Julia Stoschek
Julia Stoschek (* 10. Juni[1] 1975 in Coburg) ist eine deutsche Unternehmerin, Gesellschafterin der Brose Fahrzeugteile und Sammlerin von Medienkunst. Ihr Privatvermögen wird auf über eine Milliarde Euro geschätzt.[2]
Leben
Stoschek wurde in eine Industriellenfamilie hineingeboren, ihr Vater ist Michael Stoschek. Ihr Urgroßvater Max Brose legte als Unternehmensgründer der Brose Fahrzeugteile GmbH & Co. KG die Grundlage für den Reichtum der heutigen Familie Stoschek. In der Zeit des Nationalsozialismus waren bei Brose bis zu 900 Mitarbeiter beschäftigt, unter anderem auch gegen Ende des Krieges 200 sowjetische Kriegsgefangene, für die ein Zwangsarbeit-Lager direkt neben dem Werk von der Wehrmacht unterhalten wurde.[3][4] Julia Stoschek ist seit 1993 Gesellschafterin im Familienunternehmen,[5] das mit 24.000 Mitarbeitern und sechs Milliarden Euro Jahresumsatz einer der größten Automobilzulieferer der Welt ist.[6]
Nach dem Abitur am Casimirianum[5] in Coburg studierte sie Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Automobilwirtschaft an der Universität Bamberg und beendete das Studium als Diplom-Kauffrau.[7] Nach dem Studium engagierte sie sich im Kulturmanagement.[8]
Stoschek baute die „Julia Stoschek Collection“, eine internationale private Sammlung zeitgenössischer Kunst mit dem Fokus auf zeitbasierten Medien auf. In der 2007 eröffneten Privatsammlung befinden sich über 700 Werke von rund 200 vorwiegend europäischen und US-amerikanischen Künstlern. Olafur Eliasson entwickelte zur Eröffnung des Hauses für eine der Innenwände des 2. Ausstellungsgeschosses die permanente, ortsspezifische Installation When Love Is Not Enough Wall.
Die verschiedenen inhaltlichen Aspekte der Sammlung der „Julia Stoschek Collection“ werden in regelmäßig wechselnden Ausstellungen und deren Publikationen gezeigt und dokumentiert. Die stetig wachsende Sammlung konzentriert sich in ihrer Konzeption vor allem auf das bewegte Bild seit den 1960er Jahren bis heute und umfasst eine Reihe von Disziplinen: Video, Einzel- und Mehrfachprojektionen von analogem und digitalem Filmmaterial, Multimedia-Environments sowie computer- und netzbasierte Installationen, aber auch ephemere Kunstformen, wie Performances. Zur öffentlichen Präsentation stehen der Sammlung in Düsseldorf zwei Ausstellungsgeschosse mit über 3000 m² zur Verfügung. Wesentliche Schwerpunkte der Sammlungstätigkeit sind die wissenschaftliche Ausarbeitung der Inhalte, das Aufzeigen kunsthistorischer Referenzen innerhalb der Sammlung und das Offenlegen von Bezügen zwischen den einzelnen Werken.[9] Erweiterung und Ergänzung des Sammlungsbestandes, restauratorische und konservatorische Betreuung sind darüber hinaus zentrale Punkte der Sammlungstätigkeit. Die Ausrichtung des Programms schließt nicht nur die Präsentation des eigenen Bestands, sondern auch kooperative Projekte mit anderen internationalen Institutionen, Kuratoren oder Künstlern mit ein.
