Korsett
Als Korsett (von französisch corset, ursprünglich Diminutiv von altfranzösisch cors „Körper“) wird ein steifes, zur Unterkleidung gehöriges Kleidungsstück bezeichnet, das eng am Oberkörper anliegt und diesen der jeweils geltenden Modelinie entsprechend formen soll. Daher veränderte das Korsett im Verlauf der Jahrhunderte mehrmals Form und Zuschnitt; die Versteifungsmethoden wandelten sich mit dem Fortschritt der Technik. Im Laufe der Geschichte wurde das Korsett im deutschsprachigen Raum häufig als Mieder, Schnürbrust oder Leibstück bezeichnet; erst im 19. Jahrhundert setzte sich die Bezeichnung Korsett durch.[1]
Geschichte
- Catalina Micaela von Spanien, von Alonso Sánchez Coello, um 1584–1585
- Schnürbrust des 18. Jahrhunderts
- Korsett und Unterrock um 1830
- Kaiser Franz Joseph I., 1851
- Korsett von 1890
- Coutil-Korsett, Paris, 1905
- Typische Schnürung auf der Rückseite
- Steampunk-typisches Korsett mit hohem Rücken
Die ersten Vorläufer des Korsetts entwickelten sich im 15. Jahrhundert in der burgundischen Mode, wo es bereits ein korsettähnliches Kleidungsstück gab, das Taille und Brust betonte; auch Männer schnürten ihre Taille zu dieser Zeit.[2] Das Korsett entwickelte sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus versteiften Miedern. Ihre Existenz ist vor 1562 nur insofern erwiesen, als die in Gemälden dargestellten Kleider ab ca. 1530 in der dargestellten Form (flachgedrückte Brust und kegelförmiger Oberkörper) ohne Korsett nicht möglich wären. Das älteste erhaltene Exemplar stammt aus dem Grab der Eleonora di Toledo (gestorben 1562) und ist mit Rohr versteift.
Die spanische Hoftracht, die zwischen etwa 1550–1560 bis etwa 1620 vorherrschend war, erforderte ein Korsett, das den Oberkörper zu einem Konus formte und die Brust flachdrückte, die Bauchpartie lief spitz zu.[3] Das Kleid selber war hochgeschlossen. In Spanien selber, wo es für einige Jahrzehnte eine modische Sonderentwicklung gab, blieb dies bis in die 1660er Jahre so. In der frühbarocken Mode (ca. 1620–1650) in nordeuropäischen Ländern wie Frankreich, England, Flandern, Holland, Deutschland war das Mieder weniger streng, vor allem die nach wie vor spitzzulaufende Bauchpartie stand etwas vor. Zum Teil wanderten Taille und Rockansatz so weit nach oben, und das eigentliche Leibchen wurde so kurz, dass von der konischen Form des Mieders nicht mehr viel übrigblieb. Auch trug man nun Dekolleté, so dass der Brustansatz sichtbar wurde. Um ca. 1640 entwickelte sich vom französischen Hofe ausgehend eine ebenfalls konische Korsettform, die aber die Brust nicht flachdrückte, sondern hochhob, um dem Dekolleté eine schöne Form zu geben. In der Ära Ludwigs XIV. nach 1660 wurde die Taille nach und nach schmaler als je zuvor bis hin zur Wespentaille.[4] Von der Büste zur Taille bildet das barocke Mieder eine grade Linie, und wurde daher an den Seiten mit Stahlfedern versteift;[5] diese Konstruktion erzeugte auch eine gerade Haltung, die dem stundenlangen Stehen im zeremoniellen Hofleben (von Versailles) entgegenkam.[6] Mit geringen Veränderungen blieb diese Form bis zur Französischen Revolution gültig. Den Begriff Korsett gab es damals noch nicht; man sprach von steifen Miedern (Frauenzimmer-Lexicon, 1715), Leibstückern (Liselotte von der Pfalz, um 1720), Schnürleibern oder Schnürbrüsten (Journal des Luxus und der Moden, 1780er). Im Rokoko wurde der Schnürleib durch den z. T. sehr breiten Reifrock ergänzt, der die Taille noch schmaler wirken ließ.
Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts blieb Fischbein das wichtigste Versteifungsmaterial, auch wenn im Lauf des späten 19. Jahrhunderts Korsettstäbe aus Federstahlband, Stahlspiralen und Horn erfunden wurden.
In der Zeit von Directoire, Empire und frühem Biedermeier galten Korsetts als nicht unbedingt nötig; erst um ca. 1825 wurden sie wieder unabdingbar. Unter dem Einfluss des Dandytums um ca. 1820–50 trugen häufig auch Männer Korsetts, die allerdings in erster Linie die Taille einschnürten, nicht den Brustkorb und die Rippen wie das Frauenkorsett; dies war insbesondere auch bei Militäruniformen üblich, und wurde z. B. von Kaiser Franz Joseph I. (bis ins hohe Alter) und von Albert von Sachsen-Coburg und Gotha getragen. Etwa um diese Zeit fasste der Begriff Korsett im deutschen Sprachgebrauch Fuß. 1828 wurden metallene Schnürösen erfunden, 1829 der erste Vorderverschluss mit Haken und Ösen (Planchet).
Zwischen 1830 und 1870 entwickelte sich die Sanduhrform, die heute noch als die klassische Korsettform gilt: Relativ große Ober- und Hüftweite bei möglichst kleiner Taillenweite; die Hüften waren allerdings vom Korsett selber zunächst nicht involviert, da sie ohnehin von der Krinoline und weiten Röcken bedeckt oder ab ca. 1860 von den gerafften Stoffmassen des sogenannten Cul de Paris optisch verbreitert wurden. Da die Modelinie von vorne gesehen bis um 1870–1885 immer schmaler wurde, wurden auch die Korsetts nach unten hin länger, das heißt, sie formten auch die Hüfte und den Bauch, der bei den früheren Korsetts hervorquoll. Die Hüfte wurde dabei oft noch künstlich ausgestopft. In den 1890ern erforderte die Mode ganz besonders kleine Taillenweiten.
Gegen 1900 entwickelte sich eine neue Korsettform: Das S-Korsett, das die Brust raus- und den Bauch reindrückte und damit eine unnatürliche Haltung erzwang. Um 1910 wurde dieses S-Korsett durch Unterbrustkorsetts abgelöst; um 1913–1915 gerieten Korsetts im Zuge der stärker werdenden Frauenbewegung und sprunghaft zunehmender Berufstätigkeit von Frauen (wegen des Ersten Weltkrieges) vollends aus der Mode. So hatte das US-amerikanische War Industries Board, das für die Versorgung der US-amerikanischen Streitkräfte mit kriegswichtigen Gütern zuständig war, im Jahr 1917 Frauen darum gebeten, keine Korsetts mehr zu kaufen, um Metall für die Rüstungsindustrie zu haben.[7]
1901 veröffentlichte Paul Schultze-Naumburg das Buch Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der Frauenkleidung.[8] Damit trug er im deutschsprachigen Raum mittelfristig zur Reformierung der Frauenkleidung (Reformkleidung) bei, sodass stattdessen bis in die 1960er Jahre hinein Hüfthalter getragen wurden.
Gesundheit und Kleiderreform
Immer wieder warnten Ärzte vor dem schädlichen Einfluss der Schnürbrust, da sie bei verfrühtem Schnüren den Knochenbau verforme und bei übertriebenem Engschnüren die inneren Organe komprimiere und verlagere oder die Funktion der Wirbelsäule über den (dauerhaften) Verlust der Muskulatur einschränkt.[10]
Auf die Mode blieben diese Warnungen ohne Einfluss. Mädchen bekamen ihre erste Schnürbrust in der Regel im Alter von 12 bis 14 Jahren, gelegentlich wurden aber auch schon Kleinkinder in schnurgesteifte Mieder gesteckt. Eine daraus resultierende Verformung des Skeletts wurde nicht nur in Kauf genommen, sondern war sogar erwünscht.
