Laterndluhr
Die Wiener Laterndluhr ist eine Wanduhr aus der Zeit des Biedermeier im Gebiet der ehemaligen Donaumonarchie Österreich-Ungarn. Die Uhr hat einen dreiteiligen Aufbau mit dachförmigem Abschluss und im Mittelteil ein Sekundenpendel.[1][2]
Geschichte
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich circa um 1800 ein eigener Wiener Stil an schlichten Pendeluhren. Diese Wand- und Bodenstanduhren sind zumeist mit einem vorspringenden Oberteil versehenen, besitzen einen dreiseitig verglastes Uhrgehäuse mit einem langen Mittelteil und sich verbreiternden Unterteil, in dem das Pendel schwingt und werden daher aufgrund ihres laternenähnlichen Aussehen umgangssprachlich als Laterndluhren bezeichnet. Diesen Uhrentypus findet man auch heute noch auf dem Gebiet der ehemaligen Österreich-Ungarischen Donaumonarchie vor – in den jetzigen Staaten Österreich, Ungarn, Slowakische Republik, Tschechische Republik, Serbien, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Italien (Trentino-Südtirol).
Die formale Entwicklung der Laterndluhr geht auf die englischen Standuhren des 18. Jahrhunderts zurück, von denen sie den Dreiecksgiebel übernommen hat. Die oberen Abschlüsse der Gehäuse verfügen bei den frühen Uhren noch über einen flach abgetreppten Abschluss, der Unterteil ist seitlich noch geschlossen. Die unterste Tür, indem die Pendellinse sichtbar ist, lässt sich nach oben oder seitwärts schieben. Den Dreiecksgiebel finden wir später ab etwa 1820 auf dem gesamten Gebiet der ehemaligen Österreich-Ungarischen Donaumonarchie vor. Die Laterndluhren der Frühzeit wurden von den Uhrmachern Philipp Fertbauer, Caspar Brändl, Matthias Wibral und Anton Glückstein in Wien gefertigt, sowie in der ungarischen Reichshälfte von Franz Seiffner und Joseph Lechner in Pest, Joseph Rauschmann in Ofen (Buda) sowie Joseph Lehrner in Kaschau.
Funktion und Aufbau
Die Laterndluhr ist ein Regulator, der zur Erzielung der Ganggenauigkeit an einer Wand, frei von Erschütterung, befestigt wird. Die seitlich am Gehäuse angebrachten Stellschrauben aus Messing zur Fixierung und Justierung sind charakteristisch. Als Hölzer für den Uhrenkasten wurden ab ca. 1790 in Mahagoni mit hell kontrastierenden Adern oder Kanten in Ahorn, ebonisiertes Birnbaumholz und später vor allem Nuss- und Kirschholz sowie Maserholz verwendet. Die Gehäuse wurden von den Uhrgehäusefabrikanten als Zulieferer der Uhrmacher hergestellt. Als weitere Zulieferer der Uhrmachermeister werden die folgenden Berufszweige in ihrer historischen Berufsbezeichnung erwähnt: Ziffernblattschmelzer, Glockengießer, Tonfedernfabrikanten, Uhrwerkspolierer, Triebfertiger, Graveure, Vergolder, Zeigermacher usw.
Bei den meisten Laterndluhren sitzt das Zifferblatt frei hinter der Glastür des Gehäusekopfes. Uhren von Fertbauer, Brändl, Glückstein (Wien) sowie Seiffner in Pest besitzen dagegen eine hölzerne vordere Abschlusswand des Kopfteiles, in die das Zifferblatt eingelassen ist und von einem konvexen Uhrglas mit vergoldeter Lunette abgedeckt wird. Vereinzelt ist die Vorderfront mit Verzierungen oder ebonisierten Säulen versehen. Die Zifferblätter waren in der Frühzeit konvex gewölbt, später flach. Es gab emaillierte oder versilberte Metall-Zifferblätter, manche aus Milchglas oder vereinzelte auch feuervergoldet, guillochiert und graviert. Joseph Lechner in Kaschau fertigte beispielsweise eine skelettierte Jahresuhr mit einem durchsichtigen Glaszifferblatt mit emaillierter Signatur. Die Reifen, auch Lünetten genannt, wurden in unterschiedlicher Breite produziert, guillochiert und feuervergoldet. Üblich war die Verwendung römischer Stundenziffern. Die Herstellernamen wurden meistens auf das Zifferblatt aufgemalt, Datierungen hingegen sind äußerst selten.
