Konrad Hesse

Konrad Hesse (* 29. Januar 1919 i​n Königsberg, Ostpreußen; † 15. März 2005 i​n Merzhausen) w​ar ein deutscher Rechtswissenschaftler u​nd von 1975 b​is 1987 Richter d​es Bundesverfassungsgerichts.

Leben und Wirken

Konrad Hesse w​uchs in Breslau auf.[1] Er l​egte 1939 s​ein Abitur ab, woraufhin e​r unmittelbar z​um Kriegs- u​nd Arbeitsdienst eingezogen wurde. Dabei w​ar er s​eit September 1944 Chef d​er 2. Sturmgeschütz-Kompanie d​er Panzerjäger-Abteilung 102 a​n der Ostfront.[2] Nach Kriegsende n​ahm er s​ein juristisches Studium a​n der Universität Göttingen auf, w​o er 1950 b​ei Rudolf Smend m​it einer Arbeit z​um Gleichheitssatz promoviert wurde. Anschließend arbeitete e​r von 1952 b​is 1956 a​ls Referent a​n Smends Kirchenrechtlichem Institut i​n Göttingen. 1955 habilitierte e​r sich i​n Göttingen m​it der Arbeit Der Rechtsschutz d​urch staatliche Gerichte i​m kirchlichen Bereich; s​eine Venia umfasste Staats-, Verwaltungs- u​nd Kirchenrecht. 1956 erhielt e​r ein Ordinariat für Öffentliches Recht a​n der Universität Freiburg i​m Breisgau, w​o er b​is zu seiner Emeritierung i​m Jahr 1987 lehrte.

Zu Hesses akademischen Schülern gehören Alexander Hollerbach, Peter Häberle, Hans-Peter Schneider, Friedrich Müller, Rudolf Steinberg u​nd Friedhelm Hufen. Im Nebenamt wirkte e​r von 1961 b​is 1975 a​ls Richter a​m Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg. Von 1968 b​is 1976 w​ar er darüber hinaus a​uch Vorsitzender d​es Schiedsgerichtshofs d​er Evangelischen Kirche i​n Deutschland. Sein 1967 erstmals veröffentlichtes Lehrbuch Grundzüge d​es Verfassungsrechts d​er Bundesrepublik Deutschland w​urde zum Standardwerk u​nd prägte Generationen v​on Juristen. Geehrt w​urde Hesse d​urch die Verleihung d​er juristischen Ehrendoktorwürde 1983 i​n Zürich u​nd 1989 i​n Würzburg.

Auf Vorschlag v​on SPD u​nd FDP w​urde Hesse 1975 v​om Bundesrat i​n den Ersten Senat d​es Bundesverfassungsgerichts gewählt. Als Nachfolger Theodor Ritterspachs gehörte e​r dem Gericht v​om 7. November 1975 b​is zum 16. Juli 1987 an. Ihm folgten Dieter Grimm, Wolfgang Hoffmann-Riem u​nd Johannes Masing. Hesses Dezernat i​m Gericht, d​as manchmal a​ls das „Herz d​es Bundesverfassungsgerichts“[3] bezeichnet wird, umfasste u. a. Meinungs-, Presse- u​nd Rundfunkfreiheit, Wirtschaftsrecht u​nd Staatskirchenrecht. Als Berichterstatter prägte e​r eine Vielzahl grundlegender Entscheidungen seines Senates, darunter d​as Mitbestimmungsurteil 1979 (BVerfGE 50, 290), d​ie Entscheidung i​m Fall Böll/Walden 1980 (BVerfGE 54, 208) u​nd die Rundfunkurteile d​er Jahre 1981 u​nd 1986 (BVerfGE 57, 295, BVerfGE 73, 118). Im Zusammenhang m​it dem Volkszählungsurteil 1983 wirkte e​r an d​er Etablierung d​es in d​er Wissenschaft entwickelten (Wilhelm Steinmüller, Spiros Simitis, Adalbert Podlech) Rechts a​uf informationelle Selbstbestimmung maßgeblich mit. Auf Hesse g​eht die Auflösung v​on Grundrechtskollisionen d​urch Herstellung d​er sogenannten Praktischen Konkordanz zurück.

Im Jahr 1964 w​urde Hesse Mitherausgeber d​es Archivs d​es öffentlichen Rechts. Die Zeitschrift würdigte i​hn 2019 m​it Sonderbeiträge(n) anlässlich d​es 100-jährigen Geburtstages v​on Konrad Hesse, w​obei u. a. s​eine Nachfolger i​m Bundesverfassungsgericht Dieter Grimm, Wolfgang Hoffmann-Riem u​nd Johannes Masing Texte beisteuerten.[4]

Seit 2003 w​ar Hesse Mitglied d​er Bayerischen Akademie d​er Wissenschaften. Von 1971 b​is 1973 w​ar er Vorsitzender d​er Vereinigung d​er Deutschen Staatsrechtslehrer.[1]

Konrad Hesse w​ar verheiratet, h​atte zwei Kinder u​nd zum Zeitpunkt seines Todes fünf Enkelkinder.[1]

Werke (Auswahl)

Vollständiges Schriftenverzeichnis: Peter Häberle, Alexander Hollerbach (Hrsg.): Bibliographie Konrad Hesse. C. F. Müller, Heidelberg 1999.

