Laparoskopische Chirurgie
Die laparoskopische Chirurgie (von altgriechisch λαπάρα lapára, deutsch ‚Weichen‘, ‚Flanken‘, ‚weicher hohler Teil zwischen Rippen und Hüften‘, ‚Bauchhöhle‘, ‚Bauch‘, und σκοπέειν/σκοπεῖν skopeîn, deutsch ‚betrachten‘, ‚schauen‘, ‚untersuchen‘[1][2]) ist ein Teilgebiet der Chirurgie, bei der mit Hilfe eines optischen Instruments (Endoskop) und über Verlängerungen indirekt zu bedienende Pinzetten und Messer chirurgische Operationen innerhalb der Bauchhöhle vorgenommen werden. Sie wird dem Komplex minimalinvasive Chirurgie (abgekürzt MIC) zugeordnet.
Methoden
Das in der laparoskopischen Chirurgie angewendete Verfahren, die Laparoskopie („Flankenschau“), kurz LSK oder LSC, oder Bauchspiegelung, bezeichnet Methoden, bei dem die Bauchhöhle und die darin liegenden Organe mit speziellen Stablinsen-Optiken (starren Endoskopen) durch kleine, vom Chirurgen geschaffene Öffnungen in der Bauchdecke sichtbar gemacht werden. Über einen 0,3–2 cm langen Hautschnitt wird ein Trokar in die Bauchdecke eingebracht, durch den dann mit Hilfe eines speziellen Endoskops (Laparoskop), das an eine Videokamera und an eine Lichtquelle angeschlossen ist, der Bauchraum eingesehen werden kann. Bei einer diagnostischen Laparoskopie wird nach der Inspektion des Bauchraums das Instrument wieder entfernt und die Bauchdeckenwunde mittels Naht verschlossen oder – je nach Befund – eine therapeutische Maßnahme angeschlossen. Bei einem operativen Eingriff werden über weitere, ebenfalls 0,3–2 cm große Hautschnitte zusätzliche Instrumente eingebracht, mit deren Hilfe die Operation durchgeführt werden kann.
Die Operation kann auch mithilfe eines chirurgischen Roboters wie dem Da-Vinci-Operationssystem ausgeführt werden.
Bei der üblichen Methode wird zunächst der Bauchraum mit Gas befüllt, bis ein Pneumoperitoneum geschaffen ist. Dies kann durch unterschiedliche Methoden geschehen. Eine davon besteht darin, dass mit einem chirurgischen Skalpell ein kleiner Hautschnitt im Bereich des Nabels gesetzt wird (u. a. weil dort die Bauchwand am dünnsten und der Abstand zu den Bauchorganen am größten ist). Danach wird mit einer speziellen Insufflationskanüle (Veres-Kanüle oder Veres-Nadel) die Bauchwand nur so weit durchstoßen, dass sich schließlich deren stumpfe Spitze, an der sich die Insufflationsöffnung befindet, frei im Bauchraum befindet. Nun kann an die Veres-Kanüle der Schlauch einer Insufflationspumpe angeschlossen und der Bauchraum mit Kohlendioxid (CO2) so weit „aufgepumpt“ werden, dass eine Art „Arbeits- und Untersuchungsraum“ entsteht. Die Insufflationskanüle wird entfernt und ein Trokar wird „blind“ eingeführt. Über diesen Trokar wird dann das Laparoskop eingeführt. Damit kann der Intraabdominalraum betrachtet werden.
Dieser Raum (Intraabdominalraum) muss nun noch für eine endoskopische Operation zugänglich gemacht werden. Zu diesem Zweck werden, je nach Art des geplanten Eingriffs, wie oben bereits beschrieben, weitere kleine Einstiche in der Bauchdecke gemacht, durch welche gasdicht schließende Trokar-Hülsen eingeführt und sicher verankert werden. Durch diese im Fachjargon „Trokarzugänge“ genannten „Schlüsselloch-Öffnungen“ können das Endoskop und die chirurgischen Spezialinstrumente vom Operateur oder den Assistenten von Hand bedient werden. Bei dieser Methode können Nebenwirkungen wie Schulterschmerzen durch Reizung des Nervus phrenicus auftreten.
Bei einer jüngeren, weniger verbreiteten Methode, der gaslosen Laparoskopie, wird die Bauchdecke mittels eines Lift-Systems mechanisch angehoben.