In Ergänzung zum Düsseldorfer Standort wurde am 2. Juni 2016 eine temporäre Präsenz in Berlin für das Publikum geöffnet.[10] Die Ausstellungsfläche umfasst 2500 m² und befindet sich in Berlin-Mitte an der Leipziger Straße 60, im Gebäudekomplex des Kultur- und Informationszentrums der Tschechoslowakei der früheren DDR.[11][12]
Einige Jahre war der Fotokünstler Andreas Gursky ihr Lebenspartner.[13] Stoschek hat mit Zeitungsverleger Mathias Döpfner einen Sohn (* 2016).[6][14][15]
Ausstellungen (Auswahl)
- Stipendium Projekt Just (2003–2006), Künstlerförderprojekt
- Number One: Destroy, she said (18. Juni 2007 bis 2. August 2008)
- Number Two: Fragile (18. Oktober 2008 bis 1. August 2009)
- Out of Space 1: Cao Fei – Whose Utopia (25. April – 27. Juni 2009), Gloriahalle, Düsseldorf
- Number Three: Here and Now (10. Oktober 2009 bis 31. Juli 2010)
- Julia Stoschek Collection I want to see how you see (16. April – 25. Juli 2010), Deichtorhallen Hamburg
- Number Four: Derek Jarman – Super8 (11. September 2010 bis 26. Februar 2011)
- Number Five: Cities of Gold and Mirrors (2. Juli 2011 – Sommer 2012)[16]
- Number Six: Flaming Creatures (8. September 2012 bis 28. Februar 2013)
- Number Seven: Ed Atkins/Frances Stark (7. September 2013 bis 22. Februar 2014)
- Number Eight: Sturtevant (4. April – 10. August 2014)
- Number Nine: Elizabeth Price (5. September 2014 – Februar 2015)
- Number Ten: Trisha Donnelly (7. Februar – 29. August 2015).
- Number Eleven: Cyprien Gaillard (26. September 2015 bis 31. Juli 2016).
- Number Twelve: Hello Boys (13. Februar – 31. Juli 2016).
- Welt am Draht, Sammlung Julia Stoschek Berlin, 2017.[17]
- Generation Loss. 10 Years of the Julia Stoschek Collection (2017–2018).
- Ian Cheng-Emissaries, Julia Stoschek Collection, Berlin (27. April–1. Juli 2018)
- New Metallurgists (7. Oktober 2018 bis 28. April 2019)[18]
- Mythologists, kuratiert von Rachel Vera Steinberg (17. Januar 2021 bis 19. Dezember 2021).
Engagement
Julia Stoschek engagiert sich neben ihrer Sammlertätigkeit auch in mehreren kuratorischen Gremien. Seit 2004 ist sie Mitglied im Kuratorium der Kunst-Werke Berlin (KW Institute for Contemporary Art[19]), Berlin. Seit Mai 2015 ist sie Vorstandsmitglied, seit 2017 Stellvertretende Vorsitzende. Darüber hinaus ist sie Mitglied im Vorstand des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, seit 2011 ist sie Mitglied der Ankaufskommission der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen[20], seit 2012 gehört sie dem Aufsichtsrat der Kunsthalle Düsseldorf, dem Tate Council und dem Committee of Performance am Whitney Museum of American Art in New York an. Von 2012 bis 2018 war sie Mitglied des board of directors des MoMA PS1, New York. Seit November 2018 ist sie Mitglied des Board of Trustees des MOCA-Museum of Contemporary Art in Los Angeles.[21] Der Schwerpunkt ihrer aus über 600 Werken bestehenden Sammlung liegt im Bereich der zeitbasierten Medien (time based media), insbesondere Videokunst, Fotografie sowie auch Installationen.
