Karl II. (Braunschweig)
Karl Friedrich August Wilhelm, als Regent Karl II. (* 30. Oktober 1804 in Braunschweig; † 18. August 1873 in Genf), Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, war von 1815 bis 1830 erster Herzog von Braunschweig und, als Karl IV., Herzog von Oels.
Regierungsübernahme
Karl war der älteste Sohn von Friedrich Wilhelm, Herzog zu Braunschweig-Lüneburg, dem „Schwarzen Herzog“, und Maria von Baden (1782–1808), Tochter von Karl Ludwig von Baden (1755–1801).
Nach dem Tode seines Vaters bei der Schlacht bei Quatre-Bras trat er als Zehnjähriger dessen Nachfolge an. Wegen seiner Jugend stand er zunächst unter der Vormundschaft und Regentschaft des englischen Königs Georgs IV. von Großbritannien-Hannover, der den hannoverschen Diplomaten Friedrich Wilhelm Alexander von Linsingen als Erzieher einsetzte.
Am 16. Juni 1815 wurde Karl Herzog von Braunschweig und Fürst von Oels; er übergab die Herrschaft über das Fürstentum Oels aber am 13. Januar 1824 seinem Bruder Wilhelm.
Am 30. Oktober 1823 übernahm Karl II. die Regierungsgeschäfte in Braunschweig.
Regierung und Sturz
Herzog Karl trat 1823 selbst die Regierung an, herrschte aber willkürlich und bedrängte seinen Minister Justus von Schmidt-Phiseldeck derart, dass dieser 1826 ins Königreich Hannover floh und dort als Geheimrat Anstellung fand. Wohl aus Erbitterung über diesen Vorfall und die Behandlung durch seinen ehemaligen Vormund Georg IV. und den Grafen Ernst Friedrich Herbert zu Münster fing er einen heftigen Streit mit Hannover an, der bis vor den Bundestag in Frankfurt gelangte. Erst 1830 wurde dieser Streit durch einen Widerruf Karls beigelegt.
Um keinen Einfluss an den ständischen Braunschweiger Landtag zu verlieren, versuchte Karl II. dessen Einberufung zu umgehen. Da der Landtag jedoch für die Steuerbewilligung zuständig war, verordnete er dem Land einen rigiden Sparkurs. Darunter litten vor allem die staatlich geführten Bergbaubetriebe. Für Bauern, die sich aus der Leibeigenschaft freikaufen wollten, legte Karl II. hohe Ablösungszahlungen fest. Auch die Beamtenschaft und das Militär brachte der Herzog gegen sich auf. Er ließ vakant gewordene Verwaltungsstellen unbesetzt und reduzierte den Sold. Als sich im Jahr 1830 dann auch noch Missernten häuften, ergriff der Herzog keine Maßnahmen zu deren Linderung.[1] Er unternahm stattdessen eine sommerliche Reise nach Paris, wo er Augenzeuge der Julirevolution und des damit verbundenen Sturzes von Karl X. wurde. Der Herzog floh aus der französischen Hauptstadt und kehrte im August 1830 nach Braunschweig zurück. Am 1. September 1830 empfing er im Braunschweiger Schloss eine Delegation des Stadtmagistrats, die ihm eine Petition überreichte und die Einberufung des Landtages empfahl. Karl II. dachte jedoch nicht an Zugeständnisse. Er verstärkte stattdessen die Militärpräsenz, ließ Kanonen an wichtigen Plätzen der Stadt auffahren und plante eine weitere Reise nach England.[2]
Eine Ankündigung der Regierung von Steuererleichterungen konnte die Bevölkerung nicht ruhigstellen. Am Abend des 6. September 1830 versammelten sich Demonstranten vor dem Hoftheater.[3] Als der Herzog die Shakespeare-Aufführung vorzeitig verließ, warfen die Demonstranten Steine auf seine Kutsche. Karl II. zog sich in das Schloss zurück und gab den Befehl, alle Truppen zusammenzuziehen und so alle Zugänge zum Schloss abzuriegeln. Vor dem Haupttor des Schlosses kamen kurze Zeit darauf etwa 500 Menschen zusammen und riefen lautstark nach Brot und Arbeit. Da sich die Menge nicht zurückzog, ließ der Herzog Kavallerie einsetzen und den Bereich räumen.[4] Daraufhin wütete die Menge in der Stadt; zerstörte Straßenlaternen und warf die Scheiben des Hauses ein, das einer Mätresse des Herzoges gehörte. Zur Eindämmung der Unruhe genehmigte Karl II. die Gründung einer Bürgerwehr in Braunschweig (allerdings ohne Schusswaffen). Am 7. September 1830 beratschlagte der Herzog mit seinen Offizieren über den genauen Einsatz der Artillerie. Auch trieb er die Vorbereitung seiner Abreise mit Staatskasse weiter voran. Der Magistrat untersagte derweil öffentliche Menschenansammlungen ab sechs Personen im Stadtgebiet.[5]
