Kompetenz-Kompetenz
Als Kompetenz-Kompetenz (auch Kompetenzkompetenz) wird im Recht die Befugnis einer Instanz bezeichnet, über ihre Zuständigkeit selbst verbindlich zu entscheiden. Eine solche Befugnis setzt die Existenz potentieller oder realer konkurrierender Zuständigkeiten voraus.
Überblick
Ein klassischer Fall der Kompetenz-Kompetenz bestand in der Bundesrepublik Deutschland vor 1994 im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. in diesem Bereich konnten sowohl der Bund als auch Länder gesetzgeberisch tätig werden. Dabei schloss aber die Gesetzgebung des Bundes die der Länder aus, sobald der Bund ein Sachgebiet gesetzlich geregelt hatte. Die Gesetzgebung des Bundes war aber an bestimmte Voraussetzungen gebunden, über deren Vorliegen der Bund aber kraft seiner ihm vom Bundesverfassungsgericht zuerkannten Kompetenz-Kompetenz selbst endgültig entscheiden konnte. Eine Verfassungsänderung 1994 schränkte diese Befugnis des Bundes erheblich ein. Auf solche und ähnliche Sachverhalte bezieht sich die folgende Definition:
„Kompetenz-Kompetenz nennt man die Zuständigkeit eines Verwaltungsträgers, seine sachliche Zuständigkeit unter Einschränkung fremder Zuständigkeiten zu erweitern, so in bestimmten Grenzen und unter bestimmten Voraussetzungen das Recht der Landkreise und anderer Gemeindeverbünde gegenüber den Gemeinden.“[1]
Wenn verfassungsmäßige Staatsorgane über den Umfang ihrer Kompetenz gegenüber allen anderen Staatsorganen verbindlich entscheiden können, wird dies ebenfalls als Kompetenz-Kompetenz bezeichnet. So wird in gängigen deutschen juristischen Wörterbüchern von „Kompetenzkompetenz“ in Bezug auf Gerichte und Behörden gesprochen:
„Kompetenzkompetenz ist die Befugnis eines staatlichen Organs (insbes. eines Gerichts), Zweifel über die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder die gerichtliche Zuständigkeit verbindlich zu entscheiden.“[2]
Ein Anwendungsbeispiel für die hier angegebene weitere, auch das Parlament einbeziehende Definition, findet sich in einem Aufsatz von Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Das [britische] Parlament hat kraft seiner Souveränität die Kompetenzkompetenz gegenüber den anderen Gewalten, einschl. der Rechtsprechung: Aufhebung von Urteilen“ usw.[3]
Deutschland
Staatsrecht
Die konkurrierende Gesetzgebung war, wie oben angesprochen, ein Rechtsgebiet, auf dem der Bund gegenüber den Ländern seine Kompetenz-Kompetenz geltend machen konnte.
Gerichtsverfassungsrecht
Hoch umstritten war im 19. Jahrhundert die Kompetenz-Kompetenz der Gerichte gegenüber der Verwaltung. Dabei ging es um die Frage, ob die ordentlichen Gerichte selbst über die Rechtswegseröffnung und folglich ihre Zuständigkeit entscheiden durften. Damit hätten sie möglicherweise auch über die Rechtmäßigkeit von Handeln der Verwaltung entscheiden können, was die Regierungen verhindern wollten. Das war vor allem deshalb praktisch bedeutsam, weil es noch keine unabhängigen Verwaltungsgerichte gab.
Verbreitet waren deshalb Kompetenz(-konflikt-)gerichtshöfe, die endgültig über die Rechtswegseröffnung entscheiden konnten. Mitunter waren sie nicht mit unabhängigen Richtern besetzt oder hatten die Frage nicht nach Recht und Gesetz zu klären, sondern danach, ob ein Rechtsstreit als für die gerichtliche Behandlung „geeignet“ anzusehen war. Vor allem im Staatshaftungsrecht spielte das eine große Rolle.
Doch das Gerichtsverfassungsgesetz drohte bei seiner Einführung 1879 an den unterschiedlichen Positionen zum Kompetenzkonflikt zu scheitern, so dass es zu einem Kompromiss in § 17 Abs. 2 GVG a.F. kam. Nachdem es zuletzt nur noch in Bayern einen Kompetenzkonfliktgerichtshof (Bayerisches Oberstes Landesgericht) gegeben hatte, wurde die Regelung erst durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2809) ersatzlos aufgehoben.