Bei den Pendeln wurde auf eine möglichst geringe Wärmeausdehnung zur Sicherstellung der Ganggenauigkeit (Kompensationspendel) geachtet. Bei der Mehrzahl der Pendel wurde getrocknetes und lackiertes Tannenholz verwendet, ansonst wurden sie aus Stahl oder auch Messing gefertigt. Als Aufhängung kennt man die Feder- bzw. die Schneideaufhängung. Die Pendellinse besteht aus poliertem Messing und ist bei 8-Tage-Werken hohl, bei Monats- bis Jahresuhren mit Blei ausgegossen. Die Pendeluhren werden normalerweise mit Gewichten (Blei in polierten Messinghülsen) angetrieben, nur sehr selten läuft der Antrieb über einen Federantrieb (auch mit Schnecke). Je länger die Gangdauer, desto größer (und damit schwerer) mussten die Gewichte sein.
Laterndluhren wurden in verschiedenen Größen gebaut, abhängig von der Länge des Pendels. Die Schwingungsdauer von einer Sekunde ergibt mit einem präzis gebauten Werk noch heute eine hervorragende Ganggenauigkeit (Sekundenpendel). Die Voraussetzung ist eine durchschnittliche Länge des Gehäuses von 145 cm. Je nach Hersteller präsentieren sich die Werkkonstruktionen in großer Vielfalt, in der Mehrzahl sind es acht-Tage-Werke und Monatsläufer mit oder ohne Schlagwerk. Die Gangdauern variieren zwischen 1, 4, 6 Wochen, 2, 3, 6 oder 9 Monaten bis zu Uhren mit Jahresgangdauer und darüber.
Zum Schutz des Werkes kapselten Wiener Uhrmacher wie Philipp Happacher, Philipp Fertbauer, Ignaz Marenzeller, Caspar Brändel, Anton Glückstein und Joseph Binder die Werke mit facettierten Glasscheiben ein. Ähnlich arbeiteten Franz Lobmeyer in Tyrnau, Joseph Lehrner in Kaschau, Josef Rauschman in Ofen, Franz Seiffner in Pest sowie Karl Zelisko und Josef Kossek in Prag.
In der frühen Entstehungszeit dieses Uhrentyps schlagen die Hämmer der Werke auf Glocken, ab ungefähr 1815 verwendete man gebläute Tonfedern. Geschlagen werden halbe, ganze oder viertel Stunden – der sogenanntes Wiener Schlag, der mit zwei Schlagwerken arbeitet, ist erkennbar an den drei Aufzugslöchern im Zifferblatt. Zum Teil gibt es auch Uhren mit einer Repetition.
Die technischen Ausführungen der Werke sind sehr zahlreich. Auf der Gewerbeausstellung in Wien 1845 stellte der Uhrmacher Alois Schenk eine für den Zeitdienst von Sternwarten entwickelte Präzisionspendeluhr mit Kompensationspendel aus, die eine Gangdauer von 3 Jahren und zwei Monaten hatte. Zusätzliche Indikationen (Hilfszifferblätter) für Wochentag, Datum, Monatsangabe, Tierkreiszeichen, Schaltjahreskorrektur, mittlere und wahre Sonnenzeit, Mondphase und Mondalter, Äquation oder Weltzeitzifferblatt zeichnen einige Meisterstücke besonders aus.[3]
Kopien, Reproduktionen und Fälschungen von Laterndluhren
Die zeitlose Erscheinung und Ästhetik von Laterndluhren und ihre auch heute noch erstaunlichen Ganggenauigkeit hat eine stetige Nachfrage nach solchen Uhren entstehen lassen, dem ein recht kleines und sehr begrenztes Angebot an originalen Uhren mit typischerweise mittleren bis hohen 5-stelligen Preisen entgegensteht.
Seit diese Uhren als Originale hohe Preise auf Auktionen erzielten, kamen nach und nach immer mehr und immer besser gemachten Fälschungen auf den Markt.