Im Kaisertum Österreich wurde 1812 eine Verordnung von 1783 wiederverlautbart, die das Tragen von „Miedern“ für Schülerinnen wegen der Gesundheitsgefahren ausdrücklich verbot.[11]
Die Kritik wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer lauter, verstärkt durch die Forderungen der Frauenbewegung. Gelegentlich wurden tragische Fälle bekannt, wie der einer jungen Dame der Pariser Gesellschaft, die wegen ihrer schmalen Taille bewundert wurde und ganz plötzlich innerhalb zweier Tage verstarb:
„Ihre Familie wollte wissen, was diesen plötzlichen Tod in so früher Jugend verursacht hatte, und man beschloss, eine Autopsie vorzunehmen. Der Befund war erschütternd: Die Leber von drei Rippen durchbohrt!!! So also stirbt man mit 23 Jahren! Nicht am Typhus, nicht im Kindbett, sondern am Korsett!“
Erste Versuche einer „reformierten“, das heißt korsettlosen Frauenkleidung gab es Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem „Bloomer-Kostüm“, aber erst Anfang des 20. Jahrhunderts gewann die Reformbewegung unter dem Einfluss von Jugendstilkünstlern wie Henry van de Velde und Anna Muthesius Anhänger. Bis um 1910 waren „Reformkleider“ regelrecht sackartig, als ob eine elegante Linie ohne Korsett nicht vorstellbar wäre. Erst mit den Modeschöpfern des Art Déco, allen voran Paul Poiret und Gabrielle „Coco“ Chanel, entwickelte sich ab etwa 1912 eine Modelinie, die auch ohne Korsett auskam.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden so genannte Reform- und Gesundheitskorsetts angeboten. Diese hatten dehnbare Einsätze oder waren vollständig aus dehnbaren Gummifäden gestrickt. Gleichzeitig finden sich in Frauenzeitschriften Anleitungen, um herkömmliche Modelle umzuarbeiten, z. B. durch Entfernen einiger Korsettstäbe und der starren Planchets.[13]
Heute
Seit den 1920er Jahren werden Korsetts fast nur noch unter historischen Kostümen, wie z. B. im Theater, beim Reenactment oder selten auch zu modernen Produktionen, getragen. Ansonsten nur noch zu erotischen Zwecken auch als sexueller Fetisch. Weiterhin werden Korsetts zu medizinischen Zwecken getragen. Sie können bei Wirbelsäulen-Erkrankungen wie Skoliose und Kyphose helfen.
Hervorzuheben ist die Schwarze Szene, insbesondere die Gothic- und Steampunk-Subkultur, in der häufig Korsetts getragen werden. Ebenso ist das Korsett im BDSM-Bereich beliebt.
Seit den 1990er Jahren wurde das Korsett mehr und mehr salonfähig. Vorbilder in der Musikszene und der Modewelt ebneten den Weg für eine breitere Verwendung von Korsetts.
Weniger enge und steife, meist elastische Korsetts werden auch als Korseletts (gleichbedeutend zu fr. corselet und altfr. corsel = kleiner Leib) bezeichnet.
Rekorde
Vom Guinness-Buch der Rekorde wird die schmalste dokumentierte Taillenweite Ethel Granger (1905–1982) zugeschrieben, die ihre Taille von ursprünglich 22 Zoll (56 cm) (1929) nach und nach auf 13 Zoll (33 cm) (1939) schnürte. Eine Anerkennung für das gleiche Maß wurde zeitweilig auch für die französische Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin Mlle Polaire (1874–1939) gefordert.[14] Das Guinness-Buch der Rekorde führte 1999 die Rubrik Die schmalste Taille an einer lebenden Frau ein und vergab den Titel an Cathie Jung, Mutter von drei Kindern, die im US-Bundesstaat North Carolina lebt. Cathie Jung startete 1983 im Alter von 38 Jahren mit einer Taille von 26 Zoll (66,4 cm) mit dem Tragen eines Korsetts für 23 Stunden am Tag und schnürte bis 1999 ihre Taille auf 15 Zoll (38 cm) ein.[15]
Siehe auch
Literatur
- Ausstellungen
- Isabella Belting (Hrsg.): Mode sprengt Mieder. Silhouettenwechsel. Hirmer, München 2010, ISBN 978-3-7774-2491-0 (Katalog der gleichnamigen Ausstellung, Münchner Stadtmuseum 22. Januar bis 16. Mai 2010).
- Almut Junker, Eva Stille: Die zweite Haut. Zur Geschichte der Unterwäsche 1700–1960 (= Kleine Schriften des Historischen Museums Frankfurt. 39). Historisches Museum, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-89282-010-4 (Katalog der gleichnamigen Ausstellung, Historisches Museum Frankfurt, 28. April bis 28. August 1988)
- Monographien
- Josephine Barbe: Figur in Form. Geschichte des Korsetts. Haupt, Bern 2012, ISBN 978-3-258-07763-5.