Kommunalrecht
Im rheinland-pfälzischen Kommunalrecht ist die Kompetenz-Kompetenz zudem das Recht der Verbandsgemeinde, unter formellen und materiellen Voraussetzungen in die Aufgabenkompetenz (aller) ihrer Ortsgemeinde(n) einzugreifen und einzelne Selbstverwaltungsaufgaben in ihre eigene Kompetenz zu übernehmen. Zu den formellen Voraussetzungen zählen:
- die Verbandsgemeinde muss zustimmen,
- mehr als die Hälfte der Ortsgemeinden muss zustimmen,
- in den zustimmenden Ortsgemeinden muss mehr als die Hälfte der Einwohner der Verbandsgemeinde wohnen.
Rechenbeispiel: Zu einer Verbandsgemeinde (VG) gehören 4 Ortsgemeinden (OG):
- Die OG-1 hat 100 Einwohner,
- die OG-2 hat 300 Einwohner,
- die OG-3 hat 500 Einwohner und
- die OG-4 hat 200 Einwohner.
Insgesamt wohnen also 1.100 Menschen in der VG. Damit nun die VG Aufgaben von ihren OG übernehmen kann, müssen mindestens 3 OG zustimmen. Und in diesen 3 OG müssen mehr als 550 Einwohner leben.
Für das Vorliegen der materielle Voraussetzung ist es wichtig, dass die gemeinsame Erfüllung der Aufgabe in dringendem öffentlichen Interesse liegt.
Schiedsverfahrensrecht
Im Schiedsverfahrensrecht besagt das Prinzip der Kompetenz-Kompetenz, dass im Normalfall das Schiedsgericht zunächst über seine eigene Zuständigkeit entscheiden kann (z. B. ob die Schiedsabrede wirksam ist). Diese Entscheidung ist jedoch nur vorläufig, die endgültige Entscheidung ist (bei rechtzeitiger Rüge der Unzuständigkeit durch eine Partei) Sache der staatlichen Gerichte.[4] In dieser Form ist die Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichts inzwischen praktisch weltweit anerkannt.[5] Die deutsche Regelung in § 1040 ZPO ist fast wörtlich dem Art. 16 des UNCITRAL Modellgesetzes zur Internationalen Schiedsgerichtsbarkeit[6] entnommen,[7] das bisher als Grundlage für die Neufassung des Schiedsverfahrensrechts in mehr als 50 Ländern gedient hat.[8]
Österreich
In Österreich liegt die gesamtstaatliche Kompetenz-Kompetenz beim Bund, da die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Länder und Gemeinden im Bundes-Verfassungsgesetz (Artikel 10 bis 15) geregelt sind. Kompetenzänderungen zulasten der Länder benötigen gemäß Art. 44 Abs. 2 B-VG die ausdrückliche Zustimmung des Bundesrates, der aber als Organ des Bundes betrachtet wird. Da die Abgeordneten des Bundesrates jedoch durch die Landtage gewählt werden (Art. 34 B-VG), haben die Bundesländer bei der Kompetenzverteilung de facto ein Mitspracherecht.
Schwerwiegende Kompetenzänderungen, die ein Grundprinzip der Bundesverfassung beeinträchtigen, sind als Gesamtänderung der Bundesverfassung gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG einer Abstimmung durch das Bundesvolk zu unterziehen, dem daher auch teilweise Kompetenz-Kompetenz zukommt. So war etwa der Beitritt zur EU nach herrschender Lehre nur durch Abhaltung einer Volksabstimmung möglich, da durch die Übertragung von Kompetenzen an eine supranationale Organisation ein schwerwiegender Eingriff in das bundesstaatliche, das rechtsstaatliche und das demokratische Prinzip erfolgt ist.
Schweiz
In der Schweiz liegt die Kompetenz-Kompetenz beim Bund, da die Zuordnung der Kompetenzen auf Bund und Kantone durch die Bundesverfassung geschieht (Bundesverfassung Art. 3 und Art. 42). Eine Änderung der Kompetenzzuteilung geschieht entweder über eine Änderung der Bundesverfassung, was zwingend zu einer Volksabstimmung führt, die ihrerseits des Volksmehrs und des Ständemehrs bedarf, oder aber im Bereich der gemischten Zuständigkeit über eine Änderung der entsprechenden einfachen Bundesgesetzgebung, welche ihrerseits einer fakultativen Volksabstimmung unterliegt, die allein des Volksmehrs bedarf. Verfassungsänderungen können vom Volk (Volksinitiative), den Kantonen (Standesinitiative), dem Bundesrat oder dem Parlament initiiert werden. Ein Initiativrecht des Volkes betreffend Änderung eines Bundesgesetzes gibt es hingegen (anders als im Fall der kantonalen Gesetzgebung) nicht.