Da der Aufwand für den Nachbau eines solch minimalistischen Uhrenkastens relativ gering erscheint, das Uhrwerk in der Regel nur aus wenigen sich bewegenden Teilen besteht, kamen sehr früh schon im späten 20. Jahrhundert mit Aufkommen der Antiquitäten- und Nostalgiewelle Ende der 1970er Jahre die ersten Nachbauten von Wiener Pendeluhren wie den begehrten Dachluhren und Laterndluhren auf den Markt.
Die Bandbreite reicht hier von sehr stark restaurierten Originalen, bei denen oft das beschädigte fragile Gehäuse weitgehend erneuert wurde, die Uhrwerke hingegen original sind, über aus altem Holz nachgebauten Uhrkästen mit Uhrwerken, die unter Verwendung alter einfacher Regulatorwerke mit neuen Teilen wie Zifferblättern und Pendeln umgebaut und ergänzt wurden bis zu komplett in Fälschungsabsicht nachgebauten neuen Uhren, deren Uhrenkasten unter Verwendung alten furnierten Holzes von Möbeln aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen und mit ebenfalls komplett neu gebauten Uhrwerken mit neuen Zifferblättern, Pendeln und Lünetten versehen werden.
Die Fälscherwerkstätten für Gehäuse, Uhrwerke, Zifferblätter und andere Zutaten befinden sich meist in Ungarn, wo es noch Handwerker gibt, die sich auf die Nachbauten solcher Komponenten oder ganzer Uhren verstehen.
Auffällig ist in diesem Zusammenhang die im Antikhandel zu beobachtende Schwemme an Laterndluhren höchster Preisklasse, die jedoch bei Beobachtung des internationalen Auktionsgeschehens auf Auktionen so gut wie nie zu finden sind.
Die preissteigenden Komplikationen beim Uhrwerk wie lange Laufzeiten, Kompensationspendel, Kalendarien und weiteren Indikationen sind bei Uhren im Antikhandel dagegen deutlich überrepräsentiert, was sich durch die höheren Erlöse dieser Fälschungen erklärt.
Auch sind bei gefälschten Laterndluhren oft unverblümt ikonografische Modelle kopiert worden, die einmalig waren, heute in Museen hängen, deren Abbildungen in Büchern dann als Vorlagen für eher unbeholfene Fälschungen dienten. Originale Laterndl- und die nahe verwandten Dachluhren waren immer Musterbeispiele schlichter Eleganz, technischer Perfektion und ausgewogener Proportionen bei aufs das Notwendige reduzierter Ästhetik. Ein Blick durch heutig angebotene Laterndluhren jedoch zeigt eine auffällige Überlast an schlecht proportionierten, mit Funktionen überladenen Exemplaren, die für Experten auf den ersten Blick als komplette Fälschungen erkennbar sind.
Eine belegbare Geschichte[4] gibt es um eine teure gefälschte Laterndluhr, deren Käufer nach jahrelangem Rechtsstreit mit dem Händler den kompletten Kaufpreis um 50.000 Euro rückabwickeln konnte. Dieselbe Uhr tauchte nach einem Jahr erneut bei einem kleinen Auktionshaus in Pittsfield, Massachusetts als angebliches Original auf.
Literatur
- Erika Hellich: Alt-Wiener Uhren. Die Sammlung Sobek im Geymüller-Schlössl. 1750–1900. Callwey, München 1978, ISBN 3-7667-0448-6.
- F. H. van Weijdom Claterbos: Viennese Clockmakers […]. Interbook International B.V., Schiedam (NL) 1979.
- Rick Ortenburger: Vienna Regulators and Factory Clocks. Schiffer Publishing Ltd., West Chester (USA) 1990, ISBN 978-0-88740-224-1.
- Victor Kochaver: Beautiful Vienna Regulators of the 19th Century […]. Minneapolis (USA) 1999.
Einzelnachweise
- Fritz von Osterhausen: Callweys Uhrenlexikon. München 1999, ISBN 3-7667-1353-1; S. 184
- Viktor Pröstler: Callweys Handbuch der Uhrentypen. Von der Armbanduhr zum Zappler. Callwey München 1994, ISBN 3-7667-1098-2; S. 128
- Die Wiener Laterndluhr. In: Kunsthandel Stephan Andréewitch. 1. März 2012, abgerufen am 21. März 2012.
- https://sites.google.com/site/laterndluhrfake/ Fälschung einer Laterndluhr