Am Abend des 7. September sicherten 1300 Soldaten die Residenz des Herzoges. Dennoch griff eine Menschenmenge das Schlossgitter an und versuchte Tore und Fenster mit Äxten und Beilen aufzuschlagen. In dieser Situation beriet General Herzberg den Herrscher. Er riet Karl II. dringend von einem Schießbefehl ab und ermutigte ihn stattdessen, mit den bereitstehenden Kutschen abzureisen. Seine vorübergehende Abwesenheit würde die Gemüter in der Stadt wieder beruhigen. Daraufhin verließ der als Adjutant verkleidete Karl II. das Schloss unbemerkt durch einen Hintereingang. Militärisch ließ sich die Residenz nicht halten. Die Menschenmenge drang ein, zerstörte die Einrichtung und setzte das Schloss sogar in Brand. Löschversuche schlugen fehl.[6] Die braunschweigischen Landstände riefen nach der Flucht Karls dessen Bruder nach Braunschweig; Wilhelm wurde zwei Tage später provisorischer Generalgouverneur und erst im Folgejahr offizieller Nachfolger als Herzog – auch da Karl nie aus seinem Exil zurückkehrte. Damit hatte zum ersten Mal eine Revolution einen deutschen Herrscher vom Thron verdrängt.[7]
Die Entmachtung Karls wurde im Juli 1832 bestätigt. Seitdem wurde Herzog Wilhelm als stimmführendes Mitglied des Deutschen Bundes betrachtet.
Leben im Exil
Karl betätigte sich weiterhin politisch, beraten von seinem Kabinettsdirektor Bitter und dem Staatsrat Georg Klindworth. Seine anhaltenden Bemühungen, auf den braunschweigischen Thron zurückzukehren, fanden jedoch in Deutschland und den europäischen Hauptstädten keine wirksame politische Unterstützung. Sein restliches Leben verbrachte Karl, der weiterhin im Rufe des Exzentrikers stand, in Spanien, England, Frankreich und der Schweiz.
Wiewohl Karl unverheiratet blieb, entsprang aus seiner Beziehung mit der englischen Lady Charlotte Colville eine illegitime Tochter namens Elisabeth Wilhelmine (1826–1880). Er ließ sie zunächst auch nach seinem Machtverlust und im Exil gut versorgen, brach jedoch mit ihr, als sie 1847 gegen seinen Willen zum Katholizismus konvertierte.
Karl starb 1873 unverheiratet in Genf. Sein beträchtliches Vermögen von ungefähr 18,5 Millionen Franken,[8] nach damaligem Wert, vererbte er unter Auflagen dieser Stadt. Allein der Wert seiner Diamantensammlung betrug ca. 2,5 Millionen Franken, nach einer Schätzung im Todesjahr des Herzogs.[9] Weiterhin hinterließ er Beteiligungen an deutschen und amerikanischen Eisenbahngesellschaften sowie etwa 5000 Uniformen für die Rückeroberung seines Herzogtums, die seit den 1830er Jahren in 142 Kisten gelagert wurden.[10]
Noch heute erinnert in Genf Karls monumentales Grabmal, das sogenannte Monument Brunswick, an diese Erbschaft, aus der 1875–1879 der Bau des neuen Grand Théâtre finanziert wurde. Seine Tochter erhob erfolglos Anspruch auf einen Teil dieses Erbes.[11]
Schach
Bekanntheit errang Karl daneben als Amateurspieler im Schachspiel, der auch gegen die stärksten Meister seiner Zeit beachtliche Partien spielte. Im Jahr 1858 verlor er zusammen mit Graf Isoard während einer Pariser Opernaufführung eine berühmte Partie gegen das amerikanische Schachgenie Paul Morphy. Überliefert sind von ihm auch ein Remis gegen Daniel Harrwitz (1857) und eine knappe Niederlage nach vergebener Gewinnstellung gegen Ignaz von Kolisch (1859).[12] Jeder von beiden war laut Berechnungen zur historischen Elo-Zahl, wie auch Morphy, zeitweise der stärkste Spieler der Welt.[13][14]
Ahnentafel
Siehe auch
Literatur
- Ernst zu Münster: Widerlegung der Ehrenrührigen Beschuldigungen, welche sich … der regierende Herr Herzog von Braunschweig gegen Ihren erhabenen Vormund und die während Ihrer Minderjährigkeit mit der Verwaltung Ihrer Lande und Ihrer Erziehung beauftragten Männer erlaubt haben. Schulze, London 1827.
