Karel Sabina
Karel Sabina [ˈsabɪna] (* 29. Dezember 1813 in Prag; † 7. November 1877 ebenda, damals in der Monarchie Österreich-Ungarn) war ein tschechischer, radikaldemokratischer Journalist unter den Pseudonymen Karel Sabinsky, Arian Zelinsky und Leo Blaß; ein Politiker und Schriftsteller, als dessen besondere literarische Leistung das Libretto zu Bedřich Smetanas 1866 uraufgeführter Oper Die verkaufte Braut gilt.[1]
Leben und Werk
Karl Sabina wuchs als außerehelicher Sohn einer Hausmeisterin und Bedienerin in der Prager Karlsgasse auf und war Absolvent des Gymnasiums in der Prager Altstadt. Zu seinem leiblichen Vater ist nichts Gesichertes bekannt. Die Informationen zu Details seines Lebens entstammen größtenteils einer nach dem Hörensagen geschriebenen Lebensbeschreibung von Max Brod. Danach soll ihn sein Stiefvater, ein Maurer, öfter verprügelt haben.[2] Sabina studierte an den Universitäten Prag und Wien einige Semester Philosophie und Rechtswissenschaft und war, um seinen Lebenserwerb zu sichern, ohne große Begeisterung Erzieher in verschiedenen bürgerlichen Häusern. In dieser Zeit war er mit Karel Hynek Mácha, dem Verfasser der Verserzählung Máj, befreundet, der 1836 verstarb. 1845 veröffentlichte Sabina eine Studie über ihn, die von Jakub Arbes für das Bedeutendste gehalten wird, das Sabina neben seiner Novelle Der Totengräber, vor 1848 geschaffen hat.[3]
Sein Aufenthalt in Wien endete 1839, nachdem er in der Zeitschrift Adler liberale Artikel veröffentlicht hatte, mit seiner Ausweisung aus der Stadt. Danach versuchte er in Prag mit schriftstellerischen Arbeiten einen Lebensunterhalt zu finden.[4] Dieser Broterwerb wurde ihm durch Zensurmaßnahmen, Hausdurchsuchungen und polizeiliche Verhöre durch Behörden der Monarchie Österreich-Ungarn erschwert. Der Wunsch, dieser Überwachung zu entkommen und etwas finanzielle Sicherheit zu gewinnen, führte ihn später zu einer Verbindung mit diesen Institutionen.
Von 1848 an galt Sabina als eine der führenden Persönlichkeiten der tschechischen radikalen Demokraten, war Mitglied des Geheimbundes Repeal, dem auch Emanuel Arnold, Vilém Gauč, František Havlíček, Ludvík Ruppert und Vincenz Vávra-Haštalský angehörten, und der Schriftstellervereinigung Májovci. Sabina war ein begabter und beliebter Volksredner und für kurze Zeit Abgeordneter des böhmischen Landtages.[5] 1849 wurde er wegen Teilnahme am Prager Pfingstaufstand verhaftet. Wegen Verhandlungen, die er und andere Patrioten mit dem in Prag weilenden russischen Anarchisten Michail Alexandrowitsch Bakunin geführt hatten[6], wurde er im März 1853 zunächst zum Tode, dann zu 18 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Mai 1857 begnadigt, kehrte Sabina vom Gefängnis in Olmütz nach Prag zurück und lebte wieder als Schriftsteller. Vorübergehend war er auch Dramaturg am Tschechischen Interimstheater. Vor der Grundsteinlegung für das neue Prager Nationaltheater hielt er am 10. Mai 1868 in einer feierlichen Veranstaltung vor 20.000 Menschen am Berg Rip bei Raudnitz eine flammende Rede.