Kontroversen
Im Mai 2020 berichtete „Welt am Sonntag“, dass die Videokunstsammlung aufgrund eines auslaufenden Mietvertrags und mangelnder Alternativen ab 2022 aus Berlin abgezogen werde.[22][23] Stoschek hatte sich beschwert, dass die BIMA die Miete für ihre Geschäftsräume ab 2020 auf 2,78 Euro pro Quadratmeter erhöhte,[24] wie Jan Böhmermann in seiner Satire-Show ZDF Magazin Royale vom 6. November 2020 berichtete.[25]
Kooperationen mit internationalen Institutionen
- Rhine on the Dnipro: Julia Stoschek Collection/Andreas Gursky, PinchukArtCentre, Kiew, Ukraine (28. September – 14. Dezember 2008)
- Video Koop, KIT – Kunst im Tunnel, Düsseldorf (3. Mai – 27. Juli 2008)
- 100 Years (Version #1, Duesseldorf), Julia Stoschek Collection, Düsseldorf. 10. Oktober 2009 bis 29. Juli 2010) Kooperation mit P.S.1/MoMA, NY und der Performance Biennale PERFORMA, NY
- I want to see how you see – Julia Stoschek Collection, Deichtorhallen, Hamburg (16. April – 25. Juli 2010)
- Entropy of a City, Julia Stoschek Collection@Műcsarnok/Kunsthalle, Budapest (23. November 2013 bis 23. Februar 2014)
- High Performance. Zeitbasierte Medienkunst seit 1996. Die Julia Stoschek Collection zu Gast im ZKM, Karlsruhe (16. März – 22. Juni 2014)
- Turn on – zeitbasierte Medienkunst aus der Julia Stoschek Collection im Tel Aviv Museum of Art, Israel (31. März – 29. August 2015)
- The new Human – You and I in global Wonderland (14. März – 18. Oktober 2015, Moderna Museet, Malmö, Schweden
- The new Human-Knock, Knock is anyone at home? (26. Februar – 18. September 2016), Moderna Museet, Malmö, Schweden[26]
- The new Human (20. Mai – 4. Dezember 2016), Moderna Museet, Stockholm, Schweden
- Arthur Jafa: A Series of Utterly Improbable, Yet Extraordinary Renditions – mit Beiträgen von Ming Smith, Frida Orupabo und Missylanyus; kuratiert von Hans-Ulrich Obrist und Amira Gad. In Kooperation mit den Serpentine Galleries, London. Julia Stoschek Collection, Berlin (11. Februar – 25. November 2018).[27]
Auszeichnungen
- Nadel der Medici, Düsseldorf, 2010[28]
- Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen 2011[20]
- Art-Cologne-Preis 2018
Literatur
- Paul Buckermann: Unkritisierte Verstrickungen. Was an Hito Steyerls Teilfinanzierung durch Julia Stoschek problematisch ist, thematisiert sie nicht, Jungle World / Dschungel, 50, 13. Dezember 2018, S. 12f. (online Version)
Weblinks
- Website der Julia Stoschek Collection
- Literatur von und über Julia Stoschek im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Daniel Kothenschulte: Neupräsentation in der Julia Stoschek Collection: 25 Wahrheiten pro Sekunde. In: Monopol. 29. Juli 2011 .
- DLD Conference Speaker: Julia Stoschek. Digital Life Design
Interviews
- Elisabeth Dostert: „Auseinandersetzung als innere Notwendigkeit“. In: Süddeutsche Zeitung. 19. April 2007 (Interview).
- Falk Schreiber: Kunstsammlerin Julia Stoschek: Das klassische MTV-Kid. Interview in uMag, 26. März 2018
- Gesine Borcherdt, Niclas Weber, Sean Bardem: Interview Julia Stoschek – Hauptweg und Nebenwege. (Nicht mehr online verfügbar.) In: artnet. 26. Juli 2011, archiviert vom Original am 26. Dezember 2011 .
- Annette Kiehl: Düsseldorf: Julia Stoschek Collection zeigt Videokunst. In: Westfälischer Anzeiger. 25. Juli 2011 .
- Ute Thon, Tim Sommer: Ist Kunst von Männern überbezahlt? Interview mit Julia Stoschek. (Nicht mehr online verfügbar.) In: art-magazin. 14. März 2014, archiviert vom Original am 14. Juni 2015 .
- Julia Stoschek – die etwas andere Kunstsammlerin. Focus Online, 19. März 2014 (dpa).
- Moritz Müller-Wirth: „Das ist absolute Echtzeit“. In: Die Zeit, Nr. 12/2015.
- Ana Teixeira Pinto: Interview Julia Stoschek. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Carnet de Miart. 3. Dezember 2014, archiviert vom Original am 14. Juni 2015 (englisch).
- Christoph Amend, Jochen Wegner: Julia Stoschek, warum ist Kunst eine Religion? In: Alles gesagt? Interviewpodcast von Zeit Online. 25. April 2019 .
Einzelnachweise
- Gregor Schöllgen: BROSE – Ein deutsches Familienunternehmen 1908–2008. ECON, Berlin 2008, ISBN 978-3-430-20053-0, S. 201.
- Julia Stoschek. In: forbes.com. Abgerufen am 18. Oktober 2021 (englisch).