Laparoskopische Eingriffe
Folgende Eingriffe können laparoskopisch durchgeführt werden:
- Allgemeinchirurgie
- Notfall-Laparoskopie bei Bauchtrauma
- Abklärung unklarer Befunde
- Untersuchungen bei Tumorerkrankungen
- Leberresektion
- Weiterführende Diagnostik verschiedenster Erkrankungen aller Organe des Bauchraums
- Vagotomie
- Gallenblasenentfernung (Cholezystektomie)
- Eingriffe am Darm:
- Entfernung des Wurmfortsatzes des Blinddarms (Appendektomie)
- Hemikolektomie
- Sigmaresektion
- Rektumresektion
- Rektopexie
- Ileozökalresektion
- Colostomie
- Eingriffe am Magen:
- Behandlung der Hiatushernie
- Übernähung bei perforiertem Ulcus ventriculi
- Gastrektomie
- Fundoplicatio (Antirefluxchirurgie)
- Gastroenterostomie
- Eingriffe bei krankhaftem Übergewicht: Gastric Banding
- Adhäsiolyse (Lösen von Verwachsungen)
- Splenektomie (Milzentfernung)
- die Versorgung von Leistenbrüchen und anderen Hernien (Hernioplastiken)
- TAPP – TransAbdominell PräPeritoneal
- TEP – Total ExtraPeritoneal
- Nephrektomie (Nierenentfernung)
- Orthopädie/Neurochirurgie
- Transabdominelle laparoskopische Spondylodese (Synonym: Laparoskopische ventrale interkorporelle Spondylodese, englisch: LALIF, Laparoscopic Anterior Lumbar Interbody Fusion)[3][4]
- Gynäkologie
- Entfernung von Eileiter und Eierstock
- Behandlung von Endometriose
- Behandlung der Eileiterschwangerschaft
- Fimbrioplastik
- Behandlung der Hydrosalpinx
- Gebärmutterentfernung
- Retroperitoneale Lymphknotenentfernung
- Behandlung von Myomen, Myomentfernung
- Eierstockentfernung
- Sterilisation
- Abklärung von Sterilität durch Chromopertubation
- Behandlung der Stressinkontinenz
- Entfernung von Eierstockzysten
- Kinderchirurgie (zusätzlich zu den oben angegebenen Eingriffen):
- Pyloromyotomie
- Urologie
- Radikale Prostatektomie
- Nephrektomie
- Nierenbeckenplastik
- Harnleiterplastik
- Adrenalektomie
- Retroperitoneale Lymphadenektomie
- Varikozelen-Operation
Selbst laparoskopische Tumoroperationen werden in Deutschland mittlerweile standardmäßig durchgeführt (siehe hierzu beispielhaft die Website der Charité Berlin). Beispielsweise zeigt eine Studie bei laparoskopischer Resektion von Darmkrebs gleichwertige Ergebnisse zu dem offenen Eingriff, bei schonenderer OP für den Patienten.[5]
Geschichte
Als Erfinder der Laparoskopie gilt Georg Kelling. Am 23. September 1901 demonstrierte der Gastroenterologe auf der 73. Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte in Hamburg eine Bauchspiegelung an einem Hund, die er „Zölioskopie“ nannte. Seine Idee, den Bauchraum mit Luft zu befüllen, um sich ein Sichtfeld zu verschaffen, führte zur Geburtsstunde der Laparoskopie.[6] Die erste Laparoskopie beim Menschen führte 1910 der Schwede Hans Christian Jacobaeus durch. In den folgenden Jahren setzte sich die Laparoskopie im Bereich der Diagnostik gegenüber der Laparotomie durch. Jedoch führten speziell Frauenärzte auch kleinere operative Eingriffe durch. So nahm Raoul Palmer in Paris die erste Sterilisation per Bauchspiegelung vor.[7]
Als Ursprung der modernen laparoskopischen Chirurgie gilt die Universitäts-Frauenklinik Kiel unter der Leitung von Kurt Semm, die er Pelviskopie nannte.[7] Als gelernter Feinmechaniker entwickelte Semm viele Geräte selbst, die er durch seine Firma für medizinische Instrumente Wisap produzieren ließ.[8] Semm erweiterte das Feld der Laparoskopie, die inzwischen in der Diagnostik anerkannt war, jedoch auf therapeutische Verfahren. Anfangs begegneten Kollegen ihm mit Unglauben und schlussfolgerten, dass er Operation laparoskopisch begänne und dann konventionell laparotomisch beende.[9] Offene Operationen galten als Goldstandard und laparoskopisches Operieren war undenkbar und wurde heftig kritisiert.