Sabinas „Verrat“
Im Sommer 1872 veröffentlichten verschiedene Prager Blätter, dass Karel Sabina seit gut 10 Jahren eine geheime Tätigkeit für die Polizei ausgeübt haben soll. Ein selbstermächtigtes Femegericht verwies ihn darauf hin des Landes, was aus unbekannten Gründen scheiterte. Er lebte danach mittellos, verfolgt und verkleidet in Prag als Schriftsteller am Rande des Hungertodes. Sabina soll seine Zuarbeit zu den kaiserlichen Behörden nicht geleugnet, aber verharmlost haben. Er fühlte sich zu unrecht angeklagt und strengte ein Verfahren gegen seine Verleumder an, das 1873 niedergeschlagen wurde.[7]
Sein Sohn Alois und seine Tochter Euphrosyne Sininka, die in Orenburg am Ural verheiratet war und zu deren Mutter kaum etwas bekannt ist, sollen von ihm abgerückt sein. Soweit Karel Sabina noch veröffentlichen konnte, tat er es unter Pseudonymen, verwendete auch manchmal die deutsche Sprache. Im November 1877 starb er mit 64 Jahren vermutlich an Entkräftung.[8]
Nach seinem Biographen Max Brod sind über Karel Sabina von 1872 und nach seinem Tod im Jahr 1877 bis 1918 fast ein halbes Jahrhundert lang fast nur Lügen und gehässiger Rufmord in tschechischen Medien verbreitet worden.[9] Im Jahr des Zusammenbruchs der Habsburgermonarchie 1918 konnten die in Prag und Wien unter Verschluss gehaltenen Polizeiakten eingesehen werden. Zu den Ausnahmen habe ein Essay des Zeit- und Kampfgenossen Jakub Arbes, verantwortlicher Redakteur der einflussreichen Tageszeitung Národní listy gezählt. Auf diese Arbeit stützt sich Max Brod. Danach speiste der verfemte „Spitzel“ Karel Sabina den Polizeirat Javůrek ausschließlich mit allgemein gehaltenen, nichtssagenden Berichten ab, dass man glauben könnte, Sabina habe „die hochlöbliche Polizei nur zum besten gehabt“.[10] Sie finanzierte damit einem Staatsfeind der Monarchie sein Leben. Dieses Material sei jedenfalls völlig ungeeignet gewesen, Kampfgefährten zu denunzieren und damit auszuliefern. „Überall wußte Sabina Bescheid und nichts verriet er der Polizei.“[11] Das habe auch der Májovci-Aktivist Josef Václav Frič in seinen Erinnerungen betont.[12] Wenn Frič den Romantiker Sabina zudem in die Nähe des sympathischen „Lügenbarons“ Münchhausen rückt, erhärtet sich Brods Verdacht, Sabinas Doppelspiel sei nicht nur seiner Geldnot geschuldet gewesen. Das Leichtsinnige und Komödiantische wird von verschiedenen Zeitzeugen als ein Charakterzug Sabinas beschrieben. Schließlich mochte sogar ein sehr zwiespältiges Verhältnis zu jenem Polizeirat mitgespielt haben, den Sabina bereits aus der Schulzeit gekannt hatte.[13]
Max Brod entwickelte die zunächst verblüffende, im Grunde aber naheliegende Theorie, Sabinas „Verrat“ sei in dessen berühmtem Libretto für die Verkaufte Braut bereits vorgezeichnet und gerechtfertigt worden. „Jeník verkauft seine Braut, aber er liefert sie nicht.“[14] Sogar Sabinas ständige Geldnot findet sich schon dort. Zum einen trachtet Jeník mit seiner Finte seinen Brauteltern aus den Schulden zu verhelfen; zum anderen musste sich Sabina damals für ein Opernlibretto, das ein beachtlicher finanzieller Erfolg wurde, mit 20 Gulden von Smetana abspeisen lassen, der damals selbst mittellos war.[15]
Mit Ausnahme dieses Librettos liegen von Karel Sabina keine Schriften in deutscher Übersetzung vor.
