Kunstgewerbe- und Handwerkerschule (Berlin)
Die Kunstgewerbe- und Handwerkerschule war eine handwerklich-künstlerische Lehranstalt, die 1896 in Charlottenburg ihren Betrieb aufnahm. Nach mehreren Standortwechseln, Neuausrichtungen und Umfirmierungen wurde die Schule 1971 in die Hochschule für Bildende Künste (heute Universität der Künste) eingegliedert.
Geschichte
Die Ursprünge der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule gehen zurück auf die 1861 gegründete „Fortbildungsschule“, die sich in der Charlottenburger Wilmersdorfer Straße 53 befunden hatte. Die Schule vermittelte zeichnerische und kunstgewerbliche Kenntnisse an Handwerker.[1]
Zum ersten Direktor der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule wurde 1896 der Charlottenburger Zeichenlehrer Richard Schwarzlose ernannt, der zuvor an der Fortbildungsschule und am 1. Realgymnasium in der Charlottenburger Schillerstraße 27–32 als technischer Lehrer unterrichtet hatte. Nach Einführung von Tageskursen für Bauhandwerker, für Innenarchitektur und Zeichnen, Entwerfen und Malen im Jahr 1898 erhielt die Schule ein Gebäude in der Wilmersdorfer Straße 166/167.[2]
Zum Schüler- und Lehrkörper heißt es bei dem Charlottenburger Chronisten Wilhelm Gundlach: „Außer dem Direktor waren 1903 5 Lehrer im Haupt- und 24 im Nebenamte tätig; denn die Schülerzahl stieg auf 1487, unter welchen 430 über 18 Jahre alte, 416 Gehilfen und 29 Damen sich befanden.“[3]
Nachdem der Nachfolger von Schwarzlose, der Direktor Wilhelm Thiele im Jahr 1921 in gleicher Funktion an die Kunstakademie Königsberg gewechselt hatte, wurde der Architekt Ernst Schneckenberg zum Direktor der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Charlottenburg ernannt, die er bis mindestens April 1944[4] leitete. Schneckenberg übernahm auch bis 1932 die Leitung der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule in Berlin-Friedrichshain, Andreasstraße 1–2. Ab 1932 leitete Georg Trump diese Lehranstalt, die ab 1934 „Höhere Graphische Fachschule der Stadt Berlin“ hieß.
Das Unterrichtsangebot bestand 1922 in Tagesklassen für Stein-, Holz- und Metallbildhauer, für Innenarchitektur, für Buchgewerbe und künstlerische Schrift, für dekorative Malerei, für Graphik (Holzschnitt, Radierung, Lithographie und Reklame), für Flächenkunst (Glasmalerei, Musterzeichnen, Modezeichnen, Stickerei) sowie für Gold- und Silberschmiede. Zusätzlich gab es Abend- und Sonntagsunterricht entsprechend dem Angebot in den Tagesklassen.
Das Gebäude in der Eosanderstraße (1900–1943)
Nur vier Jahre nach Gründung der Schule entstand 1900 am Standort Wilmersdorfer Straße 166/167 ein großer Neubau. Bei dem Gebäude handelte es sich um einen vierstöckigen, repräsentativen Klinkerbau nach Plänen von Paul Bratring.[5] Es verfügte neben Klassenräumen und zahlreichen großen Zeichensälen (darunter ein Aktsaal) auch über einen gestuften Hörsaal, eine Bildhauerwerkstatt und eine Mobiliarklasse.
Außerdem war seit 1901 im Quergebäude auch die Städtische Volksbibliothek untergebracht.[6][7] Der über der Turnhalle gelegene Lesesaal war rund 280 m² groß und 8,75 m hoch. Er wurde von einer Glasdecke überspannt, hatte zwei übereinanderliegende Galerien und 100 Leseplätze.[8]
Nach Änderung der Nummerierung im Jahr 1930 erhielt die Schule die Adresse Eosanderstraße 1 (Ecke Brauhofstraße). Charlottenburg war 1920 von Berlin eingemeindet worden.
Im November 1943 wurde das Gebäude in der Eosanderstraße beim Bombardement von Charlottenburg schwer getroffen und brannte völlig aus. Das Grundstück wurde in den 1950er Jahren mit Mietwohnhäusern bebaut.