Am 13. September 1980 führte Semm die erste laparoskopische Appendektomie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel durch.[10] Allerdings setzte dieser Schritt Semm den heftigsten Anfeindungen in seiner Karriere aus. Dass ein Gynäkologe den Chirurgen zeigen sollte, wie eine Operation durchzuführen sei, galt bis dahin als unpassierbare Grenze.[11] Seine Kollegen sahen keine Notwendigkeit, eine etablierte Methode zu verlassen und durch eine technisch schwierigere zu ersetzen.[9] 1981 forderte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in einem Brief an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Kurt Semm die Approbation zu entziehen. Eine Veröffentlichung über Semms laparoskopische Appendektomie im American Journal of Obstetrics and Gynecology wurde abgelehnt mit der Begründung, die Technik sei unethisch.[12]
Nach einem Vortrag Kurt Semms über laparoskopische Operationen in Norditalien beschuldigte Jordan Phillips, Vorsitzender der American Association of Gynecological Laparoscopists, die Technik ad absurdum zu führen und selbst im eigenen Land nicht anerkannt zu sein. Später wurden die beiden enge Freunde und Phillips organisierte ab 1986 etliche Trainingskurse über chirurgische Laparoskopie für Semm in den USA.[8]
Die erste laparoskopische Gallenblasenentfernung führte 1985 der Böblinger Chirurg Erich Mühe mit einem Galloskop (Ein-Rohrtechnik) durch. In Lyon 1987 entfernte Phillipe Mouret die Gallenblase laparoskopisch über mehrere Zugänge, so wie sie heutzutage üblich ist. Kurze Zeit später brach die „Laparoskopische Revolution“ aus. Chirurgen auf der ganzen Welt erkannten letztlich das Potential der laparoskopischen Chirurgie.[13][11] 1989 erfolgte die erste laparoskopische Leistenhernienoperation durch Sergei Bogojavlensky[14] und die erste laparoskopische Hysterektomie durch Harry Reich. Im Jahr 1991 führte John Monson die erste laparoskopische Dickdarmoperation durch. 1998 führte Daniel Kruschinski die Lift-Laparoskopie mit dem „Abdo-Lift“ ein, die ohne Gas auskommt.
Literatur
- Christoph Weißer: Laparoskopie. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 825.
- Othmar Schöb, Dieter Hahnloser: Die Entwicklung der minimal invasiven Chirurgie in der Schweiz, 1990–2020. In: Hubert Steinke, Eberhard Wolff, Ralph Alexander Schmid (Hrsg.): Schnitte, Knoten und Netze. 100 Jahre Schweizerische Gesellschaft für Chirurgie. Chronos, Zürich 2013, ISBN 978-3-0340-1167-9, S. 187–194.
Weblinks
Einzelnachweise
- Klaus D. von Rudorff, Guido Falk von Rudorff: Scriptum terminologicum. Terminologie für nichtärztliche Heilberufe. S. 40.
- Wahrig Herkunftswörterbuch: Laparoskop.
- Indikation, Technik und Ergebnisse der laparoskopischen Spondylodese an der LWS, Artikel im Portal des Springer Verlags (frei zugänglich nur das Abstract)
- Interkorporelle Fusion, endoskopische Technik, Artikel im Portal des Springer Verlags (frei zugänglich nur das Abstract)
- DG Jayne, HC Thorpe, J. Copeland, P. Quirke, JM Brown, PJ Guillou: Five-year follow-up of the Medical Research Council CLASICC trial of laparoscopically assisted versus open surgery for colorectal cancer. In: British Journal of Surgery. Band 97, 2010, S. 1638–1645 (englisch).
- Georg Kelling. In: Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Endoskopie. Abgerufen am 7. Februar 2020.
- Liselotte Mettler (Hrsg.): Endoskopische Abdominalchirurgie in der Gynäkologie: mit 15 Tabellen. 2002, ISBN 3-7945-1965-5 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 7. Februar 2020]).
- The One-Kilo Club: Kurt Karl Stephan Semm, 1927 - 2003 (Memento vom 4. Februar 2012 im Internet Archive)
- Geschichte der Endoskopie II. In: Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Endoskopie. Abgerufen am 7. Februar 2020.
- Kurt Semm: Technische Operationsschritte der endoskopischen Appendektomie. In: Langenbecks Archiv für Chirurgie. Volume 376, Nr. 2, März 1991, S. 121–126, doi:10.1007/bf01263469.
- Grzegorz S. Litynski: Kurt Semm and the Fight against Skepticism: Endoscopic Hemostasis, Laparoscopic Appendectomy, and Semm’s Impact on the „Laparoscopic Revolution“. In: Journal of the Society ofLaparoendoscopic Surgeons. Nr. 2, 1998, S. 309–313, PMC 3015306 (freier Volltext).
- K. Bhattacharya: Kurt Semm: A laparoscopic crusader. In: Journal of Minimal Access Surgery. Nr. 3, 2007, S. 35–36, doi:10.4103/0972-9941.30686.
- Grzegorz S. Litynski: Highlights in the History of Laparoscopy. Bernert Verlag, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-9804740-6-2.
- Simone Gangl: Leistenhernienchirurgie. Lichtenstein versus TEP. Eine retrospektive Untersuchung. 5. April 2017 (PDF [abgerufen am 20. Februar 2020]).