- Béatrice Fontanel: Corsets et souliens-gorge. L'épopée du sein de l'antiquité à nos joours. Éditions Martinière, Paris 1992, ISBN 2-09-290566-X.
- englisch: Support and Seduction. The history of corsets and bras. Abradale Press, New York 2001, ISBN 0-8109-8208-0 (EA New York 1997).
- Torkild Hinrichsen (Hrsg.): Leibhaftig. Doppelripp und Spitzentraum: Zur Kulturgeschichte der Unterwäsche. Husum Verlagsgesellschaft, Husum 2011, ISBN 978-3-89876-571-8.
- Valerie Steele: The Corset. A cultural history. 6. Auflage. Yale University Press, New Haven, Conn. 2011, ISBN 978-0-300-09071-0.
- Nora Waugh: Corsets and Crinolines. Routledge, New York 1996, ISBN 0-87830-526-2 (Nachdr. d. Ausg. London 1954).
- Aufsätze
- Über den Einfluss des Korsetts auf die somatischen Verhältnisse 1904, auf Wikisource
- Isabella Belting: Schnürmieder und Korsett. Lust und Leid im Verborgenen. In: NIKE-Bulletin. (Nationale Informationsstelle für Kulturgüter-Erhaltung), Bd. 26, Heft 1/2, 2011, S. 18–23 ISSN 1015-2474
Weblinks
- Paul Schultze-Naumburg: Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der Frauenkleidung. archive.org
Einzelnachweise
- Anne Schillig: Geliebt und verfemt: Das Korsett – Diskursgeschichte eines Kleidungsstücks. 2015, abgerufen am 3. November 2020.
- Ludmila Kybalová, Olga Herbenová, Milena Lamarová: Das große Bilderlexikon der Mode – Vom Altertum zur Gegenwart.3. Auflage. Bertelsmann, Berlin 1977, S. 450.
- Ludmila Kybalová, Olga Herbenová, Milena Lamarová: Das große Bilderlexikon der Mode – Vom Altertum zur Gegenwart. 3. Auflage. Bertelsmann, Berlin 1977, S. 162, S. 167–175.
- Ludmila Kybalová, Olga Herbenová, Milena Lamarová: Das große Bilderlexikon der Mode – Vom Altertum zur Gegenwart. 3. Auflage. Bertelsmann, Berlin 1977, S. 207.
- Ludmila Kybalová, Olga Herbenová, Milena Lamarová: Das große Bilderlexikon der Mode – Vom Altertum zur Gegenwart. 3. Auflage. Bertelsmann, Berlin 1977, S. 190 und S. 451, Abbildungen auf S. 194–201 + 216.
- Ludmila Kybalová, Olga Herbenová, Milena Lamarová: Das große Bilderlexikon der Mode – Vom Altertum zur Gegenwart. 3. Auflage. Bertelsmann, Berlin 1977, S. 190.
- Caresse Crosby, first U. S. patent-holder for the bra: Bra History: How A War Shortage Reshaped Modern Shapewear. Abgerufen am 27. Mai 2020 (englisch).
- Volltext online
- Bernhard Langkabel: Der Mensch und seine Rassen. Fines-Mundi-Verlag, Saarbrücken 2014 (Faksimile d. Ausg. Dietz, Stuttgart, 1892), S. 15f.
- planet-wissen.de
- Schädlichkeit der Mieder. In: Politische Gesetze und Verordnungen 1792–1848, Jahrgang 1812, S. 108 (online bei ANNO).
- Ludmila Kybalová, Olga Herbenová, Milena Lamarová: Das große Bilderlexikon der Mode – Vom Altertum zur Gegenwart. 3. Auflage. Bertelsmann, Berlin 1977, S. 271.
- Fürs Haus. Praktisches Wochenblatt für alle Hausfrauen. 1890, ISSN 1864-5259, Clara von Studnitz.
- Smallest waist, Guinness World Records online, englisch, Abruf 29. September 2018.
- Smallest waist – living (tightlacing), Guinness World Records online, englisch, Abruf 29. September 2018.