Nach der Zerstörung des Gebäudes in der Eosanderstraße wurde der Schulbetrieb im Gebäude der Höheren Webeschule am Warschauer Platz 6–8 fortgesetzt.[4]
Von 1936 bis zum Aufgehen in der Hochschule der Künste 1971
Im Jahr 1936 entfiel der Namensteil Kunstgewerbeschule in der Bezeichnung der Ausbildungsstätte, die seitdem als „Handwerkerschule der Stadt Berlin“ firmierte. Im Zuge der reichsweiten Umbenennungen von Kunstgewerbe- und Handwerkerschulen nach einem Erlass des Reichsministers Bernhard Rust im April 1938 erhielt die Schule die Bezeichnung „Meisterschule des Deutschen Handwerks“[9] – ebenso wie auch die früheren Kunstgewerbeschulen in Braunschweig, Giebichenstein und Stuttgart. Im August 1943 erhielt die Einrichtung die Bezeichnung „Meisterschule für das gestaltende Handwerk der Reichshauptstadt Berlin“.[10]
Nach Kriegsende wurde der Architekt Karl Schmidt Direktor. Schmidt hatte bereits 1934 eine Professur an der Schule erhalten und war als Kunstschmied tätig. Die Schule befand sich nun in einem Gebäude in Berlin-Charlottenburg am Kaiserdamm 45–48. 1952 folgte als Direktor der Keramiker Jan Bontjes van Beek und die inzwischen in „Meisterschule für das Kunsthandwerk“ umbenannte Schule bezog danach ein Gebäude an der Charlottenburger Chaussee 118 (seit 1953 Straße des 17. Juni), das noch heute zur UdK Berlin gehört.
Die Schule unterlief weiteren inhaltlichen Neuausrichtungen und Umfirmierungen (ab 1964 „Staatliche Werkkunstschule“, ab 1966 „Staatliche Akademie für Werkkunst und Mode“), bis sie schließlich 1971 in die „Hochschule für Bildende Künste“ (heute Universität der Künste) eingegliedert wurde. Letzter Direktor war der Architekt Wolf von Möllendorff.
Direktoren
- Richard Schwarzlose, akademischer Zeichenlehrer und erster Direktor der Schule ab 1896
- Wilhelm Thiele, Architekt und Direktor 1912 bis 1921
- Ernst Schneckenberg, Architekt und Direktor der Schule von 1921 bis mindestens April 1944
- Karl Schmidt, Architekt und Kunstschmied, Professor ab 1934 und Direktor von 1945 bis 1951
- Jan Bontjes van Beek, Bildhauer und Keramiker, Direktor von 1952 bis 1960
- Wolf von Möllendorff, Architekt und Direktor von 1960 bis 1971
Ehemalige Lehrende und Studierende
- Thomas Abeking, Schüler (Grafiker/Illustrator und Architekt)
- Harold Bengen, Lehrer ab 1908 (Maler)
- Johannes Boehland, Lehrer ab 1929 (Maler und Graphiker)
- Erwin Damerow, Schüler von 1921–1926 (Bildhauer)
- Karl Franke, zunächst Schüler, später Lehrer (Typograph)
- Wilhelm Füssel, Schüler (Kunstgießer)[11]
- Luise Glowinski-Taubert, Schülerin von 1925 bis 1927 (Stillleben- und Landschaftsmalerin)
- Mathias Goeritz, Schüler (Architekt, Maler, Kunstschriftsteller und Bildhauer)
- John Heartfield, Schüler von 1912–1913[12]
- Hannah Höch, Schülerin von 1912–1914[13]
- Max Kaus, Lehrer von 1926–1937 (Maler und Grafiker)
- Willy Knabe (Maler, Grafiker und Exlibriskünstler), Schüler von 1916–1920
- Fritz Kühn (Kunstschmied, Fotograf, Bildhauer und Schriftsteller), Abendlehrgänge bei Karl Schmidt um 1934[14]
- Toni Mau, Schülerin 1934–1939 und 1941–1943 (Grafikerin)[15]
- Arnold Nechansky, Leiter der Klasse für Metall- & Lederverarbeitung 1919–1933 (Architekt)
- Ernst Neumann-Neander, Lehrer um 1913[16]
- Doris Oberländer, Schülerin von 1932–1935 (Bildhauerin)
- Hans Orlowski, Schüler von 1911 bis 1915 und Lehrer ab 1922[17] (Maler und Holzschneider)
- Wilhelm Otto, Lehrer ab 1905 (Bildhauer)
- Hans Perathoner Lehrer ab 1914 (Bildhauer und Maler)
- Hans Richter, Schüler bis 1930 (Dekorationsmalerei)
- Egmont Schaefer, Schüler von 1927–1928 (Maler und Zeichner)
- Theo Schmuz-Baudiß, Lehrer ab 1905 (Maler und Keramiker)
- Walter Schulze-Mittendorff, Schüler (Kostümbildner)
- Robert Seiler, Schüler (Maler und Zeichner)
- Gabriel und Maxim Shamir, Schüler von 1926–1930 (Gabriel) und 1928–1933 (Maxim)[18]
- Elsa Thiemann, Schülerin (Fotografin, Journalistin)
- Johannes Ufer, Schüler von 1929 bis 1933 (Maler, Bildhauer sowie Raum- und Flächenkünstler)
Literatur
- Christine Fischer-Defoy: „Kunst, im Aufbau ein Stein.“ Die Westberliner Kunst- und Musikhochschulen im Spannungsfeld der Nachkriegszeit. Berlin 2001, S. 202–220 und 235–238.
