Josef Gerstmann
Josef Gerstmann (* 17. Juli 1887 in Lemberg, Österreich-Ungarn; † 23. März 1969 in New York) war ein österreichischer Neurologe und Psychiater sowie Neuropathologe.
Leben
Gerstmann studierte Medizin in Wien von 1906 bis 1912 und erlangte 1912 den Doktortitel. Er diente im Ersten Weltkrieg als Sanitätsoffizier und erhielt hohe Tapferkeitsauszeichnungen. Anschließend arbeitete er an der psychiatrisch-neurologischen Klinik, bis er 1930 Emil Redlich (1866–1930) als Leiter der Nervenheilanstalt Maria-Theresien-Schlössel in Wien nachfolgte. Dort hatte er sich bereits 1921 habilitiert und bekam den Professorentitel im Jahre 1929. Als Jude floh er 1938 nach dem Verlust seiner Lehrbefugnis an der Universität Wien und seiner Chefarztstelle in die Vereinigten Staaten, wo er zunächst eine Beratertätigkeit am Springfield State Hospital in Sykesville, Maryland, ausübte. Nach einer Zwischenstation 1940–41 am Saint Elizabeth-Hospital in Washington, D.C., war er von 1941 bis 1945 „Research Associate“ am New York Neurological Institute sowie Neuropsychiater am Goldwater Memorial Hospital und (bis 1949) am Postgraduate Hospital in New York. Daneben war er nach erfolgter amerikanischer Facharztanerkennung in einer Privatpraxis in New York tätig. Er erreichte nie wieder eine Leitende Stellung an einem Krankenhaus und hatte nach dem Zweiten Weltkrieg unerfreuliche Auseinandersetzungen mit dem österreichischen Staat wegen seines von den Nazis beschlagnahmten Eigentums.[1][2]
Er war Mitglied der Amerikanischen Neurologischen Akademie und der Gesellschaft für Neurologie und Psychiatrie in Rosario, Argentinien.
Gerstmann beschrieb u. a. 1924 ausführlicher die Fingeragnosie,[3] 1927 erstmals das später nach ihm benannte Syndrom[4] (Gerstmann-Syndrom) und 1928[5] sowie ausführlicher 1936[6] die später nach ihm sowie den österreichischen bzw. österreichisch-US-amerikanischen Neurologen und Psychiatern sowie Neuropathologen Ernst Sträussler und Isaak M. Scheinker benannte Krankheit (Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom). Außerdem ist er bekannt für den Gerstmann-Test, eine Weiterentwicklung des Unterberger-Tretversuchs.
Literatur
- Josef Gerstmann. In: Judith Bauer-Merinsky: Die Auswirkungen der Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich auf die medizinische Fakultät der Universität Wien im Jahre 1938: Biographien entlassener Professoren und Dozenten. (Memento vom 9. November 2014 im Internet Archive) (PDF; 182 kB). Dissertation. Wien 1980, S. 71–73b.
Weblinks
- Josef GERSTMANN (1887–1969): Vertrieben 1938 (36). In: VAN SWIETEN blog vom 29. April 2008
Einzelnachweise
- L. A. Zeidman, M. G. Ziller, M. Shevell: Gerstmann, Sträussler, and Scheinker: the persecution of the men behind the syndrome. In: Neurology. Band 83, 2014, S. 272–277.
- L. A. Zeidman, M. G. Ziller, M. Shevell: “With a smile through tears”: The uprooted career of the man behind Gerstmann syndrome. In: J Hist Neurosci. Band 24, 2015, S. 148–172.
- J. Gerstmann: Fingeragnosie: eine umschriebene Störung der Orientierung am eigenen Körper. In: Wien Klin Wchschr. Band 37, 1924, S. 1010–1012.
- J. Gerstmann: Fingeragnosie und isolierte Agraphie, ein neues Syndrom. In: Z ges Neurol Psychiatrie. Band 108, 1927, S. 152–177.
- J. Gerstmann: Über ein noch nicht beschriebenes Reflexphänomen bei einer Erkrankung des zerebellären Systems. In: Wien Med Wchschr. Band 78, 1928, S. 906–908.
- J. Gerstmann, E. Sträussler, I. Scheinker: Über eine eigenartige hereditär-familiäre Erkrankung des Zentralnervensystems. Zugleich ein Beitrag zur Frage des vorzeitigen lokalen Alterns. In: Z ges Neurol Psychiatrie. Band 154, 1936, S. 736–762.