Werke
- Erzählende Prosa
- Hrobník (Der Totengräber), 1844
- Obrazy ze 14. a 15. věku, 1844
- Povídky, pověsti, obrazy a novely, Sammlung von Erzählungen, 2 Bände, 1845
- Vesničané (Dorfleute), 1847
- Tábor jiskry časové (Tabor, Zeitfunken), 1849
- Blouznění (Schwärmerei), 1857
- Hedvika (Hedwig), 1858
- Jen tři léta (Nur drei Jahre), 1860
- Věčný ženich (Der ewige Bräutigam), 1863
- Na poušti, 1863
- Oživené hroby (Wiederbelebte Gräber), Tagebuch aus dem Gefängnis, 1870
- Morana čili Svět a jeho nicoty, 1874
- Essays
- Úvod povahopisný, eine Studie über Karel Hynek Mácha, 1845
- Duchovní komunismus (Geistiger Kommunismus), 1861, ein Buch über die Notwendigkeit umfassender Volksbildung
- Geschichte der tschechoslowakischen Literatur der alten und mittleren Zeit (auf tschechisch), 1866
- Chronik des preußisch-italienisch-österreichischen Krieges (auf tschechisch), 1868
- Vertheidigung gegen Lügner und Verläumder, 1872
- Das Theater und Drama in Böhmen bis zum Anfange des 19. Jahrhunderts, 1877
- Die Sturmvögel der Revolution in Österreich vor dem März 1848, 1879
Posthum wurden auch Briefe, Erinnerungen, Kritiken u. ä. herausgegeben, siehe ÖLB
- Lyrik
- Básně, 1841
- Dramen
- Černá růže
- Inzerát, 1866
- Maloměstské klepny
- Šašek Jiřího z Poděbrad
- Libretti
- Braniboři v Čechách, vertont von Bedřich Smetana
- Prodaná nevěsta, vertont von Bedřich Smetana
- Starý ženich, vertont von Karel Bendl
- Studna (V studni), vertont von Vilém Blodek
Literatur
- Constantin von Wurzbach: Sabina, Karl. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. 28. Theil. Kaiserlich-königliche Hof- und Staatsdruckerei, Wien 1874, S. 6–12 (Digitalisat).
- Vojtech Kristián Blahník: Karel Sabina, Prag 1911.
- Mirko Očadlík: Karel Sabina – libretista, in: Narodní a Stavovské divadlo 5, 1927, Nr. 12.
- Václav Záček: K prípadu Karel Sabina (Zum Fall Karel Sabina), in: Časopis Národního mus. 110, 1936, S. 73 ff.
- Emil Schneider: Politische, religiöse und soziale Fragen bei Karel Havlicek, Karel Sabina und Svatopluk Čech, Prag 1938.
- František Götz und Frank Tetauer: České umění dramatické, Část I. – činohra, Prag 1941, S. 73–75.
- Jan Thon: O Karel Sabina, Prag 1947[16]
- Julius Fučik: Tři studie. Božena Němcová, Karel Sabina, Julius Zeyer, Prag 1948[17]
- Jaroslav Purš: K prípadu Karel Sabina. In: Rozpravy Československé. NS 69/8, 1959.
- Max Brod: Die verkaufte Braut – Der abenteuerliche Lebensroman des Textdichters Karel Sabina. Bechtle, München / Esslingen 1962 (DNB 450634434).
- Jiří Kořalka: Sabina Karel. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 9, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1988, ISBN 3-7001-1483-4, S. 361 f. (Direktlinks auf S. 361, S. 362).
- Karel Sabina. In: Kindlers Neues Literaturlexikon. Ausgabe München 1988, Besprechung seines Librettos zur Verkauften Braut, dazu Literaturangaben.
- Slavomir Ravik: Karel Sabina (portrét konfidenta), Prag 1998.
- Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, herausgegeben im Auftrag des Collegium Carolinum (Institut) von Ferdinand Seibt, Hans Lemberg und Helmut Slapnicka, Band III, R. Oldenbourg Verlag München 2000, ISBN 3 486 55973 7, S. 586.
- Pavel Kosatík: Čeští demokraté: 50 nejvýznamnějších osobností veřejného života, Prag 2010.
Weblinks
Einzelnachweise
- Smetana, Bedrich. In: Kurt Honolka: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Bd. 12, Bärenreiter-Verlag 1986, S. 781 ff.
- Max Brod, München 1962, S. 142.
- Max Brod, München 1962, S. 26 und 39.
- Max Brod, München 1962, S. 31.
- Max Brod, München 1962, S. 43/44.
- Max Brod, München 1962, S. 45.
- Max Brod, München 1962, S. 106.
- Sabinas Ehe liegt im Dunklen. Brod erwähnt gelegentlich Sabinas arme, auch kränkelnde, auch zankende Frau, die schwer verkäufliche Bänder und Tücher stickte (S. 150), um zur Miete beizutragen. Jedenfalls hatte Sabina für sie zu sorgen.
- Max Brod, München 1962, S. 207.
- Max Brod, München 1962, S. 109.
- Max Brod, München 1962, S. 111.
- Max Brod, München 1962, S. 91.
- Max Brod, München 1962, S. 164.
- Max Brod, München 1962, S. 138, 118.
- Max Brod, München 1962, S. 115.
- Kritik bei Max Brod, München 1962, S. 215 ff.
- Kritik bei Max Brod, München 1962, S. 211 ff.