- Hans Joachim Wefeld: Ingenieure aus Berlin. 300 Jahre technisches Schulwesen. Berlin 1988, S. 382–387.
Einzelnachweise
- Meisterschule für das Kunsthandwerk 1899–1971. udk-berlin.de
- Wilhelm Gundlach: Geschichte der Stadt Charlottenburg. Springer-Verlag, 1905, S. 542 (Textarchiv – Internet Archive).
- Wilhelm Gundlach: Geschichte der Stadt Charlottenburg. Springer-Verlag, 1905, S. 544 (Textarchiv – Internet Archive).
- Bericht Schneckenberg an den Oberbürgermeister der Reichshauptstadt – Hauptschulamt – vom 14. April 1944. Landesarchiv Berlin A Rep. 001-06 Nr. 3076, S. 28–33.
- Paul Bratring: Kunstgewerbe- und Handwerkerschule, Berlin-Charlottenburg. (Memento vom 7. November 2017 im Internet Archive) Grundrisse und Bauzeichnungen im Architekturmuseum der TU Berlin; abgerufen am 4. November 2017
- Name und Geschichte der Bibliothek, auf berlin.de, abgerufen am 4. November 2017
- Ansicht vom Lesesaal 1909. Postkartensammlung des Museums Charlottenburg-Wilmersdorf
- Wilhelm Gundlach: Geschichte der Stadt Charlottenburg. Springer-Verlag, 1905, S. 659 (Textarchiv – Internet Archive).
- S. Federle: Vom Ausbau der Meisterschulen des deutschen Handwerks. In: Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung - 4.1938 S. 201–203
- Dienstblatt des Magistrats von Berlin. Mitteilung Nr. VIII/162 vom 21. August 1943 in der Ausgabe vom 3. September 1943, S. 119. Digitale Landesbibliothek Berlin.
- Ein Leben für die Tiefenschärfe. Der Tagesspiegel, 4. März 2020, abgerufen am 20. November 2017
- Website des Freundeskreises John Heartfield – Waldsieversdorf e. V., abgerufen am 27. April 2021
- Hannah Höch, auf hannah-hoech-haus-ev.de, abgerufen am 31. März 2020
- Website des INSULA RUGIA e.V. Verband zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung der Insel Rügen Förderverein für das Biosphärenreservat Südost-Rügen Zugr. 21. Mai 2021
- Marcus Kenzler: Der Blick in die andere Welt – Einflüsse Lateinamerikas auf die Bildende Kunst der DDR. LIT, Münster 2012.
- Website des Freundeskreises John Heartfield – Waldsieversdorf e. V., abgerufen am 27. April 2021
- Hainer Weißpflug: Orlowski, Hans Otto. In: Hans-Jürgen Mende, Kurt Wernicke (Hrsg.): Berliner Bezirkslexikon, Charlottenburg-Wilmersdorf. Luisenstädtischer Bildungsverein. Haude und Spener / Edition Luisenstadt, Berlin 2005, ISBN 3-7759-0479-4 (luise-berlin.de – Stand 7. Oktober 2009).
- 70 Jahre in 70 Bildern. In: Jüdische Allgemeine, 13. November 2017, abgerufen am 31. März 2020