- Heinrich Rudolph Brinkmann: Publicistische Prüfung der Beschwerden des Herzogs Karl von Braunschweig in Betreff der vormundschaftlich Verwaltung Seiner Majestät von Großbritannien und Hannover. 1829.
- L. von Cramm: An die hohe deutsche Bundesversammlung. Rechtfertigende Erklärung der Herzoglich-Braunschweigischen Landstände, betreffend ihre Differenz mit dem Durchlauchtigsten Herzog Carl von Braunschweig-Lüneburg, wegen der unter dem 28. April 1820 publicirten Erneuerten Landschafts-Ordnung. Andrä, Frankfurt/Main 1829.
- Ernst Ludwig Große: Offener Brief eines Braunschweiger Bürgergardisten an Seine Durchlaucht den vormals regierenden Herzog Karl von Braunschweig im Namen des Braunschweigischen Volkes und der Bürgergarde. Hanau 1830.
- H. F. R. Herrmann: Beurtheilung der gegen den Herzog Karl von Braunschweig erschienenen öffentlichen Anklage: ‚der Aufstand der Braunschweiger am 6ten und 7ten September 1830, seine Veranlassung und seine nächsten Folgen‘. Diplomatisches Institut, Frankfurt am Main 1832.
- Chaltas: Le Duc Charles de Brunswick avant et depuis la Révolution de Brunswick en septembre 1830. Paris 1832.
- Le duc de Brunswick. Sa vie et ses moeurs. Extraits de notes et correspondances intimes, mémoires et papiers de famille, documents officiels, anecdotes etc., etc. Sartorius, Paris 1875.
- Paul Zimmermann: Karl II., Herzog zu Braunschweig und Lüneburg. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 15, Duncker & Humblot, Leipzig 1882, S. 281–285.
- (Anonym)[15]: Herzog Karl und die Geschichte des Aufstandes und Schloßbrandes zu Braunschweig 1830. Quellenmäßig dargestellt. 2. Auflage, Vogel, Braunschweig 1880 (weitere Ausgabe. Günther, Braunschweig 1907)
- Fritz Hartmann: Der Diamantenherzog und sein Hoftheater. Eine Episode aus der braunschweigischen Bühnengeschichte. In: Zeitschrift für Theaterwesen, Literatur und Musik. Amtliches Blatt des Deutschen Bühnen-Vereins. Verlag von Bühne und Welt, Hamburg 1908.
- Otto Böse: Die Enthronung des Herzogs Karl II. von Braunschweig. Westermann, Braunschweig 1935 (Braunschweig TeH., Diss. v. 10. Februar 1934).
- Otto Böse: Karl II., Herzog zu Braunschweig und Lüneburg. Ein Beitrag zur Metternichforschung. Gersbach & Sohn, Braunschweig 1956.
- Tibor Dénes: Marx, Engels et le duc de Brunswick. In: Journal de Genéve. Genf vom 23. – 25. Dezember 1961 Nr. 300.
- Tibor Dénes: Lehr und Wanderjahre eines jungen Schweizers (1845–1848). Jakob Lukas Schabelitz, Herzog Karl II. von Braunschweig und die Deutsche Londoner Zeitung. In: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte. Revue Suisse d'histoire. Revista storia svizzera. Band 16. Basel 1966 Heft 1, S. 34–79.
- Joachim Kühn: Gentz, Metternich und Herzog Karl II. nach dessen Vertreibung. In: Braunschweigisches Jahrbuch. Wolfenbüttel 1967 ISSN 0068-0745, S. 78–101.
- Walter Deeters: Karl II., Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 11, Duncker & Humblot, Berlin 1977, ISBN 3-428-00192-3, S. 226 (Digitalisat).
- Gerhard Schildt: Karl II., Herzog von Braunschweig-Lüneburg. In: Horst-Rüdiger Jarck, Günter Scheel (Hrsg.): Braunschweigisches Biographisches Lexikon – 19. und 20. Jahrhundert. Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1996, ISBN 3-7752-5838-8, S. 92 f.