  • Der unitarische Bundesstaat, C. F. Müller, Karlsruhe 1962.
  • Ausgewählte Schriften, hrsg. von Peter Häberle und Alexander Hollerbach, C. F. Müller, Heidelberg 1984, ISBN 3-8114-2084-4.
  • Verfassungsrecht und Privatrecht, C. F. Müller, Heidelberg 1988, ISBN 3-8114-8588-1.
  • Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Auflage, C. F. Müller, Heidelberg 1995 (Neudruck 1999), ISBN 3-8114-7499-5.

Literatur

  • Mario Astarita: Diritto e costituzioni. Konrad Hesse e la forza normativa della Costituzione, Il Pensiero Edizioni, Catanzaro 2016.
  • Ernst Benda: Konrad Hesse: Bundesverfassungsrichter 1975–1987. In: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart. Neue Folge, Bd. 55, 2007, S. 509–514.
  • Dieter Grimm: Offenheit als Leitmotiv im Verfassungsverständnis von Konrad Hesse. In: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 144, 2019, S. 457–466.
  • Peter Häberle: Zum Tod von Konrad Hesse (1919 bis 2005). In: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 130, 2005, S. 289–293.
  • Peter Häberle: Konrad Hesse (1919–2005), In: Peter Häberle, Michael Kilian, Heinrich Wolff (Hrsg.): Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts, Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2015, S. 893–908.
  • Wolfgang Hoffmann-Riem: Praktische Konkordanz im Verfassungsrechtsdenken von Konrad Hesse. In: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 144, 2019, S. 467–485.
  • Alexander Hollerbach: Öffentliches Recht an der Universität Freiburg in der frühen Nachkriegszeit. Aus Anlaß des 100. Geburtstags von Konrad Hesse am 29. Januar 2019. Mohr Siebeck, Tübingen 2019, ISBN 978-3-16-158864-8.
  • Peter Lerche: Europäische Staatsrechtslehrer. Der Wissenschaftler Konrad Hesse. In: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart. Neue Folge, Bd. 55, 2007, S. 455–461.
  • Johannes Masing: Demokratie – Verstanden im Geiste Konrad Hesses. In: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 144, 2019, S. 443–456.
  • Hans-Peter Schneider: Verfassungsrecht zwischen Wissenschaft und Richterkunst. Konrad Hesse zum 70. Geburtstag, C. F. Müller, Heidelberg 1990, ISBN 3-8114-8089-8.
  • Andreas Voßkuhle, Jakob Schemmel: Der Staatsrechtslehrer Konrad Hesse als Richter des Bundesverfassungsgerichts – Zugleich zum Verhältnis von Verfassungsrechtswissenschaft und Verfassungsrechtsprechung. In: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 144, 2019, S. 425–442.
  • Rainer Wahl: Die normative Kraft der Verfassung. Die Antrittsvorlesung Konrad Hesses in ihrem historischen Kontext. In: Julian Krüper, Mehrdad Payandeh, Heiko Sauer (Hrsg.): Konrad Hesses normative Kraft der Verfassung. Mohr Siebeck, Tübingen 2019, ISBN 978-3-16-158238-7, S. 19–47, doi:10.1628/978-3-16-158238-7 (mohrsiebeck.com [abgerufen am 7. April 2021] Vorabdruck in: Der Staat, Bd. 58, 2019, S. 195–221.).
  • Hinnerk Wißmann: Konrad Hesse – Religion im freiheitlichen Verfassungsstaat. Eine biographische Skizze. In: Hannes Ludyga, Thomas Holzner (Hrsg.): Entwicklungstendenzen des Staatskirchen- und Religionsverfassungsrechts. Ferdinand Schöningh, Paderborn u. a. 2013, S. 571–585, ISBN 978-3-506-77633-4.

Anmerkungen

  1. Nachruf zu Konrad Hesse, Bayerische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 5. Juli 2020.
  2. Bundesarchiv: N 1539 Hesse, Konrad (unter Informationen zur Provenienz). In: bundesarchiv.de. Abgerufen am 19. Dezember 2020.
  3. taz (Christian Rath) vom 18. Mai 2020.
  4. Sonderbeiträge anlässlich des 100-jährigen Geburtstages von Konrad Hesse. In: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 144, 2019, S. 425–485 (Inhaltsverzeichnis).
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