Nach Art. 43a Abs. 1 der Bundesverfassung stehen dem Bund Kompetenzen zu, welche „die Kraft der Kantone übersteigen oder einer einheitlichen Regelung durch den Bund bedürfen“. Die Kompetenzen der Kantone werden in der Verfassung nur lückenhaft aufgeführt, da ihnen grundsätzlich alle nicht explizit dem Bund zugewiesenen Aufgaben zufallen (sogenannte subsidiäre Generalklausel).
Europarecht
Im Europarecht gilt gemäß Art. 5 EUV das sogenannte Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, wonach die Europäische Union „nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig“ werden darf, „die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben bei den Mitgliedstaaten“ (Art. 5 Abs. 2 EU). Dieses Prinzip wird von den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EU als materielles Recht ergänzt.
Das hat zur Folge, dass eine Aufgabe nur von einem Organ der Union wahrgenommen werden darf, wenn es zu deren Wahrnehmung ausdrücklich von den Unionsstaaten ermächtigt worden ist. Dazu bedarf es einer Übertragung von Kompetenzen von der nationalen auf die europäische Ebene (im deutschen Recht gemäß Art. 23 GG) und einer Konkretisierung im primären Europäischen Gemeinschaftsrecht (EU, AEUV). Darüber hinaus darf die Europäische Union nicht tätig werden; es verbleibt dann bei der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Die Europäische Union besitzt also keine Kompetenz-Kompetenz.
Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993 (2 BvR 2134, 2159/92, BVerfGE 89, 155) beschäftigte sich ausführlich mit dem Problem der Übertragung von Kompetenzen von der Bundes- auf die Unions-Ebene und mit dem diesbezüglichen Verhältnis zwischen deutschem Verfassungsrecht und Europarecht. Unter anderem stellte das Bundesverfassungsgericht darin klar, dass es sich vorbehält, im Einzelfall zu prüfen, ob künftige Rechtsakte von EU-Organen über die vertraglich eingeräumten Hoheitsrechte hinausgehen (Ultra-vires-Kontrolle).
Völkerrecht
Im Völkerrecht wird unter Kompetenz-Kompetenz die Befugnis souveräner Staaten verstanden, ihre Grundordnung selbständig zu gestalten. Sie werden daher originäre Völkerrechtssubjekte genannt, in Abgrenzung zu den internationalen Organisationen, die ihre Kompetenzen von ihren Mitgliedstaaten ableiten (sog. derivative Völkerrechtssubjekte).
Kanonisches Recht
Unter affectio papalis versteht man das dem Papst zustehende Recht, neben den ihm von Rechts wegen ohnehin vorbehaltenen Angelegenheiten nach eigenem Ermessen weitere seiner Entscheidungsgewalt zu unterstellen.
Trivia
- Das Wort „Kompetenz-Kompetenz“ gilt bisweilen als das längste Reduplikationswort der deutschen Sprache, ist aber tatsächlich ein Determinativkompositum.
- Der Begriff ist als deutsches Lehnwort in die anglo-amerikanische Fachsprache eingegangen.
- Einer breiteren deutschen Öffentlichkeit wurde der Ausdruck durch eine Rede Edmund Stoibers bekannt, die im Internet kursiert und in der mehrmals „Kompetenz-Kompetenz“ vorkommt.[9] Die Popularität der Sequenz beruht auf dem Irrtum der Zuhörer, es handle sich dabei um einen mehrmaligen Versprecher.
Weblinks
- Kompetenzkompetenz – im Duden
- Kompetenz-Kompetenz – im Europalexikon von Hüttmann/Wehling bei der Bundeszentrale für politische Bildung
Einzelnachweise
- Horst Tilich, Frank Arnold (Hrsg.): Deutsches Rechts-Lexikon. 3. Auflage. Band 2. Beck, München 2001, S. 2546 f. (s.v. Kompetenz-Kompetenz).
- Carl Creifelds: Rechtswörterbuch. Hrsg.: Klaus Weber. 19. Auflage. Beck, München 2007, S. 681 (s.v. Kompetenzkompetenz).
- Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln der Staatsgewalt in außergewöhnlichen Lagen. In: Neue Juristische Wochenschrift. 1978, S. 1881–1890 (1886 f.).
- Voit, in: Musielak, ZPO, 6. Aufl. 2008, § 1040 ZPO, Rn 1.
- Fouchard, Gaillard, Goldman, On International Commercial Arbitration, 1999, S. 397 Rn. 653.
- 1985 - UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration. Abgerufen am 21. Februar 2018 (englisch).
- Ingo von Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2008, § 1040 ZPO, Rn 1.
- Status. UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration (1985), with amendments as adopted in 2006. Abgerufen am 21. Februar 2018 (englisch).
- Stoiber Kompetenz Kompetenz Kompetenz. Abgerufen am 17. Januar 2022 (deutsch).