- Wolfgang Frühauf: Stadtdirektor Wilhelm Bode und Finanzdirektor von Thielau. Zwei aufrechte Braunschweiger und der Diamantenherzog. In: Braunschweigischer Kalender. Meyer, Braunschweig 1990 ISSN 0343-0316, S. 65–66.
- Fritz Reinboth: Zeitgenössische Berichte über den Invasionsversuch des Herzogs Carl II. von Braunschweig bei Ellrich am 30. November 1830. In: Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen. Band 28. Neukirchner, Nordhausen 2003, S. 109–119.
- Jacques Barrelet: Braunschweig, Karl II. von. In: Historisches Lexikon der Schweiz., 2004.
Belletristik
- Karl Braun: Der Diamanten-Herzog. Ein deutscher Prinzenspiegel. A. Hofmann & Co., Berlin 1881.
- Wilhelm Scholz: Unter dem Fanal. Historische Erzählung aus der Zeit des Diamantenherzogs Karl II. von Braunschweig. Scholz, Braunschweig 1910.
- Georg Schwarz: Der Diamanten-Herzog. Geschichte eines Prätendenten. Frundsberg-Verlag, Berlin 1935.
Einzelnachweise
- Karl Heinrich Kaufhold: Wirtschaft und Gesellschaft vor der Industrialisierung. In: Horst - Rüdiger Jarck, Gerhard Schildt (Hgg.): Die Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region. Braunschweig 2000. S. 713–750, hier S. 721; Gerd van den Heuvel: Restauration und Vormärz (1815–1848). Das Herzogtum Braunschweig. In: Brüdermann (Hrsg.), Geschichte Niedersachsens, Vierter Band: vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Göttingen 2016, S. 136–156, hier S. 143–144.
- Helmut Bock: Die Braunschweiger Revolution. Volksbewegung und liberale Führungskraft. In: Aufbruch in die Bürgerwelt. Lebensbilder aus Vormärz und Biedermeier. Dampfboot, Münster 1994, S. 57–65, hier S. 57.
- Gerd van den Heuvel: Restauration und Vormärz (1815–1848). Das Herzogtum Braunschweig. In: Brüdermann (Hrsg.), Geschichte Niedersachsens, Vierter Band: vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Göttingen 2016, S. 136–156, hier S. 145.
- Helmut Bock: Die Braunschweiger Revolution. Volksbewegung und liberale Führungskraft. In: Aufbruch in die Bürgerwelt. Lebensbilder aus Vormärz und Biedermeier. Dampfboot, Münster 1994. S. 57–65, hier S. 57.
- Helmut Bock: Die Braunschweiger Revolution. Volksbewegung und liberale Führungskraft. In: Aufbruch in die Bürgerwelt. Lebensbilder aus Vormärz und Biedermeier. Dampfboot, Münster 1994, S. 57–65, hier S. 58.
- Helmut Bock: Die Braunschweiger Revolution. Volksbewegung und liberale Führungskraft. In: Aufbruch in die Bürgerwelt. Lebensbilder aus Vormärz und Biedermeier. Dampfboot, Münster 1994. S. 57–65, hier S. 58; Gerd van den Heuvel: Restauration und Vormärz (1815–1848). Das Herzogtum Braunschweig. In: Brüdermann (Hrsg.), Geschichte Niedersachsens, Vierter Band: vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Göttingen 2016, S. 136–156, hier S. 146.
- Thomas Vogtherr: Die Welfen. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Beck, München 2014, S. 88.
- Memminger Zeitung, No. 259, 4. November 1873
- Memminger Zeitung, No. 214, 13. September 1873
- Memminger Zeitung, No. 264, 9. November 1873
- Kerstin Rahn: Civry, Elisabeth Wilhelmine von, geb. Gräfin von Colmar. In: Horst-Rüdiger Jarck, Günter Scheel (Hrsg.): Braunschweigisches Biographisches Lexikon – 19. und 20. Jahrhundert. Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1996, ISBN 3-7752-5838-8, S. 122.
- Open Chess Diary von Tim Krabbé, Eintrag 217
- Jeff Sonas: Chessmetrics Player Profile: Daniel Harrwitz. Abgerufen am 2. August 2016.
- Jeff Sonas: Chessmetrics Player Profile: Ignatz Kolisch. Abgerufen am 2. August 2016.
- Autor war Samuel Kokosky.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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