdings, so sagen die Heimatkundler aus Bad Sooden-Allendorf, „die Konstellation, wo der Brunnen mit der Linde und das Tor so eng beieinander liegen, ist wohl nur hier bei uns so gegeben.“[9]
Der Lindenbaum ist für den Ort nicht nur ein touristisches Markenzeichen, wie es der Bürgermeister in einem Festbeitrag zum 100. Geburtstag formulierte, sondern auch ein Symbol von Kraft und Stärke und für ein Stück Heimat. Das idyllische Dreier-Ensemble, mit dem schattenspendenden alten Baum, dem Brunnen, der daneben steht, und dem Stadttor, ist eines der bekanntesten Motive nordhessischer Romantik. Kaum ein Besucher oder Kurgast versäumt es, ein Erinnerungsfoto aufzunehmen.[4]
Einzelnachweise
- In der Liste der Naturdenkmale des Werra-Meißner-Kreises hat der Baum die Nummer ND 636.008.
- Seine heutige Bezeichnung Bad Sooden-Allendorf erhielt der Ort anlässlich der Zusammenlegung des Fleckens Sooden und der Stadt Allendorf im Jahr 1929.
- Gottfried Kiesow: „Auch alte Bäume brauchen Schutz“ in der Zeitschrift „Monumente, das Magazin für Denkmalkultur“, Ausgabe 3/2005; abgerufen am 16. September 2019.
- Thomas Wiegand: Bäume aus dem Werraland - Eine Fotodokumentation. Herausgegeben von der Kreissparkasse Eschwege. druck GmbH Keitz + Fischer, Eschwege 1984, S. 30 f.
- Peer Zietz: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Hessen. Werra-Meißner-Kreis III. Altkreis Witzenhausen. Herausgegeben vom Landesamt für Denkmalpflege. Vieweg, Braunschweig / Wiesbaden 1995, ISBN 3-528-06228-2, S. 56 f.
- Hessische/Niedersächsische Allgemeine vom 18. Juni 2015, "Fest am Brunnen vor dem Tore: Ersatzlinde 100 Jahre alt."; abgerufen am 16. September 2019.
- Werra-Rundschau vom 23. Juni 2015, "100. Geburtstag der Linde Am Brunnen vor dem Tore"; abgerufen am 17. September 2019.
- Bernd Leistner: „Zur Lebens- und Schreibgeschichte Wilhelm Müllers“. Auf der Webseite der Internationalen Wilhelm-Müller-Gesellschaft; abgerufen am 17. September 2019.
- „Am Brunnen vor dem Tore“ auf der Webseite des Vereins für Heimatkunde e.V. Bad Sooden-Allendorf; abgerufen am 16. September 2019.