- Nicola Kuhn: Schmutzige Gelder, saubere Kunst. In: Der Tagesspiegel. 11. November 2020, abgerufen am 25. April 2021.
- Dieter Ungelenk: Böhmermann geißelt den "Stoschek-Style". In: Neue Presse (Coburg). 9. November 2020, abgerufen am 25. April 2021.
- Gregor Schöllgen: BROSE – Ein deutsches Familienunternehmen 1908–2008. Econ Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-430-20053-0, S. 287.
- Jobst-Ulrich Brand: Ihr Name: Julia Stoschek Ihre Geschichte: Gesellschafterin des Brose-Konzerns Ihr Anliegen: die Kunst der bewegten Bilder Ihr Spitzname: Der Vulkan. In: Focus 22 (2016), 28. Mai 2016, abgerufen am 18. April 2018.
- Alfons Kaiser: Die Kunst der Zeit. (PDF; 14 MB) In: Frankfurter Allgemeine magazin, November 2015, S. 32; Interview.
- Gregor Schöllgen: BROSE – Ein deutsches Familienunternehmen 1908–2008. Econ Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-430-20053-0, S. 288.
- DLD Conference Speaker: Julia Stoschek. In: Digital Life Design, abgerufen am 18. April 2018.
- Annette Bosetti: Julia Stoschek eröffnet Filiale in Berlin. In: Rheinische Post, 30. Januar 2016; abgerufen am 18. April 2018.
- Kultur- und Informationszentrum der ČSSR. In: Fernsprechbuch für die Hauptstadt der DDR, 1986, S. 277.
- Leipziger Straße. Verein für die Geschichte Berlins e. V. - gegr. 1865, abgerufen am 30. April 2021.
- Moritz Müller-Wirth: Einsame Klasse. In: ZEITmagazin, 19. Mai 2016.
- Bülend Ürük: Aus unseren Kreisen. In: kress.de, 30. Mai 2016, abgerufen am 18. April 2018.
- Julia Friese: Wer ist die Kunstsammlerin Julia Stoschek? In: Der Tagesspiegel, 3. Mai 2019.
- Magdalena Kröner: Für diese Passion sind Wände nicht genug. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Juli 2011, abgerufen am 18. April 2018.
- Die Kunst der Stunde. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Juni 2016, Seite 11.
- julia-stoschek-collection.net (Memento des Originals vom 3. April 2019 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. abgerufen am 2. November 2018
- Berliner Morgenpost vom 7. August 2007 (Memento vom 3. Juli 2007 im Internet Archive)
- 100 Frauen von morgen: Julia Stoschek, Kunstsammlerin. (Nicht mehr online verfügbar.) Deutschland – Land der Ideen, 2014, archiviert vom Original am 7. Dezember 2014; abgerufen am 14. April 2018.
- Jori Finkel: New Director Expands MOCA’s Board With Four Global Members. In: The New York Times. 11. November 2018, abgerufen am 26. November 2018 (englisch).
- Christiane Meixner: Julia Stoschek schließt ihr Medienkunsthaus. In: Der Tagesspiegel. 10. Mai 2020, abgerufen am 11. Mai 2020.
- Susanne Schreiber: Sammlerin Julia Stoschek zieht ihre Kunst aus Berlin ab. In: Handelsblatt. 11. Mai 2020, abgerufen am 6. November 2020.
- Frederik Hanssen: Kultursenator will mit Julia Stoschek reden. In: Der Tagesspiegel. 28. Mai 2020, abgerufen am 12. November 2020.
- So ätzte Jan Böhmermann über die Coburger Familie Stoschek. In: BR24. 7. November 2020, abgerufen am 9. November 2020.
- The New Human. Website des Moderna Museet, Malmö, abgerufen am 18. April 2018 (englisch).
- Arthur Jafa. A Series of Utterly Improbable, Yet Extraordinary Renditions. In: Julia Stoschek Foundation. Abgerufen am 1. Juli 2018.
- Christian Steinmetz: 100 Years Version # 1. Anna Maria Luisa de’ Medici e. V. – Eine Initiative aus der Kunst Stadt Düsseldorf, 1. April 2009, abgerufen am 18. April 2018.